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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

poetisch

Raum
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Dieses Buch ist wirklich etwas ganz Ungewöhnliches. Einmal ist hier der Erzähler, der im Buch gerade fünf Jahre alt geworden ist und neben seinem kindlichen Tonfall auch noch das Handicup hat, dass er ...

Dieses Buch ist wirklich etwas ganz Ungewöhnliches. Einmal ist hier der Erzähler, der im Buch gerade fünf Jahre alt geworden ist und neben seinem kindlichen Tonfall auch noch das Handicup hat, dass er noch nie ausserhalb des Raums war und deshalb ein etwas verzerrtes Bild von der "echten" Welt hat. Und zu anderen ist es natürlich die Geschichte an sich, die von einer jungen Frau handelt, die mit Anfang 20 entführt und dann über Jahre in einem Schuppen festgehalten wird, wo sie jede Nacht ihrem Peiniger ausgeliefert ist und dort auch ein Kind zur Welt bringt, welches dann mit ihr fünf Jahre in dem einen Raum lebt.

Das Buch ist in 3 Phasen zerteilt. Zum einen die Zeit im Raum, in der der Leser erfährt, wie die Frau versucht ihrem Kind die Welt in diesem einen Raum zu erklären und durch Weglassen und Schönreden ein einigermaßen erträgliches Leben zu schaffen. Der auf das Minimum reduzierte Alltag - kein Spielzeug, schlechtes Essen, keine Bewegung, keine äußeren Reize - bestimmen das innige Zusammenleben von Mutter und Kind. Der Entführer wird nur schemenhaft und beklemmend geschildert, seine Auftritte machen Angst und schüren den Groll, den man auf ihn empfindet.

Teil 2 handelt von Planung und Durchführung eines Fluchtversuches. Eines Ausbruchs des Kindes, welcher auch der Mutter zur Flucht verhelfen soll. Ich will hier nicht zu viel verraten, aber die Spannung steigt hier ziemlich an und ich fand es fast schade, dass diese Phase viel zu schnell vorbei war.

Im dritten Teil wird erzählt, was nach der Durchführung der Flucht passiert. Hier kommt es dann wieder zu fast poetischen Erkenntnissen von der realen Welt "draußen", die durch die Augen eines Fünfjährigen dem Leser nahegebracht werden.

Mit viel Liebe zum Detail, mit einem wunderbar kindlichen Blick auf die Welt, wird hier von einem Trauma und dem Versuch seiner Bewältigung erzählt. Mir gingen ständig die Bilder der wirklichen Entführungsfälle durch den Kopf, der Frauen, die geretten wurden, und ich empfand das Buch als Homage an diese Opfer, denen man viele Jahre ihres Lebens geraubt hat und die dennoch meist zuversichtlich und stark in die Zukunft blicken.

Ein schönes Buch, das berührt und aufwühlt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

eine Leseempfehlung

Das Haus der verlorenen Kinder
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Marie wurde bereits als Kleinkind Vollwaise und hatte eine unglückliche Kindheit bei verschiedenen Pflegefamilien. Mehr zufällig kommt sie in ihrem sozialen Jahr in ein Altersheim, welches zu Kriegszeiten ...

Marie wurde bereits als Kleinkind Vollwaise und hatte eine unglückliche Kindheit bei verschiedenen Pflegefamilien. Mehr zufällig kommt sie in ihrem sozialen Jahr in ein Altersheim, welches zu Kriegszeiten ein Lebensbornhaus war. Dort wurden vor allem von der SS Kinder verbracht, die vorher ihren Müttern nicht immer freiwillig weggenommen wurden und die dann an arische Familien zur Adoption freigegeben wurden.
Im Jahr 1941 werden zwei Norwegerinnen von deutschen Besatzungssoldaten schwanger und da sie von der eigenen Familie verstoßen werden, weil sie mit dem Feind fraternisiert haben, landen ihre Töchter nach der Geburt bald in so einem Heim und die Mädchen werden nie ihre wirklichen Mütter kennenlernen. Die zweite Generation, Marie und Jan, wissen anfangs nichts über die Vergangenheit ihrer Großmütter.
Zufällig lernt Marie Betty im Altersheim kennen und freundet sich mit der über 80-Jährigen an. Bald wird klar, dass sie eine der zwei Norwegerinnen war, die einst ihre Töchter hergeben mussten.
Ein dunkles Stück Geschichte, welches von der Autorin Linda Winterberg gut recherchiert und klug in eine fiktive Geschichte auf zwei Ebenen eingebettet wurde. Unter diesem Pseudonym schreibt Nicole Steyer diesmal nicht aus der mittelalterlichen Epochet sondern der nahen Vergangenheit. Ihr Schreibstil ist sehr angenehm zu lesen und die Handlungen der Hauptdarstellerinnen sind nachvollziehbar und glaubhaft. Es war mein erstes Buch von Winterberg/Steyer und hat mir wirklich gut gefallen. Von mir eine Leseempfehlung für „Das Haus der verlorenen Kinder“.

