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Veröffentlicht am 02.01.2021

Bitterböse Satire aus Trump-Land

Die F*ck-it-Liste
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Es ist nicht ganz einfach, eine Kategorie für John Nivens Roman "Die Fck-it-Liste" zu finden: Polit-Satire, Thriller, Drama? Wie man es aus anderen Romanen des schottischen Autors kennt, geht es ganz schön ...

Es ist nicht ganz einfach, eine Kategorie für John Nivens Roman "Die Fck-it-Liste" zu finden: Polit-Satire, Thriller, Drama? Wie man es aus anderen Romanen des schottischen Autors kennt, geht es ganz schön brachial und blutig zu. Doch im Gegensatz etwa zu "Kill ´em all" (das ich im vergangenen Oktober hier rezensiert habe https://nimm-ein-buch.blogspot.com/2020/10/der-bad-boy-ist-zuruck-kill-em-all.html), ist Die Fck-it-Liste, düsterer, trauriger, ohne die an Tarrantino erinnerten Gewalt-Grotesken. Wie Leonard Cohen schon sang: You want it darker? Das gilt für dieses Buch.

Nicht nur, dass Frank Brill, ehemaliger Zeitungsredakteur einer Kleinstadtzeitung im Mittleren Westen, erfahren muss, dass er unheilbar an Krebs erkrankt ist und ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Der Mann hat in den vergangenen Jahren gleich mehrere schwere Schicksalsschläge überstehen müssen: Seine dritte Frau und sein jüngster Sohn kamen bei einem Schulmassaker ums Leben, seine ältere Tochter aus zweiter Ehe nach einer missglückten Abtreibung.

Denn in den USA der nahen Zukunft, in der der Roman spielt, konnte die ungewollt schwangere Collegestudentin legal keinen Schwangerschaftsabbruch mehr vornehmen. Die bekannte Roe vs. Wade-Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, ein Durchbruch für das Recht der Frauen auf die Entscheidung, ob sie eine Schwangerschaft abbrechen oder nicht, ist mittlerweile gekippt. In zwei Amtszeiten von Donald Trump haben sich die USA dramatischverändert. Derzeit ist Ivanka Trump die Bewohnerin des Weißen Hauses, als Mann fürs Grobe ist Vizepräsident Sean Hannity, ehemals Fox News, zuständig.

Nicht nur Frauenrechte sind vom Obersten Gerichtshof, in dem jetzt die Erzkonservativen das Sagen haben, zurückgedrängt worden. Für Waffen, auch automatische, sind weder Sicherheitsüberprüfung noch sonstige Regeln notwendig. Proteste und Demonstrationen sind nur noch im Kleinstformat erlaubt, es ist verboten, Staatsbedienstete im Einsatz zu filmen oder fotografieren, etwa wenn sie gewaltsam gegen Demonstranten oder Verdächtige vorgehen. Die Mauer an der Grenze zu Mexiko steht schon in vielen Bereichen, gegen echte oder vermutete illegale Einwanderer wird hart durchgegriffen.

Das Amerika, das Niven in seinem Buch schildert, wirkt nach den Erfahrungen mit vier Jahren der Trump-Präsidentschaft gar nicht so weit aus der Luft gegriffen. Die Befürchtungen, was eine zweite Amtszeit für den Zustand der Demokratie bedeutet haben könnte, dürften auch viele Trump-Gegner bei der letzten Wahl geteilt haben. Und allein die Ernennung der Nachfolgerin von Ruth Ginsburg zeigte, dass es Dinge gibt, bei denen Satiriker gar nicht übertreiben können.

