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Veröffentlicht am 24.05.2021

Zügellos

Die Tänzerin vom Moulin Rouge
3

Hart arbeiten muss Louise Weber trotz ihres zarten Alters. Ebenso wie ihre ältere Schwester Vic und ihre Mutter schuftet sie von früh bis spät in einer Wäscherei in Paris um ihren kargen Lebensunterhalt ...

Hart arbeiten muss Louise Weber trotz ihres zarten Alters. Ebenso wie ihre ältere Schwester Vic und ihre Mutter schuftet sie von früh bis spät in einer Wäscherei in Paris um ihren kargen Lebensunterhalt zu verdienen. Der Vater ist im Krieg geblieben, auch der großelterliche Garten im Elsass ist verloren. Gott scheint alles falsch zu verstehen, also muss Louise ihr Leben selbst in die Hand nehmen, will sie nicht ewig weiter so dahin kümmern, vielleicht noch mit einem üblen Ehemann an ihrer Seite.

Sehr lebendig und reich an Bildern steigt Tanja Steinlechner ins Leben von Louise ein: dampfende Kessel, scharfe Lauge, wunde Hände – das ist der Alltag in der Wäscherei unter der gestrengen Aufsicht von Vorsteherin Betty. Vorbei sind die Zeiten im Elsass, wo es frisch nach Rosmarin, Thymian und Lavendel duftete, vorbei die Träume von einem angenehmen und selbstbestimmten Leben. Im Jahre 1880 kann man sich eben nicht aussuchen, welchen Platz einem das Schicksal zuteilt – oder ist es vielleicht doch möglich, all dem zu entkommen, seiner Sehnsucht nachzugeben und neue Wege zu beschreiten?

Der Tanz ist es, der Louise immer schon fasziniert. Feine Strümpfe und Mieder im Waschzuber stacheln ihre Fantasie an. Am Montmartre spielt sich das wahre Leben ab, in der schillernden Künstlerwelt, die erst spät abends erwacht, während man in den Baracken von Clichy bereits erschöpft aufs Nachtlager sinkt. Entschlossen, ehrlich und direkt präsentiert Steinlechner die junge Dame, die ausbricht aus den einengenden Normen, aus dem Alltag, in dem sie nicht wie ihre Mutter dauerhaft gefangen sein will und kann.

Schnell taucht der Leser ein in eine Milieustudie, in eine berauschende Atmosphäre von Paris im ausklingenden 19. Jahrhundert, begegnet interessanten Künstlern wie Auguste Renoir, Henri de Toulouse-Lautrec, dem Psychoanalytiker Sigmund Freud und vielen anderen berühmten historischen Personen. Vergnügen zwischen Champagner, Oliven und Käse, Malereien, Fotografien und hübsche Tänzerinnen spannen einen aufregenden Bogen von Louises ersten Schritten auf der Bühne bis zu ihren Auftritten im Moulin Rouge. In rascher Abfolge wechseln Schauplätze und Freunde, spiegeln Louises Willensstärke, aber auch ihre Maß- und Zügellosigkeit wider. Immer mehr verschwimmen Raum und Zeit wie in einem Drogenrausch, der die gefeierte Tänzerin mit sich fortreißt.

Überraschend und unerwartet, aber ausgezeichnet recherchiert und den Tatsachen entsprechend, wandelt sich das anfangs selbstbewusste und zielstrebige Mädchen in eine wenig sympathische erwachsene Frau, deren Verhalten man nur mehr schwer verstehen kann.

Das Bildnis der Louise Weber als inspirierender Roman mit vielen realen Details ist gut gelungen und stellt, trotz einiger Längen im Mittelteil, eine interessante Zeitreise dar in die leuchtende Metropole der Kunst und der Freizügigkeit, der Toleranz und der uneingeschränkten Liebe, ein überaus passendes Portrait einer zügellosen Figur, die Louise Weber zweifellos war.



Titel Die Tänzerin vom Moulin Rouge

Autor Tanja Steinlechner

ISBN 978-3-404-18411-8

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 432 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook

Erscheinungsdatum 28. Mai 2021

Verlag Lübbe

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Veröffentlicht am 24.03.2021

Machtkampf

Aus schwarzem Wasser
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Innenministerin Dr. Patricia Kohlbeck verursacht einen Unfall und rast ungebremst in die Spree. Sie und ihre Tochter sterben, aber nur wenige Stunden später erwacht Maja in ihrem Leichensack. Während die ...

Innenministerin Dr. Patricia Kohlbeck verursacht einen Unfall und rast ungebremst in die Spree. Sie und ihre Tochter sterben, aber nur wenige Stunden später erwacht Maja in ihrem Leichensack. Während die junge Frau versucht, dem Rätsel um ihr Überleben auf die Spur zu kommen, überraschen verheerende Naturkatastrophen die Erde. Die Meere scheinen zur tödlichen Bedrohung zu werden. Ein spannender und überraschender Thriller über Umwelt, Macht und (Polit)Intrigen nimmt seinen Lauf.

