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heinoko

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.10.2017

Ein Ort im Nirgendwo

Umkehrschuss
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Landeskunde wird groß geschrieben bei Martina Kempff. Die Kehr, dieses winzige Pünktchen auf der Landkarte, das gleichermaßen in Deutschland wie auch in Belgien liegt und das es wirklich gibt, ist bei ...

Landeskunde wird groß geschrieben bei Martina Kempff. Die Kehr, dieses winzige Pünktchen auf der Landkarte, das gleichermaßen in Deutschland wie auch in Belgien liegt und das es wirklich gibt, ist bei allen Krimis dieser Autorin der Schauplatz allen Übels. Die Kehr ist eine Örtlichkeit, die unter 60 Bewohnern aufgeteilt ist zwischen NRW, Rheinland-Pfalz und Belgien und in der es je nach Landeszugehörigkeit so wunderliche Dinge gibt wie 3 unterschiedliche Abholzeiten von Mülltonnen oder 3 verschiedene Postboten.
Sonst gibt es nicht viel, aber immerhin eine Leiche, die passenderweise auf dem Friedhof liegt, mit einem Loch in der Brust. Niemand kennt den Toten, und so tut sich die deutsche Polizei sehr schwer, irgend einen Ansatzpunkt für die Ermittlungen zu finden. Gut, dass es da noch den belgischen Polizeiinspektor Marcel Langer gibt und seine Freundin Katja Klein, die das Restaurant „Einkehr“ in der Kehr führt. Beide können es nicht lassen und mischen kräftig mit bei der Suche nach dem Mörder. Allerlei schräge Typen schaffen weitere Verwirrung. Es wird auf Maulwürfe geschossen, ein fehlgeleiteter Enkel macht Probleme, bei Aldi gekaufte Kleidung gibt Rätsel auf, ansonsten wird gekocht, das Fernsehen dreht seltsame Szenen und Katja und Marcel sind immer mittendrin…
Martina Kempff schreibt im Präsens. Das macht das Lesen für mich ein wenig sperrig, auch empfinde ich die Sprache insgesamt mitunter etwas spröde. Außerdem hätte ich auf die relativ langen theoretischen Abhandlungen zur Örtlichkeit verzichten können. Aber diese kleinen Kritikpunkte fallen letztlich nicht ins Gewicht, denn es überwiegen die herrlich komischen Situationen, der schräge Wortwitz und der Spaß der Autorin am Erzählen, den man auf jeder Seite spürt. Am Anfang jedes Kapitels stehen sehr spezielle Rezepte. Dass stets die Mengenangaben fehlen, soll vielleicht die mäßig Kochbegabten davon abhalten, sich an Meerbarben auf exotischem Püree oder an Brennessel-Pfannkuchen zu versuchen. Wer weiß. Martina Kempff traue ich eine Menge zu, nicht nur das Schreiben komisch-verzwickter Krimis.



Veröffentlicht am 21.10.2017

Sachbuch im falschen Gewand

Der Tiger in der guten Stube
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Ein niedliches Katzenkind auf dem Titelbild, ein spielendes Katzenkind auf der Rückseite und eine Fülle von kleinen Zeichnungen von kletternden, sitzenden, grimmig oder lieb schauenden Katzen, Pfötchen, ...

Ein niedliches Katzenkind auf dem Titelbild, ein spielendes Katzenkind auf der Rückseite und eine Fülle von kleinen Zeichnungen von kletternden, sitzenden, grimmig oder lieb schauenden Katzen, Pfötchen, die über die Seite laufen – die gesamte Aufmachung suggeriert ein „liebes“ Katzenbuch, vielleicht sogar für Kinder. Solcherart falsche Erwartungen zu wecken, kann doch nicht wirklich verkaufsfördernd sein?

