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Veröffentlicht am 31.07.2020

Tödliches Würfelspiel

Die Rückkehr des Würfelmörders (Ein Fabian-Risk-Krimi 5)
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„Reine Bosheit hat noch nie ein Motiv gebraucht und wird auch nie eins brauchen“, heißt es im Prolog von Stefan Ahnhems Thriller „Die Rückkehr des Würfelmörders“ und Bosheit, Menschenverachtung und grausames ...

„Reine Bosheit hat noch nie ein Motiv gebraucht und wird auch nie eins brauchen“, heißt es im Prolog von Stefan Ahnhems Thriller „Die Rückkehr des Würfelmörders“ und Bosheit, Menschenverachtung und grausames Kalkül bietet der schwedische Autor seinen Lesern reichlich. Nachdem der Vorgänger „Zehn Stunden tot“ (dazu mehr hier: https://skandinaviaspannung.blogspot.com/2019/05/nervenzehrende-spannung-und-ein-bichen.html) mit einem Cliffhanger endet, denkt der Serienmörder gar nicht daran, mit seinen Taten zu stoppen. Und auch der andere Täter, gegen den Kommissar Fabian Risk nur heimlich und hinter dem Rücken seiner Kollegen ermitteln kann, mordet weiter.

Immerhin, nachdem die Ermittler im ersten Band – im Gegensatz zu den Lesern – im Dunkeln tappten, erkennen sie nun, dass die völlig unterschiedlichen Morde, für die sie auch schon Täter zu haben glaubten, in einem Zusammenhang stehen. Doch bis sie ahnen, wie der Mörder seine Opfer findet, gibt es weitere Leichen. Auch hier könnten sensible Gemüter wieder an ihre Grenzen stoßen.

„Die Rückkehr des Würfelmörders“, das ist eben auch eine Studie des Bösen, ein Wettlauf gegen die Zeit mit zusätzlichen Komplikationen, privaten Schicksalsschlägen und viel Drama. Das gilt ganz besonders für den nervenzehrenden Showdown.

Vielleicht liegt es auch daran, dass ich die Charaktere schon zu einem Großteil aus dem ersten Band kannte – die „Rückkehr“ las sich jedenfalls leichter als der mitunter recht komplizierte erste Teil, in dem sich manche Zusammenhänge erst recht spät erschlossen. Die Tatsache, dass für diejenigen, die den ersten Band kennen, ein Serienmörder bereits bekannt ist, tut der Spannung keinerlei Abbruch, im Gegenteil. Denn das Katz- und Maus-Spiel zwischen Fabian Risk und seinem Gegner gewinnt noch an zusätzlicher Dramatik und am Ende des Buches stellt sich die Frage, ob für den Kommissar nun wirklich schon alles ausgestanden ist. Denn auch der Kopenhagener Polizeichef hat ihn im Visier…

Überhaupt, die Dänen – Ahnhem bringt auch das nicht immer ungetrübte Verhältnis der skandinavischen Nachbarn mit ins Spiel, was gewissermaßen für die dringend benötigte leichtere Note sorgt zwischen all den Leichen. Da scheint es ja ähnliche Gefühle zu geben wie zwischen Kölnern und Düsseldorfern.

Doch ob Fabian Risk nun auf dieser oder jener Seite des Sunds auf Mörderjagd geht: Spannung und beschleunigter Puls sind garantiert.

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Veröffentlicht am 23.07.2020

Der Traum vom afrikanischen Messi

Spiel des Lebens
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Vom Lifestyle, Geld und vor allem vom Ruhm der Profifußballer sind wohl Kinder und Jugendlicher in aller Welt beeindruckt, die sich für Fußball interessieren. Und nirgends sind die Träume und die Hoffnungen ...

Vom Lifestyle, Geld und vor allem vom Ruhm der Profifußballer sind wohl Kinder und Jugendlicher in aller Welt beeindruckt, die sich für Fußball interessieren. Und nirgends sind die Träume und die Hoffnungen größer als in den Ländern des globalen Südens, wo viele Menschen in Armut leben und die Bildungs- und Aufstiegschancen für die meisten Kids gering sind - und wo gleichzeitig die Liebe zum Fußball enorm ist. Der Straßenfußball, den man in Deutschland ja immer weniger findet, weil der sportbegeisterte Nachwuchs "ordentlich" im Verein angemeldet wird, ist in den Ländern Afrikas allgegenwärtig.

