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Veröffentlicht am 19.04.2020

Mord in den besten Kreisen

Blutmond
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„Er stützte sich auf die Reling und betrachtete seinen Atem, der aufstieg und zu einem Teil der Wolkendecke wurde. Es war so einsam und still um das Boot und im Hafen, dass er sich ebenso gut auf einem ...

„Er stützte sich auf die Reling und betrachtete seinen Atem, der aufstieg und zu einem Teil der Wolkendecke wurde. Es war so einsam und still um das Boot und im Hafen, dass er sich ebenso gut auf einem Vorposten in der Antarktis hätte befinden können.“

Inhalt

Auf der Fashion Week in Copenhagen kommt es zu einem mörderischen Zwischenfall: der Modezar Alpha Bartholdy wird Opfer eines Anschlags und verstirbt kurz nach dem Verlassen der Party an den Verätzungen, die ihm der verabreichte Abflussreiniger zugefügt hat. Nur wenige Tage später kostet der gleiche Modus Operandi der attraktiven Sängerin Christel Toft das Leben, die ebenso wie Bartholdy in den Kreisen der Reichen und Schönen verkehrte. Polizeiassistent Jeppe Kørner und seine Kollegin Anette Werner werden auf die Fälle angesetzt, um die offensichtliche Verbindung zwischen den Todesfällen herauszufinden und schnellstmöglich ein Motiv zu ermitteln, bevor der nächste Mord geschieht. Jeppes Freund Johannes Ledmark rückt schon bald ins Visier der Mordkommission, denn er hatte mit Bartholdy ein intimes Verhältnis und kannte auch Christel ganz persönlich. Doch Jeppe weigert sich an die Schuld seines Vertrauten zu glauben und scheint auch Recht zu behalten, denn Johannes wird kurz nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft fast zum dritten Opfer des immer noch ominösen Serienkillers. Die Polizei tappt im Dunkeln, denn gerade das Umfeld der Reichen und Schönen bietet mehr als nur ein plausibles Mordmotiv. Erst ein entscheidender Hinweis von außen bringt sie voran, doch diesmal zeigt die Kompassnadel in eine ganz andere Richtung als erwartet …

Meinung

Dies ist der zweite Band aus der Kørner-Werner-Reihe, der sich diesmal in die Welt der Stars und Sternchen vorwagt, um einen verzwickten Fall zu präsentieren, in dem es zahlreiche potentielle Mörder gibt und ebenso viele Gründe, die versnobten Egoisten hinzurichten. Trotz der Tatsache, dass ich den ersten Band („Krokodilwächter“) bisher noch nicht gelesen habe, bin ich inhaltlich prima mit dem Setting und den Figuren klargekommen. Gerade die liebevoll beschriebenen Protagonisten waren es, die mich von diesem Thriller überzeugen konnten, während ich die Auflösung des Falles eher als zweitrangig empfand.

Natürlich gelingt es der Autorin Katrine Engberg eine wirklich ansprechende Story zu entwerfen, in der man gerne miträtselt, Theorien aufstellt und sie wieder verwirft und mit unvorhersehbaren Wendungen neue Wege beschreiten muss. Doch die übergeordnete Erzählperspektive hat mir persönlich nicht so gut gefallen, weil dadurch eine gewisse Distanz entsteht und man die Motive des Täters nicht unmittelbar nachvollziehen kann.

Umso überzeugender waren die detailliert ausgearbeiteten Charaktere mit ihren vielen Ecken und Kanten. Egal ob es der vom Leben gebeutelte Jeppe mit seiner frischen, doch instabilen Partnerschaft zu einer deutlich jüngeren Frau ist, oder die Mittvierzigerin Anette, deren Essverhalten sie in gesundheitliche Probleme stürzt – sie sind äußerst bildhafte, glaubwürdige Menschen, deren Befindlichkeiten in zahlreichen humorvollen Interaktionen spürbar werden.

