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Veröffentlicht am 25.11.2023

Ehrenbürgerin der Stadt Essen

Die Königin von der Ruhr
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Essen, 1902: Nach dem Tod des Stahlfabrikanten Friedrich Alfred Krupp übernimmt dessen Witwe Margarethe treuhänderisch die Geschicke der Firma, bis Tochter Bertha 1906 heiratet und das Erbe antritt. Obwohl ...

Essen, 1902: Nach dem Tod des Stahlfabrikanten Friedrich Alfred Krupp übernimmt dessen Witwe Margarethe treuhänderisch die Geschicke der Firma, bis Tochter Bertha 1906 heiratet und das Erbe antritt. Obwohl ihr eigener Mann keiner Frau eine Unternehmensführung zutraut, drückt Margarethe in den wenigen Jahren der Firma ihren Stempel auf und plant sodann noch ein eigenes ehrgeiziges Projekt.

In einer schönen Mischung aus Realität und Dichtung entsteht Margarethe Krupps Biografie in diesem Roman. Ruhig und bedacht erzählt Birgit Ebbert über die bescheidene und sozial engagierte Frau, welche mit Diplomatie die Krupp-Werke führt und sich voller Leidenschaft für den Wohnbau von Arbeitersiedlungen einsetzt. Ohne sich in den Vordergrund zu spielen, zieht sie durch besonnene Gespräche die Fäden und hat sogar den Kaiser auf ihrer Seite.

So vielseitig engagiert Margarethe auch gewesen sein muss als Tochter, Mutter, Großmutter, Unternehmerin und Gründerin einer großartigen Stiftung, so langatmig wird sie hier dargestellt mit immer wiederkehrenden ähnlichen Szenen von Unterredungen mit einflussreichen Herren und Fahrten im Salonwagen, der bei Bedarf nahe ihres Wohnsitzes hält. Auch die ständigen unerwünschten Besuche zwecks Geldforderungen von gewissen Verwandten laufen stets nach gleichem Muster ab und ermüden den Leser zunehmend.

Ein bisschen mehr Vielfalt und Abwechslung hätte gut getan, dennoch erhält man interessante Einblicke in das Leben der Ehrenbürgerin der Stadt Essen, das Nachwort samt historischer Daten rundet den Roman gut ab. Der Bekanntheit von Margarethe Krupp und ihrem Projekt „Margarethenhöhe“ kommt dieses Buch bestimmt zugute, womit das Anliegen Birgit Ebberts wohl erfüllt wird.

Veröffentlicht am 18.11.2023

Kontrolle

Virtua
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Daniel tritt einen neuen Job als Psychologe in der Personalabteilung des Konzerns Mental Systems an, wo an „Virtua“, einer Künstlichen Intelligenz, gearbeitet wird. Bald merkt der Neue, dass nicht alle ...

Daniel tritt einen neuen Job als Psychologe in der Personalabteilung des Konzerns Mental Systems an, wo an „Virtua“, einer Künstlichen Intelligenz, gearbeitet wird. Bald merkt der Neue, dass nicht alle Mitarbeiter uneingeschränkt der Firmenphilosophie folgen und ausschließlich Vorteile mit der rasch fortschreitenden Entwicklung verbinden, sondern eine bedrohliche Kontrolle der Menschheit befürchten. Als der KI-Entwickler Chen nach einem Sabotageakt spurlos verschwindet, ist Daniel alarmiert.

Durchaus glaubwürdig setzt Karl Olsberg diesen dystopischen Roman in Szene, wenn er mit Problemlösungen bei Krieg und Klimawandel die positiven Seiten der Künstlichen Intelligenz anspricht, andererseits aber auch darauf hinweist, dass sich diese Technologie möglicherweise irgendwann nicht mehr kontrollieren lässt und selbständig agiert, dann vielleicht nicht mehr zum Vorteil der Menschheit. Daniel als Psychologe und Jerry als leidenschaftlicher Spieler in virtuellen Welten repräsentieren die wesentlichen Blickwinkel auf die Vorteile modernster Technologien, aber auch auf die Gefahren von Abhängigkeit und Manipulation. Was heute noch undenkbar ist, kann morgen schon Realität sein (siehe dazu auch das interessante und ausführliche Nachwort), was der eine bejubelt, jagt dem anderen Angst ein. Auch wenn die Handlung utopisch und phantasievoll klingt, so scheint sie doch nicht ganz abwegig zu sein.

