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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.07.2018

Die Geschichte eines kleinen großen Wortes

Der Wortschatz
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"Der Wortschatz" von Elias Vorpahl ist eines der tiefgründigsten und mit Bedacht geschriebenen Bücher, das ich 2017 lesen durfte.

Es geht um die Geschichte eines Wortes, das seine Bedeutung nicht weiß ...

"Der Wortschatz" von Elias Vorpahl ist eines der tiefgründigsten und mit Bedacht geschriebenen Bücher, das ich 2017 lesen durfte.

Es geht um die Geschichte eines Wortes, das seine Bedeutung nicht weiß und wir verfolgen es auf seiner Reise durch die Welt, während der sie oder er oder es - man weiß es nicht - zahlreichen Begriffen es Prosa und Literatur begegnet, an den Wortspielen teilnimmt und letztlich auch seine Bedeutung und seinen Urheber kennen lernt.

Der Schreibstil von Elias Vorpahl ist unglaublich auf den Punkt und er überzeugt sowohl mit Wortwitz als auch mit treffender Wortwahl zum richtigen Zeitpunkt.

Gerne würde ich in Zukunft mehr von ihm lesen und kann das Buch jedem ans Herz legen, der in die zauberhafte Welt der Sprache und des geschriebenen Wortes eintauchen mag.

Veröffentlicht am 29.07.2018

Lesegenuss mit Tiefe

Muss es denn gleich für immer sein?
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In dem neuen Roman von Sophie Kinsella geht es um Sylvie und Dan, die seit 7 Jahren glücklich verheiratet sind und zwei Kinder haben.
Bei einer Routineuntersuchung verkündet ihnen der Arzt, dass sie noch ...

In dem neuen Roman von Sophie Kinsella geht es um Sylvie und Dan, die seit 7 Jahren glücklich verheiratet sind und zwei Kinder haben.
Bei einer Routineuntersuchung verkündet ihnen der Arzt, dass sie noch mind. 68 Jahre lang leben werden - dementsprechend aneinander gebunden sind - und die beiden drehen komplett durch. So lange sollen sie noch miteinander aushalten? Heißt immer wieder SO lange?


Um die Zeit aufzupeppen, versuchen sie sich im gegenseitigen überraschen - was teils enorm nach hinten losgeht.
Schließlich stößt Sylvie durch Zufall auf ein Geheimnis und all das soll ihre Ehe für immer verändern.

Sophie Kinsella vermag es wiederum, einen fantastischen Roman zu schreiben, der den Leser an die Seiten fesselt und Seite um Seite verschlingen lässt. Sophie und Dan sind zwei unglaublich sympathische Protagonisten, die gleich zu sein scheinen, aber doch total unterschiedlich sind.

Mir hat der Roman sehr gut gefallen, wenn auch nicht so sehr wie der Vorgänger "Frag nicht nach Sonnenschein".
Dennoch hat mir gerade das Ende und die Wandlung der Protagonisten unglaublich gut gefallen.

Veröffentlicht am 10.07.2018

Auf Umwegen zum Ziel

Wenn Schmetterlinge Loopings fliegen
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Petra Hülsmann hat es wieder geschafft. einen wunderbaren Roman voller Herzschmerz, Drama und Humor zu schreiben, der im Herzen berührt.

In diesem Buch geht es um Karo, die nach Hamburg zieht, um dort ...

Petra Hülsmann hat es wieder geschafft. einen wunderbaren Roman voller Herzschmerz, Drama und Humor zu schreiben, der im Herzen berührt.

In diesem Buch geht es um Karo, die nach Hamburg zieht, um dort ihre neue Arbeitsstelle anzutreten. Doch ihr künftiger Arbeitgeber wird polizeilich verfolgt und so muss sie sich eine neue Arbeitsstelle suchen - und landet im Fußballverein! Natürlich hatte sie sich etwas anderes vorgestellt, aber die Bezahlung ist gut und so bleibt sie erst einmal. Und allmählich lernt sie auch die anderen Vorzüge ihrer neuen Betätigung kennen.

Fröhlich und frech beschreibt Petra Hülsmann das Leben der Protagonistin, als wäre sie die eigene beste Freundin. Man fiebert mit ihr mit, möchte sie gerne manches Mal anschreien und in den Arm nehmen, aber immer auf den richtigen Weg zurückführen. Ich bin durch das Buch geflogen und habe es sehr genossen.

Schreibstil und Handlung sind wie gewohnt locker-flockig und gehen leicht von der Hand, eine unbeschwerte Sommerlektüre für triste Tage! :

Veröffentlicht am 24.04.2024

Geister und Makrelen

Leute von früher
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"Es war ein Wetter ohne Jahreszeit: vierzehn Grad und ein schwerer Himmel. ... Es war, als hielte alles hier die Luft an, oder vielmehr: als würde vorher nochmal Luft geholt. Marlene schaute ...

