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Veröffentlicht am 04.04.2021

Nur 40 km

Das Haus des Leuchtturmwärters
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Lützow 1992: Franzi ist Thriller-Schriftstellerin und hat eine Schreibblockade. Um Abstand zu gewinnen und sich aufs Schreiben zu konzentrieren, kehrt sie dahin zurück, wo sie die glücklichste Zeit ihre ...

Lützow 1992: Franzi ist Thriller-Schriftstellerin und hat eine Schreibblockade. Um Abstand zu gewinnen und sich aufs Schreiben zu konzentrieren, kehrt sie dahin zurück, wo sie die glücklichste Zeit ihre Kindheit verbracht hat – in das ehemalige Haus ihres Vaters, des Leuchtturmwärters. Das steht einsam am Meer auf einem Hügel kurz vor der ehemaligen innerdeutschen Grenze. „Die Leere kam ihr seltsam fremd vor, und doch spürte sie eine kindliche Vertrautheit zwischen den Wänden.“ (S. 14) Unter den Dielen ihres alten Kinderzimmers findet sie ein 30 Jahre altes Tagebuch.

„Der Leuchtturm hat mir immer Halt und Sicherheit gegeben, egal wie ungestüm die Zeiten waren. Als meine Mutter starb, war das alte runde Backsteingebäude neben meinem Vater mein zweiter Anker.“ (S. 168)
1962 wohnt Else in diesem Zimmer. Auch ihr Vater ist Leuchtturmwärter, aber im Gegensatz zu Franzi ist Else nicht glücklich. Ihre Mutter hat sich vor 9 Jahren angeblich in der Ostsee ertränkt, ihr Vater redet mit ihr nicht darüber und das schon zugesagte Abitur hat man ihr verweigert. Jetzt arbeitet sie in der HO-Gaststätte und träumt davon, doch noch Medizin zu studieren.
Ihrer Freundin Lulu und deren Freund Otto geht es ähnlich. Lulu möchte die Welt bereisen und Otto die Musik spielen, die ihm gefällt, Jazz. Sie möchten eigentlich nichts anderes, als alle jungen Menschen in ihrem Alter, aber es trennen sie 40 km und eine Mauer von einem Leben in Freiheit auf der anderen Seite der Ostsee. 40 km „nasse Grenze“, die sie irgendwie überwinden müssen, denn „Alles wird mich glücklicher machen als dieses Leben hier.“ (S. 66).

Franzi ist von Elses Tagebuch so gefesselt, dass ihr eigenes Manuskript in den Hintergrund rückt. Stattdessen will sie herausbekommen, ob die drei es geschafft haben und was aus ihnen geworden ist. Sie vergleicht deren Erlebnisse mit ihren eigenen Erinnerungen an die Kindheit in der DDR. Ihre Eltern habe später einen Ausreiseantrag gestellt sind und sind mit ihr „rübergegangen“. Warum, hat sie nie erfahren. Und als sie jetzt im alten Büro des Leuchtturmwärters unter den noch vorhandenen Unterlagen ihres Vaters einen Zettel mit der Aufschrift „Verräter“ findet, kommt ein schrecklicher Verdacht auf. „Die Wahrheit ist immer von Bedeutung. Auch wenn es wehtut, für sie zu kämpfen.“ (S. 169)

Kathleen Freitag beleuchtet in „Das Haus des Leuchtturmwärters“ ein weiteres Stück DDR-Geschichte, die Nachwehen des Arbeiteraufstandes 1953 und die Folgen des Mauerbaus 1961. Sie beschreibt die Enge in der DDR, obwohl der Blick vom Leuchtturm aus übers Meer anscheinend unendlich ist.
Es ist eine Geschichte über Vertrauen und Verrat, Familie, Freundschaft und Liebe, atmosphärisch dicht und sehr packend erzählt. Die Grundstimmung der Zeit, die Angst vor Denunzianten und der Stasi, vor einer ungewissen Zukunft und die Bereitschaft, das eigenen Leben für die Freiheit zu riskieren, die Überlegungen, wem man (ver)trauen kann, die Sehnsucht nach Weite und Freiheit werden sehr eindringlich geschildert. „Wenn man in diesem Land seine Ruhe haben will, muss man lernen die Klappe zu halten. Und seinen Leidenschaften in aller Stille frönen.“ (S. 246)
Es hat mich fasziniert, dass Kathleen Freitag die Handlung auf einem sehr engen Raum spielen lässt – der Leuchtturm und das Meer als zentraler Punkt, die Arbeitsstellen der drei, ihr geheimer Treffpunkt – und damit die ganze DDR widerspiegelt.

