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Veröffentlicht am 19.03.2019

Die Rache des Ikarus

Abendruh
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„Abendruh. Sie dachte an die dunklen Wälder, in denen die Weidenbäume mit blutigem Schmuck behängt waren. An ein Schloss, dessen Bewohner von den Geistern der Vergangenheit geplagt wurden und die alle ...

„Abendruh. Sie dachte an die dunklen Wälder, in denen die Weidenbäume mit blutigem Schmuck behängt waren. An ein Schloss, dessen Bewohner von den Geistern der Vergangenheit geplagt wurden und die alle im Schatten der Gewalt lebten.“


Inhalt


Das Internat Abendruh in Maine ist ein ganz besonderer Ort, denn alle Schüler und auch die Lehrer haben eine Gemeinsamkeit: sie sind den blutigen Schrecken von Mord und Totschlag im nächsten Familienkreis begegnet und wurden allesamt traumatisiert. Nun haben sie sich in die Abgeschiedenheit eines alten Schlosses zurückgezogen und versuchen nicht nur ihren Alltag zu meistern, sondern sich auch gegenseitig zu unterstützen. Drei Schüler jedoch haben unter den Sonderlingen noch eine weitere grausame Erfahrung gemacht: Sie selbst sind gleich zweimal dem Täter entkommen, zuerst bei der Ermordung der eigenen Eltern und schließlich bei der Hinrichtung ihrer Pflegefamilien. Irgendjemand scheint es ganz explizit auf Teddy, Claire und Will abgesehen zu haben. Allerdings stammen sie aus vollkommen verschiedenen Bundesstaaten, sind sich nie begegnet und haben auch keine gemeinsamen Bekannten.

Jane Rizzoli und Maura Isles sind dennoch davon überzeugt, dass diese Kinder hochgradig in Gefahr schweben, vor allem, weil sie ein möglicher Täter nun auf dem Präsentierteller vorgeführt bekommt - gemeinsam vereint an einer Schule. Als sich eine der Lehrerinnen aus dem Fenster stürzt und dabei ums Leben kommt, wird immer deutlicher wovor sich alle fürchten: Das Böse hat auch in Abendruh Einzug gehalten und wartet nur auf die günstige Gelegenheit, begonnene Taten zu vollenden.


Meinung


Auch in ihrem 10. Band der Rizzoli-Isles-Reihe verliert die amerikanische Bestsellerautorin Tess Gerritsen nicht an Unterhaltungswert und verdient sich das Prädikat gute Spannungsliteratur. Diesmal wählt sie für ihre Verbrechen als Schauplatz ein altes Schloss, welches als Schule für traumatisierte Jugendliche eingerichtet wurde. Tatsächlich geht es auch weniger um die Verbrechen der Gegenwart als vielmehr um eine ominöse Verbindung zwischen drei Familien, die angeblich keinerlei Berührungspunkte haben.

Die Schüler selbst wollen herausfinden, welche dunkle Macht sie bedroht und stellen eigene Recherchen an, denn ihre Akten bieten zu wenig Beweismaterial. Auf einem alten Foto entdecken sie schließlich eine mögliche Verbindung, die sie zurück nach Rom führt in eine Zeit, in der jeweils eines ihrer Elternteile auf einer gemeinsamen Party war. Doch nach wie vor fehlt das entscheidende Puzzleteilchen. Als einzige Überlebende ihrer Familientragödien wollen sie dem Spuk nun ein Ende bereiten, doch keiner von ihnen hätte gedacht, welche Ausmaße die Verfolgung annimmt. Auch Maura Isles und Jane Rizzoli erkennen viel zu spät, wer Freund und Feind ist …