Ein bisschen mehr Spannung hätte dem Ganzen zwar gut getan, aber nachdenklich stimmt dieser Roman auf alle Fälle. Das Ziel, eine breite Öffentlichkeit anzusprechen und zur Diskussion zu bringen, wird hoffentlich erreicht, denn es ist höchst notwendig, sich die Gefahren der KI vor Augen zu halten und rechtzeitig zu agieren.

Veröffentlicht am 09.11.2023

Hoffnungsschimmer

Die November-Schwestern
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Aufgrund der Wirtschaftskrise zieht Familie Halmarne auf eine Farm, die schon lange im Familienbesitz, jedoch mit einer Hypothek belastet ist. Mutter Willa, Vater Arnold und die drei Töchter Kerrin, Marget ...

Aufgrund der Wirtschaftskrise zieht Familie Halmarne auf eine Farm, die schon lange im Familienbesitz, jedoch mit einer Hypothek belastet ist. Mutter Willa, Vater Arnold und die drei Töchter Kerrin, Marget und Merle versuchen, dem kargen Boden
Überlebensnotwendiges abzuringen und durch den Verkauf von Milch und Eiern ein wenig Geld zu erwirtschaften. Einige Jahre funktioniert das mehr recht als schlecht, als aber der Regen ausbleibt und die Ernte dahin ist, sieht es finster aus am Horizont.

Düstere Farben und eine trostlose Atmosphäre schweben über diesem in sehr eindrücklicher Sprache verfassten Roman. Während Marget und Merle sich anfangs damit begnügen, „zu lesen, zu essen und zwischen den Hügeln am Leben zu sein“ (kindle, Pos. 642), ist das für Kerrin nie genug. Sie ist ein unruhiger Wirbelwind, der sich nur schwer zurechtfindet am Land. Als der Vater mit der harten Arbeit nicht mehr zurande kommt, stellt er Grant ein, der das Leben der drei jungen Damen gehörig auf den Kopf stellt.
Josephine W. Johnson strickt keine Handlung im klassischen Sinn, vielmehr versteht sie sich darauf, Bilder zu inszenieren, einzelne Problemfelder herauszugreifen. Die Figuren sind grob skizziert und dennoch kennt man schnell ihre ganz persönlichen Eigenheiten, ohne dass sie im grellen Rampenlicht stehen, denn das gibt es hier schlicht und einfach nicht. Das Leben am Bauernhof ist ein karges, der Spruch „Ihr Bauern habt zu essen … immerhin zu essen.“ (kindle, Pos. 822) auch nicht jederzeit gewiss. Realitätsnah und schonungslos erzählt die Autorin von Dramatik und Leid, nicht jedoch ohne am Ende mutig dem Morgen ins Gesicht zu sehen. Beeindruckend ist die glasklare Sprache, mit der das Farmerdasein geschildert wird, der unterschiedliche Umgang der einzelnen Familienmitglieder mit ihren Sorgen und Nöten. Die Tristesse ist bisweilen greifbar, die Abhängigkeit von Nachbarn und den Naturgewalten evident. Trotz allem kann mich dieses Buch nicht so recht begeistern, die Schwere lastet gleichsam auf den unnahbaren Figuren wie am Leser.

Fazit: ein stilistisch sehr ansprechender Roman, der jedoch bedrückend wirkt und nur einen kleinen Hoffnungsschimmer an den Horizont zaubert.

Veröffentlicht am 29.10.2023

Ein ganzes Leben

Florence Butterfield und die Nachtschwalbe
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In Babbington Hall, einem ehrwürdigen Seniorenheim nahe Oxford, verbringt Florence Butterfield ihre Tage, seit sie ihr linkes Bein verloren hat und im Rollstuhl sitzt. Aber Trübsal Blasen kennt die unternehmungslustige ...

In Babbington Hall, einem ehrwürdigen Seniorenheim nahe Oxford, verbringt Florence Butterfield ihre Tage, seit sie ihr linkes Bein verloren hat und im Rollstuhl sitzt. Aber Trübsal Blasen kennt die unternehmungslustige 87jährige nicht. Nachdem die Heimleiterin nachts aus ihrem Fenster im dritten Stock gestürzt ist, überlegt Florrie, dass es sich nicht um einen Selbstmord handeln kann, hat doch Renata ihr erst am Vortag eine neue Liebe angedeutet. Gemeinsam mit dem Mitbewohner Stanhope sucht Florence nach Spuren – im Todesfall Renatas und in ihrem eigenen Leben.