"Es war ein Wetter ohne Jahreszeit: vierzehn Grad und ein schwerer Himmel. ... Es war, als hielte alles hier die Luft an, oder vielmehr: als würde vorher nochmal Luft geholt. Marlene schaute aufs Wasser, in der Erwartung, dass es etwas in ihr auslösen würde. Aber das Meer glich dem Himmel darüber, bloß auf den Kopf gestellt." (S. 9)

Nach dem Abschluss ihres Studiums sehnt Marlene sich nach Halt, doch in ihr ist eine große Leere: Sie fühlt sich eingeengt von den Erwartungen der Gesellschaft an sie als junge Frau, und gleichzeitig verloren in ihrer Erwartungslosigkeit an eine mögliche Zukunft. Sie braucht Abstand. Von den fragenden Blicken, von ihrem Leben und beschließt daher, für den Sommer in einem Erlebnisdorf im nordfriesischen Wattenmeer zu arbeiten. 

Auf der Insel Strand scheint die Zeit stillzustehen: In altertümlichen Trachten, die sie innerhalb der „Kostümgrenze“ zu tragen haben, bewirten die zahlreichen Saisonkräfte die Urlaubsgäste, verkaufen authentische Handwerkskunst und frisch geräucherten Fisch. Marlene ist für die Zeit ihres Aufenthalts im Hofladen eingeteilt; jeden Morgen versteckt sie ihre Haare unter einer Spitzenhaube, bindet sich die schweren Schnürstiefel, streift Bluse und Rock über, und verkauft Kekse, Inselhonig und Sanddornbonbons, bis die Abenddämmerung den Horizont färbt. Bald lernt Marlene Janne kennen, die auf der Insel aufgewachsen ist. Es kribbelt in ihrer Brust, wenn sie an sie denkt, ihr Herz klopft schneller, wenn sie sie unter der Traufe der Räucherei stehen sieht. Je näher sie einander kennenlernen, ihre Geschichten und Körper erkunden, desto mehr verändert sich Marlenes Wahrnehmung der Insel und ihrer Bewohner:innen. Sie beginnt, sich für das Unsichtbare zu interessieren, das, was hinter alldem liegt, was den Urlauber:innen tagtäglich vorgespielt wird. Aber auch Janne hat Geheimnisse, die sie nicht greifen.

„[Durch die Glasscheibe sah Marlene] eine in Packpapier eingewickelte Makrele [auf der Fensterbank liegen]. Auf dem Papier stand mit Edding ‚Bis nächste Woche‘ geschrieben. Nervös zählte sie an den Fingern die Nächte bis Johannisnacht ab: Es waren sechs.“ (S. 180)

Diese ersten Seiten, das fühlte sich an wie das Betreten einer anderen Welt, wie Urlaub: salziger Wind, Sand zwischen den Zehen, Wellenrauschen. Am liebsten wäre ich direkt in die Bahn gestiegen und ab ans Meer, im Handgepäck: „Leute von früher“ von Kristin Höller. Von Urlaub kann Marlene in diesen ersten Tagen auf Strand nur träumen. Ihre Gedanken wiegen schwer, der Geburtstagskuchen knistert in der Plastikfolie, als sie ihr Zimmer für den Sommer bezieht, doch die Neugier über das, was sie erwartet, tritt mit jedem Schritt in den Vordergrund. Und mit der Neugier auch die Beklemmung. 

Ich lerne Marlene als eine rastlose, emphatische junge Frau kennen, die zuhört und anpackt, uneitel und pragmatisch ist, und von sich selbst sagt, dass sie „absichtlich unachtsam“ sei, und nie gelernt hätte, in sich hineinzuhören. Eng an ihrer Seite: ihre besten Freund:innen Luzia und Robert. Sie hatten sich zu Beginn des Studiums kennengelernt und sind einander Ohr und Schulter. Und Kühlpack-Halter, Wartezimmer-Begleitung, In-den-Schlaf-gleit-Beschützer. Wir alle brauchen einen Robert in unserem Leben. Das Verhältnis zu ihren Eltern hingegen ist distanziert, angespannt; wie ihre Großmutter, der sie jede Woche eine Postkarte schreibt, wissen sie nichts von Marlenes Sommerjob. 
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"Die tun ja nichts. Das sind nur Leute von früher." (S. 301)
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Als Marlene Janne kennenlernt, verändert sie sich. Sie wird offener, sich selbst und ihrer Gefühle bewusster, verletzlicher. Ihre Beziehung beginnt leise, ein heimliches Kribbeln wird zu einem klopfen Herzen, zärtlich schwebend ist ihre Annäherung, gewinnt immer mehr an Konturen, bis auch diese unter der Anziehung verschmelzen. Sie sind fühlbar aufregend wärmend und gleichermaßen subtil tastend neugierig, diese Blitze zwischen ihnen, die Worte, die Kristin Höller für das Zwischenmenschliche findet, beklemmend die Atmosphäre, die auf der Insel vorherrscht. Immer satter wird das Bild des Urlaubsdorfes und seiner Schausteller:innen, der Strukturen des Tourismus und die Auswirkungen des Klimawandels auf das Inselleben und seine Menschen. Doch kein Licht ohne Schatten. Vielleicht wollte ich festhalten an dem Zauber, diesem Leben in der Schwebe, denn, nachdem ich mich auf den ersten zweihundert Seiten komplett verloren habe, quasi auf der Insel gelebt habe, hat mich das Ende verloren. Something was off, die Magie war weg. Und ich ziemlich gefrustet. Vielleicht kam es zu schnell, vielleicht habe ich es auch einfach nicht verstanden? In meinem Kopf bleibt das Bild der schwankenden Fähre, der ersten unsicheren Schritte auf dem sandigen Boden - und diese zarte Liebe.