Else und Lulu sind sehr verschieden. Else ist sehr still, muss alles immer erst genau überdenken und macht viel mit sich selbst aus. Das führt beinahe zum Bruch zwischen den jungen Frauen. „Ich dachte, wenigstens du hast in diesem Land keine Geheimnisse.“ (S. 228) Lulu hingegen ist sehr draufgängerisch und redet leider oft erst, bevor sie nachdenkt. Und Otto? Der scheint ein offenes Buch zu sein und liebt Lulu abgöttisch – „Du bist meine Sonne! Ich würde Dir überallhin folgen.“ (S. 55) – doch erzählt er ihnen wirklich alles?

Ich habe mit ihnen gebangt und gelitten, wusste, was ihr Denkfehler bei der Vorbereitung ihrer Flucht war (aber ich will hier nicht zu viel verraten) und hätte ihnen gern geholfen. Ich hatte Angst, dass die Freundschaft die Belastungsprobe nicht aushält und zerbricht.

Wie schon in „Die Seebadvilla“ hat mich Kathleen Freitag wieder sehr berührt und ein wichtiges Buch #gegendasvergessen geschrieben. Ich freue mich schon auf das nächste Lese-Highlight aus ihrer Feder.

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Veröffentlicht am 02.04.2021

Eine Klasse für sich

Das Grand Hotel - Die mit dem Feuer spielen
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„Ein Hotel ist ein Ort der Begegnung, jeder bringt seine eigene Geschichte dort mit hinein, hat ganz verschiedene Hoffnungen, Träume und Wünsche.“ (S. 67)
Bernadette von Plesow kommt nicht über den Tod ...

„Ein Hotel ist ein Ort der Begegnung, jeder bringt seine eigene Geschichte dort mit hinein, hat ganz verschiedene Hoffnungen, Träume und Wünsche.“ (S. 67)
Bernadette von Plesow kommt nicht über den Tod ihres Sohnes Alexander hinweg. Sie leitet das Grand Hotel, ihren ganzen Stolz und ihre Lebensaufgabe, nicht mehr mit der gleichen Liebe und Leidenschaft wie früher, aber immer noch mit strenger Hand. Doch sie auch eine sehr gute Menschenkenntnis und einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und weißt Hilfesuchende nicht ab.
Ihre Tochter Josephine ist über ihren Traum, Malerin zu werden, hinweg. „… ich bin endlich erwachsen geworden … Das, was ich für ein aufregendes Künstlerdasein gehalten habe, ist mir inzwischen nicht mehr genug.“ (S. 29) Sie kehrt aus Leipzig zurück und will ihre Mutter bei der Leitung des Hotels unterstützen, sich als ihre Nachfolgerin ausbilden lassen. Doch die scheint die Hilfe nicht zu brauchen oder annehmen zu wollen.
Bernadettes Sohn Constantin führt in Berlin erfolgreich das Nobelhotel Astor inkl. Nachtclub. Er ist seit Alexanders Tod noch härter und erbarmungsloser geworden und will Rache – und die gleichzeitig für seinem Aufstieg zum Chef der Ringvereine nutzen. „Die Wut, vermischt mit Trauer, hatte einen Riss in seiner Seele hinterlassen und mehr denn je spürte er, wie angreifbar er geworden war - ein Zustand, den er sich in seiner Branche nicht leisten konnte.“ (S. 148 / 149)
Außerdem gibt es Probleme mit Alexanders Witwe Margit. Sie und Bernadette haben sich nie gut verstanden und jetzt versucht sie, Bernadette zu erpressen. Margit ist leicht zu beeinflussen und hat sich von einer regierungsfeindlichen Gruppierung zu unbedachten Äußerungen und Versprechungen hinreißen lassen, die sie ohne Hilfe nicht einhalten kann.
Und dann ist da noch der bisher unbekannte Halbbruder von Bernadettes verstorbenem Mann Karl. Er wollte sie vor seinem Tod noch kennenlernen und sie verlieben sich („Wenn man nur einen einzigen Menschen, einen ganz besonderen Menschen, in seinem Leben hat, der einem zuhört, ist man reich. Dann hat man etwas, was von einem bleibt, wenn man eines Tages geht.“ (S. 196)), doch auch ihr ehemaliger Verlobter Götz ist plötzlich wieder da und macht sich Hoffnungen …

