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Veröffentlicht am 22.07.2021

Die Kraft der Musik

Das Kind von Gleis 1
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Die Deutschen stehen vor den Toren Prags, das Leben der Juden wird von Tag zu Tag schwieriger. So schickt die Pianistin Eva schweren Herzens ihre fünfjährige Tochter Miriam mit einem Kindertransport ins ...

Die Deutschen stehen vor den Toren Prags, das Leben der Juden wird von Tag zu Tag schwieriger. So schickt die Pianistin Eva schweren Herzens ihre fünfjährige Tochter Miriam mit einem Kindertransport ins fremde England. Während sie ständig darüber grübelt, ob die Entscheidung die richtige war, tritt in London Pamelas Sohn William der Royal Air Force bei, um so seinem Beitrag für den Frieden zu leisten und versetzt damit auch seine Mutter in permanente Angst.

Überaus liebevoll und warmherzig entwirft Autorin Gill Thompson zwei sehr unterschiedliche Familien, die jüdische Familie rund um Eva in der Tschechoslowakei und die Quäker mit Pamela als sozial sehr engagierter Mutter in England. Wie sehr sich im Laufe des Zweiten Weltkrieges deren Schicksale verflechten, erzählt dieser bewegende Roman nicht nur mit eindrucksvollen Worten, sondern auch mit Bildern und Melodien, die man zwischen den Zeilen zu vernehmen meint. Die Verhältnisse in Kriegstagen werden aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet und verursachen einerseits kalte Schauer auf der Haut, zeigen aber andererseits immer wieder kleine Funken an Hoffnung, die den Menschen Überlebenswillen und Kraft geben. Die besonderen Gegebenheiten im Lager Terezín, Theresienstadt, lassen es zu, dass die Gefangenen nach knochenharter Arbeit am Tage abends zusammenkommen dürfen zum Musizieren und so ihre Art von Widerstand leisten.

Durch ausgezeichnete Recherche und großartiges Einfühlungsvermögen verknüpft Thompson reale Geschehnisse mit einer fiktiven Handlung, die sich genauso zugetragen haben könnte. Sehr realistisch fügen sich lebendige Figuren in diesen durch wahre Begebenheiten geprägten Roman und erwecken Geschichte zum Leben, sodass die unfassbaren Gräueltaten nie in Vergessenheit geraten.

Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, schafft es Gill Thompson mit ihrem „Kind von Gleis 1“ den Leser zu berühren und ein Stück Vergangenheit in Hoffnung zu verwandeln, Gemeinsamkeiten über Trennendes zu stellen und die Kraft der Musik ins Zentrum zu rücken.



Titel Das Kind von Gleis 1

Autor Gill Thompson

ISBN 978-3-7466-3786-0

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 502 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook und Hörbuch

Erscheinungsdatum 19. Juli 2021

Verlag Aufbau TB

Originaltitel The Child On Platform One

Übersetzer Gabriele Weber-Jarić

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.06.2021

(Un)schuldig

Der 19. Engel
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Autorin Jane Mansfield steht unter Druck: ihr Verlag verlangt ein neues Exposé, aber irgendwie hat sie keinen zündenden Einfall. Da meldet sich Vanessa von Wolfrathshausen aus der Justizvollzugsanstalt. ...

Autorin Jane Mansfield steht unter Druck: ihr Verlag verlangt ein neues Exposé, aber irgendwie hat sie keinen zündenden Einfall. Da meldet sich Vanessa von Wolfrathshausen aus der Justizvollzugsanstalt. Sie möchte, dass Mansfield ihre wahre Geschichte als Buch herausgibt, denn das Urteil, sie hätte ihre Schwester umgebracht, sei schlicht falsch, sie sitze unschuldig im Gefängnis.

Mit ihrem ganz eigenen Witz, (schwarzem) Humor und einer Prise Ironie erschafft Nika Lubitsch Figuren, die diesen Krimi lebendig und voll Überraschungen werden lassen. In der Ich-Form erzählt Jane Mansfield und in der Ich-Form schreibt Vanessa aus der Haftanstalt. So entsteht ein interessantes Spannungsfeld, in dem sich stets neue Blickwinkel ergeben. Vanessas Schwester Amanda ist verschwunden, für ihren Tod gibt es nur Indizien, aber keine Leiche. Die Schuld der Inhaftierten scheint immer unwahrscheinlicher und Mansfield ist wild entschlossen, den Fall nicht nur neu aufzurollen, sondern ihrer Managerin ein brillantes Konzept zu liefern. Interessante Einblicke in das Leben von Vanessa und Amanda wechseln in flotter Folge mit anderen Ereignissen, die immer wieder für Verblüffung sorgen. Bis zum Ende werden verschiedene Fährten gelegt, Fäden gesponnen, die zu guter Letzt schlüssig zusammengeführt werden und dem Titel gerecht werden.

Wer die speziellen kurzen, aber kniffligen Krimis von Nika Lubitsch mag, wird auch hier wieder auf seine Rechnung kommen!