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen sympathischen, erzählenden Thriller, der durch Atmosphäre, überraschende Wendungen und differenzierte Personenbeschreibungen punkten kann – immer ist man als Leser nah dran am Geschehen und direkt involviert in die Ermittlungsarbeit. Das Buch kommt auch ohne große Gewaltszenen und blutige Ereignisse aus. Ich freue mich schon auf den 3. Band der Reihe („Glasflügel“), der abermals niveauvolle Krimiunterhaltung verspricht und den ich möglichst bald lesen möchte.

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Veröffentlicht am 11.04.2020

Alle Figuren sind böse und gleichzeitig gut

Long Bright River
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„Ich wollte, dass alles so blieb wie es war. Ich fürchtete die Wahrheit mehr als die Lüge. Die Wahrheit würde die Umstände meines Lebens verändern. Die Lüge war statisch. Die Lüge war friedlich. Ich war ...

„Ich wollte, dass alles so blieb wie es war. Ich fürchtete die Wahrheit mehr als die Lüge. Die Wahrheit würde die Umstände meines Lebens verändern. Die Lüge war statisch. Die Lüge war friedlich. Ich war mit der Lüge zufrieden.“

Inhalt

Mickey Fitzpatrick arbeitet bei der Sitte in Philadelphia, in ihrem Bezirk Kensington wimmelt es nur so von Dealern, Prostituierten und Gewalttaten auf offener Straße. Ihre Schwester Kacey, ist selbst eine der Frauen, die am Straßenrand steht und auf irgendeinen Freier wartet, um sich den dringend benötigten nächsten Schuss setzen zu können. Und Mickey, die zwar seit 5 Jahren kein Wort mehr mit ihrer kleinen Schwester gewechselt hat, behält sie dennoch im Auge. Als eine Mordserie an jungen Prostituierten die Gegend erschüttert, kommt sie als Polizistin nicht drum herum sich mit den Opfern abzugeben und voller Sorge an jeden neuen Tatort zu fahren, immer in der Erwartung dort auf Kaceys Leiche zu treffen.

Mickey mobilisiert ihr gesamtes privates Umfeld und einige wenige Kollegen, denen sie vertraut, um einen Hinweis auf Kaceys Verbleib zu erhalten. Doch bald schon merkt sie, dass sie auf eine Mauer des Schweigens trifft – denn andere scheinen bewusst Informationen vor ihr zu verbergen, damit sie ihrer Schwester nicht zu nahekommt. Denn schon einmal hat Mickey etwas von Kacey genommen, um es zu retten und es damit für ihre drogenabhängige Schwester unerreichbar werden zu lassen und nun steckt die junge, hilfsbedürftige Frau in einer ganz ähnlichen Situation …

Meinung

Die in Philadelphia wohnhafte Autorin Liz Moore schafft mit ihrem vierten Roman ein authentisches Porträt einer zerrütteten Stadt, vieler am Rande der gesellschaftlichen Anerkennung lebenden Menschen und zweier Frauen, die unter schwierigen Umständen groß geworden sind und sich doch vollkommen unterschiedlich entwickelt haben. Dieses Buch stand schon längere Zeit auf meiner Wunschliste, weil die Lesermeinungen dazu durchweg positiv waren und ich mir einen bewegenden Familienroman über zwei Schwestern vorstellen konnte, denen das Leben diverse Steine in den Weg gelegt hat. Und gerade der Mix aus Gesellschaftskritik, persönlicher Lebensgeschichte und Kriminalhandlung macht tatsächlich den Reiz des Buches aus und lässt den Leser tief hineinschauen in ein Szenario, dem man im echten Leben möglichst fernbleiben möchte.

Zunächst ist es genau dieser Handlungsschwerpunkt, der mich nicht so ganz in den Roman hineinziehen konnte, weil mich die Berührungspunkte mit dem Leben der Drogenabhängigen und Straßenkinder generell etwas befremdet haben und stellenweise schockierend ehrlich aber gleichermaßen unvorstellbar auf mich wirkten. Die sich ständig wiederholende Schleife aus Drogenkonsum, Entziehungskuren, Zeiten der Abstinenz und dem erneuten Rückfall und das gleich in geballter Ladung, weil es sich hier nicht um Einzelschicksale, sondern um gesellschaftliche Brennpunkte handelt, erscheint mir dramatisch und unverständlich zugleich.

