Profilbild von holdesschaf

holdesschaf

Lesejury Star
offline

holdesschaf ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit holdesschaf über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.10.2021

Lang lebe der Punk!

Pop ist tot
0

In den Neunzigern war er der Sänger der österreichischen Punkband "Pop ist tot" und tourte mit seinen Spezln Günther, Bronko und Hansi durch die Lande und lebte, als gäb es kein Morgen. Heute sitzt er ...

In den Neunzigern war er der Sänger der österreichischen Punkband "Pop ist tot" und tourte mit seinen Spezln Günther, Bronko und Hansi durch die Lande und lebte, als gäb es kein Morgen. Heute sitzt er in der wie er es nennt "Hipsterhölle", einer Firma die Social-Media-Kampagnen plant, als einziger Kerl unter lauter Feministinnen und fristet sein spießbürgerliches Dasein. Dann taucht der Günther auf und überredet ihn zu einer Reunion-Tour, um die verlockend-anarchische Vergangenheit als "moderne Nomaden" wieder aufleben zu lassen. Ob das gut gehen kann?

Thomas Mulitzer ist selbst Mitglied einer Punkband. Das merkt man seinem Roman auch an. Er weiß, wovon er schreibt. Bissig, ironisch, rotzig und ein bisschen abgedreht nimmt er uns mit auf einen Road-Trip der besonderen Art, huldigt dem Punk, aber rührt auch an Klischees sowohl in der modernen Spießer- als auch in der anarchischen Punkrock-Welt. Vor allem zu Beginn des Buches beschreibt er so überspitzt die Arbeitswelt von heute, dass einem die Tränen kommen vor Lachen und man gleichzeitig den Kopf schüttelt, weil so viel Wahrheit darin liegt. Der Protagonist ist unzufrieden, der Günther hat sonst nix, ganz klar ist die Reunion eine Flucht vor der Realität. Doch ob der Versuch, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen besser ist? Oder überhaupt möglich? In dem Alter? Mit dieser Frage konfrontiert der Autor "Pop ist tot" und spricht damit auch bitterernste Themen an. Mal melancholisch, mal nostalgisch. Mich hat die ganze Sause sehr gut unterhalten, zum Lachen und zum Nachdenken gebracht, denn auch ich bin in den 90er Jahren aufgewachsen und kann sehr gut verstehen, warum der Protagonist nochmal zurück will. Weil die Bissigkeit des Schreibstils in der zweiten Hälfte etwas nachlässt und das Ende mich nicht wirklich überzeugt hat, vergebe ich 4 Anarchiezeichen, äh Sterne.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.09.2021

Reise in die Gedankenwelt eines Vaters

Reise durch ein fremdes Land
0

Tom ist Fotograf. Er hält das Leben anderer Menschen auf Papier fest, immer auf der Suche nach dem perfekten Moment. Doch kurz vor Weihnachten, als ein ziemliches Schneechaos herrscht, bricht er zu einer ...

Tom ist Fotograf. Er hält das Leben anderer Menschen auf Papier fest, immer auf der Suche nach dem perfekten Moment. Doch kurz vor Weihnachten, als ein ziemliches Schneechaos herrscht, bricht er zu einer Reise auf, durch die er nicht nur seinen kranken Sohn zum Fest nach Hause holen will, sondern auch seine Gedanken ordnet und seinen Gefühlen nachspürt, die durch ein tragisches Ereignis aus der Bahn geraten sind. Es wird eine Reise in die Vergangenheit und zu sich selbst, auf der Suche nach Vergebung, Hoffnung und innerem Frieden.

Diese Reise umfasst knapp 200 Seiten, die sich nahezu vollständig im Kopf des Protagonisten abspielen. Gedanken, die die Vergangenheit Revue passieren lassen, die Ehe mit seiner Frau Lorna, die Beziehung zu den Kindern, seiner Arbeit und das Ereignis, das für sie alle, aber besonders für den Vater alles verändert hat. Denn er meint einen Fehler begangen zu haben, von dem er niemandem erzählen kann, er reibt sich daran auf, hat Schuldgefühle. Diese Gedanken sind vom Aufbau her recht realistisch, sie springen hin und her, werden immer wieder vom Navigationsgerät unterbrochen. Es gibt Selbstgespräche, laute und leise und manchmal bildet Tom sich ein, er könne Dinge sehen, die nicht mehr da sind.