Titel Der 19. Engel

Autor Nika Lubitsch

ISBN 978-3-96357-187-9

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 248 Seiten

ebenfalls erhältlich als e-book

Erscheinungsdatum 12. April 2021

Verlag Independently published

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.06.2021

Vertrauen

Die Fremde - Du darfst nicht leben
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Nach einem Anschlag auf die Familie sind Klaras Eltern tot, ihre Schwester und sie selber liegen schwer verletzt im Krankenhaus. Von der Operation benebelt, von undurchschaubaren Personen umgeben, beginnt ...

Nach einem Anschlag auf die Familie sind Klaras Eltern tot, ihre Schwester und sie selber liegen schwer verletzt im Krankenhaus. Von der Operation benebelt, von undurchschaubaren Personen umgeben, beginnt Klara, an ihrem eigenen Verstand zu zweifeln. Die Polizisten, das Krankenhauspersonal, ja sogar die eigene Schwester, verhalten sich sonderbar. Was soll die junge Frau von all dem halten und was ist tatsächlich passiert an jenem Abend?

Mit dem Präsens als Erzählzeit und der Ich-Perspektive schafft die Autorin Leslie Kerr eine starke Nähe zu Klara Kallenbach und dem Geschehen. Die Atmosphäre im Krankenhaus springt sofort über, der Leser wird gefangengenommen von Klaras speziellen Fähigkeiten, nämlich Geruch überdurchschnittlich wahrnehmen zu können. Die Verletzte hat Besuchsverbot, auch ihr Handy wird einbehalten. Warum diese Geheimniskrämerei?

Spannend und psychologisch ausgefeilt treten immer mehr Informationen zutage, die an Klaras Verstand zweifeln lassen. Phantasie oder Wahrheit – und aus wessen Sicht? Viele Verdächtige werden präsentiert, jeder hat ein Motiv, das Misstrauen wächst. Ein flüssiger Schreibstil und interessante Details aus Klaras Vergangenheit halten die Spannung hoch. Die Übergänge zwischen den Kapiteln, insbesondere auch bei Zeitsprüngen und Rückblenden, sind geschickt gelöst, die Figuren aus dem Jetzt fügen sich nahtlos ins Früher und umgekehrt.

Seiten um Seiten, Kapitel um Kapitel fliegen nur so dahin. Eine nette Figur wird plötzlich zur Bedrohung, während andere möglicherweise gar nicht so böse sind wie angenommen. Unerwartete Wendungen, falsche Fährten und sehr gut charakterisierte Personen lassen diesen Thriller zu einem wahren Lesevergnügen werden, bei dem kaum etwas so ist, wie es scheint. Das Ende kommt überraschend und plausibel daher.

Ein gelungenes Buch, das ich mit fünf Sternen bewerte und gerne weiterempfehle!



Titel Die Fremde – Du darfst nicht leben

Autor Leslie Kerr

ISBN 978-3-7413-0247-3

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 288 Seiten

ebenfalls erhältlich als e-book

Erscheinungsdatum 23. Juni 2021

Verlag Bastei Lübbe

  • Einzelne Kategorien
  • Handlung
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Cover
  • Spannung
Veröffentlicht am 26.06.2021

Starke Frauen

Die Sterne über Venedig
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Der Nonna in Venedig geht es schlecht. Also reisen die Schwestern Caterina und Nicola von Deutschland nach Italien, um sich ein paar Tage um Mutter und Großmutter zu kümmern. Allerdings steht ein ungeklärter ...

Der Nonna in Venedig geht es schlecht. Also reisen die Schwestern Caterina und Nicola von Deutschland nach Italien, um sich ein paar Tage um Mutter und Großmutter zu kümmern. Allerdings steht ein ungeklärter Zwist zwischen den Schwestern, der sich auch in der gelösten Atmosphäre im beliebten Urlaubsziel nicht beilegen lässt. Energisch greift die - bis auf ihre Herzprobleme - recht rüstige Oma ein und beginnt nach Jahrzehnten der Verschwiegenheit ihre Geschichte aus den 1940er Jahren zu erzählen.

Eine wunderschöne, wenn auch mitunter traurige Geschichte fließt aus Beyers Feder, trotz aller Widrigkeiten keimt immer wieder Hoffnung auf. Als interessante „Geschichte-in-der-Geschichte“ ist Nonnas Vergangenheit gut eingebettet in die aktuellen Ereignisse in Venedig. Und so verknüpft die Autorin einfühlsam die Gegenwart mit der Vergangenheit. Erinnerungen an grauenvolle Kriegsjahre und den erbitterten Widerstand werden wach. Der Leser erfährt viele einprägsame Details aus dem Leben des einfachen Volkes und spürt förmlich die Entbehrungen, denen kaum jemand entkommen konnte. Schmerzliche Verluste von Familienmitgliedern, Bangen um Freunde jüdischer Herkunft und der Mangel an grundlegenden Nahrungsmitteln prägen die jungen Jahre der Großmutter und völlig unbekannte Neuigkeiten erschüttern Tochter, Enkel und Urenkelin.

