Wundervoll erzählt, aber leider zu wenig erlebbar
Babel„Wörter haben keine Bedeutung, wenn niemand da ist, der sie versteht.“
- Rebecca F. Kuang, Babel -
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Zum Inhalt:
1829. England gründet seinen Erfolg als stärkste Kolonialmacht auf der Magie des ...
„Wörter haben keine Bedeutung, wenn niemand da ist, der sie versteht.“
- Rebecca F. Kuang, Babel -
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Zum Inhalt:
1829. England gründet seinen Erfolg als stärkste Kolonialmacht auf der Magie des Silberwerkens. Hierfür rekrutiert es bereits in jungen Jahren Muttersprachler aus den Kolonien, die es im Sinne des Empires aufzieht und zur Elite am Institut für Übersetzung – Babel – ausbildet. Doch England hat sie in vielerlei Hinsicht unterschätzt...
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Meine Eindrücke:
Babel ist das erste Buch, das ich von Rebecca F. Kuang gelesen habe.
Von Beginn an war ich begeistert von ihrer einnehmenden Erzählstimme. Ähnlich wie bei einer angenehmen Vorlese-Stimme, der man ewig lauschen möchte. Es gelingt der Autorin leicht, große Zeitspannen zusammenzufassen, Gedankengänge mit Rückblenden zu verbinden und geschichtliche Ereignisse, wie aus dem Ärmel geschüttelt einfließen zu lassen.
Gleichzeitig liegt hier aber auch mein größter Kritikpunkt. Denn ich fand es unglaublich schade, dass sich die Autorin stellenweise im Erzählen verlor und es über den gesamten Roman hin nicht geschafft hat, das Erzählte durch mehr Dialoge und Interaktion ihrer Charaktere auch erlebbar zu machen. Ja, es gab definitiv actionreiche und spannende Szenen, auch Wortgefechte. Nein, ich war zu keiner Zeit emotional abgehängt. Aber es blieb immer eine gewisse Distanz.
Für mich wurde hier das Potenzial verspielt, den Roman herausragend zu machen. In vielerlei Hinsicht ist er besonders.
Er ist weniger ein Fantasy-Roman, sondern vielmehr ein „historischer“ Roman, der in der Magie des Silberwerkens Erklärungen für die Geschichte fand: Den technischen Fortschritt der industriellen Revolution zum Beispiel und den Einfluss Englands als Kolonialmacht. Dabei sind die historischen Fakten so sehr mit der Fiktion verwoben, dass eine einzigartige Symbiose entsteht, die die Grenzen verschwimmen und das Erzählte sehr realistisch werden lässt. Am Ende des Buchs hätte ich mir daher ein Nachwort gewünscht, das noch einmal die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zieht.
Die Idee, dass die Magie aus der Kraft der Sprache, beziehungsweise der Unzulänglichkeit von Übersetzungen herrührt, ist ebenso originell wie faszinierend. Auch die ausführlichen Exkurse in die Sprachwissenschaft empfand ich als sehr interessant und lehrreich, aber auch herausfordernd. Babel ist kein Buch für „zwischendurch“, sondern eines, das ungeteilte Aufmerksamkeit erfordert.
Tatsächlich aber auch verdient, denn Rebecca F. Kuang thematisiert Rassismus und Kolonialisierung hart und unverblümt, öffnet die Augen und übt Gesellschaftskritik.
Besonders war für mich auch der Protagonist und seine sehr authentisch erzählte Entwicklung im Romanverlauf: Robin Swift umfängt von Beginn an eine ausgesprochene Tragik, die bis zuletzt anhält. Geprägt von dem Verlust seiner kantonesischen Identität sowie einem isolierten Aufwachsen, entwickelt er sich von einem zurückhaltenden, naiven Meister des Verdrängens, in einen selbstbewussten jungen Mann, der Missstände aufzeigt und für Gerechtigkeit und Frieden kämpft.
Viele gute Gründe also, die diesen Roman lesenswert machen…aber eben nicht herausragend.
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Mein Fazit:
Babel ist ein „historischer“ Roman mit magischen Elementen, der wundervoll erzählt ist, bewegt und nachdenklich stimmt, indem er Rassismus und Kolonialismus unverblümt thematisiert.
Ich habe ihn gern und durchaus fasziniert gelesen, empfand das Erzählte aber leider zu wenig erlebbar, um ihn herausragend nennen zu können.