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Veröffentlicht am 29.06.2020

Hallig-Geheimnisse und eine Leiche

Halligmord (Ein Minke-van-Hoorn-Krimi 1)
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Achtung: Die Küsten-Regionalkrimis bekommen Konkurrenz. Mit „Halligmord“ schickt die Autorin Greta Henning eine neue Detektivin unter die Küsten-Ermittler. Minke van Hoorn, die eigentlich Meeresbiologie ...

Achtung: Die Küsten-Regionalkrimis bekommen Konkurrenz. Mit „Halligmord“ schickt die Autorin Greta Henning eine neue Detektivin unter die Küsten-Ermittler. Minke van Hoorn, die eigentlich Meeresbiologie studiert hat, kehrt auf die Hallig ihrer Kindheit zurück. In einem nordfriesischen Küstenstädtchen übernimmt sie das örtliche Polizeirevier – und tritt damit in die Fußstapfen ihres Vaters. Nach seinem Unfalltod vor fünf Jahren beendete sie das Kapitel Meeresbiologie und ging zur Polizeihochschule.
Die Voraussetzungen für den allmählichen Einstieg der Berufsanfängerin sind schlecht: Ihr Assistent ist eine Woche von der Pensionierung entfernt und denkt nur noch an seinen Ausstand. Faul war er zwar schon immer, doch nun ist noch weniger mit ihm anzufangen. Dafür nennt er die neue Chefin, die er bereits als kleines Mädchen kannte, mit nervender Beharrlichkeit „Mäuschen“. Und dann wir auf einer Hallig ein Skelett gefunden.
Um wen es sich handelt, wird bald klar: Der örtliche Arzt, dessen Witwe noch immer auf der Hallig lebt. Vor mehr als 30 Jahren kam er angeblich ums Leben, als sein Boot auf dem Weg zu einem Patienten aus ungeklärter Ursache in Brand geriet und explodierte. Die Leiche des Arztes wurde nie gefunden. Keinesfalls aber wurde sie im Torf der Hallig vermutet. Zudem verschwindet der Sohn des ehemaligen Deichgrafen, an dem Minke ein sehr privates Interesse hat. Und dann kündigt sich auch noch ein schweres Unwetter an.
Viel Drama und schwarze Sturmwolken also, mit viel liebevoll geschilderten Details der nordfriesischen Landschaft, des Wattenmeers und des abgeschiedenen Lebens auf den Halligen. Mit dem nahenden Küstensturm erinnert nicht nur die Atmosphäre ein wenig an „Mord im Orient Express“, in dem der Ermittler mit den Verdächtigen von der Außenwelt abgeschnitten ist.
Denn je weiter Minka mit ihren Nachforschungen kommt, desto mehr zeigt sich, dass der Tote keineswegs nur der charismatische, gutaussehende Arzt war, der angeblich bei jedermann beliebt war. Im Gegenteil, an Verdächtigen mit einem Motiv herrscht kein Mangel.
In „Halligmord“ gibt es zwei Erzählebenen – einmal die Gegenwart, in der Minka ihre Ermittlungen voranzutreiben versucht, einmal aus der Perspektive derjenigen, die beim Verschwinden des Arztes auf der Hallig waren. Doch wessen Erinnerung lügt? Bis zum Schluss bleibt es spannend. Ein vielversprechender Auftakt.

Veröffentlicht am 26.06.2020

Epidemien in Vergangenheit und Gegenwart

Pest und Corona
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Kein Zweifel: Die Covid-19 Pandemie hat unser Leben verändert. Ob Reise- und Bewegungsfreiheit, Warenflüsse und Handelswege, die Organisation des Arbeitsalltags oder das soziale Miteinander - all dies ...

Kein Zweifel: Die Covid-19 Pandemie hat unser Leben verändert. Ob Reise- und Bewegungsfreiheit, Warenflüsse und Handelswege, die Organisation des Arbeitsalltags oder das soziale Miteinander - all dies erlebt derzeit eine Zäsur. Es gibt die Zeit vor Corona und diese neue, seltsame Realität mit Maskenzwang, sozialer Distanz, Abstandsregeln und einer ganz neuen Wertschätzung von Hygiene.

