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blauer_Regen

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.07.2019

Tolle Gesellschaftskritik

Die Geschichte der schweigenden Frauen
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"Die Geschichte der Frauen" ist ein Science-Fiction-Roman der pakistanischen Autorin Bina Shah, liegt hier in einer Übersetzung von Annette Charpentier vor, umfasst 332 Seiten und erscheint im ...

"Die Geschichte der Frauen" ist ein Science-Fiction-Roman der pakistanischen Autorin Bina Shah, liegt hier in einer Übersetzung von Annette Charpentier vor, umfasst 332 Seiten und erscheint im Frühjahr 2019 im Golkonda Verlag.
Die Geschichte spielt in Green City, einer futuristischen Stadt in Südwestasien. Hier herrscht nach einem Atomunglück und Dank Geschlechterselektion sowie einer Virusinfektion ein eklatanter Frauenmangel. Diesem soll via Zwangsheirat und ähnlichen geburtenfördernden Maßnahmen entgegengewirkt werden. Das Leben der Frauen ist also stark fremdbestimmt und einzig auf Vermehrung ausgerichtet. Um dem zu entgehen, fliehen einige Frauen buchstäblich in den Untergrund: in der Panah, einer unterirdischen autarken Gemeinde, finden sie ein neues Zuhause. Sie finanzieren sich durch spezielle Dienste, die sie wohlhabenden Männern nachts anbieten.
Der Roman lebt von seinen zahlreichen Perspektivwechseln zwischen den feministischen Bewohnerinnen der Panah. In der Ich-Perspektive werden diese vorgestellt und mit ihrer Hilfe der Entstehungsweg der Untergrundgemeinde nachgezeichnet. Als Gegenspieler repräsentieren die Männer, die die nächtlichen Dienste der Panahbewohnerinnen in Anspruch nehmen, das diktatorische Regierungssystem des Fanatiestaates.
Man findet im Roman alle Merkmale einer Dystopie. Wir haben eine diktatorische Herrschaftsform, die den Individuen jegliche Freiheit nimmt und sogar über ihre Körper verfügt. Hinzu unterbindet sie jedwede Kommunikation der Mädchen und Frauen untereinander, um Widerstand zu vermeiden. Vermutlich versucht die Autorin so, auf die Unterdrückung von Frauen in repressiven muslimischen Ländern weltweit hinzuweisen. Ebenfalls nimmt sie die Geschlechterselektion in Ländern wie Pakistan und Indien oder die Ein-Kind-Politik in China auf´s Korn.
Empfehlen kann ich diesen Roman Lesern, die auch schon "Der Report der Magd" mit Begeisterung gelesen oder gesehen haben.

Veröffentlicht am 13.10.2018

Spannend, aber kein Thriller

Die letzte Terroristin
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Der Roman "Die letzte Terroristin" stammt vom Autor André Georgi, umfasst 362 Seiten und erscheint im Sommer 2018 im Suhrkamp Verlag Berlin.
Im Buch wird ein Teil der Nachwendezeit beschrieben, in der ...

Der Roman "Die letzte Terroristin" stammt vom Autor André Georgi, umfasst 362 Seiten und erscheint im Sommer 2018 im Suhrkamp Verlag Berlin.
Im Buch wird ein Teil der Nachwendezeit beschrieben, in der die Treuhand massenweise ostdeutsche Betriebe abzuwickeln hat, in der die RAF ein Comeback versucht und in der windige Geschäftsleute das dicke Geld wittern.
Protagonisten gibt es in diesem Roman einige. Da wäre zum Beispiel Sandra, alleinerziehende Mutter eines kleinen Jungen, beruflich stark eingebunden und mit fragwürdigen politischen Ansichten unterwegs. Sie gehört zum Täterkreis. Auf der anderen Seite steht Kawert, angestellt beim BKA mit dem Ziel, die letzten Terroristen der RAF ausfindig und unschädlich zu machen und die von ihnen begangenen Morde aufzuklären. Als spannenden Moment flicht Georgi eine dritte Perspektive ein: die der Opfer. Und so lebt die Geschichte zwischen Sprüngen zwischen diesen verschiedenen Perspektiven. Alle werden mit einer großen Detailtreue gezeichnet. Eingestreute Rückblenden und Vorausblicke lassen bei jeder Person ein nachvollziehbares Gesamtbild entstehen.
Alles in allem ein sehr unterhaltsamer Roman, der sich ausgezeichnet lesen lässt. Hier und da hat mir jedoch die Spannung ein wenig gefehlt, sodass ich den Untertitel "Thriller" nicht ganz nachvollziehen kann. Dafür fehlen mir ein paar packende Momente oder überraschende Wendungen.

