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Veröffentlicht am 12.02.2021

Roadtrip der Befreiung

Das perfekte Grau
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In einem morbiden Seebad-Hotel an der Ostsee treffen vier junge, gestrandete Seelen aufeinander und werden dort als günstige Mitarbeiter ausgenutzt. Rofu, Mimi, Novelle und Ich-Erzähler Dante sind alle ...

In einem morbiden Seebad-Hotel an der Ostsee treffen vier junge, gestrandete Seelen aufeinander und werden dort als günstige Mitarbeiter ausgenutzt. Rofu, Mimi, Novelle und Ich-Erzähler Dante sind alle auf ihrer Art sehr verschieden und – auf der Flucht. Vor sich selbst und der Vergangenheit wie Dante, vor einem kriminellen Geschehen aus Notwehr wie Mimi, vor fürchterlichem Missbrauch wie Novelle oder wie Rofu, der Schmerzvolles und Wahres von seiner Flucht aus Afrika über das Mittelmeer zu schildern hat. Nach langsamen und misstrauischem Beäugen folgt zartes Vertrauen und als Mimi den Ausschlag gibt, machen sich alle auf zu einem Roadtrip voller Begegnungen (mit sich selbst und anderen) und Suche nach innerer Ruhe an einem friedvolleren Ort.

Sie kapern ein Boot, erleben warme Momente des Beisammenseins, aber auch schmerzvolle Erinnerungen und Kritik werden ausgetauscht – sie lernen und begreifen gemeinsam und miteinander. Als sie das Boot verlassen müssen, geht die Reise trotzdem weiter, zu Fuß, per Rad und Zug. Bis sie ihr Ziel erreichen – ein Ort, der ausschlaggebend für Novelles Trauma ist, aber auch Potenzial für eine neues Zuhause birgt. Heimat haben die Vier bereits in ihrer Gemeinschaft gefunden.

Salih Jamal hat einen zutiefst menschlichen und berührenden Roman über die Freundschaft, aber auch über den Schmerz von Vergangenem geschrieben – in schöner, moderner Prosa, die klug eingesetzt auch vor aktueller Gesellschaftskritik keinen Halt macht. Aus Dantes Erzähl- und Innenperspektive kommt der Leser sehr nah an die Charaktere und ihre bewegenden Geschichten ran. Jamal umkreist sie dabei nicht plakativ, sondern zart, subtil und mit unheimlich poetisch schönen Sprachbildern. Kapitel um Kapitel finden sich Sätze zum Nachdenken, Rausschreiben und philosophischen Sinnieren, ohne dass es stereotyp wird. Die feinfühlige Melancholie wird mit humorvollem Wortwitz und skurriler Situationskomik á la Tschick kombiniert – hier geht es auch mal derb-gewaltvoll und kriminell zu.

Und am Ende der Reise und der Weiterentwicklung der authentisch gezeichneten Protagonisten ist man traurig, dass man sich von Rofu, Mimi, Novelle und Dante verabschieden muss. Vorerst – ich hoffe auf eine Fortsetzung.

„Denn zwischen dem reinsten Weiß und unserem vollkommensten Schwarz liegen Millionen Stufen von Grau.(...) Vielleicht sind es gar nicht die Farben, die uns füreinander besonders machen, sondern die Schatten, die wir einander deuten.“ S. 78

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Veröffentlicht am 12.02.2021

Unbegrenzte, konservierte Blumenpracht

Trockenblumen: Natürlich schön
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Die gelernten Floristinnen und Kärtner Bäuerinnen Cornelia Mikitsch-Rogatsch und Sonja Steiner zeigen uns, welche schöne Pracht die Natur uns fast das ganze Jahr über bietet – und wie wir diese wunderbar ...

Die gelernten Floristinnen und Kärtner Bäuerinnen Cornelia Mikitsch-Rogatsch und Sonja Steiner zeigen uns, welche schöne Pracht die Natur uns fast das ganze Jahr über bietet – und wie wir diese wunderbar für unser Zuhause konservieren und arrangieren können. Vom Blumenkranz, Gestecke, Trockenstrauß, Tischdeko aus Naturmaterialien wie Windlichter über getrocknete Blumen im Rahmen – die 40 DIY-Ideen, teils klassisch, teils modern, machen sofort Lust aufs kreative Ausprobieren und auf den Frühling, aufs Selbstanpflanzen und zusammenfügen.

Am Anfang gibt’s eine Einleitung, wie man am besten trocknet, presst oder mit Haarspray arbeitet. Dann geht’s schon zu den hochwertig und stilvoll fotografierten Projekten. Es gibt Hinweise zu benötigten Materialien und eine kurze Anleitung mit Tipps – diese fallen meist etwas kurz aus, da braucht es wahrscheinlich beim ersten Ausprobieren etwas Improvisationsfreude.

