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Veröffentlicht am 28.02.2023

Der Sieg des Guten

Die Einsteins und der geheimnisvolle Turm
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Zack Einstein ist mit seinen Eltern und den älteren Geschwistern Ethan, Miriam und Ruth in ein neues Zuhause umgezogen. Die Familie hat ein grosses altes Haus gekauft, in dem sie einen Bed & Breakfast- ...

Zack Einstein ist mit seinen Eltern und den älteren Geschwistern Ethan, Miriam und Ruth in ein neues Zuhause umgezogen. Die Familie hat ein grosses altes Haus gekauft, in dem sie einen Bed & Breakfast- Betrieb einrichten möchten. Ehe es soweit ist, muss aber noch eine Menge renoviert und organisiert werden. Alle sind mit Feuereifer bei der Sache, nur Zack sitzt die meiste Zeit in seinem Zimmer im oberen Stock des Hauses, liest seine Lieblingsbücherreihe «Falken-und-Banditen» und hängt seinen Gedanken nach. Bald wird deutlich, warum die Einsteins sich den einsam gelegenen Küstenort Vista Point als neue Bleibe ausgesucht haben: Sie alle brauchen einen Neuanfang nach dem tragischen Unfalltod des jüngsten Kindes Susan, welche vor bald einem Jahr ums Leben gekommen ist. Da Zack sich die Schuld am Tod seiner geliebten kleinen Schwester gibt, zieht er sich immer mehr in sich zurück und sehnt sich nach den alten, unbeschwerten Zeiten. Als er eines Tages grübelnd am Fenster seines Zimmers steht, sieht er ein Mädchen aus dem nahen Wald kommen, welches seiner toten Schwester verblüffend ähnlichsieht. Sie geht zu dem geheimnisvollen Turm, der direkt an der Klippe und ebenfalls auf dem Gelände der Familie steht. Ihn zu betreten ist den Kindern jedoch streng verboten. Doch Zack kann nicht widerstehen und folgt dem unbekannten Mädchen. Tatsächlich findet er sie am Turm. Gemeinsam gehen die beiden hinein und entdecken im Innern eine überwältigende Fülle von Schönheiten und sonderbare Botschaften, deren Bedeutung sie nicht begreifen können. Gemeinsam versuchen die Kinder nun, hinter den Sinn der Schriftzeichen zu gelangen. Kurz darauf sehen Zack und seine Geschwister abends Signale, die jemand vom gegenüberliegenden Ufer mit der Taschenlampe sendet. Wem gelten sie? Und auch Ann selbst scheint ein Geheimnis zu umgeben, das Zack zunächst nicht ergründen kann…
Meine Meinung:
Wer bei diesem neuen Jugendbuch von Ben Guterson einen Roman im Stil von der wunderbaren «Winterhaus»-Trilogie erwartet, dem sei gesagt: In «Die Einsteins und der geheimnisvolle Turm» gibt es zwar auch wieder Rätsel zu knacken, aber davon abgesehen hat dieses Buch nach meinem Urteil wenig gemeinsam mit den Winterhaus-Bänden. Und gerade deswegen gefällt es mir so gut. Ich liebe «Winterhaus», aber «Die Einsteins…» geht direkt ins Herz. Es ist kein leichtes, heiteres, unbeschwertes Buch. Und doch zugleich so bewegend, herzerwärmend und tröstlich, dass ich sehr dankbar bin, dass ich es lesen durfte. Dieser Roman ist mein erstes Jahreshighlight und hat die Themen Tod, Verlust, Trauer, Trauerbewältigung, liebevolles Erinnern und Neuanfang zum Inhalt.
Diese anspruchsvollen Themen werden so geschickt in eine spannende Story eingewoben, dass man das Buch nicht aus der Hand legen kann und bis zum Ende miträtselt, mit wem man es bei der geheimnisvollen Ann wohl zu tun hat. Eines wird aber immer deutlicher, dass nämlich Zack und seine Familie nicht die einzigen sind, die einen geliebten Menschen verloren haben und sich nach ihm zurücksehnen. Einen zentralen Teil des Buchs bildet die Frage nach dem Umgang mit Schuld. Zack fühlt sich lange Zeit (grundlos) doppelt schuldig: am Tod seiner Schwester und hinsichtlich der Frage, was passiert, wenn er ohne sie weiterlebt und glücklich ist. Darf er das? Sieht es dann nicht so aus, als habe er sie vergessen? Darüber gerät er auch immer wieder in Auseinandersetzungen mit seinen Geschwistern, welche ihre je eigene Art der Trauerbewältigung haben. Wesentlich ist aber, dass alle zusammenhalten und niemand in seiner Trauer alleine bleiben soll. Sehr stark betont wird auch der Trost, den die Natur in ihrer Unberührtheit und Schönheit geben kann, etwa wenn die Kinder gemeinsam im See schwimmen oder die Wälder erkunden. Auch die jüdische Religion und ihre Riten am Sabbatabend lernen wir kennen. Am Ende ist es Ann, die Zack die entscheidenden Worte mit auf den Weg gibt: «Ich glaube nicht, dass irgendjemand wirklich jemals verloren sein kann, wenn ein anderer Mensch ihn liebt.»
Die Charaktere in dem Buch sind alle so individuell und liebenswert geschildert (auch die schwierigen), der Familienzusammenhalt und der Wille, einander respektvoll und wertschätzend zu begegnen so überzeugend und ohne jede Rührseligkeit dargestellt, dass die Lektüre wirklich ein Gewinn war.