Fließend reihen sich die Ereignisse aneinander, weckt der Verlauf der Geschichte immer mehr Neugier und bannt die Aufmerksamkeit des Lesers. Anja Saskia Beyer versteht es, mit bildhaften Beschreibungen zu fesseln, sodass man vollends versinkt in dieser berührenden und zugleich aufrüttelnden Erzählung. Nicht nur die Familie selbst, die dominiert wird von Frauen mit einer starken Persönlichkeit, sondern auch alle anderen Figuren sind unglaublich lebendig gezeichnet. Fast meint man, selbst dabei zu sitzen und mit zu diskutieren oder Nonnas unfassbaren Erlebnissen zu lauschen.

Bis zum Ende gibt es immer wieder überraschende Wendungen und Neuigkeiten, sodass wenig vorhersehbar ist und die Reise nach Venedig sowohl im Jahre 2019 als auch in den 1940ern mehr als spannend ist und unbedingt gelesen werden sollte!





Titel Die Sterne über Venedig

Autor Anja Saskia Beyer

ISBN 978-2-496-70037-4

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 320 Seiten

ebenfalls erhältlich als e-book

Erscheinungsdatum 15. Oktober 2019

Verlag Tinte und Feder

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.06.2021

Nach dem Schweren kommt das Leichte? (frei nach dem Koran, Sure 94)

Eine Liebe zwischen den Fronten
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Berlin, Juli 1870: Mitten in die Verlobungsfeier der Französin Madeleine und des Deutschen Paul platzt ein Gesandter mit einem Einberufungsbefehl. Zwischen Preußen und dem französischen Kaiserreich ist ...

Berlin, Juli 1870: Mitten in die Verlobungsfeier der Französin Madeleine und des Deutschen Paul platzt ein Gesandter mit einem Einberufungsbefehl. Zwischen Preußen und dem französischen Kaiserreich ist Krieg angesagt, Paul muss unverzüglich als Stabsarzt zu seinem Regiment nach Coblenz reisen, während Madeleine mit ihrem Vater in ihre Heimatstadt Metz zurück will. Ab sofort stehen die jungen Leute auf verschiedenen Seiten und gehören feindlichen Lagern an. Eine Zeit voll Bangen und Ungewissheit beginnt.
Wie gewohnt, befindet man sich schon nach wenigen Zeilen in einer ganz anderen Welt, wie hier im Speisezimmer derer von Gerlau, zwischen barocken Stühlen und fein verziertem weißen Porzellan. Bildhaft und mit viel Liebe zum Detail erweckt Maria W. Peter längst vergangene Zeiten zum Leben. Ebenso präzise und genauestens recherchiert, stellt die Autorin alle weiteren Szenen dar, sei es eine Kampfhandlung zwischen Feinden, die unvorstellbaren Zustände im Lazarett oder im Gefangenenlager sowie die Ängste und Nöte der Zivilbevölkerung. Feinst dazwischen gesponnen, das Schicksal von Madeleine und Paul, sodass der Leser stets unterschiedliche Perspektiven erhält. Aber nicht nur französische und deutsche, nein, sogar die Sichtweise einiger Algerier wird unmittelbar durch entsprechende Figuren geschildert, sodass ein sehr umfassendes und reales Bild entsteht.
Madeleine, Paul und alle anderen werden recht schnell zu lebendigen Figuren, manche sympathisch, manche weniger und der eine oder andere bleibt lange undurchschaubar. Für größtmögliche Authentizität neben den zahlreichen historisch verbürgten Gegebenheiten, die in die fiktive Handlung miteinfließen, sorgen einige Dialoge im Dialekt und eingestreute französische und algerische Wörter und Redewendungen. So entsteht eine faszinierende Geschichte, deren Sog man sich bald nicht mehr entziehen kann, als Leser muss man förmlich mitfiebern und aufgeregt Seite um Seite verschlingen, bis man am Ende angelangt ist.
Und dann – ist noch lange nicht Schluss: die Autorin gewährt uns mit Landkarte, Nachwort, Glossar, Personenverzeichnis, Dank, Reise- und Stöbertipps noch sehr interessante und vor allem persönliche Einblicke in die aufwendigen und ob des Grauens der Kriegsschauplätze wohl auch sehr strapaziösen Recherchen. Mein Dank an Maria W. Peter, die sich all dem stellt, um uns Lesern einen hervorragend verfassten historischen Roman zu präsentieren.
Schon lange hat mich kein Buch mehr so gefesselt und in seinen Bann gezogen wie „Eine Liebe zwischen den Fronten“, an welches ich noch oft zurückdenken werde.
Ein Meisterwerk, verstörend, berührend und unglaublich gut recherchiert! Ich kann es gar nicht in Worte fassen, die diesem Buch auch nur annähern gerecht werden könnten, man muss es einfach gelesen haben.


Titel Eine Liebe zwischen den Fronten
Autor Maria W. Peter
ISBN 978-3-404-17989-3
Sprache Deutsch
Ausgabe Taschenbuch
Erscheinungsdatum 29.6.2020
Verlag Lübbe

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  • Handlung
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