Dieser Fall besticht weniger durch seine Hochspannung und auch die Tötungsdelikte selbst nehmen einen geringeren Stellenwert ein. Stattdessen konzentriert sich die Autorin auf die Vergangenheit dreier Schüler und zieht den Leser nach und nach in eine Geschichte voller Verrat, Betrug und Rachsucht hinein. Dabei kommt besonders die Verbindung zwischen „alten Bekannten“ und „neuen Gesichtern“ zur Geltung. Als Fan dieser Reihe fühlt man sich mittlerweile regelrecht heimisch mit den Protagonisten und auch mit den gut integrierten Randfiguren, die immer wieder auftauchen und deren Vergangenheit man ebenfalls schon kennt. Für mich ist dieser Teil der Reihe fast schon ein Heimspiel, ungeachtet der Tatsache, dass die Auflösung des Falls nicht unbedingt meinen Geschmack trifft und mit viel Effekthascherei daherkommt.

Ich glaube, diese Serie verfolge ich weniger wegen der Morde und ihrer Auflösung, sondern vielmehr, weil ich wissen will, wie sich die Dinge bei Rizzoli und Isles entwickeln. Meist verlieren lange Kriminalreihen ihren Glanz, weil das Privatleben der Ermittler förmlich in Endlosschleife wiederholt wird und manche Sätze stets ein zweites Mal auftauchen. Hier ist es anders, die Hintergrundgeschichte bleibt spannend und bekommt mit jedem neuen Band eine klitzekleine Wendung, die erst im nächsten Buch wieder aufgegriffen wird.


Fazit


Ich vergebe 4 Lesesterne für diesen soliden Spannungsroman, dessen Mehrwert für mich nicht im Detail liegt, sondern auf dem Fortgang der Gesamterzählung. Demnach empfehle ich ihn in erster Linie den Fans dieser Reihe, die bereits vorangegangene Fälle kennen und sich mit den Protagonisten identifizieren können. Ein altes, gruseliges Schloss als Handlungsort für das Böse und seine weitreichenden Tentakel hat aber auch was … selbst für Neulinge.

Veröffentlicht am 19.03.2019

Wo hast du nur mein Leben lang gesteckt?

Die einzige Geschichte
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„Wenn wir von einer neuen Beziehung hören, neigen wir alle dazu, sie in eine bereits bestehende Kategorie einzuordnen. Wir sehen das, was daran allgemein oder üblich ist; dagegen sehen – fühlen – die Beteiligten ...

„Wenn wir von einer neuen Beziehung hören, neigen wir alle dazu, sie in eine bereits bestehende Kategorie einzuordnen. Wir sehen das, was daran allgemein oder üblich ist; dagegen sehen – fühlen – die Beteiligten nur das, was anders und besonders ist.“


Inhalt


Paul Roberts erinnert sich an seine erste Liebe, die er im Tennisclub kennengelernt hat. Ihr Name war Susan und sie hatte 30 Jahre mehr Lebenserfahrung als er. Doch ungeachtet der Tatsache, dass sie verheiratet und Mutter zweier erwachsener Töchter ist, beginnen die beiden eine Affäre. Aber mehr noch, es ist nicht der Sex und das schnelle Abenteuer, was sie suchen, sondern die echte, aufrichtige Liebe. Als Susan nach zwei Jahren ihren Mann verlässt, um mit dem jungen Paul in eine eigene Wohnung zu ziehen, könnte man meinen sie haben es geschafft, allen Konventionen zu trotzen und sind nun frei und voller Leben, um sich auf die gemeinsame Partnerschaft zu freuen. Doch während Paul Jura studiert, sitzt Susan zu Hause und neben ihr die Flasche Alkohol, mit der sie sich betäubt …


Meinung


Paul muss schmerzlich erkennen, das der Feind seiner Liebe nicht die gesellschaftliche Ächtung ist und auch nicht der Bruch mit Freunden und Familie, sondern das die Gefahr im Inneren lauert und mit vernichtender Kraft ihre Wirkung zeigt – erst im Alter söhnt er sich mit all dem aus und erzählt sie hier, diese einmalige Geschichte seines Lebens, an die kein anderes Ereignis jemals herangereicht hat.