Fazit: Ben Guterson beweist mit seinem neuen Roman einmal mehr, was für ein vielseitiger und sensibler Autor er ist. «Die Einsteins und der geheimnisvolle Turm» ist ein spannendes, emotionales und anspruchsvolles Buch mit einer tröstlichen Botschaft für nachdenkliche Kinder und Erwachsene.

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Veröffentlicht am 28.02.2023

Neues wagen

Das kleine Bücherdorf: Frühlingsfunkeln
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Es wird Frühling im kleinen schottischen Bücherdorf Swinton. Doch dieses Mal geht es weniger um Bücher, als um das Verfassen von Briefen und die (meist anonyme) Verschriftlichung von sehr persönlichen ...

Es wird Frühling im kleinen schottischen Bücherdorf Swinton. Doch dieses Mal geht es weniger um Bücher, als um das Verfassen von Briefen und die (meist anonyme) Verschriftlichung von sehr persönlichen Gedanken und Gefühlen. Im zweiten Roman der «Das kleine Bücherdorf»- Reihe von Katharina Herzog steht Shona im Mittelpunkt. Die Schwester des Antiquars Graham, den wir aus dem ersten Band kennen, betreibt im Dorf ein kleines Café und ist bekannt für ihre wundervoll dekorierten Cupcakes. Wir erfahren, dass sie ausserdem einen Blog hat, in dem sie Briefe veröffentlicht, welche die Verfasserinnen und Verfasser ihr zur Veröffentlichung zuschicken, aber nie den Mut hatten, sie wirklich an die Empfänger abzuschicken. Der Blog ist ein grosser Erfolg, Shona kann sich vor Zusendungen kaum retten. Privat läuft dagegen für die junge Frau nicht alles so glatt. Sie würde gerne das kleine Cottage ihrer alten Nachbarinnen erwerben, besitzt jedoch nicht genügend Geld dafür. Sie weiss nicht, wie sie sich Nate, ihrem ehemaligen Jugendfreund, gegenüber verhalten soll, ist die Begegnung mit ihm doch unweigerlich verbunden mit der Erinnerung an ihren anderen besten Freund Alfie, den sie auf tragische Weise verloren hat. Als dann auf ihrem Blog eine Antwort auf einen von ihr selbst nie abgeschickten, aber dort veröffentlichten Liebesbrief an Alfie ankommt, droht Shonas mühsam aufrecht erhaltene Fassade der Unberührbarkeit und Selbständigkeit in sich zusammenzubrechen…