Da ich letztes Jahr den Garten mit vielen Stauden und anderen Pflanzen auf Vordermann gebracht habe, bin ich jetzt richtig in Erwartung, dass alles blüht und ich mit den tollen Trockenblumenideen von Cornelia Mikitsch-Rogatsch und Sonja Steiner loslegen kann – Schleierkraut, Lavendel, Hortensien und bestimmte Gräser aus der Natur am Feldrand haben bei mir schon einen Platz am Fenster, aber begeistert und neu waren für mich die Projekte mit Pusteblumen, Pfingstrosen, Dahlien und Strohblumen – wie gut man bei den letzteren die Farben erhalten kann! Gerade im Winter eine schöne Erinnerung an Frühling und Sommer!

Ich freue mich aufs Ausprobieren der Trockenblumen-Ideen und habe nun bestimmt einen achtsameren und präziseren Blick auf die Formenvielfalt der Natur. Fazit: Ein optisch sehr ansprechender Trockenblumen-Bastel-Ratgeber, in dem achtsames Floristinnenwissen mit nachhaltigen Naturelementen verbunden wird. Zudem bietet uns die Natur ihre Pracht fast kostenlos an und die benötigten Materialien sind auch recht kostengünstig.

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Veröffentlicht am 25.01.2021

Ein verschwommener Mensch

Vati
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Monikas Helfers Erinnerungsroman „Vati“ drängt sich mit seiner klaren Prosa nicht auf – er entfaltet zart und reduziert etwas Faszinierendes zwischen dem Erzählten. Lakonisch, bruchstückhaft und in Zeitsprüngen ...

Monikas Helfers Erinnerungsroman „Vati“ drängt sich mit seiner klaren Prosa nicht auf – er entfaltet zart und reduziert etwas Faszinierendes zwischen dem Erzählten. Lakonisch, bruchstückhaft und in Zeitsprüngen versucht die Autorin anhand von ihren und der Erinnerungen der Stiefmutter halb fiktional, halb autobiografisch den rätselhaften und schwer zu durchschauenden Menschen, der ihr Vater war, einzufangen.

In der Schule blitzgescheit, fast das Matura in der Tasche, wird er in den Zweiten Weltkrieg eingezogen und verlor in Russland nicht nur ein Bein – das Kriegstrauma hat ihn auch seelisch verändert. Halt sucht er in seinen Büchern, die ihm alles bedeuten und heilig sind. Als Verwalter des Kriegsopfer-Erholungsheims auf der Tschengla, dem Hochplateau in Vorarlberg, ist er auch Herr über die umfangreiche Bibliothek. Monika erlebt dort mit ihren Geschwistern eine soweit idyllische Kindheit in den Bergen – doch die Mutter verstirbt früh und der Vater wird nach diesem Verlust noch abwesender. Die Kinder werden bei unterschiedlichen Verwandten untergebracht.

Nach ihrem erfolgreichen Roman „Die Bagage“ ordnet Monika Helfer nun weiter klug, sensibel und in ihrer ganz eigenen Atmosphäre ihre Familiengeschichte – dabei erschafft sie episodenhaft sehr plastische Menschen und poetisch bildhafte Umgebungen in einer Nachkriegswelt. Schönes trifft auf Trauriges, ohne rührselig zu werden – Helfer beschreibt ohne zu urteilen. Auch der Tod der eigenen Tochter Paula wird thematisiert.

„Wieder tagträume ich und sehe die Farben der Tschengla, das Lilienweiß, Enzianblau, Erdbeerrot. Jeden Tag gehe ich über den Berg, der Schlossberg heißt, von dem meine Tochter gefallen ist, sie war einundzwanzig.“

Eine eindringliche, subtil arrangierte Konstruktion in faszinierenden Bruchstücken, die als Ganzes den Vati nicht komplett klar werden lässt, aber in der zwischen den Zeilen mit wenigen präzisen Worten viel berührendes, existenzielles Zwischenmenschliches steckt. Es ist auch eine gelungene, pathosfreie Hommage an das Erinnern und das Erkennen, das dieses nicht immer wahrheitsgetreu ist.

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Veröffentlicht am 03.01.2021

Zwei Paar Flügel

Miss Bensons Reise
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Frustriert vom Hauswirtschaft-Lehrerdasein im tristen London, beschließt Margery eines Tages, ihren Lebenstraum zu erfüllen: Sie will den Goldenen Käfer in Neukaledonien finden – eine Erinnerung an ihren ...

Frustriert vom Hauswirtschaft-Lehrerdasein im tristen London, beschließt Margery eines Tages, ihren Lebenstraum zu erfüllen: Sie will den Goldenen Käfer in Neukaledonien finden – eine Erinnerung an ihren verstorbenen Vater, der ihr diesen Käfer in einem Naturkundebuch gezeigt hat. Seit jeher ist Margery begeisterte Hobby-Koleopterologin und ihr gehen die magischen Kreaturen nicht mehr aus dem Kopf. Aber im Jahre 1950 als Frau zu einer Inselgruppe im südlichen Pazifik zur Insektenjagd zu reisen, verspricht ein sehr großes, verwegenes und wildes Abenteuer. Als aus Anzeigen auserwählte Assistentin begleitet sie die gegensätzliche und schrille Enid Pretty, die von Wissenschaft keine Ahnung hat und lieber endlich ein Baby möchte. Gemeinsam reisen sie auf der RMS Orion ihren Träumen entgegen, aber auch mit schmerzhafter Vergangenheit und dem ominösen Stalker Mr. Mundic im Gepäck. In der Wildnis Neukaledoniens treffen Margery, Enid, der goldene Käfer und Mundic zwar komödiantisch, aber auch tragisch aufeinander.