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Veröffentlicht am 28.02.2024

Starkes Debüt mit Schwächen

Krummes Holz
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Fünf Jahre ist es her, dass er gegangen ist. Dass er den alten Gutshof hinter sich gelassen hat und mit ihm einen Teil von sich. Das Scheppern des Bestecks, wenn Georg wütend war; den Hall des Schusses, ...

Fünf Jahre ist es her, dass er gegangen ist. Dass er den alten Gutshof hinter sich gelassen hat und mit ihm einen Teil von sich. Das Scheppern des Bestecks, wenn Georg wütend war; den Hall des Schusses, als er den Hund - hör auf, atme. Vor fünf Jahren ist Jirka aufs Internat gegangen, geflüchtet an einen Ort, an dem sein Inneres wieder zusammengewachsen konnte. Papa nannte er Georg damals schon nicht mehr, das Wort hatte für ihn jegliche Emotion verloren. Es tat weh, es auszusprechen; eh war er nie der richtige Sohn gewesen, wie seine Schwester Malene nicht die richtige Tochter war für dieses Erbe.

Die Hitze liegt schwer über den Feldern, als Jirka sein Elternhaus betritt. Die Stille ist ohrenbetäubend, seine Mutter schon lange tot. Niemand wartet auf ihn, niemand ist da, nur die Erinnerungen an seine Kindheit warten an jeder Ecke: die Gewalt seines Vaters, die Erniedrigungen seiner Schwester, die Bewegungslosigkeit seiner Mutter. Und: der Geruch von Zuhause, auch wenn es das schon lange nicht mehr war. Er war zurückgekommen wegen des Musterungsbescheids, über Wochen und Monate hatte er es aufgeschoben, hatte angerufen, doch das Klingeln ging ins Leere. Leer auch der Blick seiner Schwester, als er sie nach all den Jahren das erste Mal wiedersieht, wirsch und traurig; leer der Blick seiner Großmutter, gefangen in der Demenz. Vom Vater keine Spur, kein Wort. Nur Leander redet mit ihm. Leanders Vater Vilém war der letzte Verwalter des Gutshofs gewesen, da war Jirka noch klein, ein stolzer Mann, jedes seiner Worte warm wie ein Karamellbonbon. Bei ihnen fühlte er sich sicher und geliebt, all das, was er von seiner Familie nicht erfuhr. Aber mit Leander verbindet auch noch andere, intensivere Momente, die er lange verdrängte, aber nun mit jedem neuen Tag immer mehr zutage treten.

„Weißt du, Jirka, über den Tod sollte man nicht allzu lange weinen. Er ist das Einzige, was uns allen sicher ist, und daran ist nichts Schlimmes. Daran bemisst sich das Leben.“ (S. 67)

Es liegt eine eigentümliche Schwere auf den ersten Seiten des Debütromans von Julja Linhof, in Erwartung eines warmen Sommergewitters, das über das Krumme Holz hinwegbrechen soll. Und wärmend ist sie allemal, die Atmosphäre, die sie mit poetischen, betäubt-verträumten Bildern, durchbrochen nur von lakonischen Dialogen, erzeugt, und doch ist da eine gewisse Beklemmung, die von den Protagonist:innen ausgeht. Vom Körper erinnerte Angst, Schattenspiele dessen, was einst war: Erinnerungen an seine Kindheit diffundieren in Jirkas Gegenwart, ein Augenschlag, und sie verflüchtigen sich im Knarren des Gebälks. Schon früh bekommt man einen Eindruck davon, unter welchen Bedingungen die Familie auf dem Gutshof wohnte, welche Schmerzen sie einander zufügten, die Narben noch immer da. Alles fühlt sich seltsam nah an, jeder abschätzige Blick trifft auch mich, kühles Holz unter meinen Füßen, die Angst vor Gefühlen, vor dem jugendlichen Körper. Mitreißend beschreibt Linhof, wie sich die Dynamik zwischen den Geschwistern allmählich verändert, sie, um die Gunst der:s jeweils anderen buhlend, auseinanderbrachen, sich aber nun zaghaft anzunähern versuchen, und auch, einander wieder Familie zu sein, und diese Abschnitte haben mir wirklich gut gefallen. Doch ab dem letzten Drittel verlor mich die Geschichte. Vage Ahnungen manifestierten sich allmählich, überdrehten und brachen an der bis dahin so elektrischen Atmosphäre träge ab. Die Handlung verlief sich in eine etwas absurde, unglaubwürdige Richtung, was arg schade ist, waren die ersten zwei Drittel wirklich toll. Dennoch: ein starkes Debüt und große Freude auf mehr von Julja Linhof!

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