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Veröffentlicht am 14.03.2023

Der legendäre DDR-Roman, der die »Ankunftsliteratur« begründete

Ankunft im Alltag
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1961 erschien dieser Roman, der von drei Abiturienten erzählt, die vor ihrem Studium ein Jahr im Kombinat »Schwarze Pumpe« arbeiten. So unterschiedlich ihr Background ist, so verschieden sind auch ihre ...

1961 erschien dieser Roman, der von drei Abiturienten erzählt, die vor ihrem Studium ein Jahr im Kombinat »Schwarze Pumpe« arbeiten. So unterschiedlich ihr Background ist, so verschieden sind auch ihre Beweggründe, dieses praktische Jahr zu absolvieren. Recha wuchs in einem Kinderheim auf, nachdem ihre jüdische Mutter von den Nazis hingerichtet wurde, ihren Vater kennt sie kaum. Curt »mit C« kommt aus einer wohlhabenden Familie, sein Vater ist oft abwesend, die Mutter möchte gern zur Oberschicht gehören, Geldsorgen kennt Curt nicht. Nikolaus’ Vater, ein alter Sozialdemokrat, besteht darauf, seinem Sohn all das zu ermöglichen, wozu er selbst keine Chance hatte. Letztlich sollen sich die drei aber ihre Hörner abstoßen, um das harte Arbeitsleben kennenzulernen. Sie begegnen sich am allerersten Tag an der Bushaltestelle, und beide Jungs verlieben in das »Mahagonimädchen« mit den »ägyptischen Augen«. Recha kann sich mit ihren 17 Jahren für keinen entscheiden, Nikolaus ist ihr zu schwerfällig, Curt zu selbstverliebt.
Ihre Bühne ist die „modernsten Brikettbude von ganz Europa“, ein Braunkohlewerk, das in nur vier Jahren aus dem Boden gestampft wurde. Der Arbeitsalltag ist hart, die Männer sind ruppig, derb aber echte Kumpels. Reimann schafft es, eine genaue Stimmung von der Riesenbaustelle zu schaffen. Ich spürte regelrecht den matschigen Boden, hörte die lauten Maschinen, aber spürte auch die Emotionen der Figuren. Die Autorin lässt uns hinter deren Fassade blicken, zeigt uns ihre Lebensumstände, ihren harten Job, ihren Willen, sich auch im Alter noch fortzubilden. Ihr Brigadeführer Hamann schafft es immer wieder, die Truppe zusammenzuhalten, Außenseiter zu integrieren, sie zu Sonderschichten zu motivieren. Keine leichte Aufgabe, wenn man bedenkt, dass die DDR-Wirtschaft in den 60ern noch stark vom Westen abhängig war und Materialknappheit an der Tagesordnung war.

Thematisiert hinter der Liebesgeschichte, die typisch für das Alter reichlich verwirrt erscheint, ist aber der Aufbau des Sozialismus. Ich finde, das ist Reimann in allen Facetten gelungen, auch Kritik an vielen Stellen anzubringen, die man heute sicher anders bewertet als damals. Sicher war das Ziel, eine neue, junge Generation heranzuziehen, die sich für die Gemeinschaft einsetzt, ihr eigenes Streben unterordnet zum Wohl aller. Doch gerade an den einzelnen Figuren sieht man, dass die einen für mehr Prämien schuften und die anderen den Sinn der Gemeinschaft längst erkannt haben. Eine großartige Charakterstudie und ein brillantes Zeitzeugnis, das alle begeistern wird, die sich für die DDR-Geschichte interessieren.
Im Gegensatz zu »Die Geschwister«, das ja ein Highlight für mich war, habe ich hier ein paar Kritikpunkte. Reimann experimentiert hier mit der Perspektive, sie springt oft vom personalen zum allwissenden Erzähler, um die Hintergründe der Charaktere für den Leser sichtbar zu machen, was mich aber in keiner Weise gestört hat. Allerdings lässt sie die Figuren reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Das verdeutlicht natürlich die Herkunft und den oft rauen Umgang der Arbeiter untereinander, war aber mit der Zeit sehr ermüdend. Damit bleibt dieses Buch hinter ihren Tagebüchern und »Die Geschwister« etwas zurück.

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Veröffentlicht am 14.03.2023

Was wird alles an die Oberfläche kommen?