Doch die Autorin legt ihr Augenmerk nicht auf die Rahmenhandlung sondern lässt Mickey, die Hauptprotagonistin ganz nebenbei aus ihrem Leben als Polizistin erzählen, von ihrer Kindheit, in der sie selbst eine drogenabhängige, jung verstorbene Mutter und einen abwesenden Vater hatte, in der sie miterleben musste, wie ihre Schwester mit der Pubertät in die Drogenspirale geriet, in der sie trotz guter Noten nie die Chance bekam, etwas wirklich bedeutendes aus ihrem Leben zu machen und in der ihre erste große Liebe ein verheirateter Mann war, der ihre Schwester geschwängert hat. Diese Blicke in die Vergangenheit in Kombination mit der Gegenwartshandlung lassen diesen Roman so lebendig und spannend wirken, sie sind ein regelrechtes Feuerwerk an Unterhaltungskunst und machen eine doch eher traurige Normalität zu einer ganz besonderen Erzählung.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen sozialkritischen Unterhaltungsroman, der mehrere Lebensgeschichten gekonnt miteinander verknüpft und ganz nebenbei eine spannende Kriminalhandlung aufgreift, in der eine ambitionierte Polizistin versucht einem Frauenmörder das Handwerk zu legen, bevor ihre eigene Schwester in dessen Hände gerät.

Doch die Thematik generell ist viel weiter gefasst als man vermuten möchte, denn es geht auch um Selbstbestimmung, um Benachteiligung, um gescheiterte Lebensentwürfe und große Gesten. Es geht um starke Frauen, die kämpfen müssen, um sich ihren Platz zu verdienen und die im richtigen Moment zurücktreten, um andere schützen zu können. Ebenso vielfältig wie die Handlung sind auch die Charaktere – man baut trotz der immer wieder anklingenden Klischees und Vorurteile eine emotionale Bindung zu ihnen auf und folgt begeistert ihren Wegen. Ein sehr lesenswerter Roman, der zwar nicht alle meine Erwartungen erfüllen konnte, mich aber in seiner Gesamtheit überzeugt hat.

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Veröffentlicht am 01.04.2020

Nur ein Flügelschlag ins Verderben

Palast der Miserablen
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„Nach diesem neuen Krieg gaben wir vollends die Hoffnung auf, es würde sich jemals etwas ändern oder gar verbessern. Wir wollten nicht mehr, wir konnten nicht mehr und waren einfach müde. Ein ...

„Nach diesem neuen Krieg gaben wir vollends die Hoffnung auf, es würde sich jemals etwas ändern oder gar verbessern. Wir wollten nicht mehr, wir konnten nicht mehr und waren einfach müde. Ein guter Tag für uns war einer, an dem die Dinge nicht schlimmer wurden, als sie es ohnehin bereits waren.“

Inhalt

Shams Hussein zieht mit seiner Familie von einem kleinen Dorf im Süden des Irak nach Bagdad. Der Vater möchte dort neu anfangen und sucht nach Perspektiven. Allerdings zeigt sich bald, dass nur die wohlhabenden Menschen eine Wahlmöglichkeit haben, für seine Familie endet der Traum alsbald im „Blechviertel“ – einer üblen Wohngegend, in dem jeder ums tägliche Überleben kämpft und mit Krallen sein Hab und Gut verteidigen muss. Shams und seine ältere Schwester Qamer müssen nach der Schule diverse Arbeiten erledigen, um den Lebensunterhalt mitzufinanzieren.

Dennoch gelingt es ihnen, dass beste aus der Situation zu machen. Als Jugendlicher findet Shams schließlich zu eine Gruppe Gebildeter, die sich in Privaträumen treffen und sich „Der Palst der Miserablen“ nennen. Dort erfährt er erstmals von Kunst und Literatur, die über das staatliche Reglement verfügbar ist, wenn auch illegal. Gemeinsam mit seinem Cousin, ebenfalls Mitglied der Gruppe, wagt er sich daran, verbotene Schriften zu verkaufen. Doch als eine der Mitgliederinnen ermordet wird, und sich zwei andere abseilen, zerfällt das wöchentliche Treffen und die Zurückgebliebenen, kämpfen abermals gegen Windmühlen.

