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Veröffentlicht am 04.08.2023

Absolutes Jahreshighlight

Die Parabel vom Sämann
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Da es dieses Buch das erste Mal seit Langem in einer Neuübersetzung von Dietlind Falk zu kaufen gibt und ich das Gefühl habe, dass es klassische Science-Fiction-Werke auf Bookstagram nicht allzu leicht ...

Da es dieses Buch das erste Mal seit Langem in einer Neuübersetzung von Dietlind Falk zu kaufen gibt und ich das Gefühl habe, dass es klassische Science-Fiction-Werke auf Bookstagram nicht allzu leicht haben, möchte ich euch diese Reihe und die Autorin einmal genauer vorstellen.

Octavia E. Butler gilt als eine der einflussreichsten Autorinnen im Science Fiction-Genre und hat als Schwarze US-Amerikanerin den Afrofuturismus nachhaltig in seinen Themen geprägt. Besonders hervorzuheben ist hier z.B. die Xenogenesis-Trilogie, die es auf deutsch im Moment nur gebraucht zu kaufen gibt, oder ihr berühmtes Zeitreise-Werk “Kindred”.

Auch die “Die Parabel vom Sämann” (im Original 1993 erschienen) reiht sich als zeitloses Werk in den Afrofuturismus ein: Californien, 2024. Klimawandel und Naturkatastrophen und nicht zuletzt ein politischer Rechtsruck und Wirtschaftskrisen stürzen das Land in einen apokalyptischen Zustand. Die meisten Menschen leben in absoluter Armut und werden entweder dazu gezwungen, irgendwie auf der Straße zu überleben, zu plündern, stehlen und Drogen zu nehmen, oder sich riesigen Firmenstädte anzuschließen, die ihre Arbeiter
innen versklaven - und es geht augenscheinlich immer weiter bergab.

Die junge Lauren Olamina lebt in einer abgeschotteten Nachbarschaft, die zunächst vor Plünderungen geschützt ist. Sie leidet an “Hyperempathie”, d.h. sie spürt den Schmerz und die Freude von Personen als wären es ihre eigenen. Was sie besonders macht: Sie will sich eine bessere Zukunft schaffen, gründet sogar eine neue Religion - zunächst ganz für sich - mit dem Leitspruch: Gott ist Veränderung.

Butler beschreibt dieses apokalyptische Setting mit einer präzisen Klarheit, die WUCHT hat. Sie erzählt die wichtigsten Themen, die großen Anliegen der Menschheit, und trotzdem konnte ich das Buch ganz einfach von vorne bis hinten durchlesen (und werde es sicherlich irgendwann wieder tun). An vielen Stellen fühlte sich das Lesen gar prophetisch an - was nur für die Zeitlosigkeit dieses Buches spricht.

Was mich sehr berührt hat war, wie verschiedene Generationen beschrieben wurden. Die ältere Generation, wie z.B. Laurens Vater, versucht einfach nur irgendwie über die Runden zu kommen - sie wissen, wie gut es ihnen früher gegangen ist und sehen keine Zukunft. Doch die jüngere Generation, mit Lauren als zentrale Figur, hat NUR die Zukunft. Sie können sich die Vergangenheit gar nicht vorstellen, da sie immer nur Armut gekannt haben - dafür ist ihnen eine lebenswerte Zukunft umso wichtiger. Deshalb lautet Laurens Leitspruch eben auch:
Gott ist Veränderung.

N.K. Jemisin fasst im Vorwort zusammen:

“Butler scheint Die Parabel vom Sämann nicht als Lebensratgeber konzipiert zu haben, und doch ist es das. Das trifft auf alle großen Werke der Science-Fiction zu: Sie haben nicht nur einen akkuraten Blick auf die Zukunft zu bieten, sondern auch Vorschläge, wie man mit den daraus resultierenden Veränderungen umgehen kann. […] Die Zukunft zu erobern, wird ein ungemütlicher, gewaltvoller Kampf werden, aber ich bin bereit, ihn bis zum Schluss auszufechten. Die Zukunft ist nichts weniger wert.”
...und dem möchte ich unbedingt zustimmen.

Für mich war dieses Buch quasi ein Gateway in das Werk vom Octavia E. Butler und ich freue mich schon sehr auf den 2. Band, der nächstes Jahr erscheint. Leider ist diese Reihe unvollständig geblieben, soll wohl aber zu einem guten Abschluss kommen. Den ersten Band kann man durchaus auch als Einzelwerk lesen.

Ich vergebe eine absolute Leseempfehlung für alle. Die Kirsche auf der Sahne ist natürlich erreicht, wenn ihr euch auch nur ansatzweise für Science-Fiction oder apokalyptische Settings begeistern könnt. Falls ihr euch vom “Klassiker”-Status abgeschreckt fühlt - seid es nicht, es ist wirklich super lesbar. Für mich ein absolutes Jahreshighlight!

Danke an den Verlag und das Bloggerportal für dieses Rezensionsexemplar.

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Veröffentlicht am 02.08.2023

Mit poetischer Sprache auf der Suche nach Antworten

Zweistromland
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Zweistromland von Beliban zu Stolberg ist einer dieser schmalen, literarischen Romane, die durch poetische Sprache und viel Introspektion das Thema von transgenerationalem Trauma, Schweigen und dem inneren ...

Zweistromland von Beliban zu Stolberg ist einer dieser schmalen, literarischen Romane, die durch poetische Sprache und viel Introspektion das Thema von transgenerationalem Trauma, Schweigen und dem inneren Drang nach Antworten bearbeiten.