In "Spiel des Lebens" beschreibt Sebastian Abbot ein Scouting-Projekt des Golfstaats Katar und des spanischen Talentsuchers Josep Colomer, der das Projekt "Football Dreams" ins Leben gerufen hat, auf der Suche nach dem neuen, dem afrikanischen Messi. Mit der "Aspire"-Akademie in Doha, mehr noch aber ihrem Ableger in Senegal sollte der talentierteste Nachwuchs auf die mögliche Profi-Laufbahn vorbereitet werden. Und diese Laufbahn, in einem europäischen Club, hatte jedes der jungen Talente, die sich in den Tryouts durchsetzen konnten, als großes Ziel vor Augen.

Im Originaltitel heißt das Buch "Away Game" - und das trifft die Motivation der jungen Fußballer sogar noch besser. Denn ihr Ziel ist es ja, weg zu kommen aus ihren Ländern, aus Afrika, dorthin, wo ihre großen Vorbilder in den Spitzenclubs der Ligen spielen. Abbot hat lange recherchiert, mit Trainern, Scouts und Football Dreams-Mitarbeitern gesprochen, vor allem aber immer wieder mit den jungen Spielern, die er porträtiert und deren Weg er über die entscheidenden Jahre zwischen Straßenfußball und der Suche nach einem Profi-Vertrag verfolgt.

"Spiel des Lebens" zeigt - Träume können an der Realität, an falschen Entscheidungen oder auch an menschlichen Querelen hart scheitern. Die Jungen aus Ghana, Senegal, Nigeria und anderen Ländern, die die Chance durch Football Dreams nutzen wollen, müssen lernen, dass Talent und Ehrgeiz, auch die Spielerfahrung, die sie auf der Straße und Schotter-Bolzplätzen gesammelt haben, nur bis zu einem gewissen Punkt helfen. Denn Profi-Fußball ist vor allem ein Geschäft - und da wollen viele mitmischen. Mal ist es ein falscher Berater, der nur an das schnelle Geld und nicht an das beste für den Schützling denkt, mal ist es die Erwartungshaltung der Familie, die die jungen Spieler unter Druck setzt.

Hinzu kommt Altersbetrug, der wohl auch bei einem erheblichen Teil der Jungen im Spiel war und der angesichts der weit verbreiteten Korruption in ihren Herkunftsländern leichter durchzubringen war als in Europa. Da stellt sich dann auch die Frage, ob die Akademie, ob Football Dreams nicht gleich bei der Entscheidung über die Tryouts viel genauer hätte hinsehen müssen. Manches, was Abbot über Spielintelligenz und Leistungsvermögen schreibt, ist ziemlich langgezogen und wohl nur für diejenigen interessant, die sich genauer mit Fragen von Training und Leistungssteigerung befassen. Persönlich fand ich es viel spannender, über die Wege der jungen Fußballer zu Erfolg oder Scheitern zu lesen.

Ein Problem, das die jungen Spieler mit europäischen Altersgenossen gemeinsam haben dürften, die in den Profi-Fußball wollen: Die wenigsten haben einen Plan B für den Fall, dass es doch nicht klappt mit der Profikarriere. Im Fall der afrikanischen Spieler sind die Konsequenzen angesichts verbreiteter Jugendarbeitslosigkeit noch einmal wesentlich härter, vor allem, da kaum einer der porträtierten Spieler einen Schulabschluss vorweisen konnte, nicht einmal nach den Jahren mit Schulunterrricht in der Akademie. Dass sich das bitter rächen kann, ist wohl nicht überraschend.

Ich habe einen Artikel über "Spiel des Lebens" gelesen, in dem von Neokolonialismus und modernem Sklavenhandel die Rede war. Na ja - Katar hatte nie Kolonien in Afrika, und der Handel mit Fußballtalenten geschieht ja nun wirklich nicht ohne Mitwirkung und Einverständnid der gehandelten. Da würde ich dann eher an das Schicksal der asiatischen und afrikanischen Bauarbeiter und Hausangestellten in Katar und anderen Golfstaaten denken, die oft unter Bedingungen leben und arbeiten, die mehr an Sklaverei als an einen regulären Job erinnern.