Shams beschließt, sich nun ausschließlich seinen Abiturprüfungen zu widmen, um irgendwann der Heimat den Rücken kehren zu können, doch nur ein falscher Flügelschlag führt ihn ins Verderben, aus dem es unter der politischen Gewaltherrschaft Saddam Husseins kein Entrinnen mehr gibt.

Meinung

Die Hoffnung auf ein friedliches Leben ist die große Thematik der Romane von Abbas Khider, einem irakischen Autor, der selbst wegen politischer Aktivitäten verhaftet wurde und aus dem Gefängnis fliehen musste. Insofern merkt man der Lektüre an, wie schwer es sein kann, einfach nur ein normales Leben zu führen, wenn die Umstände vor der Haustür nach Rache, Vergeltung und Krieg schreien und es überhaupt keine Rolle spielt, wie wenig man als Individuum mit all dem zu tun haben möchte.

Sehr informativ und abwechslungsreich gestaltet er seinen aktuellen Roman. Ein Buch über das Erwachsenwerden unter der Gewaltherrschaft Saddam Husseins und der Ungleichheit der Bevölkerung innerhalb des eigenen Landes. Er schneidet dabei viele Probleme an, angefangen bei Armut, weiter zu fehlender Bildung und religiösem Fanatismus, bis hin zu ganz normalen Wünschen und Träumen eines Teenagers, der seinen Platz in der Welt sucht.

Besonders gut gefallen hat mir die Innensicht der Familie, die trotz schwerer Zeiten, miserabler Lebensumstände und persönlicher Fehlentscheidungen dennoch immer zusammengehalten hat, Eltern die sich zugewandt sind und die Eigenheiten des anderen akzeptieren, Geschwister, die füreinander einstehen und sich den Rücken frei halten und Liebe sowie Offenheit auch in Situationen, wo andere Familien auseinanderbrechen, weil sie dem äußeren Druck nicht gewachsen sind.

Gleichzeitig wird aber auch deutlich, wie schnell man durch persönliche Zuneigung ins Fadenkreuz der gesellschaftlichen Akzeptanz rücken kann, wie willkürlich das System an sich ist und wie radikal die exekutive Ausrichtung: Menschen verschwinden und tauchen nie wieder auf, Morde werden als Selbstmorde vertuscht und selbst das große Geld hilft nicht, die Willkür des Staates außer Kraft zu setzen. Letztlich zersetzt sich der Staat von innen, weil keiner einen Sinn und Zweck in dem Gemeinschaftskonstrukt sieht, in dem ein kleines Vergehen, derart hohe Wellen schlägt, während organisierter Mord anstandslos hingenommen wird. Wer fliehen kann, tut das, wer nicht muss untergehen …

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen bedrückenden Roman, der aus Innensicht eines Heranwachsenden geschrieben wurde und nicht nur die Armut und das Leid der Bevölkerung aufgreift sondern ihren Alltag abbildet. Zwar ist die Geschichte insgesamt etwas handlungsarm und formuliert keine allgemeingültige Aussage, sie wirkt fast biografisch, denn Shams hat die Rolle des omnipotenten Erzählers inne, der nur wenig andere Perspektiven zulässt, der nur sein Leid und die familiären Sorgen erörtert. Doch Vieles ist gerade durch die Nähe zu den Betroffenen spürbar.

Außerdem bereitet es dem Leser keine Probleme vom Einzelschicksal eines Jungen, auf die verfahrene Situation eines ganzen Volkes zu schließen. Die Schicksale werden einander ähneln, sind geprägt von Gewalt und Denunziation, vom alltäglichen Kampf und dem verzweifelten Hilferuf nach einem Ausweg, wie auch immer der aussehen mag. Insgesamt ein lesenswerter Gesellschaftsroman über die Strukturen eines Gewaltregimes und seine innere Zerstörungskraft – hat mir gefallen.