Das Ganze klingt vermutlich etwas komisch, hat aber seinen eigenen, besonderen Reiz. Man reist mit Tom in dieses fremde Land und nur nach und nach erfährt man den Hintergrund der Geschichte. Sprachlich ist das Buch wirklich hochwertig, der Autor beschreibt nicht nur die Landschaft draußen in treffenden, anschaulichen Bildern, sondern auch die Seelenlandschaft des Protagonisten. Mit so manchem Gedanken konnte ich mich aber nicht so recht anfreunden und vor allem der letzte Zwischendstopp Toms, war mir zu wirr. Alles in allem jedoch ein ruhiges, lesenswertes Buch.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.09.2021

Geraubte Kindheit

Shuggie Bain
0

Shuggie, eigentlich Hugh Bain, wächst im Glasgow der 1980er Jahre auf. Genauer gesagt in der trostlosen Siedlung, die zu einer bereits geschlossenen Kohlezeche gehört. Die Not durch Arbeitslosigkeit ist ...

Shuggie, eigentlich Hugh Bain, wächst im Glasgow der 1980er Jahre auf. Genauer gesagt in der trostlosen Siedlung, die zu einer bereits geschlossenen Kohlezeche gehört. Die Not durch Arbeitslosigkeit ist hoch, die Perspektivlosigkeit der Menschen groß. Shuggie, der anders ist als andere Jungs, muss in der Schule Hänseleien, Spott und Gewalt ertragen. Zuhause erträgt er die Launen seiner alleinerziehenden, alkoholsüchtigen Mutter, die er liebt und beschützen möchte. Doch wie soll ein Kind eine Mutter retten, die nicht gerettet werden will?

Gleich vorne weg, die Geschichte von Shuggie ist schwer zu ertragen. Sehr oft musste ich das Buch weglegen, um den Kopf von den vielen unglaublich traurigen, herzergreifenden auch mal einfach wütend machenden Bildern wieder frei zu bekommen. Man leidet wirklich mit dem Jungen mit. Dabei geht es nicht einmal primär um ihn, vielmehr dreht sich alles um Agnes, seine Mutter, und deren Alkoholsucht, die weitere Probleme nach sich zieht. Shuggie richtet sein ganzes Denken darauf aus, dass seine Mutter, die immer wieder Versprechungen macht, überlebt und so erfährt man seine Ängste, seinen Hunger, seinen Schmerz eher als Nebenprodukt ihrer Sucht.

Sprachlich ist der Text eigentlich sehr nüchtern verfasst. Man findet wenig Rührseligkeit und dennoch ist man involviert und ergriffen und möchte Shuggie einfach da rausholen. Auch die Beschreibung der Gegend ist sehr gelungen, man atmet die staubige Luft der Zechensiedlung und erlebt sie in ihrer ganzen Tristesse. Die Menschen, die dort leben erscheinen vor dem geistigen Auge des Lesers. An die Übersetzung des Slangs, der die geringe Bildung wiedergeben soll, muss man sich allerdings gewöhnen und man muss sie mögen. Mir hat sie das Ganze etwas verhagelt, da ich bei vielen Begriffen eher den Ruhrpott oder gar den deutschen Norden vor Augen hatte. Auch zeitlich konnte ich die Geschichte nur ganz schwer in den 80ern verorten. In meinem Kopf hatte ich eher die 50er/60er vor Augen. Bis auf ein paar Songtitel und die Tatsache, dass es mit dem Bergbau eben erst später bergab ging, wies für mich wenig auf die 80er hin. Das finde ich etwas schade.

Dennoch bin ich manchmal fast zu tief in Shuggies Welt eingetaucht und es war sehr schwer, sich davon wieder frei zu machen, was ich allerdings eher als ein Qualitätsmerkmal verstehe. Das Ende fand ich persönlich sehr gut gewählt und so konnte ich das Buch beruhigt schließen. Die Person Shuggie erhält von mir 5 Sterne, das Gesamtwerk 4. Wer gefestigt ist, sollte sich diesen Roman zumuten.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.08.2021

Schauspiel einer Ehe

Unter Freunden
0

Als Flora beim Suchen nach einem Foto zufällig den Ehering ihres Mannes findet, der eigentlich auf dem Grund eines Teichs liegen sollte, ahnt sie gleich, dass das kein Zufall ist. Sie ist sich sicher, ...

