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Veröffentlicht am 14.01.2024

Alte Freunde und eine Leiche

Schneesturm
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Die grüne Insel Irland ist in Triona Walshs Kriminalroman "Schneesturm" alles andere als grün - soviel verrät bereits der Titel. Inselpolizistin Cara lebt auf Innishmore, einer der Aran Islands, von der ...

Die grüne Insel Irland ist in Triona Walshs Kriminalroman "Schneesturm" alles andere als grün - soviel verrät bereits der Titel. Inselpolizistin Cara lebt auf Innishmore, einer der Aran Islands, von der ihr Vater stammt und auf der auch ihr Ehemann Cillian aufwuchs. Doch Cillian ertrank in der Silvesternacht vor zehn Jahren, als er mit seinem Bruder Seamus auf Fischfang gehen wollte. Nun wollen Cara, Seamus und vier weitere Kindheitsfreunde zum ersten Mal seit der Beerdigung wieder zusammenkomem. um gemeinsam des Toten zu gedenken. Doch das Wiedersehen verläuft anders als gedacht: Eine Leiche und ein Schneesturm, der Fähr- und Flugverkehr zum Erliegen bringt, sorgen für eine zunehmend paranoide Stimmung.

Cara ist sicher: Der Mörder ist noch immer auf der 900 Einwohner-Insel - und er ist auf der Suche nach einem Päckchen, mit dem die Tote zuletzt gesehen wird. Kennt sie ihre alten Freunde immer noch? Mancher von ihnen scheint sich nicht zum Guten verändert zu haben. Die Atmosphäre ist gereizt, ja aggressiv - und es kommen Ängste auf, dass der unbekannte Mörder die Freundesgruppe im Visier haben könnte.

Cara, die keine Kriminalbeamtin, sondern einfache Garda-Polizistin ist, will nicht warten, bis die Spuren buchstäblich kalt geworden sind, wenn die Ermittler-Profis vom Festland am Ende des Schneesturms auf Innishmore eintreffen. Doch bei ihren Ermittlungen gerät immer mehr zum Nachteil, dass sie trotz verwandtschaftlicher Bindungen an die Insel als Außenseiterin gilt, die kein Gälisch spricht und deshalb nicht wirklich dazugehört.

Als große Irland-Freundin hat mich das Setting des Romans gereizt, allerdings erschien mir manches irgendwie schwer nachzuvollziehen - da lebt Cara seit zehn Jahren auf der Insel im Haus ihrer Großmutter, ihre beiden Kinder sprechen selbstverständlich Irisch, und sie selbst verständigt sich ausschließlich auf Englisch mit den Insulanern? Auch wenn Cara nicht im Gaeltacht-Gebiet aufgewachsen ist - Gälisch ist Pflichtfach an irischen Schulen und wenn sie von Kindheit an drei Monate auf der Heimatinsel ihres Vaters verbracht hat, ist es einfach unglaubwürdig, dass sie die Sprache nicht beim Spielen mit ihren dortigen Freunden aufgeschnappt hat. Insofern ist ein wichtiger Teil des Plots für mich einfach nicht stimmig und nachvollziehbar.

Die düstere Atmosphäre im Schneesturm bei Kälte und Dunkelheit - auch der Strom ist ausgefallen - ist hingegen gut gelungen, ebenso die emotionale Achterbahnfahrt, zu der das Wiedersehen mit den alten Freunden wird. Dass auf einer so kleinen Insel Geheimnisse lange gewahrt werden können, kann ich mir dagegen nicht so gut vorstellen. Nicht alle Entscheidungen Caras fand ich nachvollziehbar - trotzdem solide-spannende Kost.

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Veröffentlicht am 26.12.2023

Eine Reporterin in der 70-er Jahren

Die Unbestechliche
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Als ich "Die Unbestechliche" von Maria von Walser und Waltraud Horbas las, hatte ich mir ein Buch erwartet, in dem es auch um die Auseinandersetzung mit Frauen im Journalismus, Frauenbewegung und emanzipatorische ...

Als ich "Die Unbestechliche" von Maria von Walser und Waltraud Horbas las, hatte ich mir ein Buch erwartet, in dem es auch um die Auseinandersetzung mit Frauen im Journalismus, Frauenbewegung und emanzipatorische Ansprüche ging. Das Buch, das zumindest teilweise auf den journalistischen Erinnerungen von Maria von Walser beruht, wirkte auf mich dann allerdings mehr wie ein belletristischer Frauenroman, mehr Chick Lit als Auseinandersetzung mit einer Zeit, in der Frauen in der Medienwelt eher die Ausnahme als die Regel waren und in den Redaktionen vermutlich noch deutlich mehr Macho-Sprüche und Haltungen verbreitet waren, als ich sie 20 Jahre später erlebte - und da war auch noch genug vorhanden.

