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Veröffentlicht am 06.10.2023

Im Herzen der Gewalt

NOVA
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Ruht die Fähigkeit zur Gewalt, gar der Wille dazu, in uns allen? Und was bedeutet dies für die Gesellschaft? Diese spannenden Fragen stehen im Mittelpunkt von Nova.

Die Kleinstadt Lucca, der Neurochirurg ...

Ruht die Fähigkeit zur Gewalt, gar der Wille dazu, in uns allen? Und was bedeutet dies für die Gesellschaft? Diese spannenden Fragen stehen im Mittelpunkt von Nova.

Die Kleinstadt Lucca, der Neurochirurg Davide, seine Frau Barbara, Logopädin, der jugendliche Sohn Tommaso, ein Übergriff auf Barbara in einem Restaurant, der von einem zunächst Fremden für sie gelöst wird. Das sind die Eckdaten und Ausgangssituation von Nova.

Davide beginnt nicht weniger als eine Transformation im Laufe des Romans, sein Denken und Handeln in Bezug auf Gewalt verändern sich und damit wird auch er ein anderer. Doch zu welchem Preis?

Der Roman ist wirklich hervorragend geschrieben und übersetzt, man meint eine echte Liebe zur Sprache zu erkennen und was diese ausdrücken kann. Umso bedauerlicher ist daher, dass die Figuren seltsam blass bleiben, man erfährt kaum etwas über echte Emotionen dieser. Stattdessen gibt es einige Längen, die weder dem Hauptplot noch einer echten Charakterverdichtung der Protagonisten und Protagonistinnen dienen. Thematisch entsteht der Eindruck, dass der Autor mit viel Raffinesse und Talent mit den Ausdrucksformen der Sprache spielt, darüber jedoch Substanz und Inhalt aus dem Fokus geraten. Gewalt als Mittel und Form, obwohl Hauptthema des Buches, wird letztlich auch ideengeschichtlich nur oberflächlich und einseitig betrachtet, auch die Komplexität sozialer Beziehungen wird nur unzureichend erfasst, und ausschließlich im Kontext Gewalt und Männlichkeit, dargestellt.

Der Roman ist gespickt mit medizinischen Fachbegriffen, die die Geschichte zwar authentisch machen, schließlich ist Davide Neurochirurg, jedoch das Lesen zuweilen beschweren, wenn man mit dem Vokabular nicht vertraut ist und gleichzeitig den Anspruch hat, das Gelesene zu verstehen. Da ich mir tatsächlich oft das Gelesene bildlich vorstelle, brauchte ich hier „Übersetzungen“. Es wäre schön, wenn zumindest sehr spezielles Vokabular vielleicht im Anhang oder einer Fußnote erläutert würde.

Das Cover finde ich sehr passend, es hat etwas Eruptives, das sich auch im Roman, im positiven Sinne widerspiegelt.

Ich hatte mich sehr auf den Roman gefreut, da ich Thema und Beschreibung sehr interessant fand. Sprachlich wurde ich nicht enttäuscht, inhaltlich hat der Autor das Potential, sowohl sein eigenes als auch des Themas, nach meinem Empfinden jedoch leider nicht ausgeschöpft.

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Veröffentlicht am 02.05.2024

Dauererregung und Polarisierung sind eine Gefahr für unsere Demokratie und gehen damit uns alle etwas an

Heult leise, Habibis
5

In diesem eher schmalen Essay zeigt Sineb El Masrar auf, wie eine gesellschaftliche Dynamik entstanden ist, in der die Extrovertierten und Lauten immer lauter werden und damit vernünftigen, ausgewogene ...

In diesem eher schmalen Essay zeigt Sineb El Masrar auf, wie eine gesellschaftliche Dynamik entstanden ist, in der die Extrovertierten und Lauten immer lauter werden und damit vernünftigen, ausgewogene Stimmen in den Hintergrund geraten und so letztlich auch in den Debatten um die Zukunft unserer Demokratie fehlen. Die Autorin liefert interessante Denkanstöße und sensibilisiert für gesellschaftliche und diskursive Dynamiken, die letztlich unsere Demokratie bedrohen können. Der Schreibstil ist eingängig und leicht zu folgen.

Was mich nicht überzeugt hat, ist das fast vollständige Ausblenden struktureller Faktoren in der Analyse bei gleichzeitiger Überbetonung diskursiver und psychoanalytischer Elemente, die vermeintlich monokausal zu bestimmten gesellschaftlichen Konsequenzen führen. So wird beispielsweise der NSU als Folge der von der Autorin beschriebenen kommunikativen Dynamik genannt. Hier bedient die Autorin sich ähnlicher Werkzeuge, die sie an anderer Stelle kritisiert. Während sie Ideologisierung und Polarisierung über weite Strecken sehr gut und nachvollziehbar als problematisch herausarbeitet, zur besonnenen Reflexion aufruft, verfällt die Schrift selbst im Verlauf in den Dienst der Proklamation sehr einseitiger Positionen der Autorin und der Überlegenheit eines wirtschaftsliberalen Konservatismus.