Auf dieses Buch aus der Feder des englischen Erfolgsautors Julian Barnes war ich sehr gespannt, zum einen weil ich bereits seinen Roman „Vom Ende einer Geschichte“ gelesen habe und zum anderen, weil mich die hier angedeutete Beziehung mit einem Paar, dessen Manko ein großer Altersunterschied ist, sofort und nachhaltig an meine eigene Geschichte erinnert hat. Zu gern wollte ich erfahren, was die Anforderungen dieser Beziehung über viele Jahre hinweg sind und wie die Protagonisten damit umgehen. Doch schon nach kurzer Zeit wird klar, dass sich der Autor auf ein ganz anderes Problem konzentriert und die Dramatik, die in der Tatsache zweier aufeinanderprallender Generationen liegt, bleibt dabei weitestgehend auf der Strecke. Meinen ursprünglichen Erwartungen entspricht dieses Buch deswegen nicht.

Trotzdem ist es eine aufrüttelnde, philosophische Geschichte über die Liebe, die Außenstehende nur schwer verstehen können und letztlich über das Leben selbst, denn Paul, nun mittlerweile ein reifer Mann erinnert sich an die Anfänge, an die Euphorie ebenso wie an den folgenden Schmerz, die Ohnmacht und die lebenslange Frage nach der Schuld und seinem Anteil daran.

Literarisch gliedert sich der Text in drei Teile, die sich wesentlich voneinander unterscheiden, indem zwar immer Paul der Erzähler ist, sich aber die Distanz zwischen ihm und seinem Leben mit Susan weiter manifestiert, indem er vom verbindenden „ich“ zum neutralen „du“ und letztlich zum resümierendem „er“ wechselt. Dadurch wird die Reifung des Protagonisten nachhaltig und beeindruckend sichtbar, vor allem für den Leser, der mit dem „jungen Paul“ nur wenig Gemeinsamkeiten hat aber auch für die, die den „alten Paul“ nicht recht verstehen. Es ist eine Aufarbeitung und ein Aussöhnen mit einem gelebten Leben und einer gescheiterten Liebe.

Inhaltlich scheut sich der Autor vor keiner Wahrheit, ganz im Gegenteil. Das Hinterfragende, die Suche nach der Wahrheit, die vielen Rückschläge und das ewige Auf und Ab der Geschichte bilden die Basis dieses Textes. Um daran Gefallen zu finden, muss man sich als Leser zurücknehmen, manches zweimal lesen und versuchen hinter der offenkundigen Entwicklung die tieferen Ursachen zu erkennen. Das macht diesen Roman aber ungemein einprägsam und sorgt dafür, dass man sich tief und nachhaltig mit dem Thema auseinandersetzt, die verschiedenen Möglichkeiten abwägt und seine eigenen Aspekte und Erfahrungen zu Rate zieht. Dieses Einbeziehen des Lesers in den fiktiven Text, macht eindeutig die Kunst eines guten Schriftstellers aus, ohne Wertung ohne Vorwurf und noch nicht einmal um Akzeptanz bittend erzählt Paul aus seinem Leben mit Susan und später ohne sie.

Susan selbst, die tragische Figur an Pauls Seite, wirkt nur durch seine Beschreibungen, mehr aus zweiter Hand als durch tatsächliches in Erscheinung treten. Trotzdem gelingt es ein ausgewogenes, differenziertes Bild auch von ihrer Person wahrzunehmen. Einer Frau, die unter einer jahrelangen, lieblosen, gewalttätigen Ehe gelitten hat und der es erst durch Paul möglich war, noch einmal, wenn auch nur kurz aus ihrer Lethargie zu erwachen. Und so stellt sie ihm die in Erinnerung gebliebene Frage, wo er nur ihr Lebtag lang gesteckt hat und das wiederrum nimmt man ihr ab. Wer sucht ihn nicht, den Partner, der alles zum Strahlen bringt mit seiner bloßen Anwesenheit?