Meine Meinung:
Das Wiedersehen mit den Bewohnerinnen und Bewohnern von Swinton war ein schönes Ereignis. Tatsächlich begegnen wir auch etlichen alten «Bekannten» wieder, setzen uns aber im neuen Buch vor allem mit Shona und ihrer Gefühlswelt auseinander. Zu Beginn lernen wir sie als junges Mädchen kennen, die zusammen mit ihren besten Freunden Alfie und Nate ein unzertrennliches Dreiergespann bildet. In Alfie verliebt sie sich dann, was für den eher zurückhaltenden Nate nicht leicht ist. Er verlässt das Dorf schliesslich und wird ein erfolgreicher Schriftsteller, der aber dem dauernden Druck durch seinen Verlag und dem Verlangen seiner begeisterten Leserschaft nach immer neuen Bestsellerromanen immer weniger gewachsen ist.
«Frühlingsfunkeln» liest sich wie der erste Band sehr angenehm und kurzweilig. Katharina Herzog versteht es auch in diesem neuen Buch, wunderbar atmosphärisch und bildhaft zu schreiben und die Figuren so liebenswert zu schildern, dass es Freude macht, Seite um Seite in die Welt des kleinen Bücherdorfs einzutauchen. Dabei geht es doch auch um so wichtige Themen wie Freundschaft, Verlust und Schuldgefühl. Um mit der Vergangenheit versöhnt abschliessen und einen Neuanfang wagen zu können, müssen die Protagonisten lernen, einander, aber vor allem auch sich selbst zu vergeben. Das Buch ist ein Appell, zu seinen Gefühlen zu stehen, das Risiko einzugehen, sich auch verletzlich zu machen, und dadurch vielleicht doch etwas Wunderbares gewinnen zu können. Es fordert uns auf, an unseren Wünschen und Träumen festzuhalten und diejenigen, die wirklich wichtig für uns sind, mutig zu verwirklichen. Empfehlenswert.

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Veröffentlicht am 25.11.2022

«Es ist ständig Zeit zum Fünf-Uhr-Tee»

Tee
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In einem Buch über Tee darf dieses Zitat aus «Alice im Wunderland» sicher nicht fehlen. Und so findet sich die Teetafel des verrückten Hutmachers natürlich auch in dem kürzlich im Diogenes Verlag erschienen ...

In einem Buch über Tee darf dieses Zitat aus «Alice im Wunderland» sicher nicht fehlen. Und so findet sich die Teetafel des verrückten Hutmachers natürlich auch in dem kürzlich im Diogenes Verlag erschienen Buch «Tee – Geschichten zum Entspannen». Nach einem humorvollen Vorwort des bekennenden Teeliebhabers und Ostfriesen Jan Brandt, in dem man auch Einiges über die Geschichte des Tees und die teeliebenden Friesen, Japaner und Iren erfährt, tauchen die Lesenden ein in insgesamt über 20 schöne Tee-Geschichten. Darin trinkt man Tee in verschiedenen Ländern und begegnet vielen interessanten Personen. Unter anderen schreibt Banana Yoshimoto über den Verlust eines geliebten Menschen, Heinrich Böll trinkt heissen Tee auf der Überfahrt nach Irland, Katherine Mansfield schildert das Teeritual eines Paares, und Léon Gozlan lässt uns teilhaben an dem besonderen Tee, welchen Balzac liebte.