Als Flora beim Suchen nach einem Foto zufällig den Ehering ihres Mannes findet, der eigentlich auf dem Grund eines Teichs liegen sollte, ahnt sie gleich, dass das kein Zufall ist. Sie ist sich sicher, dass ihr Mann etwas verheimlicht. Und was weiß ihre beste Freundin und Schauspielerin Margot darüber? Nach der Abschlussfeier ihrer Tochter Ruby wagt Flora es, ihren Mann zu fragen, obwohl sie weiß, dass von jetzt auf gleich alles anders sein könnte.

Dass der Roman hinreißend humorvoll und warmherzig ist, wie es der Text auf der Rückseite meint, kann ich so nicht bestätigen. Zunächst enthält er sehr viele Details zu Film, Fernsehen, Theater und Schauspielerei, da nahezu alle Protagonisten in diesem Metier angesiedelt sind. Daher verwundert es nicht, dass die Vergangenheit der Personen dann auch in einer Art von Szenen immer wieder aufgegriffen wird, so dass der rote Faden der Gegenwart etwas kurz wirkt, man aber sehr viel über die Charaktere und die Entstehung des Ring-Rätsels erfährt. Nicht alles empfand ich als notwendig. Statt humorvoll stimmte mich der Roman jedoch sehr nachdenklich, was die eigene Biografie betrifft. Viele werden sich hier an der ein oder anderen Stelle erkennen oder vergangene Entscheidungen Revue passieren lassen, diese vielleicht sogar hinterfragen. Es sei verraten, dass das Geheimnis um den verschollen geglaubten Ring definitiv gelüftet wird, was Flora, welche ich als höchst menschliche und sympathische Person empfand, dazu bewegt, in sich zu gehen, was Ehe, Familie, Freundschaft und Selbstverwirklichung betrifft. Auch wenn der Roman mich nicht wirklich zu überraschen vermochte, hallte er noch lange in mir nach. Das vermag nicht jedes Buch.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.08.2021

Eher gewitzter Justizkrimi

Pirlo - Gegen alle Regeln
0

Pirlo wurde gerade eher ungerechtfertigt von einer großen Kanzlei gefeuert, da steht schon die erste Mandantin vor seiner Wohnungstür und bittet ihn, ihre Tochter zu verteidigen, die wegen des Mordes an ...

Pirlo wurde gerade eher ungerechtfertigt von einer großen Kanzlei gefeuert, da steht schon die erste Mandantin vor seiner Wohnungstür und bittet ihn, ihre Tochter zu verteidigen, die wegen des Mordes an ihrem reichen Gatten in U-Haft sitzt. Da ein Fall besser ist als gar keiner greift Pirlo zu und holt sich als Unterstützung noch die kluge Sophie ins Team. Gemeinsam versuchen sie Zweifel an der Schuld der Angeklagten zu säen. Was Sophie nicht weiß ist, dass Pirlo aus einer ganz besonderen Familie stammt. Um seinen Brüdern aus dem Khatib-Clan zu helfen, muss er den Fall unbedingt gewinnen. Da ist ihm jedes Mittel RECHT. Wie gut, dass Justizia eine Augenbinde trägt.

Ich habe trotz des für mich wenig ansprechenden Covers zugegriffen und mir diesen etwas schrägen Strafverteidiger gegeben. Pirlo ist ein recht gewöhnungsbedürftiger Zeitgenosse, etwas arschig, ein wenig arrogant, aber erfindungsreich. Das merkt auch seine Kollegin Sophie rasch, die ich als den vernünftigen Pol in diesem Duo wahrgenommen habe. Der Kriminalfall an sich ist eigentlich nichts wirklich Besonderes, auch sprachlich erwartet uns hier kein außergewöhnliches Kunstwerk. Es ist eher die schräge Kombination der Charaktere und der Ideen, die Pirlo bei der Strafverteidigung in den Sinn kommen, die diesen Roman seinen Charme verleihen. Die eher kurzen Sätze und Kapitel, passen dabei eigentlich hervorragend zum Zeitdruck unter dem die Verteidiger stehen. Ein bisschen nervig waren die häufigen Streifzüge durch Düsseldorf, vor allem die Rheinterrassen waren ständig Ort der Handlung. Die Familie spielt nun keine soooo große Rolle, wie man meinen könnte und kommt recht F-Wort lastig daher. Sehr witzig allerdings die einzige Szene, in der die Brüder Pirlo zu Hilfe eilen. Insgesamt hat das schon gepasst und das Ende garantiert einen Folgeband.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere