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Veröffentlicht am 19.03.2022

Beste Unterhaltung!

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
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Der Journalist Alexander Landmann stößt kurz vor dem 30. Mauerfall in alten Stasi-Akten eine der spektakulärsten Massenflucht aus der DDR auf: In der Nacht von 12. Juli 1983, durch das Freischalten einer ...

Der Journalist Alexander Landmann stößt kurz vor dem 30. Mauerfall in alten Stasi-Akten eine der spektakulärsten Massenflucht aus der DDR auf: In der Nacht von 12. Juli 1983, durch das Freischalten einer Weiche, konnten 127 Menschen mit einer S-Bahn in den Westen gelangen. Landmann, der auf eine große Story hofft, macht sich auf den Weg aus Hamburg nach Berlin, um den damaligen Stellwerksmeister Michael Hartung zu suchen. Hartung, mittlerweile Besitzer von einer alten Videothek, lebt mehr schlecht als Recht in Ostberlin. Sein Leben plätschert vor sich hin. Er hat kein Kontakt mehr mit seiner Tochter, seine einzige Dauerkundin ist die Nachbarin Beate, die ständig Liebesfilme ausleiht und fürs kurze Austausch muss er einfach rüber zur Bernds Laden laufen und paar Bierflaschen kaufen. Seinetwegen kann er tagtäglich so leben, natürlich, wenn da keinen Mietschulden wäre. Hartung, der eigentlich ein schusseliger Bahnmitarbeiter war, versucht Landmann zu erklären, dass es alles nicht so war, wie in den Stasi-Akten stehen, aber Landmann lässt nicht locker und lockt Hartung mit Honorar aus seinen Komfortzonen heraus. Doch beide ahnen nicht, was für eine Lawine ein einziges Interview ins Rollen bringen kann...

„Vielleicht sollten wir damit aufhören, von den Ostdeutschen und von den Westdeutschen zu sprechen. Ich meine, was hat ein Hamburger mit einem Oberbayern zu tun? Und ein Mecklenburger mit einem Sachsen? Wir sollten aufhören, uns gegenseitig zu beschuldigen und zu belehren."

„Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ ist ein Unterhaltungsroman vom feinsten, welcher sein Leser*innen lauthals zum Lachen bringt, aber auch nachdenklich stimmt. War das Leben damals in der DDR wirklich so schlimm oder übertreiben wir etwas damit? Darf man heutzutage überhaupt glauben, was in den Nachrichten stehen? Warum sind wir nach 33 Jahren immer noch Ossis und Wessis? Maxim Leo, der selbst in der DDR aufgewachsen und nicht nur Autor, sondern preisgekrönter Journalist ist, greift auf diese Themen. Mit feinem Humor und scharf gespritzter Betrachtungsweise erzählt Leo über den damaligen DDR-Bürger, wie sie vor und nach dem Mauerfall leben. Er erzählt über, wie der Geld die Menschen sehr schnell manipulieren kann und kritisiert dabei die Regierung, damals aber auch heute, die nicht die ganze Wahrheiten preisgeben.

Ein Roman, der mit seiner leichten, humorvollen Sprache mich aus meinem Alltag abgeholt hat, um mir köstliche Lesestunden schenken. Sehr empfehlenswert!

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Veröffentlicht am 04.03.2022

Ein dünnes, dafür aber sehr intensives Büchlein. Wortgewaltig, poetisch, melancholisch

Blinder Spiegel
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Ohh Lui... wo soll ich mit dir anfangen hmm? Wusstest du, dass man bei einigen Glauben denkt, bevor ein Baby geboren wird, sein Schicksal auf seiner Stirn geschrieben bekommt? Und man so leben wird, wie ...

Ohh Lui... wo soll ich mit dir anfangen hmm? Wusstest du, dass man bei einigen Glauben denkt, bevor ein Baby geboren wird, sein Schicksal auf seiner Stirn geschrieben bekommt? Und man so leben wird, wie es einem schon ab dem ersten Herzschlag vorgeschrieben wurde? Dein Schicksal, lieber Lui, hat es mit dir nicht immer gut gemeint und von dir, ein mit Liebe erzeugtes Kind, einen ruhelosen Mann gemacht. Deine Rastlosigkeit ist wie die Grüne Punkte auf deinem Lotsen-Monitor, blinkende Flugzeuge, die immer weiter fliegen, um am Ende landen zu können. Auf welchem Hafen bist du denn gelandet, Lui?

