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Veröffentlicht am 24.04.2021

Zwei Erzählstränge ohne Harmonie

Als wir uns die Welt versprachen
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Die bald 90jährige Edna lebt zurückgezogen mit ihrem Papagei Emil in einem kleinen Ort in Norditalien. Sie soll bald nach Willen ihrer „Freundin“ Adele und deren Ehemannes in ein Seniorenheim umziehen. ...

Die bald 90jährige Edna lebt zurückgezogen mit ihrem Papagei Emil in einem kleinen Ort in Norditalien. Sie soll bald nach Willen ihrer „Freundin“ Adele und deren Ehemannes in ein Seniorenheim umziehen. Als sie ein Foto ihres alten Kinderfreundes Jacob in einer Zeitschrift entdeckt, begibt sie sich kurz entschlossen auf eine Reise über die Berge, die sie als Kind bereits einmal bewältigt hat. Fast 80 Jahre hat sie darauf gewartet Jacob wiederzufinden und ein Versprechen einzulösen. Ednas Reise ist gepflastert von ungewöhnlichen Begegnungen, schmerzhaften Erinnerungen und gutgemeinten Rettungsversuchen.

Das Buch hat mich mit seinem historischen Erzählstrang rund um die Schwabenkinder begeistert und gleichzeitig mit der aktuellen Reiserzählung abgestoßen. Ednas Erinnerungen an ihre Kindheit fließen nachvollziehbar in ihren Alltag ein, werden aber auch als separate Kapitel erzählt und erzeugen durch die Auswahl und Platzierung der Szenen ein ganz besondere Spannung. Im Gegensatz dazu wirkt die aktuelle Reise der leicht verwirrten fast 90-Jährigen wie ein überfrachtetes Roadmovie.

Ich war immer wieder froh, wenn ich an einem der historischen Abschnitte ankam. Die dramatische und emotionale Erzählung der 10-jährigen Edna von ihrem Verkauf in die Knechtschaft eines schwäbischen Großbauern ging mir sehr zu Herzen. Gerade die kindliche Sichtweise auf den brutalen Alltag und die schrecklichen Übergriffe, denen die Kinder ausgesetzt waren, protokollieren besonders gut diese damaligen unmenschlichen Machenschaften – die bis in die Mitte der 50iger Jahre durchaus eine gebräuchliche Tradition in den ärmlichen Bergregionen war. Man spürt die gute historische Recherche und die traumatischen Ereignisse werden mit viel Fingerspitzengefühl behandelt. Ich fieberte mit der kleinen Edna, bewunderte den mutigen Jacob, der sich so fürsorglich um Edna kümmerte, und war gefangen von der authentischen Atmosphäre.

Doch ich konnte das Buch nicht genießen, weil die aktuelle Handlung mich immer wieder herausriss. Es wollte sich einfach kein harmonisches Miteinander der Erzählstränge einstellen. Auf ihrer aktuellen Reise lernt die leichtgläubige Greisin jeden Tag neue Leute kennen, die ihr hilfsbereit und doch sehr unkonventionell zur Seite eilen. Daraus entwickelt sich jedes Mal ein kurioses Tagesabenteuer, bei dem sich die Autorin an Witz zu überbieten sucht. Gleichzeitig lassen diese Erlebnisse jeden Realitätssinn - was eine fast 90-Jährige und ein alter Papagei tagelang unter freiem Himmel zu leisten vermögen - vermissen. Auch die Nebencharaktere Adele und ihr Ehemann, denen einige Perspektiven gegönnt werden, können mich mit ihren Eheproblemen, eigenen Plänen und Manipulationsversuchen nicht überzeugen. Zeitweise war ich richtig genervt und mochte nicht weiterlesen. Doch der historische Erzählstrang hatte mich so gebunden, dass ich das Buch nicht abgebrochen habe.

Zum Ende ist es der Autorin tatsächlich gelungen, die beiden Handlungsstränge zusammenzuführen und ein emotionales Ende zu bereiten. Ich mochte dabei die rührende Auflösung des Versprechens, Ednas weitere Zukunftsplanung hingegen reiht sich in das Kuriositätenkabinett ein.

Fazit: Spannender historischer Handlungsstrang und überzogenes Roadmovie führen zu keinem einheitlichen Lesegenuss.

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Veröffentlicht am 31.01.2021

Traumastudie mit Krimi-Elementen

Die treue Freundin
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Die Geschichte zeigt wie sehr das Unterbewusstsein unsere Handlungen bestimmt und Verdrängtes an die Oberfläche befördern will. Daraus entwickelt Lisa Unger einen Krimi um das Leben nach dem Trauma.

Im ...

Die Geschichte zeigt wie sehr das Unterbewusstsein unsere Handlungen bestimmt und Verdrängtes an die Oberfläche befördern will. Daraus entwickelt Lisa Unger einen Krimi um das Leben nach dem Trauma.

