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Veröffentlicht am 22.08.2023

Reisende im Leben

Der Trost der Schönheit
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Die Bestseller-Autorin und Journalistin Gabriele von Arnim begibt sich in ihrem neuen essayistischen Roman „Der Trost der Schönheit“ auf eine poetisch-sinnliche, gedanklich verästelte Suche nach der Sicht ...

Die Bestseller-Autorin und Journalistin Gabriele von Arnim begibt sich in ihrem neuen essayistischen Roman „Der Trost der Schönheit“ auf eine poetisch-sinnliche, gedanklich verästelte Suche nach der Sicht auf Schönheit und Kunst im Leben. Dabei wandern ihre Assoziationen sprunghaft und auf facettenreichen Erzählsträngen – so wie die rote Koralle mit ihren vielen Zweigen auf dem Cover.

Aufgewachsen in einem unterkühlt-emotionslosen und privilegierten Elternhaus, musste sich Von Arnim ihren Zugang zu Gefühlen erst 'erarbeiten' – das Sehen, Sammeln und Erspüren von Schönem im Leben, während die Zeit davonfliegt und erschütternde Ereignisse wie der Ukraine-Krieg sowie Corona die äußere Weltwirklichkeit in Angst und Schrecken versetzen. Die feinfühlige Autorin erzählt philosophisch-persönlich Fragmente aus ihrem Leben und spickt sie mit weiterführenden Reflexionen sowie zahlreichen literarischen Zitaten. Dabei ist ihr die Liebe zur Sprache und Worten anzumerken – erschafft sie hier und da neue Wortschöpfungen und kreative Verbindungen.

Berührend, fragil und treffsicher schildert sie mit wenigen Worten ihre Erinnerungen aus der Kindheit, der ersten Ehe sowie innere Zweifel, die sie besonders in der Nacht heimsuchen. Aber sie zeigt auch tröstlich auf, wie wir Menschen trotz Krisen unsere eigene, schöne Wirklichkeit errichten können, um Trost zu spüren und uns verbunden zu fühlen.

Auch wenn die ein oder andere sprachliche Formulierung zu blumig geraten ist, nimmt das tiefgründige Sachbuch den Leser mit auf eine klug verzweigte, berührende und reflektierte Reise durch Von Arnims Leben und Gedanken, in der Spielraum für eigene Interpretation bleibt und die zudem aktuelles Zeitgeschehen aufgreift. Ein tröstliches, inspirierendes und bewegendes Essay, das immer wieder zum wiederholten Lesen und Nachdenken animiert.

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Veröffentlicht am 03.08.2023

Gespiegelte Versionen

Die Einladung
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In ihrem neuen packenden Roman „Die Einladung“ entführt die vielgefeierte, amerikanische Autorin Emma Cline anhand einer jungen, widersprüchlichen Escort-Frau auf eine vielschichtig-düstere Weise in die ...

In ihrem neuen packenden Roman „Die Einladung“ entführt die vielgefeierte, amerikanische Autorin Emma Cline anhand einer jungen, widersprüchlichen Escort-Frau auf eine vielschichtig-düstere Weise in die exklusive Welt der Reichen in den Hamptons.

Die 22-jährige Alex hat schon viele Scherben und unbeglichene Schulden in ihrer dunklen Vergangenheit zurückgelassen – weg von New York, versucht sie sich in den Hamptons über Wasser zu halten, nachdem sie aus ihrer WG geflogen ist. Alex ist es gewöhnt, ihren Körper an Männer zu verkaufen und eine Weile bei ihnen wohnen zu dürfen – so wie bei dem älteren Kunsthändler Simon, in dessen Haus in den Hamptons sie exquisiten Zugang zu Essen, Kleidung und anderen Reichen hatte. Der Preis dafür ist hoch für die junge Frau, die sich präzise darin versteht, das Gegenüber zu erkennen und sich in diejenige zu verwandeln, die der andere haben will, um eine bessere Version von sich selbst zu sein. All ihre Abläufe und das tägliche Zurechtmachen sind gut einstudiert, aber auf einer Party verliert Alex die Contenance und verärgert Simon. Er schickt sie per Zug zurück in die Stadt, doch am Bahnhof überlegt es sich Alex anders: Sie möchte die wenigen Tage bis Simons Labor-Day-Party in den Hamptons verbringen, um ihn dann wieder umzustimmen. Doch wo soll sie wohnen, essen und überleben ohne Geld – dicht gefolgt von täglichen SMS-Drohungen ihres um Geld betrogenen Ex-Freiers Dom?