Anne Freytag setzt unterschiedliche Stilmittel ein, die den Leser rasch in den Bann ziehen: kurze, flüssige Kapitel, teils mit Cliffhangern, sodass man das Buch nicht mehr zur Seite legen will, unterschiedliche Blickwinkel und Perspektiven, teils in Ich-Form, teils vom neutralen Erzähler geschildert, Zeitsprünge und Ortswechsel, die jedoch immer aufgrund der Überschriften sehr übersichtlich und gut nachvollziehbar ineinander übergreifen. Auf diese Weise wird die Spannung durchwegs hoch gehalten; ebenso wie Maja weiß man als Leser nicht, wer vertrauenswürdig ist und wer auf der „anderen Seite“ steht. Woher kommt die ganze Geheimniskrämerei, was will die Mutter nach ihrem Tod noch mitteilen? Sowohl die einzelnen Protagonisten als auch ihr Handeln und die begleitenden Umstände sind sehr lebendig zu Papier gebracht und selbst wenn der Schreibstil eher nüchtern wirkt, so kommt – vielleicht auch gerade dadurch – viel an Emotionen hervor. Für einen Thriller eher ungewöhnlich, fließen sonderbare Fantasy-Elemente ein, die der ganzen Geschichte einen einzigartigen und besonderen Anstrich verleihen.

Da und dort ein wenig unrealistisch, aber durchaus eine abwechslungsreiche Reise in die Welt der Zukunft – so kann man „Aus schwarzem Wasser“ gut beschreiben.

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Veröffentlicht am 07.03.2021

Beängstigend realistisch

Sterbewohl
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Nadja, 65, erhält eine Einladung vom deutschen Staat, ein Sterbeseminar im Luxushotel auf Fehrmann zu besuchen, völlig unverbindlich und kostenfrei. Aber ist das nicht nur für die wirklich Alten? Und was, ...

Nadja, 65, erhält eine Einladung vom deutschen Staat, ein Sterbeseminar im Luxushotel auf Fehrmann zu besuchen, völlig unverbindlich und kostenfrei. Aber ist das nicht nur für die wirklich Alten? Und was, wenn man noch nicht bereit ist zum Sterben?

Deutschland hat sich zu einer Scheindemokratie entwickelt. Pensionisten, Kranke, aber auch Arbeitslose und Behinderte tragen nichts bei zum Allgemeinwohl, sondern belasten zunehmend das System. Deshalb soll ihnen in luxuriösem Ambiente das Schlucken von Sterbewohl schmackhaft gemacht werden. Schließlich will doch niemand zum Pflegefall werden oder schwere Krankheiten durchleiden, bevor er erlöst wird. Hier hat man sein Schicksal selbst in der Hand und kann rechtzeitig beenden, was noch an Qual kommen könnte.

So einfach mag Nadja, gerade erst in Rente gegangen, gemeinsam mit ihren Freunden Anna, Max und Fred aber nun doch noch nicht verzichten auf Freizeit, Hobbys und Vergnügungen. Schließlich ist sie noch agil und fit und hat einiges vor. Hin- und hergerissen zwischen Neugier und dem Wissen, dass bisher niemand von so einem Seminar zurückgekehrt ist, schmieden die vier einen verwegenen Plan und checken ein im Hotel Paradies.

Beängstigend realistisch beschreibt Olivia Monti die Zustände in einem künftigen Deutschland, das so ferne möglicherweise gar nicht ist. Vermischt mit einigen interessanten Querverweisen zum dritten Reich entwirft die Autorin eine schockierende Geschichte, die gar nicht einmal so abwegig scheint. Mangel an Ressourcen, Gier nach Geld und Macht lassen die Alten und Schwachen schnell an den Rand der Gesellschaft abrutschen und neue Möglichkeiten zur Optimierung suchen – und finden. Wer nichts beiträgt, ist nichts wert und hat keine Daseinsberechtigung.

So wird der Leser rasch in den Bann gezogen über ein Abenteuer von vier junggebliebenen Rentnern, die diesen Ideen ein Schnippchen schlagen und herausfinden möchten, was nun wirklich hinter diesen Luxusreisen steckt. Humorvoll und mit flotten, kurzen Sätzen flugs zu lesen, bringt uns dieses Buch ernste Themen nahe. Die Figuren bleiben teils ein wenig oberflächlich, dies tut dem Ganzen aber keinen Abbruch, zeigt es doch auch in passender Weise, wie austauschbar die Menschen sind. Die Sicht aus Nadjas Perspektive wiederum bringt beängstigende Nähe ins Spiel und je näher man dem Tod kommt, umso rasanter schreitet der Urlaub voran. Das Ende kommt dann doch ein wenig abrupt, aber das Buch hallt noch eine Weile nach, sodass man es nicht unbeeindruckt aus der Hand legen kann.

Ein kurzer Krimi der anderen Art, den ich auf jeden Fall gerne weiter empfehle. Gänsehaut inbegriffen.

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Veröffentlicht am 07.02.2021

Alles neu

Grenzfall - Der Tod in ihren Augen
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Am Brauneck in Lenggries hängt eine leblose Frau an der Felswand. Die Rettungsmannschaft staunt nicht schlecht, als sie eine Leiche vorfindet, halb Mensch, halb Strohpuppe. Wer ist für diese Grausamkeit ...