Rachel Joyce hat einen sehr atmosphärischen, tief humorvollen und szenisch filmreifen Abenteuer- und Freundschaftsroman geschaffen, der sich sehr flüssig liest und zum Träumen einlädt. Wie sich zwei Frauen in einer schwierigen Nachkriegszeit anfreunden, ihren Träumen frönen und das Leben auskosten, ist berührend und lustig zugleich. Auch wie sie miteinander kämpfen und harren, sich dann wieder dem Abenteuer und sich selbst stellen, hat etwas sehr Kraft- und Hoffnungsvolles in sich. Diese unwahrscheinliche Frauen-Freundschaft, die beiden Flügel, Mut und Eigenständigkeit verleiht, aus dem grauen London in eine üppige Südsee-Landschaft auf Expedition und Pilgerreise zu segeln und sich dem Leben zu stellen. Nicht alles an bunten Szenen und überraschenden Wendungen in diesem Roman ist realistisch, aber sehr stimmig und unterhaltsam von Joyce inszeniert.

„Du darfst nie wieder aufgeben. (...) Was uns zugestoßen ist, macht nicht das aus, was wir sind. Wir können sein, was wir sein möchten.“

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Veröffentlicht am 17.12.2020

Dem Leben neu begegnen

Bären füttern verboten
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Es gibt Traumata, die brauchen eine längere Anlaufzeit und besondere Menschen, um zu heilen. Freerunnerin und Cartoonistin Sydney Smith gibt sich schon jahrzehntelang unterbewusst die Schuld am Tod ihrer ...

Es gibt Traumata, die brauchen eine längere Anlaufzeit und besondere Menschen, um zu heilen. Freerunnerin und Cartoonistin Sydney Smith gibt sich schon jahrzehntelang unterbewusst die Schuld am Tod ihrer Mutter – und hat bisher den Unglücks- und Urlaubsort St. Ives gemieden. Auch der Vater und der Bruder leiden noch an dem Tod der geliebten Mutter. An ihrem 47. Geburtstag (an Geburtstagen möchte sie immer alleine sein, zum Leidwesen ihrer Lebensgefährtin Ruth) springt sie über ihren Schatten und über die Dächer der südenglischen Küstenstadt St. Ives – sie stellt sich dem Ort ihrer schmerzvollen Vergangenheit. Mit ihren waghalsigen Freerunning-Einlagen inklusive einem Absturz im Städtchen erweckt sie das Aufsehen der Bewohner und freundet sich mit einigen intensiv an.

Die britische Autorin und Psychotherapeutin Rachel Elliott lässt in ihrem humorvollen und subtilen Roman viele skurrile Figuren in chronologisch wechselnden Perspektiven miteinfließen – obwohl es um sehr schmerzvolle Themen wie Tod, Trauer und Loslassen geht, wird es durch die vielen bunten Charaktere, die dem Leser sofort ans Herz wachsen, nie traurig trotz melancholischer Grundstimmung. Jeder von ihnen hat sein Päckchen zu tragen, das die Autorin psychologisch tiefgründig sowie liebevoll auslotet und jedem seine Eigenwilligkeit eingesteht. Gerade dass die Menschen etwas abseits der gesellschaftlichen Norm leben, macht sie alle so seelenwärmend und sympathisch. Denn was ist schon normal?

Viele feinfühlige und originelle Sichtweisen wie die eines Hundes oder Notizblocks umkreisen die Protagonistin Sydney und bilden am Ende ein großes, verwobenes Ganzes, in dem unterschiedlichste Lebenslinien zusammengeführt werden.

Am Ende des berührenden, bildgewaltigen und multiperspektivischen Romans hat sich für Sydney und einige ihrer Wegbegleiter das Leben verändert – sie konnten Dämonen aus der Vergangenheit hinter sich lassen, indem sie erkannt haben, dass der Sinn des Lebens eine Gemeinschaft ist.

Äußerst liebenswert sind auch die witzigen und fantasievollen Überschriften wie „Es tut gut, im Dunkeln das Meer zu hören“ oder „Es könnte mich überfordern“ und die vor schönen Sprachbildern und Wortspielereien gesäumte Sprache der Autorin.
Ein authentisches und unkonventionelles Buch, das Mut und Hoffnung macht, sich so anzunehmen wie man ist, wieder Nähe zuzulassen und zu erkennen, was wirklich wichtig ist im Leben. Hoffentlich findet es ein breites Publikum.

„Sie findet es bemerkenswert, dass jemand, mit dem man seit Jahren verbandelt ist, einem wie ein Fremder vorkommen kann, während ein Fremder, dem man erst vor wenigen Tagen kennengelernt hat, einem das Gefühl geben kann, in der Welt zu Hause und nicht nur ihm, sonder auch allen anderen näher zu sein.“ (S. 265)

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