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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.11.2017

Ein wirklich würdiger Preisträger

Die See
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2005 bekam John Banville für dieses Buch den Man Booker Prize verliehen - völlig zu recht wie ich finde. Auch im Deutschen (dank der herausragenden Übersetzerin Christa Schuenke) fühlte ich mich beim Lesen, ...

2005 bekam John Banville für dieses Buch den Man Booker Prize verliehen - völlig zu recht wie ich finde. Auch im Deutschen (dank der herausragenden Übersetzerin Christa Schuenke) fühlte ich mich beim Lesen, als ob ich an der Seite des Protagonisten wäre. Ich roch und schmeckte das Meer, den Herbst, den Sommer. Es gibt sicherlich nur wenige Bücher, in denen ich so unmittelbar am Erleben der Figuren teilgenommen habe wie hier.
Die Geschichte an sich ist eher unauffällig: Ein Mann, Max Morden, ein Kunsthistoriker in den Sechzigerin, verliert seine Frau durch eine Krankheit und fährt in seiner Trauer an einen Ort seiner Kindheit; dort, wo er die Ferien verbrachte. Hier erinnert er sich an längst und jüngst Vergangenes, an die Urlaube als Kind, die letzten Monate während der Krankheit seiner Frau, ihre erste gemeinsame Zeit. Alles fließt ineinander über und doch sind die verschiedenen Lebensabschnitte leicht voneinander zu unterscheiden. Fast wirkt es wie im Film, wenn durch geschickte Überblendungen der Wechsel in eine andere Zeitebene erfolgt - John Banville beherrscht diese Kunst grandios. Max' Erinnerungen, wiederholt ausgelöst durch Vergleiche mit der bildenden Kunst, nimmt er auch zum Anlass, sich Selbstreflektionen hinzugeben, die teilweise zu philosophischen Betrachtungen werden. Wann entsteht Bewusstsein? Das Bewusstsein seiner Selbst? Was ist Arbeit? Banville besitzt unter anderem nicht nur ein bewunderswertes Wissen über Kunst, sondern beispielsweise auch über Neurophilosophie, an dem er die Lesenden teilhaben lässt.
Doch über Allem steht dieser wunderbare Schreibstil, der exemplarisch zeigt, zu was Sprache fähig ist. "Sommerlicht, dick wie Honig ...", "Draußen gab es noch mehr Palmen, zerzauste, gakelige Dinger, deren graue Borke dick und zäh wie Elefantenhaut aussah." Banville ist ein unglaublich aufmerksamer Beobachter mit einem Blick für kleinste Details, die er in solch bildhafte Worte fasst, dass man wirklich Alles vor sich sieht.
Bemerkenswert empfand ich auch die Darstellung des Protagonisten. Max, der einen von Beginn an durch seine schon fast poetische Sprache praktisch völlig für sich einnimmt, sich jedoch entlarvt durch kleine Nebensätze als ein nicht gerade sympathisches Exemplar seiner Gattung. Amüsant empfand ich seine Abneigung gegenüber Männern, an denen er exakt das missbilligte, was er darstellte: das Vortäuschen einer Figur, die er nicht ist, was mir jedoch erst gegen Ende bewusst wurde.
Ein Buch, in dem so viel mehr steckt als nur die Geschichte eines trauernden Mannes. Ganz große Kunst!

Veröffentlicht am 31.10.2017

Grauenerregend, schonungslos, düster - Leben in Island 1830

Das Seelenhaus
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Agnes Magnúsdóttir war der letzte Mensch, der in Island 1830 zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Vorgeworfen wurde ihr Mord an zwei Männern, gemeinsam verübt mit Fridrik, einem jungen Mann und ...