Veröffentlicht am 26.07.2018

Narcissism for Beginners

Familie und andere Trostpreise
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Der Roman "Familie und andere Trostpreise" stammt aus der Feder von Martine McDonagh, wurde von Marion Ahl ins Deutsche übersetzt und vom HarperCollins Verlag im Sommer 2018 herausgebracht.
Worum geht ...

Der Roman "Familie und andere Trostpreise" stammt aus der Feder von Martine McDonagh, wurde von Marion Ahl ins Deutsche übersetzt und vom HarperCollins Verlag im Sommer 2018 herausgebracht.
Worum geht es? Der 21jährige Sonny macht sich in Großbritannien auf Spurensuche nach seinen Eltern. So hofft er, seine eigene Identität ein Stückchen besser vollziehen zu können. Er hofft auf aufschlussreiche Hintergrundinfos zur Beziehung seiner Eltern und deren Trennung. All dies bewerkstelligt er, indem er frühere Weggefährten seiner Eltern besucht und Interviews mit ihnen führt. Darin erfährt er schier Unglaubliches. Weitere Hiobsbotschaften erhält Sonny von seinem Vormund Thomas, bei dem er in Amerika aufwuchs. Thomas gab ihm auf seine Reise ein paar Briefe mit, in denen er seine eigene Beziehung zu Sonny Vater offenbart und pikante Details beichtet.
Bei alldem ist Protagonist Sonny selber ein wirklich schräger Typ, ehemaliger Drogensüchtiger gespikt mit zahlreichen Neurosen, mit dem Wissen um einen skrupellosen Vater und der Hoffnung, dass irgendwo eine liebende Mutter auf ihn wartet. Und so ist auch der ganze Roman quasi sein Reisebericht in Briefform an seine ihm unbekannte Mutter.
Das Buch ist kurzweilig geschrieben, unterhält durch seine schrulligen aber liebenswerten Darsteller und die wirklich schräge Familiengeschichte. Hinzu kommt der erfrischend unkonventionelle Sprachstil der Autorin, der das alles abrundet.
Zwei kleine Kritikpunkt habe ich allerdings: zum einen sind mir am Ende des Buches noch zu viele Fragen offen, deren Beantwortung mich interessiert hätten. Zum anderen finde ich den Originaltitel sehr viel passender, denn dieser hat einen direkten Bezug zum Buch.

Veröffentlicht am 22.07.2018

Wie beendet man eine Lebenslüge?

Helle Tage, helle Nächte
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Hilturd Baier beschäftigt sich in ihrem Debütroman "Helle Tage, helle Nächte" genau mit dieser Frage: Wie beendet man eine Lebenslüge? Protagonistin Anna, durch schwere Krankheit gezeichnet, steht genau ...