Meine Meinung:
In der letzten Zeit habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, mich morgens mit einer schönen Kanne heissen Tee und diesem Buch hinzusetzen, und eine Erzählung (oder auch noch eine und noch eine) in Ruhe zu lesen. Diese stille Zeit habe ich sehr genossen. Die einzelnen Geschichten sind mit Bedacht und sorgfältig zusammengestellt worden. Dabei sind sie mal länger oder nur sehr kurz, doch in allen kommt eine gute Tasse Tee vor. Klassiker und moderne Texte wechseln einander ab, so ist eine doch auf ihre Weise zeitlose Zusammenstellung entstanden, die dazu anregt, den einen Autor oder die andere Schriftstellerin noch einmal wieder zu lesen oder ganz neu entdecken zu wollen. Humorvolles folgt Traurigem, Kinderbuch trifft auf Philosophisches, Deutschsprachiges wechselt mit Englischem, Japanischem oder Französischem. Am besten gefallen hat mir persönlich die Anleitung des korrekten Teekochens von George Orwell. Doch das ist, wie die Frage nach Tee oder Kaffee, natürlich Geschmackssache.

Fazit:
Eine empfehlenswerte und laut Verlag «entspannende» Lektüre, welche die Lesenden in die Welt des Tees in den unterschiedlichsten Kulturen entführt.

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Veröffentlicht am 25.11.2022

Der Tod ist ein Meister aus Deutschland

Die Bücher, der Junge und die Nacht
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In Kai Meyers neuem Roman reisen wir in verschiedenen Zeiten der Deutschen Geschichte hin und her. In Rückblicken erzählt die Hauptfigur Robert Steinfeld Anfang der 70er Jahre seiner Freundin Marie aus ...

In Kai Meyers neuem Roman reisen wir in verschiedenen Zeiten der Deutschen Geschichte hin und her. In Rückblicken erzählt die Hauptfigur Robert Steinfeld Anfang der 70er Jahre seiner Freundin Marie aus seiner Kindheit. Die Nazizeit im noch nicht geteilten Deutschland bildet das grundlegende Setting, wobei die Stadt Leipzig als die damalige Hochburg der Buchdruckerkunst und des Buchhandels im Zentrum steht. In dieser Zeit war Robert, «der Junge», ein Kind, das jahrelang in einem Raum voller Bücher gefangen gehalten wurde. Warum das so war, erfahren wir erst gegen Ende des Buches. Als Leipzig 1943 bombardiert wird und niederbrennt, rettet ein Unbekannter den Jungen und nimmt sich seiner an. Dieser Fremde besass bereits Kontakte zu Roberts ihm unbekannten Vater, einem Antiquar und Buchbinder in Leipzig. Erst im Lauf der Erzählung kommt der Junge als mittlerweile Erwachsener hinter diese Verbindung. Kai Meyer erzählt nun abwechselnd hauptsächlich aus der Perspektive von Vater und Sohn.
Vater Jakob Steinfeld wird seit der Machtergreifung der Nazis zunehmend von Mitgliedern der SA schikaniert. Einerseits wegen persönlicher Feindschaften, andererseits, weil er einen russischstämmigen Juden bei sich beschäftigt. Zeitgleich verliebt er sich in Juli, die Tochter des mächtigen Verlegers Palandt, welche ihm ein geheimnisvolles Manuskript zum Binden anvertrauen will. Als Juli plötzlich verschwindet, wird Jakob von deren Vater beauftragt, nach ihr zu suchen. Mehr als 40 Jahre später stirbt der alte Palandt, Robert Steinfeld, der inzwischen mit alten Büchern handelt, wird zusammen mit seiner Freundin Marie beauftragt, die wertvolle Bibliothek des Verstorbenen zu katalogisieren und zu verkaufen. Ohne zu wissen, mit welcher Familie er es dort wirklich zu tun hat, macht Robert sich an die Arbeit und stösst auf Spuren aus seiner Vergangenheit, die er sich nicht erklären kann. Es ist ein Kunstgriff des Autors, dass wir Lesenden immer im ein wenig im Vorteil sind, weil wir durch die rückblickenden Berichte aus Sicht seines Vaters ja bereits einiges wissen. Und doch treten stets neue Wendungen und Verwicklungen auf, mit denen auch die Lesenden nicht rechnen, so dass es bis zum Ende hochspannend bleibt.