Sehr sachlich und distanziert beschreibt Susan Fletcher, wie im Garten der Seniorenresidenz ein Mann verstorben ist, und gleichzeitig sind die Informationen überaus detailliert, fast poetisch mit dem Efeu und den Zaunwinden. Die genauen Beobachtungen begleiten den Leser durch das gesamte Buch, sodass man sich das Leben in Babbington Hall sehr bildhaft vorstellen kann auch deren Bewohner und Mitarbeiter. Mit viel Liebe für Einzelheiten geht es aber dann nicht nur um den rätselhaften Sturz von Renata in der Mittsommernacht, sondern auch um Florris Leben, das immer wieder in die aktuelle Handlung eingeflochten und in nicht chronologischer Abfolge Puzzlestück für Puzzlestück preisgegeben wird. Leider kommt es da des Öfteren zu Langatmigkeit und ausschweifenden Abweichungen vom Thema, sodass man zuweilen befürchten muss, Andeutungen nicht zu verstehen, weil man vielleicht etwas überlesen hat. Dabei verdichten sich die eingestreuten Hinweise tatsächlich erst zum Ende hin zu einem logischen und überschaubaren Gesamtbild.

Der Leseprobe nach habe ich einen unterhaltsamen Roman mit dunklem Humor erwartet, tatsächlich liefert dieses Buch die teils langatmige Lebensgeschichte einer 87jährigen und kriminalistische Ansätze. Trotz allem sollte man aber bis zum Ende durchhalten, denn wenn einmal alle Fäden zusammenlaufen, ergibt sich auch der Reiz dieser zuweilen nicht enden wollenden Handlung. Ein guter Start und ein versöhnliches Ende, ein strafferer Mittelteil hätte nicht geschadet.

Veröffentlicht am 24.09.2023

Spurlos verschwunden

Die Suche
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Während Bundesermittler Aaron Falk ins südaustralische Weinland fährt, wo er bald als Taufpate fungieren wird, denkt er nach über das Marralee Valley Food and Wine Festival im Vorjahr, bei dem eine Frau ...

Während Bundesermittler Aaron Falk ins südaustralische Weinland fährt, wo er bald als Taufpate fungieren wird, denkt er nach über das Marralee Valley Food and Wine Festival im Vorjahr, bei dem eine Frau spurlos verschwunden ist. Niemand versteht, dass Kim ihre erst sechs Wochen alte Tochter allein im Kinderwagen zurückgelassen hat und sich aus dem Staub gemacht oder sich gar im nahe gelegenen See ertränkt hat, aber genau das scheint damals geschehen zu sein. Beim diesjährigen Festival will man einen Aufruf starten und die Ermittlungen noch einmal aufleben lassen, da Kims Leiche nach wie vor nicht gefunden worden ist.

Detailliert beschreibt Jane Harper die Situation auf der Kirmes, heute, ebenso wie ein Jahr zuvor. Einige Figuren spielen eine tragende Rolle und werden auch vorstellbar charakterisiert, etliche Namen tauchen aber auch nur in Erinnerung an frühere Ereignisse auf, wie beispielsweise an die Jugendpartys am See, wo man sich bis zum Erbrechen betrunken hat. Selbstverständlich gibt es schlüssige Zusammenhänge, die am Ende verknüpft werden, den Überblick zu bewahren, fällt jedoch mitunter schwer, insbesondere, weil sich Falks Überlegungen und die Rückblicke seiner Freunde in Marralee doch recht in die Länge ziehen. Während sich Harpers Schreibstil flüssig liest, bleibt die Handlung aber immer wieder zäh zurück und verliert sich in plötzlich eingeflochtenen Zeitsprüngen in die Vergangenheit. Trotz aller Wirrungen ergibt sich am Ende eine passende Auflösung für alle offenen Fragen; die Idee für den Roman gefällt mir sehr gut, die Umsetzung ist leider diesmal nicht so gut gelungen wie bei „Der Sturm“.

Fazit: ein interessanter Spannungsroman über Schuld und Gesellschaftskonflikte, der nach einem eher langatmigen Beginn erst nach und nach an Spannung zulegt und ein überraschendes Ende bereithält.