Hilturd Baier beschäftigt sich in ihrem Debütroman "Helle Tage, helle Nächte" genau mit dieser Frage: Wie beendet man eine Lebenslüge? Protagonistin Anna, durch schwere Krankheit gezeichnet, steht genau vor dieser Entscheidung und wählt einen Brief, in dem sie alles aufklären möchte. Als Botin fungiert ihre Nichte Frederike, die selber von der Lüge ihrer Tante betroffen ist, ohne dies jedoch zu wissen. Also macht sich die junge Frau nichts ahnend mit ihrem roten Bully auf den Weg nach Lappland, um Annas Wunsch zu entsprechen und muss dort dann erfahren, um wie viel verwobener die Angelegenheit ist und in wieweit sie selber involviert ist.
Der Gegenwartsroman erzählt eindrücklich die Gefühlwelt der beiden Frauen, bezieht aber auch immer die Familiengeschichte mit ein. Will heißen, neben Anna und Frederike lernen wir noch Annas Zwillingsschwester Marie und deren Mutter kennen, sowie Petter, ebenfalls Betroffener von Annas Lügen.
Hilturd Baier ist es sehr gut gelungen, den Leser mit auf die Reise in den hohen Norden zu nehmen. Wortwörtlich lässt sie die Landschaft Lapplands vor unserem inneren Auge entstehen und uns die Protagonisten kennenlernen. Es gelingt ihr, die Spannungskurve durch den gesamten Text hindurch aufrecht zu erhalten und auch wenn das Ende vorhersehbar ist, so ist die Hinführung doch sehr einfallsreich und unterhaltsam.
Dieses Buch bekommt von mir eine klare Leseempfehlung, denn es ist genau die richtige Lektüre für lange Sommerabende!

Veröffentlicht am 05.07.2018

Ungewöhnliche Familiengeschichte

Die Unruhigen
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Linn Ullmann schrieb mit "Die Unruhigen" eine Familiengeschichte mit starken autobiographischen Zügen. Der Roman erscheint 2018 im Luchterhand Verlag, umfasst 409 Seiten und wurde von Paul Berf ins Deutsche ...

Linn Ullmann schrieb mit "Die Unruhigen" eine Familiengeschichte mit starken autobiographischen Zügen. Der Roman erscheint 2018 im Luchterhand Verlag, umfasst 409 Seiten und wurde von Paul Berf ins Deutsche übersetzt.
Um vom Inhalt nicht allzu viel zu verraten nur so viel: eine Frau im mittleren Alter lässt rückblickend ihre Beziehung zu ihren Eltern, speziell ihrem Vater, Revue passieren, angefangen von frühesten Kindertagen bis hin zu einem gemeinsamen Buchprojekt kurz vor dessen Tod. Sie begibt sich wortwörtlich auf die Spurensuche nach den einzelnen Beziehungen in einem Wirrwarr an Familiengeflecht. Daher wohl auch der sehr treffende Name des Romans, denn als unruhig oder ruhelos können die Protagonisten durchaus beschrieben werden.
In dem postmodernen Roman wird dabei nicht nur die Gegenwart erzählt, sondern via Flashbacks immer wieder die Vergangenheit heraufbeschworen. So erleben wir mit ihr z.B. ihre Kindheitstage in der skandinavischen Provinz, wo das Mädchen ihre Ferien beim rigiden Vater und dessen Lebensgefährtin verbringt. Dank zahlreicher Wiederholungen und anschaulicher Darstellungen wird hier die Einsamkeit der Tochter sehr gut transportiert. Darüber hinaus veröffentlicht Ullmann Briefe ihres berühmten Vaters und spikt das Ganze mit Transkriptionen der mit ihm geführten Interviews. Besonders in diesen Sequenzen wird die fortschreitende Krankheit des Mannes bedrückend deutlich. Ganz allgemein wird hier also eine Eltern - Kind - Beziehung unter die Lupe genommen, ohne dabei zu emotional zu werden. Ullmann bleibt in all ihren Beschreibungen überraschend sachlich.
Zwischen dem Cover und dem Text gibt es einen direkten Bezug, zeigt dieses doch ein verschwommenes Foto von Vater und Tochter, was wohl sinnbildlich für das Verschwimmen von Erinnerungen an die gemeinsame Zeit steht.
Alles in allem hat mir das Buch sehr gut gefallen, da die Autorin eine sehr klare Sprache verwendet und eine ausgesprochen gute Beobachterin ist. Wer sich also für die Familie Ullmann interssiert, dem wird in diesem Roman ein intensiver Einblick gewährt.