Sind die Träume der jungen Fußballer unrealistisch? Wer schon einmal die Begeisterung afrikanischer Kinder erlebt hat, die auf holprigen Böden barfuß oder in Flip flops dribbeln und kicken, ob in Slums, in Flüchtlingslagern oder in Dörfern, die vergessen vom Rest der Welt scheinen, notfalls mit einem aus Lumpen zusammengenähten Ballersatz, weiß: Fußball ist in Afrika viel mehr als nur ein Spiel. Wenn dann noch die Hoffnung keimt, gut genug für eine Laufbahn als Profi zu sein, haben diese Kinder und Jugendlichen viel weniger Ablenkungspotential als ihre europäischen Altersgenossen, einfach schon deshalb, weil die meisten von ihnen so viel weniger zur Verfügung haben. Diesen unbedingten Glauben an sich selbst und die eigenen Fähigkeiten zu haben, kann ja durchaus positiv sein. Nötig wäre sicherlich mehr Ehrlichkeit der Ausbilder gewesen, dass nicht jeder es schaffen kann und ein Plan B nötig ist. Aber ehrlich - welcher talentierte Teenager rechnet schon mit Scheitern?

Veröffentlicht am 03.07.2020

Gefährliche Geheimnisse

Boomerang
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John Dyer, die Hauptperson in Nicholas Shakespeare´s Thriller „Boomerang“ ist ein Antiheld – ein alleinerziehender Vater in der Universitätsstadt Oxford, ehemaliger Südamerika-Korrespondent, dessen Job ...

John Dyer, die Hauptperson in Nicholas Shakespeare´s Thriller „Boomerang“ ist ein Antiheld – ein alleinerziehender Vater in der Universitätsstadt Oxford, ehemaliger Südamerika-Korrespondent, dessen Job den Sparmaßnahmen der Medienbranche zum Opfer fiel. Mittlerweile forscht er an einem eher exotischen Thema der frühen brasilianischen Kolonialgeschichte – seine journalistischen Instinkte allerdings sind nach wie vor lebendig.

Allerdings ist es nicht die Neugier des alten Reporters, die Dyer mit dem iranischen Physiker Rustum Marvar zusammenbringt. Marvars Sohn spielt wie Dyers Sohn Leandro in der Fußballmannschaft der mittlerweile sehr exclusiven Privatschule Phoenix, die auch Dyer einst besuchte. Viel zu spät haben die beiden Männer erfahren, dass ihre Kinder von einem älteren Jungen gemobbt wurden – es ist diese Erfahrung, die sie zusammenbringt, ebenso wie die Tatsache, dass sie beide alleine mit ihren Söhnen sind.

Ein Abend, an dem Marvar Dyer sein Herz ausschüttet, ändert dann alles. Denn Marvar, der unauffällige, dickliche Wissenschaftler, hat eine Entdeckung gemacht, hinter der Geheimdienste, Regierungen und Finanzkreise gleichermaßen her sind: eine neue Methode der Kernfusion, so einfach, dass die Formel auf einem Pos-It-Zettel Platz hat. Doch Marvar steckt unter schwerstem Druck – den britischen Geheimdiensten ist er angesichts des iranischen Atomprogramms von Anfang an suspekt gewesen. Die iranischen Behörden hingegen können ihn jederzeit erpressen, da seine Frau und die neugeborene Tochter nicht ausreisen durften. Er befürchtet, seine Frau sei festgenommen, gefoltert und vergewaltigt worden. Er will weder ihr Leben riskieren, noch die Formel den Mullahs aushändigen.

Am Morgen danach sind Marvar und sein Sohn verschwunden – ob sie sich abgesetzt haben, ob sie entführt worden sind – nicht nur Dyer rätselt. Doch mit dem Verschwinden Marvars richtet sich die Aufmerksamkeit auf Dyer, den letzten, den Marvar aufgesucht hat. Die Jagd auf die Formel, von der wenige wissen und viele ahnen, könnte auch das Leben seines Sohnes in Gefahr bringen. Eine kryptische Nachricht Marvars bringt Dyer an den Post it-Zettel mit der Formel – und damit in eine moralisches Dilemma: Soll er die Formel zerstören, damit damit sie nicht in falsche Hände fällt und damit ungeahnte Konsequenzen für sein und Leandros Leben heraufbeschwören – oder soll er dem Druck nachgeben und die Formel herausrücken? Und wenn ja, wem soll er sie geben, wessen Rache könnte eine Entscheidung zur Folge haben?