"Die Pest" von Camus erlebt eine literarische Neuentdeckung durch eine neue Lesergeneration, Mund-Nase-Masken gehören zum Styling des Frühjahrs/Sommer 2020 - und wer weiß, wie lange sie uns noch begleiten. Lässt sich aus Pandemien der Vergangenheit etwas für unsere Corona-Wirklichkeit und möglicherweise für die Zukunft lernen? Die beiden Medizinhistoriker Heiner Fangerau und Alfons Labisch ziehen in ihrem Buch "Pest und Corona" Vergleuche, auch zum Umgang mit Krankheiten.

In den Wirtschaftswunderjahren etwa seien Gripppetote noch eher hingenommen worden, mittlerweile würden vorzeitige Tode nicht mehr hingenommen. An die Stelle eines gewissen Fatalismus sei die Forderung getreten, dass jedes Leben gerettet werden solle.

Die Methoden im Umgang mit Pandemien ähneln sich, auch wenn sich die Einstellung zu Kranken geändert hat, seit Pestkranke vom Rest der Gesellschaft regelrecht geächtet und ihrem Schicksal überlassen wurden. Kontaktbeschränkungen etwa seien schon während der Spanischen Grippe angewandt worden.

Die Mobilität der Menschen im 21. Jahrhundert, das weltweite Reisen, Massenveranstaltungen und Eventkultur bilden allerdings eine besondere Herausforderung in Zeiten von Pandemien. Um so wichtiger, so die Schlussfolgerung der Autoren, Erreger neuer Pandemien schnell und frühzeitig einzugrenzen - am besten schon dort, wo sie entstehen. Eine Schlüsselrolle spielten dabei die Flughäfen - angesichts der modernen internationalen Drehkreuze, wo in der Zeit vor Corona Menschen aus aller Welt und mit allen möglichen Zielen im Transitbereich, am Gepäckband oder an der Sicherheitskontrolle ihre Wege kreuzten (und womöglich Viren weiter reichten) - eine naheliegende Schlussfolgerung,

Allerdings zeige die Vergangenheit, dass nach einer Epidemie zwar fleißig analysiert und geplant werde. Dann aber geschehe wenig, um die nächste Pandemie zu stoppen oder gar zu verhindern, so die eher desillusionierte Erkenntnis der Analyse.

Veröffentlicht am 25.06.2020

Der etwas andere Familienroman

Dreck am Stecken
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Die Mutter wollte die Vergangenheit immer ruhen lassen, sprach nicht von ihren Eltern. Sie hatte schließlich auch mit der Gegenwart genug zu tun - vier Kinder von vier verschiedenen Männern, psychische ...

Die Mutter wollte die Vergangenheit immer ruhen lassen, sprach nicht von ihren Eltern. Sie hatte schließlich auch mit der Gegenwart genug zu tun - vier Kinder von vier verschiedenen Männern, psychische Probleme, bei Alkohol und Zigaretten mehr Konsum, als gut tat Eine eher prekäre Existenz, zahlt doch nur einer der Väter regelmäßig Unterhalt. Für Johannes und seine Brüder ist die Mutter dennoch das unbestrittene Zentrum ihres kindlichen Universums und auch die vier Jungen halten zusammen wie Pech und Schwefel in Alexandra Fröhlichs Roman "Dreck am Stecken".

Und dann ist da noch Opa Heinrich, der lange Zeit unbekannte Opa, der eines Tages mit seinem Köfferchen vor der Tür der Hamburger Wohnung steht und sich gewissermaßen selbst einquartiert. Er stört die Kreise des brüderlichen Rudels nicht sonderlich und erweist sich spätestens dann als nützliches Familienmitglied, als sich die Mutter einen Tag nach Johannes´ 18. Geburtstag die Pulsadern aufschneidet. Opa Heinrich übernimmt die Vormundschaft für die verwaisten Jungen - den stotternden Johannes, den smarten und geschäftstüchtigen Jakob, den intelligenten aber schon früh dem Alkohol zugeneigten Philip und Nesthäkchen Simon, der sensible und künstlerisch talentierte Junge, der die psychischen Probleme der Mutter geerbt zu haben scheint und als schwarzes Kind besonders Anfeimdungen ausgesetzt ist.

Kaum ist die Familie dem Leser vertraut, springt die Autorin in die Gegenwart. Johannes, immer noch stotternd, ist Journalist geworden, Jacob jettet als Finanzhai durch die Weltgeschichte, Philipp ist der Chirurg mit den alkoholbedingt zitternden Händen und Simon lebt als Künstler mit fragilem Seelenleben mit seiner resoluten polnischen Betreuerin auf dem Land. Opa Heinrich, der die letzten Jahre seines Lebens mit schwerer Alzheimer-Erkrankung in einem Pflegeheim verbrachte, ist gestorben und bei der Beerdigung tauchen zur Überraschung der Brüder eine ganze Reihe von Menschen auf, die sie noch nie gesehen haben, einige aus Argentinien angereist.