Im Mittelpunkt steht Rain, eine Journalistin, die mit der Geburt ihrer Tochter ihren Beruf an den Nagel gehängt hat. Vor allem die Versorgung ihrer kleinen Tochter bestimmt Rains Alltag und sorgt dafür, dass sie sich ständig mit dem Konflikt der perfekten Mutterrolle und der Sehnsucht, wieder beruflich erfolgreich sein zu wollen, auseinandersetzt. Als ihre Freundin und frühere Arbeitskollegin im Radio von einem Mord berichtet, dessen Opfer als Täter freigesprochen wurde, drängt es Rain zur Recherche und damit in die Konfrontation mit ihrer eigenen Vergangenheit. Auch die nach außen perfekte Ehe offenbart plötzlich Risse. Rains Konflikte scheinen in ihrem Kopf ständig präsent.

Parallel zu Rains Alltag erzählt Rains Kindheitsfreund Hank in der Ich-Perspektive vom gemeinsamen Trauma und seinem Leben als Psychiater. Die Autorin legt viel wert darauf, psychologische Ausnahmezustände in der Innensicht zu zeigen und diese in der psychiatrischen Diagnostik einzuordnen. Eine weitere Ich-Perspektive gibt Rätsel auf.

Mit dem Wechselspiel der Perspektiven baut die Autorin Spannung auf, die sie immer wieder mit familiären Alltagsszenen bricht. Von Szene zu Szene verändert sich das Bild von Rains Leben und ihrer Vergangenheit. Lange steht das Erlebte im Fokus, und es bleibt unklar, worin die Verbindung zum aktuellen Mord besteht. Gegen Ende überschlagen sich dann die Ereignisse.

Die Aufklärung ist zum Großteil schlüssig, wenn auch die psychologischen Erklärungen für meinen Geschmack überstrapaziert werden. Die Erzählung der wenig abwechslungsreichen Alltagsszenen wirken erst überflüssig und nehmen die Spannung, bis sich die Funktion dem Leser erschließt.

Fazit: Wer einen Psychothriller erwartet, wie der Verlag verspricht, wird leider enttäuscht. Das Buch erzählt von Auswirkungen schwerer kindlicher Traumata und verwebt dieses mit Krimielementen. Leider kommt der Thrill erst im letzten Drittel auf.

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Veröffentlicht am 12.01.2021

Leichte Romanze im Ikea-Style

Liebe mit Zimt und Schweden
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Die 29jährige Rena genießt noch alle Wohltaten des elterlichen Zuhauses. Als eines Tages der Brief eines Nachlassverwalter, die Erbschaft einer Villa in Schweden von ihrem unbekannten Vaters verspricht, ...

Die 29jährige Rena genießt noch alle Wohltaten des elterlichen Zuhauses. Als eines Tages der Brief eines Nachlassverwalter, die Erbschaft einer Villa in Schweden von ihrem unbekannten Vaters verspricht, muss sie mit etwas Druck überredet werden, sich auf den Weg zu machen.

Der Nachlass ist leider in einem desolaten Zustand, doch Rena nimmt allen Mut zusammen und stellt sich der Herausforderung. Schnell findet sich Unterstützung von dem netten Arvid. Doch als der grantige Nachbar versucht Renas Pläne scheitern zu lassen und zu allem Übel ihre Eltern mit ihrem Ex-Freund auftauchen, scheint sich der schwedischen Traum in Luft aufzulösen.

Mir gefällt der lockere Erzählton. Die Geschichte lebt von der Schönheit der schwedischen Natur und der Naivität der Protagonistin. Ihre Versuche, sich aus der bequemen elterlichen Vormundschaft zu lösen, entbehren nicht einer gewissen Komik. Manches Mal scheinen ihre Reaktionen jedoch zu pubertär für eine 29-Jährige sowie ihre Bereitschaft, allem und jedem Glauben zu schenken, anstatt manches kritisch zu hinterfragen. Die Charaktere allen voran Renas Mutter und ihr Exfreund werden sehr überzogen dargestellt, dadurch wirkt manche Szene überdreht.

Es reihen sich einige unglückliche und peinliche Situationen aneinander und stellen sich dem Happyend in den Weg. Gott sei Dank taucht der verträgliche und handwerklich begabte Arvid immer zur rechten Zeit auf, und kann das Schlimmste verhindern.

Fazit: Seichte Unterhaltung mit schwedischem Flair und zu erwartendem Happyend

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Veröffentlicht am 03.01.2021

Spannendes Setting, blasse Nebencharaktere

Zusammen wie Schwestern
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Eins der Jugendbücher, die mit einem spannenden Setting und gutem Plot unterhalten, deren Charaktere aber nicht über die genügende Tiefe verfügen.

Die Geschichte wird aus Brits Sicht erzählt und mit ihr ...

Eins der Jugendbücher, die mit einem spannenden Setting und gutem Plot unterhalten, deren Charaktere aber nicht über die genügende Tiefe verfügen.

Die Geschichte wird aus Brits Sicht erzählt und mit ihr zusammen lernt man das Bootcamp für „trotzige Mädchen“ kennen. Hier wird mit psychischen und physischen Druck die Mädchen wieder auf die Spur zu bringen, so wie sie von der Familie und der Gesellschaft gewünscht werden. Mich überraschte, dass es bei der Anzahl von Mädchen mit psychischen Problemen oder traumatischen Erlebnissen nicht viel mehr Ausfällen und Unglücksfällen gegeben hat. Aber dies liegt vielleicht daran, dass die Geschichte sich hauptsächlich auf Brit und ihre vier Wegbegleiterinnen konzentriert.