Mit einer angespannten Atmosphäre und einer stechend scharf-kühlen Prosa, die mit wenigen treffenden Sätzen die Stimmung in Alex und im Außenherum beschwört, zieht Emma Cline ihre Leserschaft gleich zu Beginn sogartig in die bestechende Odyssee ihrer Hochstaplerin. Alex probiert im wahrsten Sinne des Wortes, „den Kopf über Wasser zu halten“ und dringt mit ausgeklügelten, spontanen Plänen für kurze Zeit in die Welt verschiedenster, reicher Menschen ein, die ihr eigentlich verschlossen ist. Und überall hinterlässt sie latente Spuren von Verwüstung und Verwirrung – ein Abbild, wie es um sie steht und doch bleibt die Protagonistin dabei gespenstisch leer und ungreifbar.

Wiederkehrende Motive des Schwimmens, des Meeres und der Poolanlagen spielen dabei eine tragende Rolle, die Cline in wunderschönen sowie melancholischen Stimmungen auffängt – und doch schwingt über allem die allgegenwärtige Bedrohung mit, wie es mit der verlorenen Außenseiterin Alex weitergeht.

Gesellschaftskritische Themen wie die Riesenkluft zwischen Arm und Reich, die scheinheilige Welt der Superreichen, aber auch die schwierige Rolle einer jungen Frau zwischen Anpassung, Austauschbarkeit und Selbstbestimmtheit sind tiefgründige Themen dieses mitreißenden Romanes. Aber an erster Stelle steht das brillant konstruierte Psychogramm einer Frau, die in verschiedene Rollen und Versionen schlüpft, um in einem kapitalistischen, von ungleichen Machtstrukturen geprägten System zu überleben – dabei gibt sie nie ihr Innerstes preis und spiegelt präzise, bewegend sowie aufrüttelnd die emotional unterkühlte, oberflächliche Gesellschaft ihr gegenüber.

Und auch wenn das zweideutige Ende vage im Nebel des Meeres verschwimmt – es wird nur konsequent weitergeführt, was die beklemmend-spannende Stimmung vorher vorgegeben hat. Ein beunruhigender, faszinierender und nuanciert-scharfsinnig komponierter Roman.

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Veröffentlicht am 14.06.2023

Apokalypse am Himmel

Blue Skies
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In seinem 19. Roman „Blue Skies“ verwebt der berühmte Bestseller-Autor T. C. Boyle düster-schwarzhumorig ein turbulentes Familiendrama mit der allgegenwärtigen, drastischen Klimakrise. Dabei spielen unterhaltsam ...

In seinem 19. Roman „Blue Skies“ verwebt der berühmte Bestseller-Autor T. C. Boyle düster-schwarzhumorig ein turbulentes Familiendrama mit der allgegenwärtigen, drastischen Klimakrise. Dabei spielen unterhaltsam wiederkehrende tierische Motive, sowie das (nicht)mögliche Anpassungsvermögen der Menschen an die sich verändernden äußeren Umständen eine große, satirische Rolle.

Im Mittelpunkt des rasanten Geschehens steht exemplarisch die amerikanische Familie Cullen: die Eltern Frank und Ottilie mit den erwachsenen Kindern Cat und Cooper. Aus abwechselnd erzählerischen Perspektiven schildert Boyle gewohnt ironisch und plastisch die persönlichen Erlebnisse der Protagonisten, aber auch, wie die Klimakrise immer weiter bedrohlich in ihr Leben dringt. Cat ist Social-Media-Influencerin, trinkt zu viel, lebt in einem Beach House auf Stelzen in Florida und träumt von großer Berühmtheit mit vielen Likes, während ihr Verlobter Todd viel auf Geschäftsreise als Bacardi-Manager ist. Um ihr Instagram-Konto zu pushen, schafft sie sich gedankenlos die Phyton-Schlange Willie an, die für viel verhängnisvollen Trubel sorgen wird. Bruder Cooper ist scheinbar ernster Wissenschaftler und studiert ausführlich das Insektensterben und die Auswirkungen des Klimas auf die Tier- und Pflanzenwelt. Ein Zeckenbiss hat ihm den halben Arm gekostet. Mutter Ottilie schwitzt unter der Hitze Kaliforniens und forscht an einer alternativen Eiweißzufuhr mit Heuschrecken, während Cat in Florida immer öfter durch Wassermassen zu ihrem Haus waten muss.