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Veröffentlicht am 24.03.2020

Dem Helfen verpflichtet

Das Haus der Frauen
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Sinn – das ist es, was Solène hinter den Mauern des Palastes findet. Sie fühlt sich als nützliches Mitglied der Gemeinschaft. Sie muss sich nicht rechtfertigen, es ist unwichtig, ob sie in einem ...

Sinn – das ist es, was Solène hinter den Mauern des Palastes findet. Sie fühlt sich als nützliches Mitglied der Gemeinschaft. Sie muss sich nicht rechtfertigen, es ist unwichtig, ob sie in einem schicken Viertel lebt oder nicht. Sie ist da. Und das zählt am Ende.“

Inhalt

Für Solène, erfolgreiche Anwältin, ist es nach dem Selbstmord eines Mandanten, den sie direkt miterleben musste, undenkbar, ohne Weiteres in ihren Beruf zurückzukehren. Stattdessen sieht sie sich mit der Diagnose Burn-Out gezwungen ihren Job an den Nagel zu hängen. Um ihre seelische Krise zu überwinden, bewirbt sie sich auf eine Stellenanzeige, in der ein „öffentlicher Schreiber“ für ein Pariser Frauenwohnheim gesucht wird. Ihre Aufgabe besteht darin, für die Bewohnerinnen des Hauses ein Sprachrohr zu sein und in ihrem Auftrag Briefe und Botschaften zu verfassen, um sie diversen Empfängern zukommen zu lassen. Ihre wöchentliche Sprechstunde findet zunächst wenig Anklang, denn alle Frauen dort tragen ein gewaltiges Päckchen an emotionalen Tiefschlägen mit sich herum und sind nicht gewillt, Solène tiefe Einblicke zu gewähren. Doch die Bewohnerinnen spüren, dass es die Anwältin ernst meint und selbst nicht so taff und unnahbar ist, wie sie zunächst vermuteten. Schon bald ist sie ein fester Bestandteil der Frauengemeinschaft und überwindet mit deren Unterstützung auch ihre private Krise. Und mehr und mehr kristallisiert sich ihr Wunsch für die Zukunft heraus: sie möchte wieder schreiben, so wie einst in ihrer Jugend, doch diesmal wird Blanche Peyron und ihr Engagement für den Bau des Palastes der Frauen der Inhalt des Buches werden, jener Patronin, die bereits 1925 mit eisernem Willen und immenser Schaffenskraft ein zentrales Pariser Gebäude umbauen lies, um hunderten hilfsbedürftigen Frauen ein Obdach in ihrer Armut zu bieten …

Meinung

Dieser Roman von Laetitia Colombani widmet sich in seinem Kern zwei Geschichten – zum einen ist es eine Hommage an die Initiatorin des Palastes der Frauen, die ein überzeugtes Mitglied der Heilsarmee war und sich schließlich an deren Spitze kämpfte, um unter widrigsten Umständen dieses Frauenschutzhaus zu etablieren, zum anderen ist es die Erzählung einer Gegenwartshandlung, die den Wert dieser sozialen Einrichtung nicht darauf beschränkt, Bedürftigen Hilfe zukommen zu lassen, sondern für ein Mehr an Solidarität und Aufmerksamkeit gegenüber den Schwachen der Gesellschaft steht.

Die Autorin beschreibt abwechselnd die beiden Handlungsstränge und führt sie am Ende wunderbar zusammen, so das ein glaubwürdiger, griffiger Roman entsteht, der über zwei starke Frauenfiguren und ihre persönlichen Herausforderungen berichtet und sie trotz der Tatsache, dass sie sich nicht kannten, zwei Seelen mit dem gleichen Ziel vereint: erkennen, wahrnehmen, helfen.