Fische, die in Sonnensprenkeln schwimmen
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Sonnensprenkel, ein Wort, das im Deutschen unbekannt ist, aber es ist die wohl einfachste Übersetzung des japanischen Worts Komorebi – es beschreibt Sonnenlicht, das durchs Blätterwerk der Bäume fällt.

»Immer ...

Sonnensprenkel, ein Wort, das im Deutschen unbekannt ist, aber es ist die wohl einfachste Übersetzung des japanischen Worts Komorebi – es beschreibt Sonnenlicht, das durchs Blätterwerk der Bäume fällt.

»Immer wenn sich seine Augen so weit entfernen, sehe ich das Sonnenlicht durch die Bäume flimmern. Fragmente der unterdrückten Emotionen und Sehnsüchte, die wir nicht in Worte fassen können, kreuzen einander für einen Augenblick im flackernden Licht, wie Schatten.« S. 86

Eine Geschichte jeglicher Kulisse beraubt, die sowohl den Leser aus auch die Protagonisten vom Eigentlichen ablenken würde. Eine Frau, ein Mann, eine leere Wohnung, das Ende einer Beziehung, von der nichts übrigblieb. Wirklich nichts?
Hiro und Aki haben sich aneinander aufgerieben, jetzt bezichtigen sie sich sogar gegenseitig, für den Tod ihres Bergführers vor einem Jahr verantwortlich zu sein. Jeder für sich glaubt, die Nacht nicht zu überleben.
Die beklemmende Atmosphäre, ausgelöst durch das gegenseitige Belauern, wird durch die Erzählstruktur immer mehr verdichtet. Onda hat sich für die Ich-Perspektive der beiden entschieden, die sich Kapitel für Kapitel abwechselt. Als Leser möchte man nicht verpassen, die richtigen Gedanken zu erfahren, um den Mörder zu entlarven. Man ist hin und her gerissen, deckt schon bald die eine oder andere Lüge auf, Widersprüche werden sichtbar. Jeder scheint sich seine Worte genaustens zu überlegen. Das Geheimnis aber ist die Beziehung der beiden, darin liegt auch die Auflösung des Buchs. Schon früh im Buch beschert uns Onda eine entscheidende Wendung, kurz darauf eine neue Entdeckung, die vieles in ein anderes Licht rückt. Hier entwickelt sich ein sogartiger Thrill.

Eine Charakterisierung der Figuren erfolgt ausschließlich über die Gedanken der beiden, die zum Teil widersprüchlich sind, manchmal voller Zuneigung, dann wieder von Eifersucht und Misstrauen geprägt. Die nicht ausgesprochenen Sehnsüchte und Einsichten wandeln sich je nach »Lichteinfall der diffusen Sonnenstrahlen«. Zufällige Gesten oder Geräusche lösen verdrängte Erinnerungen an das Ereignis vor einem Jahr aus, die sich wie ein Puzzle nach und nach zu einem Gesamtbild zusammensetzen. Am Ende hat man ein Gefühl dafür, warum diese Beziehung gescheitert ist. Der innere Kampf, loszulassen, sich etwas Neuem zuzuwenden – oder vielleicht doch nicht? Das Wissen um den schmerzhaften Verlust, den Mut, eine unbewältigte Vergangenheit aufzuarbeiten, die für alle Beteiligten Überraschungen bereithält. Kann es die eine Wahrheit geben, wo doch die Wahrnehmungen unterschiedlich und individuell sind?
Nicht für alles wird uns Onda einen Beweis erbringen, einiges bleibt an Vermutungen zurück, die sich jeder selbst durchdenken kann.
Ich mochte Ondas Schreibstil, der ruhig und entschleunigend war. Ebenso die Gedankenspiele von Hiro und Aki, die reduzierte Kulisse, im Gegensatz zu den Rückblicken vor einem Jahr, die detailliert und bildhaft geschrieben waren.
Eine Empfehlung für alle, denen lose Enden liegen und die gern in fremden und eigenen Gedankenwelten versinken.