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen zeitgenössischen, belletristischen Roman, der jedem Leser die ganz persönliche Frage stellt, ob es besser ist, mehr zu lieben und damit auch mehr zu leiden oder ob es erträglicher scheint weniger zu lieben und damit weniger zu leiden. Melancholisch, stellenweise sehr traurig und letztlich versöhnlich erleben wir hier die Geschichte einer einmaligen Liebe, die ihre Spuren hinterlassen hat. Ich vergebe eine uneingeschränkte Leseempfehlung für alle, die gern hinter die Fassade schauen und sich mit den wichtigen Fragen des Lebens auseinandersetzen möchten. Ein intensives, prägendes Lesevergnügen, mit viel Raum zum Interpretieren. Ein Buch, bei dem man auch nach mehrmaligem Lesen immer noch etwas neues entdecken kann, nur nicht unbedingt die Antwort auf die Frage, warum ein 19-Jähriger und eine 48-Jährige miteinander ihr Glück versucht haben.

Veröffentlicht am 05.03.2019

Im Körper einer Anderen

Kleine Schwester
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„Rose hatte noch nie geträumt, dass sie eine andere Person war. Oder in einer anderen Person drin. Ja, in ihr drin beschrieb das Gefühl, den Körper dieser Frau zu besuchen, statt ihn zu besitzen treffender.“


Inhalt


Rose ...

„Rose hatte noch nie geträumt, dass sie eine andere Person war. Oder in einer anderen Person drin. Ja, in ihr drin beschrieb das Gefühl, den Körper dieser Frau zu besuchen, statt ihn zu besitzen treffender.“


Inhalt


Rose erlebt ganz plötzlich ein paranormales Ereignis, dessen Einsetzen lediglich an heftige Gewittererscheinungen gekoppelt ist. Sie schlüpft für kurze Momente in den Körper einer gewissen Harriet Smith, die als Lektorin bei einem Buchverlag ganz in der Nähe angestellt ist. Dabei erlebt sie ein wahres Gefühlschaos, dem sie im normalen Leben eigentlich nicht ausgesetzt ist. Denn Harriet ist schwanger von einem Mann, der bereits verheiratet ist und seine Frau für die Affäre aus dem Büro nicht verlassen wird. Unbewusst nimmt Rose Einfluss auf die Gedankenwelt der Anderen die zunächst einen Selbstmordversuch unternimmt und sich dann für den Weg der Abtreibung entscheidet. Der Grund, warum Rose versucht der Fremden emotionalen, geistigen Beistand zu leisten, ist ein ganz besonderer, denn Harriet erinnert sie an die eigene kleine Schwester, die es zu beschützen gilt, selbst wenn das in der Realität nicht mehr möglich ist. Denn Ava, die Schwester, ist schon viele Jahre tot und kann keine Hilfe mehr annehmen. Für Rose werden die ungewöhnlichen Ausflüge in den Geist und Körper der jungen Frau zum Lebenselixier, denn dadurch spürt sie wieder, welcher Weg der richtige für sie selbst ist.


Meinung


Die Autorin hat mit diesem fiktiven, durchaus surrealen Roman eine sympathische, kurzweilige Geschichte über die Kraft der positiven Gedanken und die Macht der Empathie geschrieben. Obwohl die genauen Umstände der Bewusstseinsveränderung nicht geklärt werden, merkt man die innere Beteiligung der Betroffenen und ihre Entschlossenheit dem scheinbaren Schicksal die Stirn zu bieten. Sehr geschickt und humorvoll führt Barbara Gowdy durch die Erzählung, in dem sie wechselnde Episoden aus dem Leben von Rose und Harriet beschreibt und den Leser für die persönlichen, familiären Belange der beiden Frauen sensibilisiert.