Gerade weil ich von Walser aus ihren Sendungen durchaus kämpferisch wahrgenommen habe, bin ich von diesem Buch ein bißchen enttäuscht. Das private Leben der halbfiktiven Protagonistin überlagert das Geschehen, der Arbeitsalltag ist von einer gewissen Beliebigkeit und auch die Vernetzung mit anderen Frauen irgendwie mehr im Bereich von Frauenfreundschaft als im Zusammenschluss gegen eine von Männern dominierte Redaktion, in der Frauen klein gehalten oder auf "Frauenthemen" begrenzt bleiben.

Klar, das Zeitgeschehen schimmert durch, gerade in Abschnitten, in denen auf historische Bezüge wie die Studentenbewegung, Olympia 1972 mit dem Terrorangriff auf die israelischen Sportler usw eingegangen wird. Doch es bleibt eine gewisse plaudernde Beliebigkeit. Mag sein, dass Leserinnen, die überhaupt nichts mit Journalismus zu tun haben und eine Frauenbiografie lesen wollen, dieses Buch ganz anders aufnehmen. Es ist nett zu lesen, es gibt durchaus eine Ahnung von den Schwierigkeiten, die Frauen in den späten 1960-ern und 70-ern hatten, beruflich Karriere zu machen, ja überhaupt berufstätig zu sein - vor allem, wenn sie obendrein Kinder hatten. Als Zeit- und Zeitungsgeschichte ist mir dieses Buch allerdings zu allgemein und wenig zugespitzt geblieben.

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Veröffentlicht am 10.12.2023

Kafkaeske Heimkehr

Galgenmann
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"Galgenmann", der Debütroman von Maya Binyam, stellt nicht nur seinen Erzähler vor mancherlei Rätsel. Der namenlose Ich-Erzähler kehrt nach 25 Jahren im Exil zurück in das Land seiner Herkunft, um seinen ...

"Galgenmann", der Debütroman von Maya Binyam, stellt nicht nur seinen Erzähler vor mancherlei Rätsel. Der namenlose Ich-Erzähler kehrt nach 25 Jahren im Exil zurück in das Land seiner Herkunft, um seinen sterbenden Bruder noch einmal zu sehen. Seine Reise in die fremd gewordene Heimat wird zu einer Odyssee mit surrealen, ja kafkaesken Elementen.

Der Erzähler weiß selbst nicht so recht, wie er überhaupt ins Flugzeug gekommen ist, wer seinen Koffer gepackt hat. Er hat Vermutungen, doch wirklich sicher kann er sich überhaupt nicht sein. Überhaupt scheint sich die Wirklichkeit zu verändern, während er noch über etwas nachdenkt, wie in einer Traumlandschaft bewegt sich der Emigrant, der durchgehend eher als hilfloses Objekt der Geschehnisse wirkt.

Woher der Mann kommt und wohin er reist, das bleibt weitgehend offen. Die Beschreibungen legen nahe, dass er in den vergangenen 25 Jahren in den USA lebte und nun in Äthiopien lebt, dem Land, aus dem auch der Vater der Autorin in die USA eingewandert ist.

Wie so viele Rückkehrer aus der afrikanischen Diaspora sieht sich auch der Erzähler einer geballten Erwartungshaltung seiner Angehörigen gegenüber: Ein Cousin erwartet eine Investition in sein Haus, der Bruder hat ohnehin schon seit jeher finanzielle Wünsche geäußert, die mit den Jahren immer größer werden und im Wunsch nach einer Bürgschaft für eine Einwanderung in die USA münden.

Der Erzähler mag die Landessprache seines Herkunftslandes sprechen, doch er gilt offenbar längst als Amerikaner, als Ausländer, der sich nicht auskennt und den man hemmungslos übervorteilen kann, angefangen von Gepäckträger am Flughafen über Taxifahrer zu Bankangestellten. Doch immer wieder gibt es auch die menschlichen Begegnungen, die Erinnerungen an die Vergangenheit und ähnliche Erfahrungen wecken. So wird es eine Reise in die Vergangenheit, zu den eigenen Wurzeln, zu Menschen, die er erst auf den zweiten Blick erkennt. Dass er sich irgendwie auch zeitlich in einem Niemandsland befindet, wird durch die Tatsache bestärkt, dass Emails an die Frau und an den Bruder nicht gesendet werden können.

"Galgenmann" kulminiert in einem überraschenden Ende, das für mich so nicht absehbar war. Ein interessantes, mitunter verwirrendes Debüt.

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Veröffentlicht am 26.11.2023

Aussteigerträume und Paranoia

No Escape
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Nachdem ich schon mehrere Psychothriller von Lucy Clarke gelesen habe, war ich gespannt auf "No Escape" um die beiden britischen Freundinnen Lana und Kitty, die auf einer Segelyacht unter Aussteigern den ...

Nachdem ich schon mehrere Psychothriller von Lucy Clarke gelesen habe, war ich gespannt auf "No Escape" um die beiden britischen Freundinnen Lana und Kitty, die auf einer Segelyacht unter Aussteigern den Traum von Freiheit träumten. Auch wenn ich von der Lektüre nicht enttäuscht wurde, ist das nicht das beste Buch der Autorin. Ich-Erzählerin Lana, mittlerweile nach einem heftigen Streit von Bord gegangen und in Neuseeland, wirkt auf mich ziemlich selbstgerecht und unreflektiert. Das macht es schwer, mit ihr warm zu werden.