Agnes Magnúsdóttir war der letzte Mensch, der in Island 1830 zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Vorgeworfen wurde ihr Mord an zwei Männern, gemeinsam verübt mit Fridrik, einem jungen Mann und seiner Verlobten Sigga. Nach ihrer Verurteilung wird Agnes auf den Hof eines Dienstmannes gebracht, wo sie bis zur Vollstreckung ihres Todesurteils in Haft bleiben soll. Von dieser Zeit erzählt 'Das Seelenhaus' und wer sich nun eine spannende, krimiähnliche Geschichte erhofft, dürfte enttäuscht werden.
Die Familie des Dienstmannes ist gegen die Unterbringung Agnes', hat aber keine Möglichkeit sich zu wehren. Sie dulden die Verurteilte und versuchen sie zu ignorieren, doch nach und nach entsteht zu einzelnen Familienmitgliedern ein Vertrauensverhältnis. Durch Gespräche mit dem Pfarrer, die die Totgeweihte führt, erfahren auch sie, welches Leben Agnes führte bis zu dem Mord an den zwei Männern.
Auch wenn dieses Verbrechen im Zentrum des Romanes steht: Schwerpunkt des Buches sind die Darstellung der Lebensverhältnisse und -bedingungen, die in Island zu Beginn des 19. Jahrhunderts herrschten. Dies gelingt zum Einen durch die Schilderung des Lebens der Familie, bei der Agnes untergebracht ist; zum Andern durch die Verurteilte selbst, die in einem wunderbar poetischen Ton erzählt bzw. sich erinnert, wie ihr Leben verlaufen ist. Für heutige Verhältnisse scheint es unvorstellbar, wie Menschen so existieren konnten: in Torfhäusern, undicht, ständig feucht, beengt, dunkel. Fensterrahmen waren zum Schutz und um für etwas Licht zu sorgen, mit Fisch- oder Schafsblasen verhängt. Die frühen und langen Winter waren ein steter Kampf ums Überleben. Agnes, die als uneheliches Kind zum untersten Rand der Gesellschaft gehörte, war als Magd (wie auch alle anderen Mägde und Knechte) kaum mehr als eine Leibeigene. Es war ein erbärmliches Leben in einer hartherzigen Zeit in einem gnadenlosen Land.
Ein wirklich beeindruckender Roman, der gekonnt Fiktion mit historischer Realität vermischt.

Veröffentlicht am 20.10.2017

Candice Fox kann's einfach

Crimson Lake
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Nämlich gute Thriller schreiben. Unkonventionelle Protagonisten, überraschende Wendungen und nicht zuletzt auch in Gesellschaftsfragen den Finger auf die Wunde legen - dies sind auch in ihrem neuen Buch ...

Nämlich gute Thriller schreiben. Unkonventionelle Protagonisten, überraschende Wendungen und nicht zuletzt auch in Gesellschaftsfragen den Finger auf die Wunde legen - dies sind auch in ihrem neuen Buch 'Crimson Lake' feste Bestandteile.
Ted Conkaffey war Polizist, glücklich verheiratet und stolzer Vater, bis er zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort war. Jetzt ist er in den Augen der Gesellschaft ein gefährlicher Pädophiler, verlassen von Frau und Freunden. Er soll ein 13jähriges Mädchen entführt, schwer misshandelt und vergewaltigt haben, doch die Indizien reichen nicht für eine Verurteilung, sodass er nach einem knappen Jahr Untersuchungshaft wieder frei kommt. Auf der Flucht vor einer sensationsgeilen Presse und einem wütenden Mob gelangt er nach Crimson Lake im Norden Australiens, in der Hoffnung dort zur Ruhe zu kommen. Bei der Aussenseiterin Amanda, einer verurteilten und ihre Haftstrafe bereits verbüßten Mörderin, findet er einen Job: Sie sollen einen berühmten Schriftsteller finden. Doch Conkaffey wird erkannt und Crimson Lakes Bürgerwehr formiert sich gegen den gefährlichen Eindringling.
Eigentlich sind es drei Fälle, die in diesem Buch erzählt werden. Der Erste ist die Suche nach dem Schriftsteller, der plötzlich verschwunden ist. Seine Ehefrau beauftragt Amanda, ihn bzw. seinen Mörder zu finden, damit sie im Falle seines Todes das Erbe antreten kann. Parallel dazu beschäftigt sich Conkaffey mit dem von Amanda vor vielen Jahren verübten Mord. Er hat seine Zweifel an den damals erlangten Ergebnissen, aufgrund derer Amanda verurteilt wurde. Und dann Conkaffeys eigener Fall, der ihn so belastet, dass er Angstzustände und Panikattacken erleidet. Immer wieder durchlebt er die demütigenden Situationen, derer er sich nicht erwehren konnte.
Doch damit nicht genug zeigt Candice Fox durch ihre beiden Protagonisten auch, wie Vorverurteilungen und Medienhetze in kürzester Zeit Menschenleben vernichten können. Durch Indizien, die zu Beweisen hochgepusht werden bzw. aufgrund einer fragwürdigen Herkunft, werden Menschen zum Freiwild für scheinbar besorgte Bürger, die in kürzester Zeit zum Lynchmob mutieren.
Ein klasse Krimithriller, der Lust macht auf den zweiten Teil!

Veröffentlicht am 17.10.2017

In jedem Mensch wohnt eine Bestie ...

Das Floß der Medusa
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Gleich vorweg: Wer Schwierigkeiten hat mit Brutalität, Ekligkeiten und Obszönität, sollte sich die Lektüre dieses Buches besser verkneifen. Denn was Franzobel, der Autor, hier schildert, ist schon harter ...