Ich fand es toll, dass neben Familien von Plesow auch scheinbar weniger wichtige Nebenfiguren wieder auftauchen. Zum Beispiel ist das ehemalige Zimmermädchen Marie inzwischen Constantins Hausdame im Astor. Sie will aus ihm ein Berliner Äquivalent des Grand Hotels machen und das umsetzen, was sie bei Bernadette gelernt hat. Marie gehört genau wie Josephine zu den modernen, ehrgeizigen jungen Frauen, die neue Ideen einbringen und ihr Leben selbstbewusst in die eigene Hand nehmen und sich nicht mehr alles gefallen lassen.

Auch der zweite Band des Grand Hotel ist ein richtig guter Schmöker, eine extrem spannende Familiensaga voller Intrigen und Geheimnisse. Einmal angefangen, konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen. Caren Bendedikt stellt das verruchte Berlin, das Zentrum des Amüsements und des Verbrechens, dem vergleichsweise ruhigen Binz gegenüber. Aber auch dort werden hinter geschlossenen Türen gefährliche Allianzen geschmiedet, unlautere Geschäfte abgewickelt und fremde Damen empfangen. Sie zeichnet ein tolles Bild dieser Zeit, sehr fesselnd und atmosphärisch aus den verschiedenen Blickwinkeln der einzelnen Protagnisten erzählt.

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Veröffentlicht am 29.03.2021

Schaaaatz?!

Ein Traum aus Schaum (Badebuch)
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Sehnt ihr Euch nach einer anstrengenden Woche oder dem Hausputz auch nach einem entspannenden Wannenbad? Ganz in Ruhe, die Umwelt wird ausgeblendet, der Schaum reicht bis zur Nasenspitze und ein leckeres ...

Sehnt ihr Euch nach einer anstrengenden Woche oder dem Hausputz auch nach einem entspannenden Wannenbad? Ganz in Ruhe, die Umwelt wird ausgeblendet, der Schaum reicht bis zur Nasenspitze und ein leckeres Getränk steht auf dem Wannenrand bereit? Vielleicht hört Ihr dabei Eure Lieblingsmusik oder lest in Ruhe ein gutes Buch … Und dann brüllt irgendwo aus den Tiefen der Wohnung Euer Partner, weil er irgendwas sucht oder will und zerstört die Idylle?
Genau so geht es der Protagonistin aus Isabella Archans neuem Badewannenkrimi „Ein Traum aus Schaum“. Aus dem charmanten Österreicher, der ihr die Sachertorte gereicht hat, ist längst ein Couch-Erdapfel geworden, der sich von vorn bis hinten bedienen lässt und fremd geht. Kein Wunder, dass sie da auf Mordgedanken kommt … Bitterböse, stellenweise – wenn Schatzi nicht gerade nervt – auch extrem entspannend, herrlich sarkastisch und sehr lustig! Und wie immer in nur 15 min. bei einem hoffentlich entspannenden Schaumbad gelesen .

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Veröffentlicht am 25.03.2021

Bernsteinträume

Bernsteinsommer
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„… Träume bleiben nur so lange Träume, bis man sie verwirklicht.“ (S. 121) 1917 lernt die kleine Grete im Urlaub auf Hiddensee die berühmte Malerin Elisabeth Büchsel kennen. Deren Bilder gefallen ihr so ...

„… Träume bleiben nur so lange Träume, bis man sie verwirklicht.“ (S. 121) 1917 lernt die kleine Grete im Urlaub auf Hiddensee die berühmte Malerin Elisabeth Büchsel kennen. Deren Bilder gefallen ihr so gut, dass sie davon träumt, später auch Malerin zu werden.