Du hast mir über deinen letzten Lebensorten erzählt und ich weiß, dass du nirgendwo Halt findest. Umso mehr war ich glücklich, als du mir aus deiner Pariser Wohnung aus über in einem gelben Regenmantel gehüllter, Rotgestiefelter Jungen Frau berichtest hast. Doch deine Erzählungen waren düster sogar manchmal dunkel Grau und mir wurde klar, dass diese Farbtupfern auch was Verlorenes in sich haben. Ja Lui, ich habe Elle genauso ans Herz geschlossen wie dich. Mir war am Anfang schleierhaft wie eine verheiratete Frau so einfach auf eine Affäre stürzten konnte, aber je weiter ich deine Zeilen gelesen und fast all deine Sätze mit Gelb markiert hab, kann ich deine Gefühle nur mit deinen Worten zurückgeben: "Alle Gegenwart ohne die Gewichte der Vergangenheit ist so leicht und betörend wie ein Gas. Und doch ist sie ohne das Gestern zerbrechlich wie Glas."

Lieber Lui, glaub mir, ich habe mit dir und mit Elle geliebt, geweint, gelitten... Ich wünschte, ich wäre wie der Taxifahrer Boubou an Ort und Stelle, um euch zu helfen. Aber ich bin trotzdem mit euch zwischen den Grabsteinen geschlendert, hab buttrige frisch gebackene Crousountsduft geatmet und französischen Wein getrunken. Es war eine sehr kurze, dafür sehr intensive Reise. Danke für deine Zeile, lieber Lui. Au Revoir mein Freund...

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Veröffentlicht am 22.02.2022

Außergewöhnliches Setting, authentische Charaktere, originelle Story

Liebe beginnt, wo Pläne enden
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Kristin... Anfang vierzig, Ehefrau und Mutter von zweier Töchter. Eines Tages ganz zufällig, beim Brötchenholen, erfährt sie, dass ihr Mann Carsten eine Geliebte hat. Anstatt ihn zur Rede zustellen, behält ...

Kristin... Anfang vierzig, Ehefrau und Mutter von zweier Töchter. Eines Tages ganz zufällig, beim Brötchenholen, erfährt sie, dass ihr Mann Carsten eine Geliebte hat. Anstatt ihn zur Rede zustellen, behält Kristin ihr Geheimnis erstmals für sich und versucht sie sich sortieren. Doch als Carsten den heißersehnten Sommer/Familienurlaub wegen seiner Arbeit absagt, beschließt Kristin in kurzerhand, über die Sommerferien an dem Projekt teilzunehmen, welches ihr bester Freund auf den Beinen gestellt hat. „Gelebte Geschichte“ heißt das Konzept, in dem Kristin mit ihren Töchtern Liv und Maja 6 Wochen in ein Freilichtmuseum verbringen möchten. 6 Wochenlang leben wie in 18. Jahrhundert. Ohne technischen Hilfsmitteln, kein fließendes Wasser, kratzigen Klamotten, körperliche harte Arbeit und ein Bauernhaus aus dem Jahr, in dem vier völlig fremde Menschen und vier Kindern zusammen leben müssen. Eine buntgemischte Gruppe, die auf den ersten Blick gar nicht zusammen passen, aber trotzdem zusammenhalten. Bis nach paar Tagen einer neuer dazu kommt. Ein charmanter Mann, der Kristins Vorhaben durcheinanderbringt...

Wer hier durch das Cover und wegen dem Titel eine rosa-rote Liebesgeschichte erwartet, muss ich leider denjenigen enttäuschen. Klar, geht es auch um Liebe, allerdings sehr dezent und genau auf dem richtigen Ton, wie man es halt von einer 42-Jährigen Mutter erwartet. Die Autorin hat eher viele tiefgründige Themen, wie unsere Konsumverhalten, Eheleben aus verschiedenen Aspekten, Pubertät, Homosexualität etc. gegriffen, welche mich beim lesen sehr nachdenklich gemacht hatten. Mit ihren facettenreichen Charakteren, nimmt Poppe sehr authentisch und originell ihre Leser*innen in ein Freilichtmuseum mit, veranstaltet nicht nur eine Zeitreise mit denen, sondern lässt bei all dem teilnehmen. Ihr Schreibstil ist leicht, sodass ich ohne Verständnisprobleme zwischen den Seiten fliegen konnte und ihre Erzählstimme trifft genau mein Humor. Ich habe das Buch teilweise unter Lachkrämpfe gelesen!

Es ist ein lebendiger Unterhaltungsroman mit vielschichtigen Figuren und außergewöhnliches Setting. Wer eine humorvolle, aber tiefgründige Geschichte sucht, ist hier genau richtig.