Zugegeben, nach der Offenbarung Marvars hatte ich an einen Spionagethriller ein wenig im Stil eines John le Carré gedacht. Schließlich spielt die Handlung in der Universitätsstadt, an deren Colleges britische und rivalisierende Geheimdienste schon vor Jahrzehnten ihren Nachwuchs rekrutierten. Doch über einen großen Teil des Buches herrscht eine geradezu philosophische Nachdenklichkeit, das Zögern und Ringen Dyers um die richtige Entscheidung, um seine Verantwortung, aber auch um den Wunsch nach einem leichten Ausweg, der ihm und seinem Sohn ein normales Leben verspricht. Die Lösung seines Dilemmas, so viel sei verraten, ist überraschend und lange unerwartet, dann aber recht schlüssig.

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Veröffentlicht am 01.07.2020

Tödliche Loverboys

Ich bin dein Tod (Ein Kommissar-Dühnfort-Krimi 9)
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Im neunten Band um den Münchner Kommissar Tino Dühnfort geht es durch die bayrische Provinz. Denn nach der Rückkehr aus der Elternzeit arbeitet der Ermittler bei der „Operativen Fallanalyse“ und fremdelt ...

Im neunten Band um den Münchner Kommissar Tino Dühnfort geht es durch die bayrische Provinz. Denn nach der Rückkehr aus der Elternzeit arbeitet der Ermittler bei der „Operativen Fallanalyse“ und fremdelt noch mit der neuen Arbeitsstruktur als Profiler. War es ein Fehler, das aktive Ermitteln hinter sich zu lassen und nun zwar mit interesssanten Fällen, aber eben nur in beratender Funktion. Und das kann frustrierend sein, wenn Dühnforts Bauchgefühl bei einem angeblich eskalierten Einbruch mit zwei Toten sagt, dass hier mehr dahinter steckt.
Ein Lehrer und seine Frau wurden mit Schüssen aus einer Armbrust getötet – lautlos und präzise, die totale Abwesenheit von Spuren irritiert Dühnfort. Auch andere Tatorte ungeklärter Todesfälle sind auffallend sauber. Doch da zwischen den Opfern und des Todesarten kein Zusammenhang zu bestehen scheint, ist Dühnfort zunächst weitgehend alleine mit seiner Überzeugung, es handele sich hier um eine Serie. Hinzu kommen Spannungen im neuen Team – vor allem sein Kollege Manfred, der sich Hoffnungen macht, nach der Pensionierung des derzeitigen Chefs aufzurücken, reagiert misstrauisch auf den vermeintlichen Konkurrenten um den Chefsessel.
Anders als die Polizisten weiß der Leser von Anfang an, dass es sich in der Tat um eine Mordserie handelt, denn auf einer zweiten Erzählebene schildert Inge Löhnig das Geschehen aus der Perspektive des Täters, der seine nächsten Taten plant. Die düsteren Botschaften, die er vorher verschickt, überzeugen schließlich auch Dühnforts Kollegen, dass es einen Zusammenhang gibt.
Zufällig ist dabei keines der Opfer – die dritte Erzählperspektive ist die Geschichte einer jungen Frau, die als einsame und unglückliche 16-jährige von ihrem Freund erst als „Prinzessin“ behandelt und dann in die Prostitution gedrängt wurde. In der Kriminalistik ist dieses Vorgehen mittlerweile als die „Loverboy“-Masche bekannt. In einem Kreislauf von Drogen, Gewalt und Prostitution gefangen, sah sie irgendwann keinen Ausweg mehr. Nun ist ein tödlicher Rachefeldzug im Gang und der Täter fragt sich, ob seine Opfer oder die Polizei als erste erkennen, mit wem sie es zu tun haben.
Auch wenn der Leser durch diese Erzählweise näher dran ist an den Morden und den Motiven als Dühnfort und seine Kollegen, bleibt die Frage nach dem „Wer“ lange Zeit offen, denn Löhnig präsentiert in ihrem flüssig und eingängig geschriebenen Kriminalroman mehrere plausible Kandidaten. Ein wenig holprig ist dabei nur die Seitenepisode zu den Insiderinformationen des Täters. Nachvollziehbar auch das Konkurrenzgerangel innerhalb der Polizei mit Alphaspielchen und Eifersüchteleien, die den Ermittlungen letztlich im Weg stehen. Stoff und Personal für den nächsten Band ist da schon einmal angedeutet.

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Veröffentlicht am 29.06.2020

Rache, Liebe, Leidenschaft und Kokain

Das Netz
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Rache, Liebe und Leidenschaft im hohen Norden mit einigen ungewöhnlichen Endungen und Wendungen prägen Lilja Sigurdadottirs Buch „Das Netz“ mit einer nur äußerlich schwachen Frau als Hauptfigur. Denn wenn ...