Meine Meinung:
Ich habe oft gelesen, Kai Meyers neuer Roman «Die Bücher, der Junge und die Nacht» sei ein Phantastikroman. In meinen Augen ist er aber vor allen Dingen ein hervorragender und ungemein spannender historischer Roman mit einigen phantastischen Elementen, der mit einer Fülle von interessanten Informationen für die Lesenden aufwartet. Das Buch befasst sich in Romanform mit den neueren Forschungsergebnissen in Hinblick darauf, welche religiösen Ideen die Ideologie der Nazis beeinflusst haben. Ging man lange Zeit davon aus, dass vor allem die nordische Mythologie dafür massgeblich gewesen sei, so weiss man heute, dass vor allem auch esoterisches, okkultes, spiritistisches und theosophisches Gedankengut eine grosse Rolle spielten. Und so ist es denn auch die Ariosophie und der mit ihr verbundene Reinkarnationsgedanke, der das Schicksal gleich mehrerer Hauptfiguren in Kai Meyers neuem Roman negativ zerstörerisch und auf tragische Weise beeinflusst.
Mindestens ebenso spannend sind die Ausführungen darüber, wie sich die Bücherstadt Leipzig entwickelte, welche Rolle sie lange Zeit einnahm und wie sie im Lauf des Zweiten Weltkriegs und vor allem danach ihre Bedeutung immer mehr verlor. Eine nicht unwesentliche und nicht gerade rühmliche Rolle spielte in dieser Zeit auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, welcher sich zu einer bestimmten Zeit keineswegs hinter seine Autoren stellte, sondern auch aktiv für die Eliminierung gewisser Werke eintrat (nebenbei bemerkt: «Börsenverein und nationalistische Literatur» ist ja bis heute noch ein umstrittenes Thema). Der Ausflug des Protagonisten mit seiner Freundin in die damalige DDR lässt erahnen, wie dort nach dem Krieg ein unterdrückerisches System das andere lediglich ersetzt hat. Und die Behandlung verschwörerisch absurden und esoterischen Gedankenguts aus der Nazizeit lässt an Parallelen der jüngsten Geschichte denken.

Kai Meyer verbindet in seinem neuen Roman gekonnt die deutsche Geschichte mit der Geschichte des Buchdrucks. Es ist eine Liebeserklärung an die Welt der Bücher. Bücher können Leben retten, sie sind der Anker in den ersten Lebensjahren der Hauptfigur, sie füllen seine Einsamkeit mit Leben und lassen ihn gedanklich aus seinem Gefängnis entkommen. Auf der anderen Seite ist es auch eine Warnung, denn Bücher können auch Leben zerstören. Ganz real, indem dafür getötet wird. Oder im übertragenen Sinn, indem ihre Inhalte die Gedanken der Menschen verwirren und sie auf unheilvolle Wege führen.
Schliesslich geht es in «Die Bücher, der Junge und die Nacht» aber auch darum, seinen Weg zwischen Lüge und Wahrheit zu finden, ihn zu gehen und für seine Überzeugungen einzustehen. Dabei kommen auch immer wieder poetische und berührende Szenen vor, die einen den Roman und seine Hauptfiguren noch lange nach Ende der Lektüre im Herzen behalten lassen.

Fazit:
Für mich ist «Die Bücher, der Junge und die Nacht» neben «Die Seiten der Welt» das beste und ergreifendste Buch, welches ich bisher von Kai Meyer gelesen habe. Unbedingt empfehlenswert!

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Veröffentlicht am 15.11.2022

Die Lebenden und die Toten

Die Bestatterin von Kilcross
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Im kleinen irischen Dorf Kilcross lebt Jeanie Masterson. Sie ist verheiratet mit ihrem Jugendfreund Niall und arbeitet zusammen mit ihrem Mann, ihrem Vater und ihrer Tante im Familienunternehmen. Die Mastersons ...