Der Schreibstil ist sehr flüssig und leicht lesbar, inhaltlich und thematisch trotz der schweren Thematik auch ein Wohlfühlroman, weil er die starke Seite der Frauen in ihrer Allgemeinheit betont und jeder einzelnen Seele eine gewisse Bedeutung zugesteht. Stellenweise gleitet die Story etwas ins Kitschige ab, fängt sich aber immer im richtigen Moment und drückt auch nicht auf die Tränendrüse, was ich definitiv positiv bewerte. Auch die kleinen Episoden über das Leben der Mitbewohnerinnen, die so ziemlich jedes Leid hinter sich haben und im Laufe ihrer Gespräche mit Solène auch dem Leser etwas darüber mitteilen, haben mir in ihrer Gesamtheit sehr gut gefallen, weil sie sich so passend in die Erzählung fügen und dennoch viele wichtige Gedanken aufgreifen, die andernfalls gefehlt hätten.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für einen flüssigen, informativen, biografisch inspirierten Roman, der mit Feingefühl und Esprit von der Schaffenskraft und dem Mut vieler Frauen erzählt, die es geschafft haben, ihre persönliche Befindlichkeit über das Erreichen einer größeren Aufgabe zu stellen. Ihr Wirken nimmt den Leser mit, motiviert und begeistert gleichermaßen und zeigt ganz nebenbei, wie wichtig Zusammenhalt, Unterstützung und Aufmerksamkeit für ein Leben auf Augenhöhe sind. Gemeinsam ist man stark, mit der nötigen Hilfe bekommt das Leben wieder einen Sinn, mit Zuhören und Trost spenden wird auch dem Gebenden etwas geschenkt. Eine tolle Botschaft, die gerade am Ende des Buches präsent nachhallt. Eine empfehlenswerte Lektüre, die dem Glauben an das Gelingen des Lebens große Bedeutung beimisst.

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Veröffentlicht am 28.02.2020

Zwischen Liebe und Distanz

Ein wenig Glaube
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„Für ein Elternpaar gibt es keinen größeren Hoffnungsträger als das eigene Kind. Die Hoffnung in das eigene Kind zu verlieren – das ist so, als verlöre man den Glauben an die Welt. Und Lyle war ...

„Für ein Elternpaar gibt es keinen größeren Hoffnungsträger als das eigene Kind. Die Hoffnung in das eigene Kind zu verlieren – das ist so, als verlöre man den Glauben an die Welt. Und Lyle war trotz allem auch jetzt noch nicht gewillt, Shiloh einfach so aufzugeben.“

Inhalt

Das Ehepaar Hovde aus Wisconsin schaut auf ein langes, glückliches Eheleben zurück, welches sogar den Verlust des einzigen leiblichen Sohnes im Kleinkindalter verkraftet hat. Ihre Adoptivtochter Shiloh haben sie mit all der Liebe und dem Verständnis erzogen, wie sie es schon immer vorhatten. Doch obwohl die Tochter-Elternbeziehung nicht immer einfach war, lebt Shiloh nun mit ihrem 5-jährigen Sohn Isaac wieder zu Hause. Allerdings ist sie auf der Suche nach einem eigenen Heim für sich, ihr Kind und den neuen Mann an ihrer Seite. Als Lyle und Peg, den zukünftigen Mann ihrer Tochter kennenlernen, sind sie mehr als skeptisch, denn Steven ist Priester einer kleinen Glaubensgemeinschaft, die ihre Gottesdienste in einem alten Kino abhält. Der charismatische Mann hat Shiloh vollkommen für sich eingenommen und beansprucht auch den kleinen Isaac, der angeblich über Heilskräfte verfügt, die schwerkranke Menschen wieder gesunden lassen kann. Lyle und seine Frau, selbst Mitglieder der örtlichen Kirchengemeinschaft, bezweifeln die Grundsätze der neuen Glaubensgemeinschaft und behalten ihren Enkel sehr genau im Blick. Doch die Zwietracht zwischen Isaacs Mutter und ihren Eltern wird immer größer, es scheint keine gütliche Einigung zu geben, so dass der Enkel immer seltener bei seinen Großeltern sein darf. Erst als eines Tages ein Mitglied der Sekte bei den Hovdes anruft, um ihnen verzweifelt mitzuteilen, dass sie ihren Enkel schnellstmöglich abholen müssen, um ein Unglück zu verhindern, scheint sich das Blatt zu wenden …

