Profilbild von cosmea

cosmea

Lesejury Star
offline

cosmea ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit cosmea über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 23.04.2024

Mordermittlung in Zeiten des Lockdown

Die Gabe der Lüge
0


Im neuesten Roman von Val McDermid ermittelt Karen Pirie aus der Abteilung für Cold Cases in Edinburgh in einem ungeklärten Vermisstenfall, nachdem eine Bibliothekarin im Nachlass des kürzlich verstorbenen ...


Im neuesten Roman von Val McDermid ermittelt Karen Pirie aus der Abteilung für Cold Cases in Edinburgh in einem ungeklärten Vermisstenfall, nachdem eine Bibliothekarin im Nachlass des kürzlich verstorbenen Krimiautors Jake Stein ein unvollständiges Manuskript gefunden hat, das so eng an den Fall der verschwundenen Studentin Lara Hardie angelehnt ist, dass es wie die Vorlage für ein Verbrechen wirkt. Die fiktiven Krimiautoren Jamie Cobain und Rob Thomas entsprechen Jake Stein und seinem Rivalen und Schachpartner Ross McEwan, der ebenfalls eine Affaire mit der Frau des Kollegen hat. Während die Karriere des einst überaus erfolgreichen Autors Jake Stein nach einem öffentlichen Skandal bei einer Lesung beendet ist, geht es mit Rob Thomas steil aufwärts. Karen Pirie und ihr Team kommen erst nicht weiter mit den Ermittlungen, die durch den Lockdown 2020 entscheidend behindert werden, ist es doch eher unwahrscheinlich, dass Stein sich durch seinen Roman selbst belastet. Erst allmählich kommen weitere Details ans Licht und führen zu neuen Ermittlungsansätzen.
Neben der Mordermittlung spielen auch Karen Piries Beziehung zu dem Unternehmer Hamish Mackenzie nach dem Tod ihres geliebten Partners, das Schicksals des geflohenen Syrers Rafiq und vor allem die tiefgreifende Veränderung der Lebensumstände der Menschen durch die Corona-Pandemie und den Lockdown im April 2020 eine zentrale Rolle. Mir hat der umfangreiche, wenn auch trotz etlicher Handlungsumschwünge nicht durchgängig spannende Roman mit seiner sorgfältigen Charakterzeichnung und guten sprachlichen Qualität gefallen. Raffiniert ist die komplexe Handlungsstruktur mit dem Roman im Roman, in dem fiktive Figuren die in der Welt der „realen“ Geschichte existierenden spiegeln. Val McDermid bleibt für mich eine sehr empfehlenswerte Autorin.

Veröffentlicht am 07.04.2024

Bretonische Schicksale

Der Sommer, in dem alles begann
0


In einem kleinen Dorf im Landesinneren lebt Hélène, 16 mit ihrer Familie. Sie ist in Yannick verliebt, der schon die gemeinsame Zukunft plant und sich aktiv für den Erhalt der bretonischen Sprache und ...


In einem kleinen Dorf im Landesinneren lebt Hélène, 16 mit ihrer Familie. Sie ist in Yannick verliebt, der schon die gemeinsame Zukunft plant und sich aktiv für den Erhalt der bretonischen Sprache und Kultur einsetzt. Dann zieht Marguerite mit ihrem Mann, einem erfolgreichen Schriftsteller, der aktuell an einer Schreibblockade leidet, von Paris in das Dorf. Sie übernimmt eine Vertretungsstelle als Lehrerin, und nichts ist mehr, wie es war. Die Dorfgemeinschaft will keine Veränderungen und lehnt die Neuankömmlinge schroff ab. Marguerite fördert die begabte Hélène und ermutigt sie, ein anderes Leben ins Auge zu fassen und nicht einfach dem vorgegebenen Weg zu folgen. Im Dorf machen bald schon Klatsch und Tratsch den beiden Familien das Leben schwer, und alles steuert auf einen tragischen Ausgang hin.
Die Geschichte erstreckt sich von 1944 bis zur Gegenwart und verbindet drei Generationen von Frauen, die von Hélènes Großmutter Alexine und der bösen alten Krämerwitwe Tanguy über Hélènes Mutter mit dem schwerkranken Ehemann bis zu Hélène und ihren Altersgenossen. Es wird gezeigt, dass die Zeit der deutschen Besetzung noch immer nachwirkt und es Geheimnisse gibt, an die nicht gerührt werden soll. Die Witwe Tanguy ging einst als Waisenmädchen nach Paris, wurde von ihrem Arbeitgeber vergewaltigt und bekam ihr neugeborenes Kind, das angeblich nach wenigen Stunden gestorben war, nie mehr zu sehen. Marguerite dagegen ist auf der Suche nach ihrer Mutter, die sie in der Bretagne vermutet.
Der Roman beginnt mit zwei Beerdigungen - von Hélènes Vater und von Marguerite. Wie es dazu kam und wie alles zusammenhängt, erfährt der Leser im Verlauf dieses interessanten, auch sprachlich sehr gelungenen Bildungsromans. Eine lohnende Entdeckung für mich.