Nach und nach nimmt die dystopisch-groteske und sehr unterhaltsame Handlung samt Boyles zynisch-bitterkomischen Sarkasmus immer weiter Fahrt auf – packend und teils extrem fließen Schicksalsschläge der Familie in unterschiedlichste (teils naiv-oberflächliche) Blickwinkel auf die Klimaapokalypse und Katastrophen aller Art. Neben Starkstürmen, Hochwasser, Waldbränden, Killerinsekten und Artensterben spricht Boyle noch viele weitere Themen wie Mutterschaft, Konsum, Alkoholsucht, Tierhandel oder körperliche Behinderung an, die aber in der Fülle und Lakonie hier und da etwas untergehen. Bewegend und mitreißend ist ihm dagegen die Mutter-Tochter-Beziehung und seine eindringliche Warnung zur Klimakrise gelungen – bei den atmosphärisch dichten und drastischen Schilderungen bleibt einem als Leser oft das Lachen im Halse stecken, denn zu aktuell und brisant sind die Auswirkungen schon jetzt. Und auch wenn es Boyle hier und da in seinem apokalyptischen Roman auf die Spitze treibt, hinterlässt er ein latent ungutes Gefühl – denn soweit entfernt sind wir von diesen Katastrophen nicht mehr. Gekonnt lässt Boyle auch im Hintergrund erzählerisch Nachrichten zur Klimakrise einfließen, doch erst als die Auswirkungen greifbar und direkt betreffen, versuchen seine Hauptakteure hilflos-überfordert zu denken. Doch gibt es noch Hoffnung?

„Blue Skies“ ist zwar nicht Boyles bester Roman, aber sehr tragikomisch-ergreifend und scharf gesellschaftskritisch konstruiert sowie präzise recherchiert und (leider) am erschreckenden Puls der Zeit. Und während Ella Fitzgerald im gleichnamigen Lied eher vom positiven Leben und schönem Wetter singt, zeichnet T. C. Boyle ein desaströses Bild einer Katastrophe am Himmel.

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Veröffentlicht am 17.04.2023

Von Bilchen und Eulen

Lebendige Nacht
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Mit viel Liebe zu skurrilen und lehrreichen Details entführt die Wildbiologin Sophia Kimmig in ihrem Sachbuch „Lebendige Nacht“ sehr unterhaltsam in die aufregende, tierische Dunkelwelt. Aufgeteilt in ...

Mit viel Liebe zu skurrilen und lehrreichen Details entführt die Wildbiologin Sophia Kimmig in ihrem Sachbuch „Lebendige Nacht“ sehr unterhaltsam in die aufregende, tierische Dunkelwelt. Aufgeteilt in zehn Kapiteln kommen dabei vor allem feinfühlig-genaue Beschreibungen der nachtaktiven Tiere wie Bilche, Eulen, Fledermäuse, Waschbären und Nachtfalter vor – die Autorin mahnt aber zudem mit präzisen Erläuterungen die Lichtverschmutzung und zunehmende Lebensraumverdrängung an und bietet einen Diskurs in die Ambivalenz zwischen Licht und Dunkel.

Dass die dunkle Parallelwelt soviel an Kuriositäten zu bieten hat, ist verblüffend – Haselmäuse, die ihre Schwänze als Schlafsack nutzen, Federschwanz-Spitzhörnchen, die sich jede Nacht zu einem Gewächs schleichen, das sie betrunken macht oder Tiefsee-Fische, die in der Dunkelheit kleine Taschenlampen haben. Sophia Kimmig ist ihre Leidenschaft an ihrem Beruf empathisch anzumerken – und so webt sie humorvolle Details mit ernsten Themen gekonnt zusammen und die Schilderungen der Nachtfalter-Gewände sowie dem nächtlichen Kulturgut hat feinsinnig-poetische Züge. Faszinierend sind die vielen wissenschaftlichen Fakten und Ausstattungen der Nachttiere, von dem sich die Menschen so einiges für die Technik abgeschaut haben – so haben die Nachtfalter einen so feinen Geruchssinn, dass sie als Vorlage für Sprengstoffdetektoren dienen und sogar aufregende Abwehrmechanismen gegen den unglaublichen Sonar der Fledermäuse entwickelt haben.