»Drei Menschen blicken vom Grund des Wassers hinauf zum Licht der Oberfläche. Ihre Augen sind von unschuldiger Sehnsucht erfüllt. Sie blicken schweigend auf die ferne Wasseroberfläche, die sie nie berühren, und auf das Licht, das sie nie erreichen können. Ihre Zukunft, die nie eintreffen wird.« S.231

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Veröffentlicht am 12.03.2023

Leichte Unterhaltung ohne Tiefgang

Ginsterhöhe
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Im Mittelpunkt des historischen Romans steht das reale Dorf Wollseifen in der Eifel. Die Geschichte spielt 1919 – 1949. Albert Lintermann kehrt 1919 mit einer schweren Kriegsverletzung zurück, weshalb ...

Im Mittelpunkt des historischen Romans steht das reale Dorf Wollseifen in der Eifel. Die Geschichte spielt 1919 – 1949. Albert Lintermann kehrt 1919 mit einer schweren Kriegsverletzung zurück, weshalb sich seine Frau von ihm abwendet. Trotz 2 weiterer Kinder bleibt die Ehe schwierig. Leni, die Verlobte von Alberts Freund Henning, der im Krieg gefallen ist, heiratet Meller, der später Mitglied der NSDAP wird. In der Nähe von Wollseifen wird von den Nazis eine Schulungsstätte gebaut, so dass das Dorf im 2. WK zur Zielscheibe wird.

Aufgrund der ersten positiven Rezensionen habe ich mich sehr auf das Buch gefreut. Ich finde die Idee der Autorin sehr gut, die Geschichte eines Dorfes aufzuzeichnen, das sonst in Vergessenheit geraten wäre. Dabei hält sich an belegbare Fakten, hat etliche Interviews geführt und gibt dem ganzen einen spürbaren Zeitgeist.
Leider blieb die Geschichte weit hinter meinen Erwartungen zurück, auch hinter den Eindrücken vom Klappentext. Betrachtet man die Zeitspanne, war das sicher eine der bewegtesten Zeiten in Deutschland. Aber ich konnte weder die Schrecken und Folgen des 1.WKs spüren, noch die Auswirkungen der Inflation oder die aufkommende Bedrohung durch den Nationalsozialismus. All das war begraben unter den, für meinen Geschmack, zu detailliert geschilderten Alltagssituationen der Dorfbewohner. Es mögen sicher die Probleme eines jeden Dorfes in der Zeit gewesen sein, ob man sich nun einen stinkenden Traktor anschafft oder Wasserleitungen zulegt. Aber echte Nöte und Sorgen durch die gesellschaftlichen Umwälzungen waren für mich nicht spürbar.

Gut geschildert war der Zusammenhalt der Dorfbewohner, die sich gegenseitig eine große Stütze waren. Die Figuren selbst fand ich oft stereotyp, farblos und oberflächlich, außer Meller, der Nazi, der war für mich die am besten ausgearbeitete Figur, wenn auch etwas einseitig. Aufgrund der leichten Sprache ließ sich das Buch zu Beginn schnell weglesen. Dann allerdings wechselten unzuverlässig die Perspektiven, so dass nicht immer klar war, aus wessen Sicht nun geschrieben wurde. Mal mitten im Kapitel, aber auch mitten im Absatz. Das war für mich teils nur noch ein Wirrwarr. Etwas Spannung kam dann im 2. Teil auf, als die NS die Schulungsstätte gebaut hat und die Stimmung im Dorf deutlich zwiegespalten war.
Ich denke, die Geschichte hätte großes Potenzial gehabt. Für mich war’s nichts, zu oberflächlich, zu seicht, zu emotionslos. Aber ich bin sicher nur die falsche Zielgruppe, das Buch wird seine Liebhaber finden. Meinen Ansprüchen hat es nicht genügt.

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Veröffentlicht am 12.03.2023

Nesbo in Höchstform

Blutmond (Ein Harry-Hole-Krimi 13)
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Während Harry in LA sein Leben mit Whiskey runterspült, werden in Oslo die Leichen zweier Frauen gefunden. Die Polizei hat keinerlei Spuren und Katrine Bratt weiß, dass nur Harry Hole den Fall lösen kann. ...