Denn tatsächlich handelt es sich um ein fundiertes Sachbuch, das eine unglaubliche Fülle an Informationen rund um das Thema Katze vermittelt. Die Auflistung aller Fußnoten, d. h. Quellenverweise, studierte Literatur etc., in kleinster Schrift gesetzt, umfasst 20 Buchseiten! Die Autorin hat ungeheuere Fleißarbeit geleistet. Allein schon dafür gilt ihr meine größte Anerkennung. Zwar schreibt sie als Amerikanerin zwangsläufig mit Blick auf die USA, aber viele, viele Informationen lassen sich eins zu eins auf Europa übertragen. Die mitunter etwas trockenen, aber gut verständlichen Inhalte werden immer wieder aufgelockert durch Erzählungen der Autorin über ihre persönlichen Katzen-Erlebnisse. Es gefällt mir sehr gut, dass Abigail Tucker versucht, sich mit allen von ihr angerissenen Themen möglichst neutral zu befassen, sie wertet nicht, weist keine Schuld zu. Sie hält sich an Fakten, an Forschungsergebnisse, an Umweltaktivisten, an Tierschützer, an Züchter, an Wissenschaftler. Leider, leider fehlen im Buch Fotos. Man hätte gut daran getan, statt der kinderbuchartigen Zeichnungen aussagekräftige Fotos einzufügen, um die angebotenen Informationen anschaulich zu machen.

Auf der Rückseite des Buches verspricht der Verlag, dass man nach Lektüre dieses Buches Katzen mit anderen Augen sehen wird. Und das ist in der Tat so! So viel Erschreckendes, Befremdliches habe ich noch nie über Katzen gelesen. Verwunderung, Entsetzen, Scham, Ungläubigkeit, Heiterkeit – eine große Bandbreite an Reaktionen löste das Buch in mir aus, ungewöhnlich für ein Sachbuch und Nachweis für die besondere Qualität des Buches.

Wer Katzen liebt, sollte das Buch lesen. Und wer Katzen nicht mag, sollte dieses Buch auch lesen!

Veröffentlicht am 01.10.2017

Mag sein. Mag nicht sein.

Frei von der Seele
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Ein kleines, äußerlich sich bescheiden zeigendes Büchlein. Von einem Autor, der nicht unbedingt bescheiden ist. Denn er gibt uns Antworten aus einem „ganzheitlichen Bewusstsein“. Mag sein, mag nicht sein.

Auf ...


Ein kleines, äußerlich sich bescheiden zeigendes Büchlein. Von einem Autor, der nicht unbedingt bescheiden ist. Denn er gibt uns Antworten aus einem „ganzheitlichen Bewusstsein“. Mag sein, mag nicht sein.

Auf jeden Fall handelt es sich um ein Sammelsurium von meist recht kurzen Gedanken zu unterschiedlichsten Themen und mit teils provokanten Titeln, wie z. B. „Jedes spirituelle Streben ist die Flucht vor dir selbst“ oder „Miese auf dem Konto – Befreiung von Schuld“. Bastian Aue serviert uns seine Sicht kurz und prägnant, sehr unaufgeregt, in Sätzen, die die Richtigkeit seines Denkens postulieren. Man muss nicht der Meinung von Bastian Aue sein. Aber Nachdenken über die Themen, über die Behauptungen, über sich selbst lohnt sich allemal. Der Autor empfiehlt den Umgang mit seinem Buch wie bei einem Bibel-Lotto: den Daumen wahllos eine Seite wählen lassen. Mir kam bei dieser Gebrauchsanweisung die Idee – so man gute, wirklich gute Freunde hat – mit diesen zusammen an einem gemeinsamen Abend ein auf diese Weise willkürlich gewähltes Thema miteinander zu bereden, einem Spiel gleich, locker, fröhlich, einander zuhörend. Vielleicht bringt es einen weiter. Mag sein, mag nicht sein. Auf jeden Fall kann man gemeinsame Zeit schlechter verbringen als mit diesem Buch…

Veröffentlicht am 12.09.2017

Interrogatio praesentia und andere Klarsichthüllen

Kleins Große Sache
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Ein Buch, das mich einerseits gefesselt hat, andererseits jetzt aber ratlos zurücklässt. Denn ich habe viel Lesearbeit investiert, habe mich um den apikopostalveolaren Frikativ gekümmert und um andere ...