„Mein Traum war es immer, eine kleine feine Konditorei zu führen, aber letztendlich habe ich ein Bistro aus meinem Café gemacht.“ (S. 89) Christina geht in ihrer Arbeit als Konditorin auf, aber um bestehen zu können, muss sie mit ihrem Café Kompromisse eingehen. Auch privat läuft nicht rund. Ihr Mann hat nach nur 3 Jahren Ehe die Scheidung eingereicht, weil sie viel Zeit mit ihrem an Demenz erkrankten Vaters verbringt, so lange dieser sie noch erkennt. Doch die Krankheit schreitet immer schneller voran. Für Christina und ihre Mutter ist das eine sehr schwere Zeit. Als ihr Vater an einem guten Tag nach seinen Malsachen fragt und Christina diese zusammensucht, findet sie in seiner Zeichenmappe ein Ölgemälde, das mit „GS 1929“ signiert sind. Von wem ist die und wie ist sie zwischen seine Bilder gelangt? Außerdem trifft sie Lukas wieder, der sie früher heftig umworben hat. Damals fand sie ihn zu jung, jetzt gefällt er ihr – aber will sie ihn wirklich in ihr Leben lassen? „Ich war nicht darauf vorbereitet, mich zu verlieben.“ (S. 165). Als dann auch noch ein Wasserrohr in der Küche ihres Cafés platzt und herauskommt, dass das Haus saniert werden soll, gönnt sich Christina eine kurze Auszeit auf Rügen bei Thea, der Cousine ihres Vaters, um Abstand von allem zu bekommen, und lüftet dabei ein altes Familiengeheimnis …

Anne Barns hat mich mit diesem Roman sehr berührt, weil sie extrem sensibel mit dem Thema Demenz umgeht und beschreibt, wie sich der Betroffene und die Angehörigen fühlen. Christina und ihre Mutter müssen sich damit anfreunden, dass sie keine Rolle mehr im Leben ihres Vaters bzw. Mannes spielen, müssen ihn loslassen, ihr eigenes Leben überdenken und neugestalten. „Dein Vater hat lange Zeit die Welt für mich bedeutet. Und jetzt wünsche ich mir, dass er glücklich in der Welt ist, in der er nun lebt.“ (S. 207) Christinas älterer Bruder hat sich zurückgezogen, weil er mit der Situation nicht umgehen kann. Das alles schildert sie mit ganz viel Fingerspitzengefühl und Empathie.

Aber ihr Roman ist natürlich auch ein Garant zum Wohlfühlen und für eine wunderschöne Auszeit am Meer.
Christina war mir sofort sympathisch, ich konnte die Sorgen um ihren Vater und ihr Café sehr gut nachvollziehen. Ihre beste Freundin Liljana ist herrlich direkt und selbstbewusst, sie sagt offen, was sie denkt und hat mich oft zum Schmunzeln gebracht. Lukas platzt zu einer unpassenden Zeit wieder in Christinas Leben), aber er tut ihr gut, ist charmant, hilfsbereit und packt gern mit an.
Außerdem habe mich sehr über das Wiederlesen mit Thea, Anni und deren Enkelinnen gefreut.
Sehr anschaulich und mit viel Liebe zum Detail beschreibt Anne Barns die Inseln Rügen und Hiddensee, macht Lust auf (Kurz-)Urlaube und lange Spaziergänge am Meer, um dabei Bernstein und anderes Strandgut zu suchen oder ein Motiv für das nächste Bild.
Zudem verführen die Rezepte im Anhang des Buches wieder zum Nachbacken – den Sommerstollen habe ich schon ausprobiert und kann ihn sehr empfehlen.

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Veröffentlicht am 22.03.2021

Ein Buch mit echter Sogwirkung

Die Buchhändlerin
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Frankfurt 1941: Martin betreibt die Buchhandlung Schwerfeger in 3. Generation. Er lässt sich von den Nationalsozialisten nur ungern vorschreiben, was er noch verkaufen darf und hat für gute Kunden verbotene ...