Während Harry in LA sein Leben mit Whiskey runterspült, werden in Oslo die Leichen zweier Frauen gefunden. Die Polizei hat keinerlei Spuren und Katrine Bratt weiß, dass nur Harry Hole den Fall lösen kann. Doch ihre Vorgesetzten wollen davon nichts wissen. Schließlich ist er wegen einiger Verfehlungen aus dem Polizeidienst ausgeschieden, worüber die meisten froh sind.
Der Immobilienmakler Røed, der die jungen Frauen kannte, steht unter dringendem Tatverdacht. Die Gerüchteküche brodelt, Deals platzen aus Angst, er könne etwas mit dem Tod der Frauen zu tun haben. Was er jetzt braucht, ist ein genialer Privatermittler, der seine Weste wieder weiß wäscht. Er heuert Hole für ein Vermögen an, der das Geld gut brauchen kann. Schließlich muss er einer Freundin helfen und seinen eigenen Kopf aus der Schlinge ziehen. Dafür hat er aber nur wenige Tage Zeit – bis der Blutmond über Oslo aufzieht.

Als ich vor vielen Jahren den ersten Harry-Hole-Band gelesen habe, dachte ich, was für ein abgewrackter Ermittler – unkonventionell, stachlig, ein Außenseiter mit brillanten Verstand. Doch er ist mir schnell ans Herz gewachsen. Inzwischen ist es, als würde ich einen alten Freund wiedertreffen, einer, bei dem man nie weiß, wann er wieder abstürzt und welches grausame Schicksal ihn diesmal ereilt. Nesbø versteht es, seine Figuren so tief und authentisch zu zeichnen, wie kein zweiter. Die gute Nachricht für alle, die die Reihe noch nicht kennen, man kann Blutmond auch ohne Vorkenntnisse lesen, da Nesbø es geschickt versteht, Vergangenes in die aktuelle Handlung einzuflechten. Um aber die ganze Tiefe der Entwicklung Holes zu verstehen, kann ich nur jedem empfehlen, die Reihe von Beginn an zu lesen. Nur so kann man die Sympathie zu dem genialsten Säufer und Ermittler Norwegens aufbauen.

Mein letztes Rendezvous mit Harry ist 3 Jahre her und ich war gespannt, wie er mit dem letzten Schicksalsschlag fertig wurde, denn seitdem führt er ein Leben am Abgrund. Wir begegnen auch hier wieder vielen alten Weggefährten und Widersachern Holes. Die ihn lieben, wissen, dass seine Nähe nicht guttut. Die anderen fürchte ihn. Ich möchte hier gar nicht viel sagen, denn die Gefahr besteht, dass ich spoilern könnte.
Für mich war es ein Nesbø in Höchstform. 540 Seiten, auf denen es mir nicht ein Mal langweilig wurde. Typisch für die Reihe – wir erfahren sehr früh, wer der Täter ist, ohne dessen Identität zu kennen. Die Spannung verdichtet sich zunehmend, weil man wissen will, wie und wann Hole hinter das kommt, was wir Leser schon wissen – und diesmal hat es Nesbø uns echt nicht leicht gemacht. Eine derart komplexe Story, die, ohne zu verwirren, bis kurz vor Ende undurchsichtig bleibt. Keine Chance, auch nur ansatzweise hinter die Lösung zu kommen. Außerdem haben wir es hier mit einer Mordmethode zu tun, die ich grandios finde und so noch nie gelesen habe. Und alles, was es dazu als Hintergrundinformationen braucht, wird hier fast spielerisch in die Geschichte eingebunden. Etwas, das ich schon oft an anderen Autoren kritisiert habe. Chapeau Herr Nesbø. Reden wir gar nicht über die geschickt platzierten 180-Grad-Wendungen, die mich alle hinters Licht geführt haben. Und wenn man am Ende endlich aufatmen will, haut er uns noch einen Cliffhanger vor die Füße, der sich gewaschen hat.
Wer eine Reihe mit Tiefgang sucht, ist hier absolut richtig. Nesbø nicht zu kennen, ist fast schon eine Bildungslücke für Thrillerleser. Und mit Blutmond habe ich mein Jahreshighlight definitiv gefunden.

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Veröffentlicht am 12.03.2023

Meisterhafter Thriller über die Dekadenz und Gräueltaten der Nazis

Die marmornen Träume
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In seinem historischen Thriller begleiten wir drei Protagonisten durchs Dritte Reich kurz vor Kriegsbeginn. Simon Kraus, ein brillanter Psychotherapeut und Traumforscher, genießt alle Annehmlichkeiten, ...