Wie konnte es so weit kommen? Frank Brill sieht sich als Teil des Problems, hat er doch als typischer Wechselwähler 2016 Trump die Stimme gegeben, in der Überzeugung, der werde eh nicht gewinnen. Während seine Lebenszeit verrinnt, will er abrechnen mit denen, die er persönlich oder politisch verantwortlich macht für die Tragödien in seinem Leben. Er begibt sich auf einen tödlichen Road-Trip, dessen Ausgang der Leser schon ahnt. Insofern halten sich Überraschungen in Grenzen. Am stärksten ist "die F*ck-it-Liste" da, wo die dystopische Zukunftsversion geschildert wird, die gar nicht so überzogen wirkt. Zwischen nationalem Größenwahn, Grundrechtsbeschränkung und dem Erstarken der Waffenlobby ist die von Niven gezeichnete Welt durchaus eine düstere Möglichkeit, wenn am Wahltag fatale Entscheidungen getroffen werden.

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Veröffentlicht am 30.12.2020

Zwei Frauen und zwei Lebensträume

Miss Bensons Reise
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Manchmal kann eine Krise einen Befreiungsschlag auslösen. So jedenfalls in Rachel Joyce´s Frauenroma "Miss Bensons Reise". Denn Margery Benson, die Protagonistin dieses liebenswerten Romans über die Freundschaft ...

Manchmal kann eine Krise einen Befreiungsschlag auslösen. So jedenfalls in Rachel Joyce´s Frauenroma "Miss Bensons Reise". Denn Margery Benson, die Protagonistin dieses liebenswerten Romans über die Freundschaft zweier sehr ungleicher Frauen, ist in ihrem Lebenregelrecht eingefroren wie ein Käfer oder Schmetterling hinter Glas: Die Endvierzigerin unterrichtet seit 20 Jahren Hauswirtschaft an einer Mädchenschule. Es ist das Jahr 1950 und eine unverheiratete Frau in diesem Alter wird als "alte Jungfer" eher verspottet oder bedauert - von selbstbewusstem Single-Leben war damals noch nicht die Rede. Als Benson eine wenig schmeichelhafte Karikatur von sich findet, die im Klassenraum herumgereicht wird, ist sie so verstört, dass sie nicht nur aprupt aus der Schule flieht, sondern auch noch das Steifelpaar einer Kollegin mitgehen lässt. Den Job kann sie nun vergessen, nicht, dass er sie jemals ausgefüllt hat.

Ausgerechnet an diesem Tiefpunkt erinnert sich Margery Benson an ihren Lebenstraum - den goldenen Käfer von Neukaledonien zu finden, den ihr Vater ihr in einem Buch gezeigt hat - vor seinem Selbstmord, der das kleine Mädchen und seine Mutter schwer traumatisierte. Margery Benson hatte eine einsame Kindheit, erfuhr weder Freundschaft und Liebe und wuchs in einem Wertesystem der britischen oberen Mittelklasse auf, in dem Emotion mit Schwäche gleichgesetzt wurden.

Doch zu dem Zeitpunkt, als sie nichts mehr zu verlieren hat, erinnert sich Margery an den goldenen Käfer, an viele Jahre, die sie im Britischen Museum in der Abteilung für Entomologie verbracht hatte. Nun will sie sich endlich aufmachen ans andere Ende der Welt - weder tropenerfahren noch outdoortauglich, eine übergewichtige Frau mittleren Alters, die bislang nicht einmal von ihren Schülerinnen ernst genommen worden war. Da es auf einer Forschungsexpedition einiges zu schleppen gibt, will sie einen Assistenten oder eine Assistentin anheuern, doch als die auserwählte Kandidatin abspringt, muss sie kurzerhand eine bereits aussortierte Bewerberin anheuern, die es wegen ihrer abenteuerlichen Rechtschreibung nicht einmal zum Bewerbungsgespräch geschafft hat - tatsächlich findet die erste Begegnung der beiden Frauen unmittelbar vor der Abreise auf dem Bahnsteig statt.

Sie könnten nicht unterschiedlicher sein: Die hausbackene, wenig lebenserfahrene Margery Benson und die kleine, aber um so auffälligere Enid Pretty, ein Marilyn Monroe-Verschnitt, die sich zwar als Männermagnet in unaufhörlicher Plapperlaune entpuppt, von Käfern und Forschungsexpeditionen aber keinerlei Ahnung hat. Doch auch sie hat, wie der Leser früher als Margery erfahren soll, gute Gründe, alle Brücken hinter sich abzubrechen.