Frankfurt 1941: Martin betreibt die Buchhandlung Schwerfeger in 3. Generation. Er lässt sich von den Nationalsozialisten nur ungern vorschreiben, was er noch verkaufen darf und hat für gute Kunden verbotene Literatur unter dem Ladentisch. Obwohl er übervorsichtig ist, kommt man ihm auf die Schliche. Er wird verhaftet und ins Zuchthaus gesteckt, der Laden wird der Familie weggenommen. Seine 14jährige Nichte Christa verzweifelt „Was soll ich denn jetzt lesen? Ohne Bücher fühle ich mich nackt.“ (S. 16)

Martin hat Glück, überlebt den Krieg trotz Konzentrationslager und Zwangsarbeit, aber er ist nicht mehr der gleiche. Die amerikanischen Besatzer geben ihm den Buchladen zurück und Christa, die auf einen Studienplatz wartet, arbeitet bei ihm. Als sie endlich studieren kann und glücklich ist, wird Martin bei etwas Verbotenem erwischt. Um den Buchladen zu retten, muss er ihn Christa überschreiben und sie ihr Studium abbrechen. Und obwohl sie die Arbeit liebt, den Kontakt mit den Kunden und Verlagen und sogar einen Lesezirkel einführt, hadert sie mit ihrem Schicksal. Sie hatte sich etwas anderes erträumt. „Wann kann ich endlich mein eigenes Leben leben?“ (S. 265)

Ines Thorn hat mich mit ihrem neuen Buch „Die Buchhändlerin“ überrascht. Es ist deutlich vielschichtiger als erwartet und hat eine echte Sogwirkung, zieht einen in die Geschichte und lässt bis zum Ende nicht mehr los.

Christa ist zum Kriegsende gerade 18 und hat ein Notabitur. Sie ist im Buchladen großgeworden und träumt davon, zu studieren und Lektorin zu werden, aber ihre Mutter Helene meldet sie auf der Bräuteschule an (Ich wusste gar nicht, dass es sowas damals noch gab.). Christa will ein selbstbestimmtes Leben führen und arbeiten gehen, ihre Mutter sie schnell verheiraten, damit sie ihre Bestimmung als Frau erfüllen und sich um Mann, Kinder und Haushalt kümmern kann. Helene hängt noch alten Zeiten hinterher, in denen eine Frau ohne Mann nichts gilt, sie jemanden braucht, der für sie sorgt.
Außerdem haben Christa und Helene den Waisenjungen Heinz aufgenommen, der eines Tages halbverhungert und -erfroren vor ihrem Haus lag. Martin wird sein Vormund, die beiden scheinen im Krieg ähnlich Grausames erlebt zu haben, hängen sehr aneinander und verstehen sich ohne Worte.

Christas Kampf um ihren Lebenstraum hat mich mitgerissen. Es tat mir leid, dass sie wegen Martins „Fehler“ so zurückstecken und auf vieles verzichten musste. Sie steht für die modernen jungen Frauen, die Deutschland damals mit Elan, Herz und Visionen wiederaufgebaut haben.
Aber Martins Geschichte, über die ich hier nicht zu viel verraten kann, weil ich sonst spoilern würde, hat mich noch viel mehr berührt und mir echte Gänsehaut beschert. Er ist sehr sensibel und zerbricht fast an dem, was ihn ausmacht, wird von seiner Umwelt deswegen gemieden und verurteilt. Christa ist hin- und hergerissen, will ihn unterstützen, müsste dafür aber ihre eigenen Träume aufgeben.

„Die Buchhändlerin“ ist eine Geschichte, die zu Herzen geht. Sie handelt von den verschiedenen Arten der (erfüllten und unerfüllten) Liebe, ob zu Büchern und der Literatur, zu (verbotenen) Partnern oder zwischen (Findel)Kindern und Müttern. Es geht um die Suche nach Familie, Heimat und Wurzeln, aber auch nach Selbstverwirklichung und Anerkennung.

Mir hat gefallen, wie die Autorin das Lebensgefühl von damals rüberbringt und die Zeit wieder lebendig werden lässt: Die Stimmung nach dem Krieg unter der amerikanischen Besatzung (Kontakte zwischen Besatzern und Besetzten sind unerwünscht, gibt es aber natürlich trotzdem), der Hunger nach Leben, die Auseinandersetzungen mit immer noch überzeugten Nazis und deren Gedankengut, aber auch die Einschränkungen z.B. durch die Hungerwinter und die Diphterie-Epidemie und das Handeln auf dem Schwarzmarkt.

5 Sterne und meine uneingeschränkte Leseempfehlung.

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