Leider bleiben auch V, Bebe, Martha und Cassie in dem Buch sehr blass. Ich hatte lange Zeit Probleme sie auseinander zu halten Jede von Ihnen steht für ein vermeintlich psychisches Grundproblem (wie Übergewicht, Homosexualität, Vernachlässigung und Angstörung), darüber hinaus erlangen sie keine Tiefe oder Schattierungen und wenig Aussicht auf die Überwindung ihrer Probleme.

Stück für Stück erfährt man mehr von Brits Vergangenheit und warum sie im Camp gelandet ist. Sie scheint die meiste Zeit als völlig gesund in ihren Gedanken und Taten. Und so erscheinen die Gründe, warum ihr Vater sie im Camp abgeliefert hat, bis zum Schluss als zu schwach. Es wundert mich generell, wie viel Vertrauen Eltern in die unbekannte Einrichtung setzen, ohne sich persönlich ein Bild zu machen, wie es den Mädchen geht und ohne vor Ort sich andere Hilfe gesucht zu habe. Mag sein, dass dies in Amerika üblich ist, mir erschien es wenig unglaubhaft, dass sich so viele Eltern so verantwortungslos verhalten.

Ab der Mitte mausert die Geschichte sich aber zu einer spannenden Coming-of-Age Erzählung mit einem guten Spanungsbogen und effektiver Suspense.

Fazit: Das Buch hat gut unterhalten, wenn ich mir auch mehr Tiefe gewünscht hätte.

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Veröffentlicht am 15.12.2020

Abenteuerlicher Lesegenuss mit Hindernissen

Tiger
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Es ist kein einfaches Buch. Keine Geschichte, in die man einfach versinken kann. Geduld und Glaube an die Fertigkeiten der Autorin werden gefordert. Ich wurde hin und her geruckelt, haderte mit der ungewöhnlichen ...

Es ist kein einfaches Buch. Keine Geschichte, in die man einfach versinken kann. Geduld und Glaube an die Fertigkeiten der Autorin werden gefordert. Ich wurde hin und her geruckelt, haderte mit der ungewöhnlichen Einteilung, mit dem sich überlappenden und nicht immer chronologischen Erzählsträngen. Manche Passage wirkten überflüssig und erhielten erst am Ende einen Sinn.

Die Autorin hat die Geschichte überwiegend von vier Protagonisten erzählen lassen: Frieda, Tomas, Edit und dem Tiger. In vier abgeteilten Abschnitten berichten sie von ihrem Leben und ihrer Entwicklung. Lange Zeit blieben die Zusammenhänge im Dunkeln. Erst am Ende kommen sie jeder für sich wieder zu Wort.

Der Roman ist in einer wunderschönen Sprache erzählt und sie wandelt sich auf jeden Protagonisten abgestimmt. Besonders die unwirtliche Lebensbedingungen in Sibirien, die Schönheit der Fauna und Flora und das Innenleben der Protagonisten werden dadurch greifbar und einzigartig. Der Tiger beherrscht auf eine nachdrückliche Weise die gesamte Erzählung.

Jeder Protagonist für sich wird ausführlich vorgestellt, dabei werden besonders die psychischen Besonderheiten und ihre Entwicklungsstörungen herausgearbeitet. Es sind keine einfachen Charaktere, die in existenziellen Krisen stecken und sich mit ganz unterschiedlichen Lösungsstrategien den Herausforderungen ihres Lebens stellen. Keiner ist auf den ersten Blick sympathisch. Doch je besser ich sie kennenlernen - ihre Nöte, ihr Ringen - desto mehr wachsen sie mir ans Herz. Am Ende ist eine glaubhafte Entwicklung gelungen.

Schwierig fand ich die abbruchartigen Übergängen zum nächsten Abschnitt. Ich war noch gar nicht bereit mich auf jemanden Neues einzustellen. Gestört hat mich außerdem, dass lange Passagen gedanklicher Rückblicke großen Platz eingeräumt wird und die aktuelle Geschehnisse dadurch wie kurze Blitzlichter erscheinen. Dies ändert sich tatsächlich erst zum Ende. Faszinierend waren dafür die Raubkatzen und der Überlebenskampf in den sibirischen Wäldern. Die detailreichen Schilderungen hinterlassen tiefe Eindrücke.

Der Autorin gelingt es am Ende die Verbindungen herzustellen und alle losen Enden zu vernähen. Das versöhnt mich ein wenig mit den harten Abbrüchen in der laufenden Erzählung. In Erinnerung bleiben mir die Kraft des Tigers, die Kälte Sibiriens und dass Herzen einer Berufung folgen möchten.

Fazit: Ungewöhnliche Erzählung, die mehr Entwicklungs- als Abenteuerroman ist und ihre Spannung aus der Unterschiedlichkeit der Protagonisten zieht, der Wildheit Sibiriens und seiner Tiger.

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