Veröffentlicht am 07.04.2024

Eine Familie in der Krise

Sommerhaus am See
0


Lisa und Richard Starling machen mit ihren Söhnen und deren Lebenspartnern ein letztes Mal Urlaub im Haus der Familie am Lake Christopher in North Carolina. Ehefrau Lisa will die Immobilie unbedingt verkaufen, ...


Lisa und Richard Starling machen mit ihren Söhnen und deren Lebenspartnern ein letztes Mal Urlaub im Haus der Familie am Lake Christopher in North Carolina. Ehefrau Lisa will die Immobilie unbedingt verkaufen, um in jeder Hinsicht einen Neuanfang zu machen. Die Ehe befindet sich nach Richards Seitensprung in der Krise, und die Eheleute werden in Kürze in den Ruhestand gehen und sich wahrscheinlich in Florida niederlassen. Dann werden sie Zeugen, als ein kleiner Junge im See ertrinkt. Sohn Michael versucht vergeblich, das Kind zu retten. Nach diesem Ereignis bricht alles auseinander, und Lügen und Geheimnisse, alle Arten von verdrängten Problemen kommen mit einem Mal ans Licht. Der ältere Sohn Michael ist Alkoholiker und hoch verschuldet. Auch seine Ehe gerät in die Krise, weil seine Frau Diane schwanger ist, obwohl sich die Eheleute auf Kinderlosigkeit geeinigt hatten. Der jüngere Sohn Thad ist suizidgefährdet, muss dauerhaft Psychopharmaka einnehmen und ist außerdem drogenabhängig. Er lässt sich von seinem Partner Jake, einem reichen, sehr erfolgreichen Maler aushalten. Auch diese Beziehung erlebt eine Krise, denn Thad kann sich nicht damit abfinden, dass Jake ein monogames Leben verweigert. Im Übrigen steckt auch Jake in einer Schaffenskrise und hat seit sechs Monaten nichts mehr gemalt. Endlich sind die Familienmitglieder bereit, sich den anderen zu öffnen und über alle Probleme zu sprechen. Als schockierendes Fehlverhalten kommt dabei auch ans Licht, dass ein Familienmitglied Donald Trump gewählt hat... Am Ende ist alles gesagt, und sie können einen Neuanfang wagen.
Diese Familiengeschichte ist jetzt nicht umwerfend neu und frei von Klischees, aber sie liest sich gut, und mancher Leser wird eigene Schwierigkeiten mit den Mitmenschen darin wiedererkennen. Mir hat der Roman auch sprachlich gut gefallen. Als Debütroman ist er wirklich erstaunlich gelungen.

Veröffentlicht am 24.03.2024

Wiedersehen mit Tabor Süden

Lichtjahre im Dunkel
0


In München verschwindet eines Tages Leo Ahorn, der Besitzer eines Schreibwarenladens spurlos. Seine Frau erfindet im Bekanntenkreis Lügengeschichten, um die Abwesenheit ihres Mannes zu erklären. Sie will ...