Ein Buch, das mich einerseits gefesselt hat, andererseits jetzt aber ratlos zurücklässt. Denn ich habe viel Lesearbeit investiert, habe mich um den apikopostalveolaren Frikativ gekümmert und um andere Absurditäten, um mich nun zu fragen, wozu…
Harald mit dem Nachnamen KLEIN bekommt einen Job in der oberen Führungsebene einer Firma, in der es um die GROSSE SACHE geht. Und wir folgen Harald Klein durch seinen Arbeitsalltag, wie er die Leitsätze der Firma „Leistung für Leben“ und „Wir vertrauen dem Weg“ verinnerlicht, wie er überhaupt in den firmeneigenen Floskeln, Fadenscheinigkeiten und Manipulationen versinkt, wie er in dem Paralleluniversum nach den firmeneigenen Regeln funktioniert und somit sein weiterer Aufstieg unaufhaltsam zu sein scheint.
Ein gewichtiges Buch - es wiegt in der Tat viel mehr, als normalerweise ein Umfang von 380 Seiten wiegen sollte. Auf der Suche nach versteckten Gewichtsvermehrern, wie z. B. dicke Fotoseiten, durchblätterte ich die Seiten vergebens. Erst nach Beendigung des Lesens wurde es mir klar: Ein ge-wichtiger Inhalt macht das Buch so schwer, auch wenn es scheinbar leichthändig geschrieben ist. Raffiniert satirisch wird die riesengroße Seifenblase des Management-Wasserkopfes angestochen und seine beeindruckend irisierenden Täuschungsmanöver ins sinnlose Nichts befördert. Gut geschrieben, keine Frage. Aber kürzer, prägnanter, pointierter auf weniger Seiten hätte dem Buch mehr Schärfe und Schliff verschafft.

Veröffentlicht am 23.08.2017

Ziemlich schräge Typen

Sonntags in Trondheim
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Wirklich schade, dass ich die Vorgänger-Bücher nicht kenne bzw. dass ich vor Lektüre dieses Buches gar nicht wusste, dass es das vierte in einer Reihe rund um die Familie Neshov ist. Vermutlich hätte ich ...

Wirklich schade, dass ich die Vorgänger-Bücher nicht kenne bzw. dass ich vor Lektüre dieses Buches gar nicht wusste, dass es das vierte in einer Reihe rund um die Familie Neshov ist. Vermutlich hätte ich dann manche Zusammenhänge besser verstanden. Ohne die Vorkenntnisse kam mir die Handlung fast ein wenig wahllos zusammengesetzt vor, nicht wirklich rund.
Es wird über die weit verstreut lebenden Mitglieder der Familie Neshov und über ihr jeweiliges Lebensumfeld erzählt. Allesamt sind sie in ihrer Art schräge, extrem unterschiedliche Typen. Da ist z. B. der ernsthafte Bestatter Margido, der es mit allem sehr genau nimmt und für den es bereits ein Abenteuer darstellt, seine immer exakt gleich geschmierten Vesperbrote im Wald auf einem Baumstumpf sitzend zu essen statt an seinem Schreibtisch im Büro. Oder das wunderbar intensiv geschilderte schwule Paar Erlend und Krumme mit ihren drei Kindern und deren lesbischen Müttern. Und nicht zuletzt Torunn, die Nichte, die nach einer gescheiterten Beziehung den Mut aufbringt, in ihr einstiges Zuhause und Erbe, ein großes, leerstehendes bäuerliches Anwesen in Trondheim, einzuziehen und sich den Schatten der Vergangenheit zu stellen.
Mitunter war der Schreibstil etwas kompliziert, manche Sätze musste man zweimal lesen, um sie zu verstehen, was jedoch an der Übersetzung liegen mag. Ein gravierender Fehler wurde vom Lektorat übersehen: S. 196 oben heißt es „an seinem Champagner nicken“ (statt nippen).
Insgesamt gesehen habe ich dieses Buch durchaus gemocht. Es wird humorvoll und sehr liebevoll erzählt, und es gibt neben den vergnüglichen Stellen viele nachdenkenswerte Passagen. Nur leider, leider ist dieser Band alleine ohne die Vorgänger-Bücher (und ohne den vermutlich folgenden 5. Band) ein etwas willkürlich zusammengesetztes Konglomerat von Einzelschicksalen, deren Verknüpfung dem Leser dieses einen 4. Bandes allein verborgen bleibt.