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Veröffentlicht am 07.02.2022

Die Mutter

Die Tochter
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Die namenlose Protagonistin ist ca. 60 Jahre alt, nach einer pragmatischen Ehe verwitwet, hat eine Mitte dreißig jährige Tochter und arbeitet in einem privaten Pflegehaus als Altesspflegerin. Sie lebt ...

Die namenlose Protagonistin ist ca. 60 Jahre alt, nach einer pragmatischen Ehe verwitwet, hat eine Mitte dreißig jährige Tochter und arbeitet in einem privaten Pflegehaus als Altesspflegerin. Sie lebt ein ruhiges, unscheinbares Leben, hat ein Haus mit Mietwohnungen, welche die seit dem Tod von ihrem Mann heruntergekommen sind und sie mehr oder minder mit den Mieteinahnen und mit ihrem Gehalt bei den hohen Reparaturkosten durch die runden kommen versucht. Doch letzte Zeit hadert sie nicht nur mit ihren durch ihr Alter erzeugte körperliche Schmerzen und unmenschliche Situationen bei der Arbeit, sondern auch mit ihrer Tochter. Denn in den Gedanken der Mutter, ist ihre Tochter gerade noch heiratsfähig und muss dringend Kinder erzeugen, bevor es zu spät ist. Doch die Tochter ist Homosexuell, liebt und lebt seit 7-Jahren mit ihrer Freundin. Eine Tatsache über die Mutter in allen Kräften verweigert zu verstehen. Als die Tochter finanziell in die Sackgasse landet und sie mit ihrer Lebensgefährtin ins Elternhaus einzieht, sind die Konflikte vorprogrammiert...

Sehr nüchtern, unglaublich authentisch und genauso ehrlich erzählt die südkoreanische Autorin Kim Hye-Jin in ihrem Roman „Die Tochter“ über Generationskonflikte und übt dabei harte Gesellschaftskritik. Man taucht eiskalt in den Gedanken von einer queerfeindlichen Mutter ein, im Begleitung von Entsetzung, Wut und Sprachlosigkeit. Dabei sehr geschickt, ungeschönt und nahtlos verbindet die Autorin die Arbeitssituation der Mutter mit ihrem Privatleben. 170 Seitenlang ein Auf und Ab der Gefühle. Großartiges Werk, dass es mich traurig, nachdenklich, dennoch hoffnungsvoll zurückgelassen hat.

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Veröffentlicht am 02.02.2022

Vielschichtig, traurig, berührend

Erschütterung
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Zach Wells... Paläontologe, Geologe, Ehemann, Vater, Dozent. Ein kauziger Mann, der vieles über Fossilen, Knochen und Höhlen weiß, aber keine Gefühle zeigen kann. Sein Leben plätschert zwischen Expeditionen, ...

Zach Wells... Paläontologe, Geologe, Ehemann, Vater, Dozent. Ein kauziger Mann, der vieles über Fossilen, Knochen und Höhlen weiß, aber keine Gefühle zeigen kann. Sein Leben plätschert zwischen Expeditionen, Uni und sein Haus her. Bis seine 12-jährige Tochter Sarah eine tödliche Diagnose erhält und er auf einer Ebay ersteigerten, gebrauchten Jacke eine geheime Nachricht, ein Hilferuf fand...

Der Pulitzer-Preis-Finalist Percival Everett hat ein Roman erschaffen, dass einen beim Lesen wortwörtlich erschüttert. Im Mittelpunkt der Geschichte steht Zach. Er ist einer der wenigen schwarzen Dozenten auf seiner Uni, misstraut fast jeden und verhält sich so weit wie möglich zurückhaltend. Obwohl er seine Frau vom ganzen Herzen liebt, sein Ehe ist für ihn mit der Jahre eine Routine geworden. Allein und einzig gibt seine Tochter ihn Lebensglück. Er unternimmt mit ihr lange Spaziergänge in der Natur und genießt besonders die tägliche Schachpartie. Doch als Sarah die Batten-Syndrom Diagnose erhält, verliert er auch sein Halt im Leben. Was Zach und seine Frau dadurch erleben müssten, war für mich als Mutter tief ergreifend. Deren Angst und Hilfslosigkeit haben mich so sehr mitgenommen, sodass ich mit der kleine Familie gelitten hab.

Obwohl die Geschichte bildhaft aber auch sehr nüchtern erzählt wurde und das Buch mit seinen 288 Seiten thematisch sehr breit war und ich mir ein anderes Ende gewünscht habe, -ich habe gelesen „Erschütterung“ in der USA mit drei verschiedenen Enden erschienen ist- nichtsdestotrotz ist es einer der bewegendsten, traurigsten Bücher die ich gelesen hab.

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