Bei der Sichtung der Unterlagen des toten Großvaters stoßen sie auf ein Tagebuch, das auf dunkle Flecken in der Familiengeschichte hindeutet. In Argentinien versuchen sie mehr in Erfahrung zu brinngen - hatte Opa Heinrich Dreck am Stecken? Ist es ein Zufall, dass er nach dem Krieg mit der bislang unbekannten Oma nach Argentinien auswanderte - das Land, in dem so viele alte Nazis einschließlich von Kriegsverbrechern nach 1945 Aufnahme fanden? Hatte sich auch die eigene Familie in Verbrechen verstrickt und kann vergangenes Unrecht wieder gut gemacht werden?

Fröhlich läst die Erzählung zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit hin und her springen in diesem Familienroman der etwas anderen Art. Die gemeinsame Mission verbindet die Brüder wieder, die sich seit der schwierigen Jugend auseinandergelebt haben. Irgendwie sind sie trotz aller Unterschiede und Streitereien eben doch noch die verschworene Gang von einst. Der Versuch einer Vergangenheitsbewältigung ist unterhaltsam erzählt aus der Sicht von Ich-Erzähler Johannes. Das schräge Quartett wächst dem Leser dabei ohne Sentimentalitäten und mit schnoddrigem Humor ans Herz. Das locker und flüssig geschriebene Buch lässt sich gut in einem Rutsch durchlesen, ohne angesichts der manchmal etwas überzeichneten Charaktere ins Alberne abzugleiten. Macht Spaß.

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Veröffentlicht am 25.06.2020

Fernweg-Therapie bei Deutschlandurlaub

HOLIDAY Reisebuch: Hiergeblieben! 55 fantastische Reiseziele in Deutschland
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Zu Hause ist es doch am schönsten", lautet ein Lieblingsspruch derjenigen, die nicht unbedingt in die Ferne schweifen mögen. Darüber kann man diskutieren. Eines ist aber klar: Ein Urlaub im Ausland, besonders ...

Zu Hause ist es doch am schönsten", lautet ein Lieblingsspruch derjenigen, die nicht unbedingt in die Ferne schweifen mögen. Darüber kann man diskutieren. Eines ist aber klar: Ein Urlaub im Ausland, besonders im außereuropäischen, das heißt im Sommer der Coronavirus Pandemie Regeln, Verbote, Einschränkungen. Alles so ganz anders, und hat möglicherweise gar nichts mehr von dem angestrebten Traumurlaub zu tun. Also doch in Deutschland bleiben und sehen, was sich innerhalb der Landesgrenzen an Attraktionen aufdrängt?

Mit "Hiergeblieben!" von Jens van Rooij hat das fast schon einen Befehlston. Der Leser erhält auf jeden Fall eine Reihe von Möglichkeiten zur Auswahl, unterteilt in die Nord- und die Südhälfte Deutschlands. Insgesamt 55 Reiseziele werden vorgestellt, mit Hotel- und Restauranttips, mit Attraktionen in der Umgebung und Besichtigungsvorschlägen. Das Besondere daran: Die Fotografien deutscher Reiseziele werden internationalen Sehenswürdigkeiten gegenübergestellt. Nach dem Motto: Ist genauso, nur näher.

Wenn etwa die alte Mainbrücke von Würzburg mit der Prager Karlsbrücke verglichen wird - doch, da hat der Autor schon einen Punkt. Es geht schließlich in beiden Fällen um alte Universitätsstädte in Mitteleuropa mit langer Geschichte. Mit dem Unterschied, dass die einen lieber ihren Schoppen Wein trinken und die anderen Bier vorziehen. Aber Ulm und Paris, weil sie beide eine gläserne Pyramide haben? Das ist dann doch ein etwas kühner Vergleich. Und auch wenn Frankfurt als einzige deutsche Großstadt eine Skyline zu bieten hat - ein Vergleich zu Manhattan drängt sich trotz der ebenfalls international zusammengesetzten Einwohnerschaft eher nicht auf.