Insbesondere in der zweiten Hälfte verliert das Buch damit für mich an Stärke. Dieser Eindruck wird zusätzlich dadurch verfestigt, dass zunehmend einige Gedankengänge und Argumente in sich inkonsistent, eindimensional und auch redundant sind, andere scheinen wiederum selbst einer Aufmerksamkeitslogik zu folgen, wie wenn die Autorin unter Orgasmische Polarisierung die Sexualisierung von Polarisierung ausführt. Von einem soziologisch und sozialpsychologisch geschulten Lektorat hätte die Schrift sicher profitiert, insbesondere mit Blick auf die einschlägigen theoretischen Grundlagen zu sozialer Identität und Intergruppenkonflikten.

Einer starken ersten Hälfte, die viele wichtige Denkanstöße liefert und mit einer erfrischend ausgewogenen Analyse und Betrachtung überzeugt, steht so ein deutlich schwächerer zweiter Teil gegenüber, in dem die Autorin in der Umsetzung dem eigenen, zuvor formulierten Anspruch leider nicht gerecht werden kann. Das Ziel der Schrift bleibt damit letztlich unklar.

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Veröffentlicht am 25.01.2024

Geschichtlich interessant, in der Umsetzung jedoch nur bedingt überzeugend

Himmel voller Schweigen
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In Himmel voller Schweigen begibt sich Julia Gilfert in die Geschichte ihrer Familie und porträtiert das Schicksal ihres Großvaters und Musikers Walter Frick, der unter ungeklärten Umständen in der NS ...

In Himmel voller Schweigen begibt sich Julia Gilfert in die Geschichte ihrer Familie und porträtiert das Schicksal ihres Großvaters und Musikers Walter Frick, der unter ungeklärten Umständen in der NS Zeit verstorben ist und vermutlich vom Regime ermordet wurde. Lange Zeit lag ein Schleier über dieser Episode der Familiengeschichte, den die Autorin nun für ihr Buch gelüftet hat und die Leser:innen daran teilhaben lässt.

Wer hier ein Sachbuch erwartet, wird zumindest teilweise enttäuscht werden. Während im zweiten Teil viele Originaldokumente und Briefe angehangen sind, an dem geschichtlich Interessierte sicher Freude haben werden, ist der Hauptteil des Buchs, die Geschichte Walter Fricks, als eine Art Roman erzählt, immer wieder mit Einblenden in die Gegenwart zu den Recherchen und Gefühlen der Autorin.

Mich konnte das Buch leider gar nicht abholen. Das lag zu großen Teilen am Schreibstil, den ich als unglaublich blumig und ausschmückend empfunden habe. Dabei ist für mich leider auch inhaltlich viel von der Ernsthaftigkeit der Sache verloren gegangen. Inhaltlich hätte für mich das Buch wohl eher für ein Büchlein gereicht. Die Informationen, die die Autorin zusammenträgt sind durchaus interessant, lässt man die vielen Ausschmückungen weg, wäre es jedoch nur noch ein recht schmaler Band, der jedoch genauso seine Berechtigung haben könnte. Eventuell wäre eine dokumentarisch - journalistische Form der Aufarbeitung und Aufzeichnung dem Material hier eher gerecht geworden.

Auch in der blumigen Sprache konnte ich trotz vieler Worte der Beschreibung keine Nähe zu den Figuren herstellen, zu aufgesetzt und konstruiert wirkten auf mich die Gedanken, Aussagen und Umschreibungen.

So würde ich das Werk tatsächlich nicht uneingeschränkt für geschichtlich Interessierte empfehlen, da das ausschmückende Beiwerk eindeutig überwiegt. Eine Ausnahme bildet hier jedoch ausdrücklich der zweite Teil, in dem die Autorin unter „Fragmente“ Originaldokumente, Briefe, Tagebucheinträge etc. zur Verfügung stellt. Ich könnte mir vorstellen, dass Menschen, die gerne Liebesromane lesen, der Schreibstil begeistert und sie Freude an dem Buch mit der wahren Geschichte dahinter haben.

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Veröffentlicht am 18.03.2024

Die Leiden des jungen privilegierten Großstädters

Das hat er nicht von mir!
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In - Das hat er nicht von mir - nimmt Francesco Giammarco die Geburt seines Sohnes zum Anlass über sein eigenes Aufwachsen zu sinnieren und was dies für seine Rolle als Vater bedeutet. Auf dem Einband ...

In - Das hat er nicht von mir - nimmt Francesco Giammarco die Geburt seines Sohnes zum Anlass über sein eigenes Aufwachsen zu sinnieren und was dies für seine Rolle als Vater bedeutet. Auf dem Einband wird die Frage gestellt, ob man ein guter Vater werden kann, „wenn man ein beschissener Jugendlicher war“, und nicht letztlich viele Fehler ziemlich lustig waren? Von dieser Frage und der Bejahung dieser getrieben, verfolgen wir ein Großwerden in München, an dem der Autor offensichtlich oft gelitten hat, sich als renitenten, unsportlichen, komplexbehafteten, viel trinkenden Jugendlichen präsentiert und doch, so die Botschaft, zum passablen Mann und Vater im Hamburger Trendbezirk wird.