Im kleinen irischen Dorf Kilcross lebt Jeanie Masterson. Sie ist verheiratet mit ihrem Jugendfreund Niall und arbeitet zusammen mit ihrem Mann, ihrem Vater und ihrer Tante im Familienunternehmen. Die Mastersons sind Bestatter. Während Niall und Tante Harry sich um das Einbalsamieren und Herrichten der Verstorbenen kümmern, verfügen Jeanie und ihr Vater über eine besondere Gabe: Tochter und Vater können innerhalb einer gewissen Zeitspanne mit den Toten sprechen. Von ihnen erhalten sie wichtige Informationen, hören berührende oder verstörende Geständnisse und werden gebeten, wichtige Botschaften an die Angehörigen zu überbringen. Diese Gabe ist für Jeanie Erfüllung und Belastung gleichermassen. Denn oft bekommt sie von den Verstorbenen Dinge zu hören, die sie so nicht an die Hinterbliebenen weitergeben möchte. So fühlt die junge Frau sich hin- und hergerissen zwischen ihrer Verantwortung den Toten und den Lebenden gegenüber und greift immer öfter zu beschönigenden Lügen. Und auch mit ihrer Ehe steht nicht alles zum Besten. Niall wünscht sich Kinder und ein Leben am Meer, Jeanie fühlt sich ihren Eltern verpflichtet und nicht bereit für Kinder. Als die Eltern ihr eröffnen, sich in den vorzeitigen Ruhestand zurückziehen und sie zur Geschäftsführerin machen zu wollen, eskaliert die Situation zwischen den jungen Eheleuten, und Jeanie ist gezwungen, eine Entscheidung zu treffen: Folgt sie wieder ihrem Pflichtbewusstsein oder entscheidet sie sich diesmal dafür, was sie wirklich für sich und ihr Wohlergehen möchte und benötigt?

Meine Meinung:
«Die Bestatterin von Kilcross» ist ein Buch, das ich nicht aus der Hand legen konnte. Vor vielen Jahren habe ich immer sehr gerne die Serie «Ghost Whisperer» geschaut, deswegen hat mich der Klappentext des Romans gleich angesprochen. Vordergründig geht es um die Geschichte einer Selbstfindung und Selbstverwirklichung. In diese Rahmenhandlung eingewoben werden dann aber Gedanken darüber, wie wir mit den lebenden und gestorbenen Menschen, die uns nahestehen, wirklich angemessen und wertschätzend umgehen. Leben und Tod spielen ebenso eine Rolle wie der Umgang mit Krankheit, Gewalterfahrung, Ausgrenzung oder Lüge. Im Angesicht des Todes wird immer wieder über die Frage der verpassten Chancen reflektiert. Dabei erzählt Anne Griffin stets in einem leichten und oftmals erheiternden Stil, der aber die grossen Themen unseres Lebens gerade dadurch umso eindrücklicher ins Bewusstsein bringt. Berichte aus dem gegenwärtigen Leben der Protagonistin wechseln sich ab mit Rückblenden, sodass man als Leserin nach und nach immer besser versteht, warum Jeanie zu der Person geworden ist, die sie jetzt ist. Im Verlauf der Erzählung lernt Jeanie durch Zufall eine andere Art des Umgangs mit den durch die Toten offenbarten Wahrheiten kennen. Die Begegnungen mit der französischen Bestatterin Marielle gehören für mich zu den eindrücklichsten Stellen in dieser Erzählung. Doch am Ende kommt es darauf an, dass Jeanie lernt, nicht nur den Toten, sondern vor allem auch den Lebenden gut zuzuhören. Anne Griffin ist ein Roman gelungen, der ebenso berührt wie nachdenklich stimmt und sich dabei sehr angenehm liest. Die deutsche Übersetzung stammt von Martin Ruben Becker. Den sehr schönen Umschlag ziert ein Gemälde von Peter Bartels, auf dem Jeanies Arbeitsplatz und ein Teil des Dorfes Kilcross zu sehen ist. Von mir gibt es eine ganz klare Leseempfehlung für dieses besondere Buch.

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