Am Brauneck in Lenggries hängt eine leblose Frau an der Felswand. Die Rettungsmannschaft staunt nicht schlecht, als sie eine Leiche vorfindet, halb Mensch, halb Strohpuppe. Wer ist für diese Grausamkeit verantwortlich, und – vor allem – was könnte das Motiv sein?

Alexa Jahn, ganz neu in der Kripo Weilheim, legt all ihren Elan und Ehrgeiz in diesen brisanten Fall, bei dem sie Führungsqualität unter Beweis stellen muss und der sie bis über die Grenze ins österreichische Tirol führt.

Anna Schneider entwirft ein sehr ungleiches Paar als Ermittlerduo für die neue Serie „Grenzfall“: Alexa Jahn und Bernhard Krammer könnten unterschiedlicher nicht sein. Jedoch bilden sie kein abgestimmtes Team, sondern arbeiten jeder nach ihrer eigenen Facon, Alexa atemlos, Bernhard eher emotionslos. Ist das aber tatsächlich so? Oder trügt der erste Eindruck?

Mit detaillierten Bildern entführt uns die Autorin ins schöne Karwendelgebiet und beschreibt Mensch und Natur sehr anschaulich und lebendig. Ohne sich in langatmigen Ausschweifungen über einzelne Privatleben zu verlieren, findet doch immer wieder Zwischenmenschliches Platz und gibt den einzelnen Personen ein ganz unverwechselbares Profil. Auch wenn nicht alle Figuren sympathisch sind, so sind die kriminalistischen Teams auf beiden Seiten der Grenze doch sehr authentisch und gut zusammengestellt. Als Leser ist man ganz schnell mitten im Geschehen. Der flüssige Schreibstil und die abwechslungsreichen Szenen tun ein Übriges, um den Krimi kurzweilig zu gestalten. Selbst eher ruhige Abschnitte vermitteln ein gutes Gesamtbild über den Verlauf der Ermittlungen. Fehlschläge, Sackgassen und Versäumnisse lassen Alexa und Bernhard als glaubwürdige Menschen erscheinen, ganz ähnlich, wie es im „echten Leben“ auch zugeht. Während Alexa sich erst ihren Platz im Team sichern muss und auslotet, wie sie sich als Frau in einer Männergruppe durchsetzt, so denkt Krammer in Innsbruck bisweilen schon an seinen Ruhestand.

Geschickt eingestreute Informationen deuten da und dort ein Stückchen der Auflösung an, unvermutete Wendungen und Überraschungen gibt es bis zuletzt. Auch wenn nicht jede Überlegung des Mörders ganz nachvollziehbar erscheint, so ist doch die Handlung als Gesamtes in sich schlüssig dargestellt und der Krimi eine Leseempfehlung wert.

Teil Zwei der Serie Grenzfall steht jedenfalls schon auf meiner Wunschliste.

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Veröffentlicht am 17.01.2021

Eis und Blut

18 Grad unter null
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Das Titelbild so schlicht wie schön. Der Klappentext knapp und bündig. Die Vorankündigung im Freundeskreis verheißungsvoll. Der Kauf - ein Volltreffer!

Die Patchworkfamilie der zwölfjährigen Claudia scheint ...

Das Titelbild so schlicht wie schön. Der Klappentext knapp und bündig. Die Vorankündigung im Freundeskreis verheißungsvoll. Der Kauf - ein Volltreffer!

Die Patchworkfamilie der zwölfjährigen Claudia scheint perfekt. Zusammen mit Vater, Mutter, und derem Lebensgefährten genießt das Mädchen den ausklingenden Abend. Doch wenige Stunden nach dem Genuss von Vanilleeis mit Kirschsauce ist sie tot. Schnell geraten alle Anwesenden unter Verdacht, ein Motiv lässt sich für jeden von ihnen konstruieren. Doch die Wahrheit lässt sich sechsunddreißig Jahre lang Zeit…

Nika Lubitsch erzählt in kurzen einfachen Sätzen, auf den ersten Blick fast ein bisschen zu einfach. Der Schreibstil ist erstmals gewöhnungsbedürftig, andererseits liegt es vielleicht genau daran, dass die Geschichte flott dahin fließt und Spannung bietet von Anfang bis zum raffiniert geplanten Ende. Die Figuren sind rasch aufgelistet, ausreichend charakterisiert und so angelegt, dass sich für jeden Einzelnen ein Verdachtsmoment finden lässt. Hinter allen Wendungen und geschickt eingefädelten Schachzügen verbirgt sich bis zum Schluss ein perfider Plan, der sogar eine gebildete Figur im Roman vor den Kopf stößt und dem Leser ein Schmunzeln entlockt.

Die Kürze des Buches passt perfekt zur genialen Handlung, keine unnützen Ausschweifungen, keine langweiligen Details am Rande, um ein paar zusätzliche Seiten zu produzieren. Nika Lubitsch schreibt auf den Punkt und schafft mit „18 Grad unter Null“ gewitzte Unterhaltung, die man nur weiterempfehlen kann.

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