Auch wenn einige Passagen informativ und humorvoll geschrieben waren, konnte mich das Buch leider nicht überzeugen. Insgesamt fehlte mir Substanz und Tiefe in der Erzählung. Eine echte Reflexion in Bezug auf die Vaterrolle findet kaum statt, es erfolgt ein episodenhaftes Erzählen von Anekdoten, das nur an wenigen Stellen tatsächlich auf die Vaterrolle rückgebunden wird. Der größte Kritikpunkt ist für mich jedoch, dass durchweg die Erfahrung eines privilegierten, männlichen Großstädters beschrieben und dies an keiner Stelle ernsthaft reflektiert wird. Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper wird in dieser Welt zum größten Leid, allerdings nicht genug, um sich ernsthaft zum Sport zu motivieren oder weniger Bier zu trinken. Insgesamt wird ein Jugendlicher beschrieben, der sehr behütet und privilegiert aufwächst, und vielleicht genau deshalb bereits am ganz normalen Aufwachsen leidet, rückblickend aber alles ganz easy und komisch findet. Weil es letztlich eben auch ein ziemlich easy Aufwachsen war, das in der Form sehr vielen Kindern nicht vergönnt ist.

Zwei Punkte gibt es von mir für den flüssigen Schreibstil und die soziologisch durchaus interessanten Einsichten in die Haltungen einer privilegierten, großstädtischen, männlichen Bildungselite in den Mittdreißigern. Dieser kann ich das Buch auch guten Gewissens für eine Nabelschau empfehlen.

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Veröffentlicht am 03.03.2024

Eine nette Idee, stilistisch und inhaltlich eher schwach und wenig wertschätzend

Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge
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Ein kauziger alter Mann auf seiner letzten großen Reise, die auch eine Reise in die Vergangenheit ist. Ein geheimnisvoller Brief, der an eine alte Liebe erinnert. Eine Busfahrt, die zur Erinnerungsreise ...

Ein kauziger alter Mann auf seiner letzten großen Reise, die auch eine Reise in die Vergangenheit ist. Ein geheimnisvoller Brief, der an eine alte Liebe erinnert. Eine Busfahrt, die zur Erinnerungsreise an ein ganzes Leben wird, wie sich herausstellt, mit gar nicht zu gewöhnlichen Erlebnissen. So gut, so vielversprechend klingen die Ausgangsbedingungen des Romans.

Mich konnte der weitere Verlauf und die Umsetzung jedoch leider nicht überzeugen. Sowohl inhaltlich als auch stilistisch war mir insgesamt zu viel gewollt an Heinz Labensky.

Im Dialog mit Mitreisenden lernen wir auf einer langen Busreise von Erfurt nach Warnemünde, Labensky und sein Leben, und so vermutlich die Intention der Autoren, auch ein wenig die DDR kennen. In erster Linie ist dies jedoch ein Bild, wie offensichtlich die Autoren auf die DDR blicken. Auf den ersten Seiten hatte der Wohnort Labenskys in Erfurt mein Interesse geweckt, nur um dann festzustellen, dass das Autorenteam wohl nie am Bahnhof in Erfurt war, wenn sie von unten einfahrenden Zügen schreiben, während in Erfurt die Bahnhofshalle unterhalb der Gleisen liegt, die Züge somit oben fahren, und auch der Busbahnhof ganz anders angeordnet ist als im Roman. Auch die übrigen Anekdoten um Bernsteinzimmer, die RAF, etc. konnten mich nicht wirklich erreichen und wirkten bewusst konstruiert, um geschichtliche Personen und Ereignisse einfließen zu lassen.

Die Charakterisierungen und Beschreibungen Labenskys wirkten auf mich überzeichnet und nicht besonders wertschätzend. Die vielfachen Rezensionen und der Klappentext, die darin eine warmherzige Darstellung sehen, sind für mich leider nicht nachvollziehbar. Da schreibt ein Autor, der selbst auf dem Buchtitel Wert auf seine akademischen Titel legt, über seinen Protagonisten dieser sei gripsmäßig so hell wie ein Tunnel. Falls das komisch sein soll, ist es leider nicht mein Humor. Insgesamt wird ein Klischee eines alten, leicht verwahrlosten, eigenbrötlerischen Mannes, grau in grau, entworfen und das nicht aus einer emphatischen, zugewandten Haltung heraus, sondern von oben herab, zu humoristischen Zwecken - der kauzige alte Ossi, der zeigen soll, dass man im Osten ja doch was erleben konnte, auch wenn er gripsmäßig eher so hell wie ein Tunnel ist.

Auch stilistisch konnte ich mit den vielen seltsam gestelzten Bildern und Vergleichen, wie etwa - schwitzt wie Pudding beim Picknick - wenig anfangen.

Ich habe gerade zwei hervorragende Romane, von Constanze Neumann und Sabine Rennefanz gelesen, die sich thematisch mit der DDR auseinandersetzen. Dagegen war im Vergleich Heinz Labensky leider eine Enttäuschung.

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