Veröffentlicht am 15.09.2016

spannende SF

Ikarus
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Der Holder Takeder wird ermordet aufgefunden. In weiser Voraussicht hat er aber wenige Tage vor seinem gewaltsamen Tod eine Kopie seines Geistes anfertigen lassen und verfügt, dass dieser als blauer Kopiat ...

Der Holder Takeder wird ermordet aufgefunden. In weiser Voraussicht hat er aber wenige Tage vor seinem gewaltsamen Tod eine Kopie seines Geistes anfertigen lassen und verfügt, dass dieser als blauer Kopiat versuchen soll, seinen Tod aufzuklären. Dafür bleiben ihm allerdings nur kurze 20 Tage, dann wird der Kopiat sich zersetzen.

Obwohl einer der Hauptaspekte dieser Geschichte die Suche nach einem Mörder ist und das Ganze deshalb durchaus Strukturen eines Thrillers hat, ist es immer noch ein reinrassiger Science Fiction. Und Andreas Brandhost hat dafür das ganze Repertoire aufgefahren. Da bewohnen Menschen eine Vielzahl unterschiedlicher Planeten, die man auf sehr zukunftsträchtige praktische Art bereisen kann. Da gibt es eine fremde Intelligenz, die die Menschheit kontrolliert und die intelligenter und mächtiger scheint, als die Menschen. Da gibt es Sprünge durch Raum und Zeit und Maschinen und Klone bevölkern diese Zukunftswelt.

Es ist kein Buch, welches man so einfach nebenher wegschwarten kann. Es verlangt die volle Aufmerksamkeit des Lesers, fordert zum Miträtseln auf, erklärt teils schwierigste technische und politische Zusammenhänge. Das Personal ist vielfältig und relativ groß, die Charaktere sind differenziert beschrieben und so manche Überraschung wartet auf Takeder und auf den Leser.
Das Ende ist zufriedenstellend. Der Mörder wird entlarvt und die in Aussicht gestellte Zukunft ist anders als zuerst von mir erwartet. Eine Leseempfehlung für alle Brandhorst-Fans und Freunde anspruchsvoller SF-Romane

Veröffentlicht am 15.09.2016

dramatische letzte Kriegstage

Odins Söhne
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Das Naziregime liegt Anfang 1945 in den letzten Zügen. Aber bis zum Schluss hat das Regime um Hitler die Fäden fest in der Hand und Juden und Regimegegner müssen weiterhin um ihr Leben fürchten und auf ...