Rache, Liebe und Leidenschaft im hohen Norden mit einigen ungewöhnlichen Endungen und Wendungen prägen Lilja Sigurdadottirs Buch „Das Netz“ mit einer nur äußerlich schwachen Frau als Hauptfigur. Denn wenn der Leser Sonja kennenlernt, plant sie gerade, ein Kilo Kokain nach Island einzuschmuggeln. Die junge Frau hat sich ihre Drogenkarriere nicht ausgesucht, sondern wurde dazu gezwungen. Und sie braucht das Geld, um nach der Scheidung finanziell wieder auf die Beine zu kommen und auch materiell dafür gerüstet zu sein, das alleinige Sorge- und Aufenthaltsrecht für ihren kleinen Sohn zu erkämpfen.

Ihr Ex-Mann, ein wohlhabender Banker, der aber in einen Finanzskandal verstrickt ist, ist unversöhnlich, seit er Sonja in flagranti erwischt hat – und zwar mit seiner Kollegin Agla, einer Karrierefrau, ebenfalls zentrale Figur des Bankskandals und energisch bestreitend, dass sie lesbisch sein könnte.

Die Beziehung der beiden Frauen bringt einen zusätzlichen spannenden Akzent in den Kriminalroman. Sonja ist verliebt, sie will mehr als Lust und Leidenschaft. Agla trinkt, viel zu viel, um das laufende Ermittlungsverfahren und ihre Gefühlsverwirrungen zu bewältigen. Benutzt sie Sonja nur für einen erotischen Kick, während sie gleichzeitig vehement bestreitet, eine „von denen“ zu sein? Kein Wunder, dass Sonja, ohnehin verwundbar, verletzt reagiert.

Die kleine, zierliche Frau, offiziell selbständig mit einem Computerunternehmen und daher häufig auf Geschäftsreisen unterwegs, fühlt sich mit ihren Schmuggelaktivitäten in einem Netz gefangen, das sich immer enger um sie zusammenzieht. Gerade, weil sie erfolgreich ist in dem, was sie tut und immer größere Mengen Kokain nach Island bringen soll. Sie erlebt, wie brutal die Welt der Kartelle und der organisierten Kriminalität ist, und sie fürchtet, ihre illegalen Aktivitäten könnten verhängnisvolle Folgen für ihren Sohn haben.

Mit dieser scheinbar zerbrechlichen und ebenso verletzlichen wie verletzten Frau hat Sigurdadottir eine starke und vielschichtige Frau geschaffen, auch wenn ich als Leserin gerne mehr erfahren würde, wieso Sonja eigentlich überhaupt so erpressbar wurde. Sie ist offensichtlich intelligent, aber sie scheint so gar keine berufliche Qualifikation zu haben, die ihr anderweitig den Weg aus der finanziellen Misere ermöglicht. War sie immer nur ein trophy wife, ohne Ausbildung, hübsches Aushängeschild an der Seite eines reichen Mannes?

Eine interessante Figur ist auch Agla – nicht unbedingt sympathisch mit ihrer Trinkerei und ihren Ausflüchten, zu Sonja zu stehen, aber auf ihre Weise eine entschlossene Kämpferin, die vielleicht den Kampf gegen den Alkohol, aber nicht gegen die Männerwelt verlieren will und keinesfalls ein Bauernopfer sein will.

Eine weitere Handlungsebene bringt zusätzliche Dynamik ins Spiel. Denn am Flughafen in Reykjavik arbeitet ein Zollbeamter, der mit 69 Jahren eigentlich schon längst im Ruhestand sein könnte. Doch zum Unwillen seiner Vorgesetzten will er sich nicht in die Rente drängen lassen, sondern bis zu seinem 70. Geburtstag weitermachen. Sein Leben scheint nur zwei Inhalte zu kennen: Die Arbeit und seine Frau, die schwer dement ist und in einem Pflegeheim arbeitet. Dem erfahrenen Zöllner fällt Sonja eines Tages auf, weil sie einfach zu perfekt ist. Ein letzter großer Coup für einen alten Mann?

Wie gesagt, die Autorin sorgt immer wieder für neue Entwicklungen und Überraschungen und eigentlich hat man am Ende des Buches noch manche Frage angesichts des Flechtwerks der Beteiligten, die noch auf Antwort warten. Wie gut, dass „Das Netz“ laut Verlagsankündigung der erste Teil einer Triologie ist. Da kann man gespannt auf die weiteren Entwicklungen sein.

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