Meinung

Ein Familienroman der die Kluft zwischen dem Zusammenhalt untereinander und dem Glauben an einen Gott thematisiert, klang für mich nach einer äußerst intensiven, zweischneidigen Geschichte, auf deren Verlauf ich sehr gespannt war. Und da ich den amerikanischen Autor und seine Art zu Erzählen gern kennenlernen wollte, habe ich voller Vorfreude zu diesem Buch gegriffen.

Die gewählte Erzählperspektive aus Sicht des Familienoberhauptes, der mehrere Rollen erfüllt, sowohl als Ehemann, als auch als Vater und nicht zuletzt als Großvater, empfand ich sehr stark. Dadurch entsteht zwischen dem Leser und Lyle Hovde ein inniges, verständnisvolles Bündnis, bei dem man stark auf die Seite des Mannes gezogen wird, der seine Tochter vor ihrem persönlichen Unglück bewahren möchte. Das große Plus der Erzählung liegt auf dieser starken Vaterrolle, die genauestens beschrieben wird und deren Möglichkeiten und Grenzen immer wieder in den Vordergrund rücken. Besonders schön fand ich die fast idyllische Beziehung zwischen den Eheleuten, die damals wie heute immer am gleichen Strang gezogen haben. Aber auch ihr Unvermögen, trotz der liebevollen Kindheit, die sie ihrer Shiloh geschenkt haben, jene von eigenen Fehlentscheidungen abzuhalten und sie als Erwachsene zu beschützen. Dieser Aspekt, dass Eltern die Kinder irgendwann ziehen lassen müssen, um sie nicht zu verlieren ist hier äußerst empathisch, ehrlich und voller Lebensweisheiten herausgearbeitet wurden. Demnach ist es tatsächlich ein ganz toller Familienroman mit viel Gefühl.

Was mir jedoch über die gut 300 Seiten des Buches zu kurz kommt, ist der Konflikt zwischen dem Glauben an sich und der Zugehörigkeit zur Familie. Das mag zum einen daran liegen, das Shiloh keine eigene Stimme bekommt und nie ihre Ansicht über die Thematik äußern kann, zum anderen fokussiert sich der Text zu sehr auf Lyles Leben außerhalb seiner Familie, auf Freundschaften und Gesprächspartner, die mit dem Kern der Geschichte recht wenig gemeinsam haben. Deshalb gibt es auch nur wenig Reibungspunkte und alles wirkt sehr harmonisch, obwohl es gerade im letzten Teil dramatisch wird. Diese Dramatik verschwindet jedoch immer wieder zwischen guten Gesprächen, hoffnungsvollen Abenden und schönen Tagen auf der Apfelplantage eines befreundeten Ehepaares. Dieses „weichzeichnen“ des Konflikts Liebe versus Glauben konnte mich in der Summe nicht überzeugen und ich hätte mir mehr Biss in der Umsetzung und einen starken Antigonisten gewünscht, der nicht irgendwo zwischen den Seiten verschwindet.

Fazit

Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen stimmungsvollen, harmonischen Familienroman, der sich mit der Elternrolle und ihren Möglichkeiten intensiv auseinandersetzt. Es ist eine schöne, stimmungsvolle Erzählung gespickt mit einer guten Portion Alltagsphilosophie und erzählt mit großmütigem Herzen. Und wer auf eine kraftspendende Geschichte hofft, in der nicht jede Entscheidung die richtige war, wird hier bestens unterhalten. Allerdings bleibt das Kernthema hinter meinen Erwartungen zurück, denn die Diskrepanz zwischen dem Glauben an eine höhere Macht und den gutgemeinten Ratschlägen der Familie wird hier zu wenig detailliert beleuchtet. Also mehr ein Wohlfühlbuch als eine dramatisch-intensive Lebensgeschichte.

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