Es dauert, bis die beiden Frauen miteinander warm werden, doch nach Seekrankheit und Visaproblemen, buchstäblich am Ende der Welt im Dschungel, wächst zwischen den beiden Frauen eine Freundschaft. So sehr die jeweils andere nerven kann - sie brauchen einander, geben sich gegenseitig Stärke und Mut, überwinden gemeinsam Widerstände und Gefahren. Gerade die Szenen der Reise im Dschungel, immer auf der Suche nach dem goldenen Käfer und einmal buchstäblich im Auge des Zyklons, sind voller Naturschilderungen, die Farben, Gerüche und Geräusche des Dschungels vor dem inneren Auge entstehen lassen.

Mitunter erinnert Miss Bensons Reise an Wohlfühl-Lebenshilfe-Romane, in denen es darum geht, dass jeder sich neu erfinden kann und schon alles gut wird, über den Wert von Freundschaft dass man niemanden nach dem Äußeren oder ersten Eindruck beurteilen sollte. Zugleich ist Miss Bensons Reise ein Abenteuerroman mit mitunter fantastisch anmutenden Elementen - dass jemand ohne Pass und Visum eine transatlantische Reise antreten und erst in Australien, dann in einer französischen Kolonie einreisen kann, entspricht jedenfalls eher Wunschdenken als Wirklichkeit. Und auch dramatische Wendungen sind inbegriffen. Das Ende dieser Reise ist unerwartet und macht nicht wirklich froh. Dennoch kommt auf den fast 500 Seiten keine Langeweile auf - Käferkunde inbegriffen.

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Veröffentlicht am 19.12.2020

Ein Anfänger auf Mörderjagd

Der Petticoat-Mörder (Lemke-von Stain-Serie 1)
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Wer sich hinter Leonard Bell verbirgt, darüber muss vorerst nur gerätselt werden - der Autor von "Der Petticoat-Mörder" nutzt ein Pseudonym für den Auftakt einer historischen Krimireihe aus dem Berlin ...

Wer sich hinter Leonard Bell verbirgt, darüber muss vorerst nur gerätselt werden - der Autor von "Der Petticoat-Mörder" nutzt ein Pseudonym für den Auftakt einer historischen Krimireihe aus dem Berlin der späten 50-er Jahre. Nun bin ich zwar ebenso wie der Autor nicht alt genug, um die Zeit selbst erlebt zu haben, aber die Erzählungen älterer Verwandten schildern ein ähnliches Zeitgefühl. Wirtschaftswunderzeiten, Rock ´n´Roll und eine erste Ahnung von der Konfrontation der Kriegs- und der Nachriegsgeneration, die in den 60-er Jahren kulminieren würde. Und dann auch noch in Berlin - nach der Blockade, vor dem Mauerbau, der Kalte Krieg ist sehr spürbar.

Mit Kriminalassistent Fred Lemke hat der Autor einen Protagonisten geschaffen, der das ganze Gegenteil eines hard boiled cop ist. Wir begleiten ihn auf dem Weg zum ersten Arbeitstag im Berliner Landeskriminalamt, einen gerade mal 23 Jahre alten, eher unsicheren jungen Mann, der obendrein gerade von seiner Pensionswirtin rausgeschmissen wurde und nun erst mal eine neue Bleibe braucht.

Der zweitschlechteste Absolvent des Jahrgangs landet ausgerechnet bei der Mordkommission - und begleitet seinen unmittelbaren Vorgesetzten gleich am ersten Arbeitstag zu einem Tatort: Acht Schüsse wurden abgefeuert, drei trafen das Opfer, einen zunächst unbekannten Mann mit zerschossenem Gesicht. Ein eher widerwilliger und unheimlicher Zeuge kann nur berichten, dass an dem Seeufer ein Mann und eine Frau saßen und sich offenbar stritten. Ein Beziehungsdrama, ein Raubmord Und spielt der Petticoat, den Lemke später in der Nähe findet, irgendeine Rolle in dem Fall?

Lemke muss sich nicht nur mit der Frage nach Opfer und Täter plagen, sondern auch mit seinen gewöhnungsbedürftigen Vorgesetzten, die mit ihrem autoritären Gebaren, barschem Umgangston und dem Hang zur öffentlichen Demütigung starke Defizite im Bereich soziale Intelligenz und modernem Führungsverhalten aufweisen - es war eben noch eine ganz andere Zeit. Der eher intuitiv arbeitende Kommissaranwärter, auch nach fünf Jahren in Berlin eher ein schüchterner Junge vom Land hat es in dieser Hackordnung schwer - vor allem, als er herausfindet, dass der Tote im Krieg beim Reichsicherheitshauptamt gearbeitet hat und für die Gestapo Homosexuelle verfolgte.

Spielt die Nazi-Vergangenheit auch hier eine Rolle, hat sich etwa ein früheres Opfer gerächt? Fragen, die Lemke stellt, werden von seinem Chef abgeblockt - auch im Landeskriminalamt, so verrät der wohlmeinende Chef der Spurensicherung Lemke, sitzen eben viele offiziell Entnazifizierte, die Dreck am Stecken haben und Fragen nach der Nazi-Vergangenheit nicht zulassen wollen.

Dazu passt, dass auch Ellen von Stain, Freds Kollegin, manche Fragezeichen aufwirft. Da is zum einen ihre ungeklärte Rolle als Sonderermittlerin - sie ist zwar etwa in Freds Alter, hat aber einen völlig anderen Status, kann nach Belieben kommen und gehen. Wozu sie ermittelt, das bleibt unbekannt. Mit ihrem Selbstbewusstsein und teils aggressiven Vorgehen ist sie das ganze Gegenteil des sensiblen Fred, und auch sonst kommen sie aus verschiedenen Welten - Geld ist offensichtlich kein Problem der jungen Kriminalbeamtin, sie verkehrt in besten Kreisen, der Reichtum ihrer Familie geht aber zumindest teilweise auf enge Verflechtungen mit den Nazis zurück - Hermann Göring war ein lieber Freund und Gast bei den von Stains.

Fred ist sowohl fasziniert als auch abgestoßen und auch der Leser muss wohl bis zum Folgeband warten, bis das eine oder andere Rätsel im Zusammenhang mit Ellen von Stain gelöst wird. Überhaupt wurden schon viele Situationen und Figuren geschaffen, auf deren Entwicklung ich neugierig bin. Immerhin ist schon im ersten Band zu erfahren, was es mit Freds Panikattacken auf sich hat. Und auch der Fall mit viel stimmigen Zeit- und Lokalkolorit findet zu einem stimmigen, wenn auch so nicht erwarteten Ende. Zwischendurch setzt der Autor die Leser auf so manche falsche Fährte.

Mit dem zaudernden, oft unsicheren, aber hartnäckigen Fred Lemke hat "Der Petticoat-Mörder" einen Protagonisten, der wohltuend menschlich ist und sich auf sympatische Weise von den unrealistischen, megaharten Ermittlern unterscheidet, die auch nach tagelanger Folter im Alleingang irgendwelche Schurken erledigen und sich offenbar nie mit Polizeibürokratie herumschlagen müssen. Anders hier: Da hat sich der Autor tatsächlich mal auf den Behördenapparat mit seinen Hierarchien und Alltäglichkeiten eingelassen. Das macht neugierig auf mehr.

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Veröffentlicht am 30.11.2020

Familiendrama auf dem Meer

Unter uns das Meer
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Die große Freiheit auf 24 Quadratmetern, umgeben von Wind und Wellen – mit dem Kauf der Yacht Juliet hat sich der Betriebswirtschaftler Michael einen Lebenstraum erfüllt. Der Trump-Anhänger, der staatliche ...

Die große Freiheit auf 24 Quadratmetern, umgeben von Wind und Wellen – mit dem Kauf der Yacht Juliet hat sich der Betriebswirtschaftler Michael einen Lebenstraum erfüllt. Der Trump-Anhänger, der staatliche Einmischung ablehnt und autark sein will, kann sich an Bord des Schiffes den Wunsch von der totalen Unabhängigkeit erfüllen. Es ist auch ein Versuch, die vor dem Aus stehende Ehe zu retten.


Dabei ist Juliet, Michaels Ehefrau und Ich-Erzählerin in Amity Gaiges Roman „Unter uns das Meer“, nur höchst zögerlich aus dem Alltag in einem Vorortviertel im Ostküstenstaat Connecticut ausgestiegen. Sie hat keinerlei Segelerfahrung und ist eigentlich bereits mit dem Alltag überfordert: Seit der Geburt der nun sieben und zweieinhalb Jahre alten Kinder leidet sie unter Depressionen, ihre Dissertation über Lyrik liegt brach, ein Kindheitstrauma und die Entfremdung zwischen Juliet und ihrer Mutter macht es nicht einfacher. Doch dann bricht die Familie doch in die Karibik auf – eigentlich entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass Michael, der Einwanderer ablehnt, als Langzeitsegler nun selbst zu neuen Ufern aufbricht.

Dass auf der Reise irgendetwas gewaltig schief gegangen ist, merkt der Leser schon nach wenigen Seiten. Denn die in einen Schrank gekauerte Juliet hält Rückblick auf den Törn, ist kaum mehr in der Lage, den Alltag zu bewältigen und ist mit ihren Kindern allein. Es ist ihre Mutter, die sich nun um die täglichen kleinen Dinge kümmert.

Die Vorbereitungen und der Verlauf der Reise wiederum schildert das von Michael geschriebene Logbuch, das immer mehr zu einem Tagebuch wird, in dem er Gedanken niederschreibt, die er Juliet gegenüber nicht ausdrücken kann. Sie kann ihren Mann so noch einmal neu kennenlernen – auch wenn es offenbar nun zu spät ist.

Die Auseinandersetzung mit Stürmen und Wellen an Bord der Juliet finden eine Entsprechung mit dem Seelenleben Juliets. Sie muss sich ihren Ängsten stellen, nicht nur, als sie die Juliet alleine durch einen Sturm steuert. Zugleich verändert die Reise die Familie, ganz besonders auch die Kinder, die das neue Leben intensiv aufnehmen, die die Begegnung mit indigenen Inselbewohnern, Hafenstädten, anderen Seglerfamilien regelrecht aufsaugen. Gerade die siebenjährige Sybil macht an Bord eine gewaltige Entwicklung durch.

Das Leben an Bord und an Land, Gegenwart und Vergangenheit, werden auch typografisch voneinander abgesetzt. Mit Juliet hat Amity Gaige eine sowohl fragile als auch starke Frauenfigur geschaffen, die sich äußeren wie inneren Stürmen stellen muss. Vor allem die Szenen des Lebens an Bord sind voller Farbe, gewissermaßen erfüllt vom Rauschen des Windes und dem Geschmack von Salz auf den Lippen, wecken Fernweh (gerade in einem Jahr, in dem das Reisen und Unterwegssein so vielen Beschränkungen unterliegt) und lassen beim Lesen mitfiebern. Nicht wirklich überzeugend und ein wenig konfus ist lediglich der Schluss des Buches – da hätte die Autorin besser ein paar Seiten früher den letzten Punkt gesetzt.

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Veröffentlicht am 22.11.2020

Agenten und Banditen - Thriller aus einer dystopischen DDR

Die Republik
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Mit "Die Republik" hat Maxim Voland eine buchstäblich explosive und temporeiche Dystopie geschrieben, in der die Geschichte von Bundesrepublik und DDR völlig anders verlaufen ist als in unserer Realität. ...

Mit "Die Republik" hat Maxim Voland eine buchstäblich explosive und temporeiche Dystopie geschrieben, in der die Geschichte von Bundesrepublik und DDR völlig anders verlaufen ist als in unserer Realität. In dieser nicht allzu fernen Zukunft endete das Wendejahr 1989 nicht mit der deutschen Einigung. Statt dessen ist die DDR ein wirtschaftlich höchst erfolgreicher Staat, der seine Westgrenze zu Frankreich, Belgien usw hermetisch absichert und seine Bürger mit einer Vielzahl von Maßnahmen und Spitzeln überwacht. Von der Bundesrepublik hingegen ist nur "Deutschland-Berlin" geblieben, ein Ort der internationalen Spione, heruntergekommen und lediglich in der Mitte mit florierendem Nachtleben und einigem Wohlstand.

Einen der Protagonisten, der desillusionierte Stasi-Oberst Gustav, hat jahrelang geholfen, diese Sicherheits- und Überwachungsmaschinerie in Gang zu halten. Offenbar mit stalinistischen Methoden, wie wiederholt angedeutet wird. Das Leben der Funktionäre in Wandlitz (das gibt es auch in der alternativen Roman-DDR!) stößt ihn allerdings ab. Angesichts dieses Ausverkaufs sozialistischer Werte denkt er an Republikflucht und einen Neuanfang mit seiner jungen Geliebten.

Währenddessen bereitet sich in Paris der französische Dolmetscher Christopher auf eine kurze Reise ins Saarland vor - nicht für einen dienstlichen Einsatz, sondern um nach dem Tod des Urgroßvaters die unbekannte DDR-Verwandtschaft kennenzulernen. Seine Eltern sind einst in den Westen gegangen, Christopher selber sieht sich als Franzose und ist neugierig auf die unbekannte Verwandtschaft.

In Berlin-Deutschland ist die MI6-Agentin Harper unterdessen eine Art weiblicher James Bond, amoureusen Abenteuern und Nebenjobs nicht abgeneigt und zur milden Verzweiflung ihres noch aus den Zeiten des Kalten Kriegen stammenden Vorgesetzten zu unorthodoxen Alleingängen neigend.

Die Wege dieser drei Menschen kreuzen sich im Verlauf der Handlung auf dramatische Weise und zwingen sie trotz aller Gegensätze zur Zusammenarbeit. Eine Giftgasexplosion in Berlin bedeutet für Gustav nicht nur eine persönliche Tragödie, sondern zugleich die Beförderung zum Sonderermittler: Handelte es sich um einen Unglücksfall mit militärischen Altlasten oder um einen Terrorakt? Und gibt es noch weiteres Giftgas, das die Bevölkerung gefährden könnte? Von den einstigen sowjetischen Veteranen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs lebt kaum noch jemand, doch irgendwo soll es noch eine alte Karte geben...

Schmutzige Geheimdienst-Intrigen, Kompetenzgerangel zwischen NVA und Stasi, russische Mafia und reichlich Gewalt prägen diesen Agenten-Thriller, bei dem man leicht den Überblick über die vielen Toten verliert. Der Autor drückt bei der Handlung stets aufs Tempo, und langweilig wird es dabei nie. Volkswitze, die wohl noch aus der "echten" DDR stammen, sind vielen der Kapitel vorangestellt und lassen ebenso schmunzeln wie die vielen Verweise auf einstmals real existierende DDR-Produkte und -Gewohnheiten, angefangen vom Goldbroiler bis hin zu den Rotkäppchen-Erzeugnissen, die mittlerweile eine echte Champagner-Konkurrenz sind. Für alle, die sich nicht mehr so genau an Interhotel und Konsum,Subbotnik oder Mitropa erinnern, gibt es im Anhang eine Erläuterung der DDR-Ausdrücke. Eine spannende Lektüre, die "was wäre, wenn...?"-Gedanken konsequent weiterentwickelt.

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