Das Naziregime liegt Anfang 1945 in den letzten Zügen. Aber bis zum Schluss hat das Regime um Hitler die Fäden fest in der Hand und Juden und Regimegegner müssen weiterhin um ihr Leben fürchten und auf der Hut sein vor Entdeckung.
Oppenheimer hält sich unter falschem Namen weiterhin in Berlin auf, arbeitet als Nachtwächter und versucht nicht aufzufallen. Um seine Frau Lisa nicht zu gefährden, kann er sie immer nur für kurze Zeit unauffällig treffen, denn offiziell gibt es ihn ja gar nicht mehr. Nur mit Hildes Hilfe gelingt es ihm, unerkannt zu bleiben.
Statt seiner gerät allerdings dann Hilde in Gefahr, als ihr Noch-Ehemann, Erich Hauser, sich aus dem KZ absetzt, in dem er der Lagerarzt war und mit ihrer Hilfe seine endgültige Flucht organisieren will. Durch einen Medikamentendeal wird auch Oppenheimer in Hausers Pläne verstrickt und als eine verstümmelte Leiche als Hauser von der Polizei identifiziert wird, überschlagen sich die Ereignisse und die Polizei verhaftet Hilde unter Mordverdacht.
Oppenheimer fängt heimlich an zu ermitteln und hofft, den wahren Täter zu finden, bevor über Hilde die Todesstrafe verhängt wird, was zur damaligen Zeit sehr leicht und rasant zum Tode führen konnte.
Die letzten Monate des zweiten Weltkrieges werden hier auf sehr eindringliche Weise beschrieben und die Akteure taumeln zwischen den dramatischen Geschehnissen und der Suche nach dem Täter hin und her. Hilde verstrickt sich in Widersprüche, Oppenheimer findet immer mehr über Hauser heraus und das Grauen des Krieges überschattet aller Leben und Handeln.
Die Gräueltaten der Nazis werden hier bis in kleinste Details beschrieben. Die geschichtlichen Tatsachen sind eng mit der Romanhandlung verknüpft und bis zum Schluss wird die Spannung hochgehalten und man bangt um Hildes Leben und Oppenheimers Sicherheit gleichermaßen.
Wer die Bücher von Rademacher und Kutscher mag, der ist hier bei Harald Gilbers bestens aufgehoben.

Veröffentlicht am 15.09.2016

interessanter Krimi

Auf kurze Distanz
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Klaus Burck ist an einem Wendepunkt in seinem Leben angekommen. Nachdem ihn seine langjährige Freundin verlassen hat und die Arbeit bei der Polizei ihn nicht mehr ausfüllt, bewirbt er sich auf einen neuen ...

Klaus Burck ist an einem Wendepunkt in seinem Leben angekommen. Nachdem ihn seine langjährige Freundin verlassen hat und die Arbeit bei der Polizei ihn nicht mehr ausfüllt, bewirbt er sich auf einen neuen Job. Und überraschend wird er tatsächlich als Undercover-Ermittler angenommen und bekommt sofort seine erste Aufgabe. Er soll versuchen, so nah wie möglich an den Serben Aco Goric ranzukommen, da der das Oberhaupt der Sportwettmafia ist und die Behörden seit Jahren versuchen, ihn dingfest zu machen. Über dessen Neffen Luca schafft Klaus tatsächlich den Einstieg ins Milieu und versucht an Beweise zu kommen, die Aco stichhaltig belasten könnten. Dabei entspinnt sich ein gefährliches Versteckspiel, bei dem er mehrmals kurz vor der Entlarvung steht, die auch seinen Tod bedeuten würde, denn der Goric-Clan schreckt auch vor drastischen Methoden nicht zurück. Um so mehr er sich auf seine Rolle einlässt, um so stärkere Sympathien entwickelt er für Luca und er gerät bald auch in Gewissenskonflikte.

Holger Karsten Schmidt ist ein sehr erfolgreicher deutscher Drehbuchautor. Seine Krimis haben bereits mehrere Preise abgeräumt. Man merkt dem Schreibstil an, dass er im Nacken eine Filmkamera hatte und seine Stärke ist es, die Akteure getreu ihrer Charaktere stringent und zielorientiert handeln zu lassen und die Handlung stetig voranzutreiben. Man spürt die Gefühle und Gedanken der Personen mehr, als dass er sie in Wort fasst. Im Kopf erzeugt er durchaus ein spannendes Kopfkino, denn ich kann mir die Verfilmung von „auf kurze Distanz“ sehr gut vorstellen und sie ist ja auch schon in Arbeit. Allerdings war es mir für einen Roman manchmal fast zu knapp gehalten und gerade im letzten Drittel passiert sehr viel und die stakkatoartig aneinander gereihten Aktionszenen hätten durchaus etwas mehr Füllmaterial und erklärenden Text vertragen können. Dann wären die Emotionen beim Lesen sicherlich noch intensiver gewesen.
Mir hat der Krimi gut gefallen, auch weil das Thema illegale Sportwetten mir neu war und ich werde den Autor sicherlich im Auge behalten.