Abgerundet werden die anschaulich erzählten Kapitel mit Fun Facts, schönen Zeichnungen und Schwarz-Weiß-Fotos der Tiere – für mehr Bilder der Tiere ermuntert die Autorin ihre Leser zum Googeln. Sophia Kimmig ist eine begeisterte Entdeckerin der Dunkelwelt sowie fantasiereiche Erzählerin ihrer wissenschaftlichen Entdeckungen und Anekdoten. Die verschiedenen Tiere werden auf den rund 270 Seiten mit bewegendem Epilog verständlicherweise nur angerissen – aber wer nach den zahlreichen Informationen mehr Lust bekommt, ein Tier tiefer zu entdecken, hat bestimmt nach der Lektüre den Elan selbst in die Nacht zu wandern oder sich aus dem umfangreichen Anhang zu informieren.

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Veröffentlicht am 12.04.2023

Ursprung des Lebens

Der weiße Fels
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Mit detaillierter Erzählfinesse spannt Anna Hope in ihrem neuen Roman „Der weiße Fels“ einen weiten zeitlichen Bogen in der Menschheit, in dem der mystische, heilige Fels Piedra Blanca in Mexiko das Zentrum ...

Mit detaillierter Erzählfinesse spannt Anna Hope in ihrem neuen Roman „Der weiße Fels“ einen weiten zeitlichen Bogen in der Menschheit, in dem der mystische, heilige Fels Piedra Blanca in Mexiko das Zentrum bildet. Vier unterschiedliche Geschichten thematisieren persönliche Veränderungen, aber auch Verschleppung, Kolonialisierung und die Klimakatastrophe, während die Felsformation im Meer zur mythischen Projektionsfläche der verschiedenen Charaktere und Wünsche wird.

Kurz nach Beginn der Corona-Pandemie fährt eine Schriftstellerin mit ihrer kleinen Tochter und Noch-Ehemann in einer Gruppe zu dem Ort, an dem ihr vor einigen Jahren eine Zeremonie zur Fruchtbarkeit verholfen hat. Nun will sie dort ein Opfer ablegen, doch ihre Gedanken kreisen rund um persönliche und globale Krisen sowie um kulturelle Aneignung. In der anderen Geschichte sucht Musikstar Jim Morrison im felsennahen Fischerort San Blas 1969 nach Erholung und Abgeschiedenheit – Drogen und Alkohol zerstören ihn und wie in einem Fiebertraum irrt er high umher, kann aber seine inneren Dämonen nicht abschütteln. In den bewegenden und packenden Kapiteln über zwei gewaltvoll verschleppte Mädchen des indigen Yoeme-Stamms im Jahre 1907 und über einen spanischen Leutnant im Jahre 1775 geht Anna Hope weit in der Zeitschiene zurück, spickt aber jede Geschichte mit sehr viel Genauigkeit und erzählerische Tiefe. Während sie bei den Yoeme sehr mythisch wird, schildert sie das Leben und Zweifeln des Leutnant mit vielen zeithistorischen Details aus der Eroberungsgeschichte.

Jeder der Protagonisten schaut hoffnungsvoll oder mit innerem Schmerz auf den weißen Felsen und sieht etwas anderes in ihm – und so sehen die Fels-Zeichnungen zwischen den Kapiteln auch immer verschieden aus, bevor in der Mitte der Fels selbst zu Wort kommt und die Geschichten in anderer Reihenfolge weitergehen. Für die Wixárika ist dieser Ort der Ursprung des Lebens und Anna Hope zeichnet in ihrem klugen, feinfühlig-tiefsinnigen Roman viele Facetten des Menschseins über 250 Jahre auf. Dabei ist ihr nicht jeder der vier Erzählstränge gleich gut gelungen, aber ihr dichtes Einfühlungsvermögen und literarisches Talent bleiben ohne Zweifel sichtbar. Mit sprachlicher Wucht zeigt die Autorin auf brisante Themen der menschlichen Grausamkeit unserer und der vergangenen Zeit – und der unverrückbare, weiße Fels war stets Zeuge und Zufluchtsort im Echo der Zeit.

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