Das Buch beschwört schöne Bilder vom Skipper Leben hervor, von Schnorcheln auf Riffen in der Südsee und einsamen Trauminseln - sicher eine wunderbare Kulisse für eine Verfilmung. Was Spannung und Suspense angeht, fällt "No Escape" aber deutlich von Clarkes Büchern "Castaways" oder "One of the Girls" ab. Die Charaktere sind deutlich flacher, und auch wenn im Verlauf der Handlung so manches Geheimnis gelüftet wird, das die Aussteiger mit sich herumschleppen, wirkt es auf mich ein bißchen so, als sei Clarke angesichts der vorangegangenen Erfolge ein wenig in Zugzwang gewesen, jetzt schnell einen mit heißer Nadel gestrickten neuen Roman liefern zu müssen.

Dennoch, es gibt gut geschriebene Szenen über Stürme auf See, über die wachsende Paranoia der Crewmitglieder, nachdem ein blinder Passagier über Bord gegangen ist, die Spannungen, die sich innerhalb der kleinen Gruppe aufbauen. Das Verhältnis zwischen Lana und Kitty ist komplex, wobei Lanas Stimmungsumschwung, nachdem die Yacht nach einem Sturm in Seenot geraten ist und sie von ihrere neuen Heimat aus die Suche nach Überlebenden verfolgt, nicht ganz einleuchtend ist.

"No Escape" ist kein schlechtes Buch - aber Clarke hat gezeigt, dass sie es noch wesentlich besser kann. Insofern habe ich es mit gemischten Gefühlen am Ende zugeklappt.

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Veröffentlicht am 30.10.2023

Mörderische Zugfahrt

Mord im Christmas Express
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Mit dem Titel "Mord im Christmas Express" hat Alexandra Benedict gleich das Thema und die Messlatte ihres Weihnachtskrimis hoch angesetzt. Denn wer denkt da nicht gleich an die britische Krimi-Queen Agatha ...

Mit dem Titel "Mord im Christmas Express" hat Alexandra Benedict gleich das Thema und die Messlatte ihres Weihnachtskrimis hoch angesetzt. Denn wer denkt da nicht gleich an die britische Krimi-Queen Agatha Christie und den "Mord im Orient-Express", der Meisterdetektiv vor solche Herausforderungen stellt? Und der obendrein in gleich zwei Verfilmungen als hochkarätig besetztes spannendes Kammerspiel beeindruckte. Da werden jedenfalls gleich Assoziationen und Erwartungen geweckt.

Die Herausforderungen, vor denen Benedicts Protagonistin Roz steht, sind nicht nur dem Fall geschuldet. Denn eigentlich ist die Polizistin frisch pensioniert. Farewell, Metropolitan Police, hello Ruhestand mit gerade mal 59 Jahren, dafür aber voller Vorfreude auf das Enkelkind, das schon bald geboren werden soll. Ein wenig hofft Roz, dass der neue kleine Mensch auch hilft, das Verhältnis zu ihrer Tochter zu entspannen. Die kam bei der alleinerziehenden Mutter häufig zu kurz, ganz abgesehen von einer traumatischen Vergewaltigung während der Schwangerschaft, die Roz emotional lange lähmte.

Doch nicht allein, dass die Wehen vorzeitig einsetzen und Mutter und Baby um ihr Leben kämpfen müssen. Ausgerechnet in dem Moment, wo Roz sich so dringend gebraucht fühlt, entgleist der Nachtzug nach Fort William im Schneesturm. Roz bleiben nur hektische, besorgte Telefonate mit ihrer Tochter und deren Partnerin.

Und dann ist da natürlich noch der titelgebende Mord... zumindest aber ein verdächtiger Todesfall, als eine junge Influencerin tot in ihrem Abteil gefunden wird. Es bleibt nicht der einzige Todesfall und die Tatsache, dass in einer anderen Erzählperspektive eine Person namens "Killa" über ihre Mission nachdenkt, lässt dann noch den letzten Leser ahnen, dass es noch die eine oder andere Leiche geben wird, ehe die verschneiten Gleise freigeräumt werden.

Allerdings: Das Bemühen der Autorin, ein möglichst diverses Ensemble in ihrem Roman unterzubringen und Misogynie und Gewalt gegen Frauen in verschiedenen Formen zu thematisieren, ging hier auf Kosten glaubwürdiger Charaktere. Die meisten Romanfiguren bleiben flach und schablonenhaft, selbst Roz bleibt merkwürdig blass. Dabei finde ich es ja eigentlich gut, dass die Autorin auf Diversität und verschiedene sexuelle Identitäten setzt. Doch wenn dabei das Gefühl aufkommt, dass hier eine Liste abgehakt werden soll? Mein Eindruck war, dass Benedict hier viel wollte, vielleicht zu viel - das ging dann auf Kosten von Stringenz und Spannung. Aber immerhin: Sapiosexuell war mir bisher kein Begriff. Wieder was gelernt.

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