In seinem historischen Thriller begleiten wir drei Protagonisten durchs Dritte Reich kurz vor Kriegsbeginn. Simon Kraus, ein brillanter Psychotherapeut und Traumforscher, genießt alle Annehmlichkeiten, die er kriegen kann. Er hat keine Skrupel, sich in einer Wohnung von enteigneten Juden mondän einzurichten. Ein Gigolo, der sich mit seinen Patientinnen einlässt, die allesamt die Ehefrauen hochrangiger Nazis sind. Und genau damit erpresst er sie.
Franz Beewen, Hauptsturmführer bei der Gestapo, ein Schläger, zerfressen von Hass, will um jeden Preis an die Kriegsfront, muss aber die Morde einiger Frauen aufklären, die grausam verstümmelt wurden. Ausgerechnet die Frauen, mit denen Kraus ein Verhältnis hatte. Alle hatten von dem Marmormann geträumt.
Minna von Hassel, die Leiterin der psychiatrischen Anstalt in Brangbo, in der Beewens Vater dahinvegetiert. Sie muss mit ansehen, wie ihre Klinik abgefackelt wird, weils sich die Deutschen aller Geisteskranken entledigen wollen.
Zusammen versuchen die drei, den Mörder ausfindig zu machen und geraten immer tiefer in die Maschinerie der Nazis. Im Laufe der Geschichte erleben sie, dass ihr vermeintlich sicheres Leben am seidenen Faden hängt.

Wer Grangé liest, weiß, dass man sich auf gewisse Längen einstellen muss. Er geht immer wieder ins Detail, auch bei seinen grausamen Morden. Ein paar Kürzungen hätten hier aber sicher nicht geschadet. Dafür hat er mit seinen Figuren umso mehr geglänzt, die zu Beginn reichlich unsympathisch sind, sich im Laufe der Geschichte aber immer mehr dem Leser von ihrer wahren, verletzlichen Seite zeigen. Mit Berlin als Schauplatz stürzt Grangé die Leser mitten ins Herz des Nationalsozialismus und zeichnet einige schaurige Szenen.

Er vermag es, die Stimmung, die zu Kriegsbeginn herrschte, gut einzufangen. Ob nun die grausamen Taten, die abartige Ideologie der Nazis oder die verbreitete Meinung, der Krieg sei eh bald vorbei. Zum Beispiel die Damen der hochrangigen Nazis, die jeden Nachmittag ausgelassen im Adlon feiern und sich einen Dreck scheren, was um sie herum passiert.
Grangé erspart uns keine Einzelheiten, wenn es um den Umgang mit Roma, Geisteskranken, Homosexuellen oder Juden – also den sogenannten Untermenschen – geht. Immer wieder untermauert er die fiktiven Handlungen mit historischen Fakten. Nach und nach offenbart sich die Tiefe der Geschichte ebenso wie die Ängste der Protagonisten, die sich hinter deren Fassade verstecken.

Im Gegensatz zu seinen anderen Thrillern fehlte mir der mystische Moment, der für Grangé so typisch ist. Aufgrund des historischen Hintergrunds kann ich mir aber vorstellen, dass das Buch auch die Leser erreichen wird, die Grangé noch nicht kennen.

Zum Teil habe ich auch mit der Übersetzung gehadert, die nicht immer flüssig zu lesen war. Ich brauchte lange, bis ich mich darauf einstellen konnte. Ungebräuchliche Fremdwörter, ein paar niveaulose Ausdrücke, die nicht ganz zu der Figur passte, machten das ganze etwas sperrig. Doch irgendwann war der Sog der Geschichte so groß, dass ich drüber hinwegsehen konnte. Es war fast wie eine Spirale, die mich immer tiefer ins Dunkel der damaligen Zeit zog.

Um so mehr war ich begeistert von den zahlreichen Wendungen, die die Geschichte nahm. Auf den letzten 100 Seiten hat Grangé mich dann nicht mehr vom Haken gelassen und mich mit seiner Auflösung einmal mehr überrascht.

Grangé zählt zu Recht zu den größten Thrillerautoren Frankreichs und ist von den Bestsellerlisten nicht mehr wegzudenken. Ein Autor, dem eindeutig mehr Aufmerksamkeit in Deutschland geschenkt werden sollte.

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