Gleich vorweg: Wer Schwierigkeiten hat mit Brutalität, Ekligkeiten und Obszönität, sollte sich die Lektüre dieses Buches besser verkneifen. Denn was Franzobel, der Autor, hier schildert, ist schon harter Tobak, obwohl er vermutlich mit seiner literarischen Ausschmückung der tatsächlichen Geschehnisse nicht allzu sehr übertrieben hat.
Das Buch hält sich sehr eng an die tatsächlichen Geschehnisse, die sich im Jahre 1861 ereigneten. Am 17. Juni bricht ein Schiffsverband mit der Medusa als Flaggschiff von Frankreich aus auf, um in die Hauptstadt des Senegals zu segeln. Die Besatzung der Schiffe besteht aus mehr als 600 Menschen, darunter Ingenieure, Lehrer, Priester, Bauern, Arbeiter und Soldaten, die die französische Kolonie neu aufbauen sollen. Doch durch die Unfähigkeit des Kapitäns der Medusa läuft diese auf auf eine 40 Meilen von der Küste entfernt liegende Sandbank und zerbricht bei einem in der Nacht stattfindenden Unwetter. Das Schiff muss evakuiert werden, doch es gibt nicht genügend Rettungsboote, sodass 147 Menschen auf ein provisorisches Floß müssen, das von den anderen Booten gezogen wird. Doch man kommt nicht voran, weshalb die Verbindung gekappt und das Floß sich selbst überlassen wird.
Wider Erwarten nimmt die Geschichte der Schiffsbrüchigen auf dem Floß nur etwas mehr als ca. 1/3 des Buches ein, der Rest beschreibt die Fahrt des Schiffes bis zum Auflaufen auf die Sandbank. Franzobel hat einen besonderen Schreibstil, der zumindest zu Beginn für mich etwas gewöhnungsbedürftig war. Es gibt einen allwissenden Erzähler, der in unserer Zeit lebt und sich nicht scheut, Damaliges mit Heutigem zu vergleichen. So werden Offiziere mit Alain Delon und Lino Ventura verglichen und auch Kate Winslet und Leonardo di Caprio von der Titanic schaffen es in das Buch Ansonsten hält er sich überzeugend genau (so weit ich das beurteilen kann) an diverse Sprachgepflogenheiten der damaligen Zeit, insbesondere die der Seefahrt: Da werden Stengen und Rahen vertaut und mittels Taljen heruntergelassen, die Seeleute warpen, fieren und pullen was das Zeug hält. Auch die sonstigen Redeweisen wirken überzeugend und es dauert nicht lange, bis man sich mitten drin fühlt, als würde man neben dem Erzähler stehen.
Doch was dieses wirklich tolle Buch so schrecklich macht, sind die Menschen, über die hier erzählt wird. Es ist wohl ein Durchschnitt der damaligen Bevölkerung, der sich auf der Medusa versammelt. Scheinbar hochzivilisierte Aristokraten, die jedoch ebenso primitiv und ordinär sind wie dieser 'Abschaum der Gesellschaft', auf den sie mit einer Arroganz herabblicken, dass ich das Buch manchmal vor Wut in die Ecke hätte werfen können. Natürlich essen sie mit Silberbesteck, sind luxuriös gekleidet, aber bleiben völlig teilnahmslos, wenn ein Junge über Bord geht (Keine Zeit) oder ein Matrose totgepeitscht wird. Und schicken ohne zu zögern fast 147 Menschen in den Tod, um eine Guillotine zu retten und 'die höchsten Güter der Nation! Kleider!'. Dieses Verhalten empfand ich um Vieles schlimmer als das, was sich auf dem Floß ereignete, wo sich die Menschen in einer existentiellen Notlage befanden. Keine Frage, was dort geschah, war unvorstellbar entsetzlich. 'In jedem Mensch wohnt eine Bestie, ein zweites Ich, rücksichtslos, brutal und ohne Hemmungen.' (S. 376). Die Adligen brauchten aber noch nicht einmal eine Notlage, um diese Bestie zum Vorschein kommen zu lassen; sie fällt bei ihnen nur nicht so auf, denn sie hat bessere Manieren. Das wäre dann aber auch schon der einzige Unterschied.
So ist dieses Buch nicht nur ein Roman über eine historische Begebenheit, sondern auch ein Lehrstück über die Natur des Menschen. Grauenhaft gut.