In München verschwindet eines Tages Leo Ahorn, der Besitzer eines Schreibwarenladens spurlos. Seine Frau erfindet im Bekanntenkreis Lügengeschichten, um die Abwesenheit ihres Mannes zu erklären. Sie will auf keinen Fall die Polizei einschalten und engagiert schließlich Privatdetektiv Tabor Süden, der vor allem die Ehefrau und die Stammgäste von Leos Lieblingskneipe befragt – lange ohne jeden Erfolg. Dann wird im Kofferraum eines teuren Autos eine männliche Leiche gefunden. Die Polizei ermittelt nun ebenfalls, und für den Leser gibt es eine Wiederbegegnung mit Oberkommissarin Fariza Nasri. Die Ehe der Ahorns war praktisch beendet, und der Laden stand kurz vor der Pleite. Leo hatte eine neue Geschäftsidee und suchte vor seinem Verschwinden unter den Kneipenbekanntschaften verzweifelt nach einem Geldgeber, vergeblich. Er wurde dort stark angetrunken bei seiner Bettelei oft so laut und aggressiv, dass die Angestellte Britta ihn vor die Tür setzen musste.
Im Laufe des Romans wird die Verbindung der Schicksale von vier Menschen immer deutlicher. Dazu gehört auch der Berliner Sandro Fels aus dem Rotlichtmilieu, der Leo und den Umzugsunternehmer Georg Kramer tagelang in München beobachtet. Wie die Schicksale dieser Männer und der Ehefrau Viola Ahorn zusammenhängen, wird im letzten Drittel des Romans enthüllt und schafft die einzigen Spannungsmomente in diesem Roman, der zu Recht auf dem Cover nicht als Krimi bezeichnet wird. Das reicht mir nicht. Mir war die Darstellung insgesamt zu breit und handlungsarm. Da kann auch die kurz beschriebene Liebesbeziehung zwischen Tabor Süden und Fariza Nasri nichts mehr retten. Ich kenne viele Romane des Autors, die mir wesentlich besser gefallen haben. Insofern war Anis neues Werk für mich eine Enttäuschung.

Veröffentlicht am 24.03.2024

Ein Leben zwischen zwei Welten

Issa
0

Issa, eine junge Frau, die die ersten Jahre ihrer Kindheit in Kamerun verbrachte, dann aber mit der Mutter nach Hessen zog, befindet sich im Flugzeug nach Douala. Sie ist schwanger, und sowohl Mutter und ...

Issa, eine junge Frau, die die ersten Jahre ihrer Kindheit in Kamerun verbrachte, dann aber mit der Mutter nach Hessen zog, befindet sich im Flugzeug nach Douala. Sie ist schwanger, und sowohl Mutter und Tochter hatten unheilverkündende Träume, die ihren Tod bei der Geburt bedeuten könnten. Deshalb drängt die Mutter Issa, in der alten Heimat die traditionellen Rituale durchführen zu lassen, die ein gesundes Kind und das eigene Überleben sichern. Issa ist damit einverstanden, weil sie Abstand von ihrem bisherigen Leben und eine Auszeit für die kriselnde Beziehung mit ihrem Freund braucht. Am Ort ihrer Kindheit trifft sie unzählige Verwandte, vor allem ihre Großmutter Namondo und ihre Urgroßmutter Marijoh. Sie vollzieht die Rituale und geht als ein anderer Mensch daraus hervor. Sie lernt, dass sie sich nicht für ein Land und eine Familie entscheiden muss, dass sie, ein Recht auf ein gutes Leben in Freiheit hat. Sie sieht sich als Fortsetzung einer langen Reihe von Müttern und ist überzeugt, dass alle in ihr weiterleben und sie ihr Erbe an das eigene Kind weitergibt.
Diese Erkenntnis spiegelt die Struktur des Romans, denn die Geschichte umfasst einen Zeitraum von gut 100 Jahren – 1903-2006 – und schildert das Leben von fünf Generationen von Frauen, die viel Leid und Gewalt erfahren haben. Frauen waren machtlos in patriarchalischen Gesellschaften, wurden geprügelt und vergewaltigt, wie es Urgroßmutter Enanga durch den Deutschen Wilhelm widerfuhr, die fast noch ein Kind war, als sie geschwängert und später vom eigenen Vater vertrieben wurde, weil sie der Familie angeblich Unglück brachte. Das soziale Gefüge mit Polygamie und Patriarchat spielt eine wichtige Rolle genauso wie die politischen Verhältnisse in der Kolonialzeit, während der Weltkriege und danach, gekennzeichnet durch unvorstellbare Gewalt und immer noch andauernde Ausbeutung. Ich habe diesen interessanten Roman mit dem wunderschönen, sehr passenden Cover sehr gern gelesen und empfehle ihn ohne Einschränkung.