Dilan ist als Tochter kurdischer Aleviten in Norddeutschland aufgewachsen und arbeitet jetzt als Juristin in Istanbul. Sie lebt mit ihrem schwedischen Mann in einem alevitisch geprägtem Viertel in der Stadt, doch nach dem Tod ihrer Mutter und mit dem Beginn ihrer Schwangerschaft kommen ihr immer wieder kleine Erinnerungsschnipsel hoch und sie kann nicht mehr anders, als auf die Suche nach ihrer Familiengeschichte zu gehen - nach Amed, die heimliche Hauptstadt der Kurd*innen, in der zur Zeit der Erzählung ein Städtekrieg herrscht.

Was mich ein klein wenig gestört hat, war der große Zeitsprung zwischendurch - ich mochte es zwar sehr, wie man Dilans Familie und Freunde kennengelernt hat, in einem Sommer im Jahr 1999, aber ich fand es etwas langatmig und dieser Part hat mich insgesamt etwas rausgerissen.

Insgesamt habe ich mich Dilan durch ihre unaufdringliche, fast schon passive, sehr ruhige Art nah gefühlt und fand es total bereichernd, mit ihr auf diese so wichtige Reise zu gehen. Durch ganz dichte Beschreibungen konnte ich mir die verschiedenen Stationen dieser Reise bildlich vorstellen. Und am Ende zu sehen, wie Dilan die Spirale des Schweigens langsam und schmerzhaft aufbricht - nicht nur für sich selbst, sondern auch für ihr ungeborenes Kind - war unglaublich wertvoll.

Vielen Dank an Netgalley und den Verlag für das Rezensionsexemplar.

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Veröffentlicht am 30.07.2023

Atmosphärisches, immersives Debüt

Die Unbändigen
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🐝 Die Unbändigen von Emilia Hart, übersetzt von Julia Walther, ist für mich ein Buch, das sich schwer in Genreschubladen stecken lässt, mich dadurch und seine thematische Tiefe schwer begeistern konnte.

Zunächst ...

🐝 Die Unbändigen von Emilia Hart, übersetzt von Julia Walther, ist für mich ein Buch, das sich schwer in Genreschubladen stecken lässt, mich dadurch und seine thematische Tiefe schwer begeistern konnte.

Zunächst ist es eine historische “Saga” - in drei Zeitebenen, die fünf Jahrhunderte umspannen, begleiten wir drei Frauen durch extrem schwierige Zeiten in ihrem Leben:

1619: Altha, eine junge Naturheilkundige, die des Mordes beschuldigt wird und sich nun in einem Hexenprozess wiederfindet.

1942: Violet, ein Mädchen aus “gutem Hause”, verliert sich lieber in Büchern und der Natur, als sich wie eine junge Dame zu benehmen.

2019: Kate, die gerade die Kraft und den Mut gefunden hat, aus ihrer gewalttätigen Beziehung zu fliehen.

Alle drei Frauen verbindet ihre besondere Verbindung zur Natur und zu dem alten Familiencottage im Norden Englands - wo der leichte Gothic Horror und magische Realismus ins Spiel kommt, zu dem ich aber nicht mehr verraten möchte.

Erst einmal: Kaum zu glauben, dass das hier ein Debüt ist. Wunderbar hat Emilia Hart die Atmosphäre durch einen ganz dichten Schreibstil erschaffen - für meine Dark-Cottagecore-Liebe war es ein Fest die detailreichen und oft schaurigen Naturbeschreibungen zu lesen. Trotz einer eigentlich eher langsamen Erzählweise, welche die Gothic-Vibes gut hergestellt hat, bin ich nur so durch die (recht kurzen) Kapitel geflogen.

Anfänglich hatte ich Bedenken, dass mir die drei Perspektiven zu oberflächlich bleiben und man die Figuren nicht tief genug kennenlernt, was aber gar nicht der Fall war, weil sie sich insgesamt thematisch super ergänzt haben. Die drei Zeitebenen haben sich immer weiter ineinander verflochten, sodass am Ende ein großes Bild entstand.

Das Buch ist stark von Themen geleitet, welche ich folgendermaßen zusammenfassen würde: Die strukturell im Patriarchat verankerte Annahme, Macht über die Körper von Frauen ausüben zu können. Und wie diese Frauen damit umgehen - wie sie überleben. Trotz der teils sehr explizit geschilderten Erfahrungen geht man gestärkt aus der Geschichte heraus.

Ich glaube, was das Buch aufs nächste Level gehoben hätte wäre, wenn noch andere gesellschaftliche Thematiken als zusätzliche “Schicht” mit eingeflossen wären. Beispielsweise gab es in Violets Geschichte kurz angedeutet, was für eine Auswirkung der 2. Weltkrieg auf die Familie hat und was für r*ssistische Ansichten sie zum Thema Kolonien Englands hat, aber auch in den anderen PoVs hätte ich mir einfach mehr Verschränkungen mit anderen Themen gewünscht, um den Figuren noch mehr Tiefe zu geben. Schön fand ich, wie der queere Charakter dargestellt wurde - aber auch da hätte etwas mehr sein da sein können.

Ich habe nichtsdestotrotz 4,5 Sterne (abgerundet) vergeben und hoffe doch sehr auf viele weitere, großartige Bücher dieser Autorin, die mich mit ihrem Debüt so begeistern konnte!

Ich empfehle “Die Unbändigen” allen, die sich erst einmal natürlich mit dem oben beschriebenen Thema auseinandersetzen können und dann allen, die witchy Vibes lieben, die gerne historische Perspektiven lesen, und leichtem Gothic Horror mit vielen Naturbeschreibungen nicht abgeneigt sind.

Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar über Lovelybooks.

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