Veröffentlicht am 26.09.2017

Ein durchweg amüsanter, historischer Abenteuerroman

Der Gentleman
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London um das Jahr 1850: Der 22jährige Lionel Savage ist ein Dichter, wie ihn sich unsereins zu jener Zeit wohl vorstellt. Adlig, völlig lebensunpraktisch, egozentrisch und den Kopf voller Gedanken, die ...

London um das Jahr 1850: Der 22jährige Lionel Savage ist ein Dichter, wie ihn sich unsereins zu jener Zeit wohl vorstellt. Adlig, völlig lebensunpraktisch, egozentrisch und den Kopf voller Gedanken, die mit der realen Welt so gut wie nichts zu tun haben. Als er feststellen muss, dass sein Vermögen gänzlich verbraucht ist, plant er reich zu heiraten. Gesagt, getan, die schöne, reiche Vivian wird seine Frau. Doch kurz nach der Hochzeit muss Lionel feststellen, dass er nicht mehr schreiben kann. Seine Kreativität ist versiegt. Voller Verzweiflung verflucht er seine Heirat bzw. seine Gemahlin (die der Grund dafür sein muss) und als während eines Maskenballes, den seine Frau veranstaltet, plötzlich der Teufel bei ihm auftaucht, klagt er diesem sein Leid. Unmittelbar nach dessen Besuch ist Vivian nicht mehr auffindbar und Lionels Kreativität beginnt wieder zu fließen, bis er zu seinem Entsetzen feststellen muss, dass ihm seine Gemahlin fehlt. Schlimmer noch: Er liebt sie heiß und innig. Doch wie soll er sie aus der Hölle holen, wo sie sich zweifelsohne befindet?
Kaum zu glauben, dass der Autor ein US-Amerikaner ist. Denn die komplette Geschichte wirkt so typisch britisch, dass ich mir fast sicher war, nur ein Einheimischer könne ein solches Buch schreiben. Im Stil einer Screwball-Komödie sind die Protagonisten ziemlich exzentrisch, aber dennoch liebenswert. Da gibt es Ashley, der Bruder Vivians, ein gutaussehender, muskelbepackter Abenteurer, der nur selten in England weilt, aber gerade jetzt zu Besuch kommt. Lizzie, die 16jährige, völlig unkonventionelle Schwester Lionels, vor der die Männerwelt erzittert. Und Simmons, der mustergültige Butler Lionels, der immer und sofort für Alles eine Lösung und Antwort parat hat. Lionel, der als Ich-Erzähler fungiert, erzählt die Erlebnisse mit einer (vermutlich) umfänglichen Ehrlichkeit und jugendlichen Naivität, sodass ich ihn trotz seiner Egozentrik einfach gernhaben musste.
Systematisch machen sich die Drei auf die Suche nach der Hölle, beginnen mit Kunst und Literatur, und einigen sich schließlich darauf, in Island mit einem Vulkan zu beginnen. Dorthin wollen sie mit der Hilfe eines Erfinders gelangen, der ein wundersames Fluggerät konstruiert hat und sich im Club Hefestaeum aufhält, einer wundersamen Lokalität: "Ich könnte mir vorstellen, dass hier vor langer Zeit einmal ein zweigeschossiges Haus stand; und dass dann ein ehrgeiziger, aber ungelernter Architekt entschieden hatte, einen Turm auf das Haus zu bauen; und dass einige Zeit danach ein weniger ehrgeiziger, aber gelernter Architekt den Turm in so etwas wie ein anständiges Gebäude umzuwandeln begann, aber vor der Fertigstellung verstarb und niemandem mitgeteilt hatte, wie es weitergehen sollte, und die Arbeit dann von einem geisteskranken Hafenarbeiter mit einem Hang zur Flasche fortgeführt wurde, woraufhin die Lage völlig außer Kontrolle geriet." Zudem unterliegt der Club einer besonderen Regelung der Feuerwehr: "Das Hefestaeum hatte so oft die Hilfe der Städtischen Feuerwehr bemüht, dass sich schließlich die Regierung einschaltete und ein Bußgeldsystem einführte. Dem Club wurden pro Jahr zwei Feuer zugestanden, deren Löschung die Feuerwehr unentgeltlich übernimmt. Jedes weitere Feuer zieht eine hohe Gebühr nach sich." Es gibt noch eine ganze Menge weiterer Verwicklungen und Gefahrensituationen (Duelle, Schießereien, Gefangennahmen), wobei Lionel völlig überrascht ein bisschen den Abenteurer in sich entdeckt.
Diese herrlich schrägen und liebenswerten Figuren bei ihren Erlebnissen zu begleiten, ist ein rundweg abwechlungsreiches und unterhaltsames Lesevergnügen.