Eine reizvolle Idee ist der Grundgedanke von "Hiergeblieben!" allemal. Und auch wenn sich ohne genaue Ortskenntnisse nicht sagen lässt, wie bemüht die Bildausschnitte gewählt sind, um an den berühmten Vergleich heran zu kommen. Da gelingt es tatsächlich, die Rheinbrücke bei Emmerich im Abendlicht erfolgreich an die Golden Gate Brücke in San Francisco erinnern zu lassen - und das, obwohl die Ähnlichkeiten zwischen Niederrhein und Kalifornien ansonsten begrenzt sind. Und die Schlösserpracht Ludwig des II. muss hinter dem französischen Sonnenkönig an Prunk nicht zurückstehen, auch wenn die Ausmaße dann doch etwas bescheidener sind. Wer hätte es gedacht, den "Kini" mal in Verbindung mit Bescheidenheit zu bringen!

An Vorschlägen mangelt es jedenfalls nicht: Lüneburger Heide statt Lavendelfelder der Provence, Hummerbuden auf Helgoland statt Muizenberg Beach in Kapstadt, die Felsformationen der Sächsischen Schweiz statt Zhangjiajie Forest National Park in China. Ja, es gibt schöne Reiseziele in Deutschland. Aber mein persönliches Fernweh wird deswegen trotzdem nicht geringer...

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Veröffentlicht am 22.06.2020

Dramatisches Frauenschicksal über Generationen

Die verlorene Frau
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Frauenfiguren mit einem Leben voller Drama, eine Handlung, die Zeitebenen verwebt und die Vergangenheit die Puzzlestücke für die Rätsel der Gegenwart liefert – das prägt auch das neue Buch „Die verlorene ...

Frauenfiguren mit einem Leben voller Drama, eine Handlung, die Zeitebenen verwebt und die Vergangenheit die Puzzlestücke für die Rätsel der Gegenwart liefert – das prägt auch das neue Buch „Die verlorene Frau“ von Emily Gunnis. In ihrem Debütroman „Haus der Verlassenen“ ging es um das Schicksal unfreiwillig schwangerer junger Frauen in den 1960-er Jahren, diesmal ziehen sich Trauma, Gewalt und psychische Störungen durch die Generationen.

Am Anfang lernt der Leser die 13-Jährige Rebecca kennen, die im Jahr 1960 in einem Polizeirevier in einem englischen Küstenort vernommen wird. Dabei ist das Mädchen schwer traumatisiert, denn seine Eltern sind durch eine Gewalttat ums Leben gekommen. Der Vater, ein psychisch angeschlagener und gewalttätiger Kriegsveteran, hat offenbar die Mutter getötet und dann Selbstmord begangen. Oder sollte der benachbarte Farmer seine Frau im Spiel gehabt haben?

Der unsensible Polizist, der das verstörte Mädchen bedrängt, verfolgt sie in ihren Gedanken, als sie Jahre später Mutter einer Tochter wird. Während einer postnatalen Psychose glaubt sie, den Polizisten wieder zu sehen. Um ihre Tochter Jessie kann sie sich zunächst gar nicht kümmern, besonders, da sie als junge Ärztin schon früh die Verantwortung für das Kind an ein Kindermädchen abgeben muss und Jessie nach dem Scheitern der Ehe beim Vater bleibt.

Doch nun ist Jessie selbst schwanger und reagiert nach einer schweren Geburt mit Wahnvorstellungen. Überzeugt, man wolle ihr schaden und ihr Kind töten, flieht sie mit dem Neugeborenen aus der Klinik. Die Zeit drängt, denn der Säugling leidet an einer Infektion und braucht dringend medizinische Versorgung. Jessies Halbschwester, die Journalistin Iris, nutzt ihre beruflichen Kontakte, um sich der Suche nach Jessie anzuschließen. Wiederholt sich die Geschichte? Können die Gräben innerhalb einer disfunktionalen Familie überwunden und verschüttete Wahrheiten ans Licht geholt werden?

Gunnis verknüpft Spannung, Familiendrama und eine düstere Atmosphäre familiärer Gewalt und psychischer Krankheiten mit einem Gesellschaftsporträt einer Klassengesellschaft, die auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch funktionierte und in der Frauen der Willkür ihrer Ehemänner ausgeliefert waren. Dabei schafft sie es, anspruchsvolle Themen in einem spannenden Unterhaltungsroman unterzubringen und ein Dümpeln in seichten Lesegewässern zu vermeiden. Auch wenn das Buch im Mai erschienen ist - am besten passt die Lektüre zu einem düster-nebeligen Spätherbsttag!

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