Die Besonderheit des Erzählten beruht auf einer gewissen Authentizität, trotz oder gerade wegen der übersinnlichen Erfahrung, die hier im Zentrum steht. Ganz nebenbei ergeben sich Einblicke in das Seelenleben der Frauen, in ihre Schuldgefühle ebenso wie in ihren Willen zur Veränderung.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen mit Herzblut geschriebenen Roman der durch seine ungewöhnliche, abwechslungsreiche Geschichte, die nicht nur bildlich wirkt, sondern auch Innerlichkeit besitzt, sehr einprägsam bleibt . Geschrieben für alle Mütter, Töchter, ja Frauen generell und für Leser, die psychologische Facetten diverser Lebensmodelle nachempfinden möchten.

Veröffentlicht am 05.03.2019

Nur den eigenen Vorteil im Blick

Der Neue
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„Ian sah jeden, der neu war in seinem Revier. Denn der Schulhof gehörte ihm. Seit Monaten gefiel er sich schon in dieser Machtposition. Da stellte jeder Neue natürlich eine gewisse Herausforderung dar.“


Inhalt


Osei ...

„Ian sah jeden, der neu war in seinem Revier. Denn der Schulhof gehörte ihm. Seit Monaten gefiel er sich schon in dieser Machtposition. Da stellte jeder Neue natürlich eine gewisse Herausforderung dar.“


Inhalt


Osei Kokote stammt aus Ghana, doch als Sohn eines Diplomaten muss er alle Jahre an eine neue Schule wechseln, weil die Familie mal wieder umzieht. In gewisser Weise kennt er sich also aus mit dem „neu sein“ in einer fremden Umgebung. Dennoch belastet ihn dieses ständige taxieren, einordnen und auf jeden Fall nichts Falsches zu sagen ungemein. Zu gern wäre er einfach nur er selbst, mit stabilen Freundschaften und mehreren Konstanten in seinem Leben. Auch an der Washingtoner Schule, die er nun besucht, gilt er als Außenseiter. Nicht nur weil er neu ist, sondern darüber hinaus auch noch eine andere Hautfarbe hat, als seine Mitschüler. Seltsamerweise freundet er sich gleich am ersten Tag mit einem der beliebtesten Mädchen an und wird wider Erwarten zwar angestarrt aber nicht wirklich gemieden. Für Osei ist das eine ganz hoffnungsvolle Erfahrung, die er so nicht vermutet hat, doch seine Freude währt nur kurz, denn Ian ist bereits der König des Schulhofs und er wird es gewiss nicht hinnehmen, dass ein hergelaufener Fremder sein Revier besetzt. Subtil spinnt er eine Intrige, die gleich mehrere Mitschüler einschließt und sein Ziel ist ganz klar: Osei hat an dieser Schule nicht mehr lange etwas zu lachen …


Meinung


Die in Washington aufgewachsene Autorin Tracy Chevalier widmet sich in diesem Roman einer Art Neuauflage von Shakespeares Othello – ein Außenseiter, der den Makel einer anderen Hautfarbe hat, wird Opfer von Diskriminierung und Vorurteilen. Ihr Drama legt sie auf den Schulhof einer Washingtoner High-School mit ganz klaren Rollenbildern, die alle bereits gut situiert sind und ihren Platz im Schulgefüge gefunden haben. Und zugegeben, diese ausführliche, individuelle Gestaltung der einzelnen Charaktere macht für mich den Wert des Buches aus, vielmehr als das beabsichtigte Drama, welches für meinen Geschmack auch viel zu kurz kommt, weil es erst auf den letzten zehn Seiten relevant wird.


Mit viel Einfühlungsvermögen beschreibt sie nicht nur Osei, der sich einfügen muss, sondern auch die sympathische Dee, die sofort Freundschaft mit ihm schließt, den Widersacher Ian, der auch vor Gewalt und Intrigen nicht zurückschreckt, seinen meinungslosen Mitläufer Rod und das Traumpaar der Schule, welches als Zielobjekt einer infamen Lüge herhalten muss. Diese vielen Verkettungen zwischen den Schülern, ihr Selbstbild aber auch ihre Außenwirkung im Schulgefüge machen für mich den Großteil der Geschichte aus. Sie sind spannend, vielschichtig, abwechslungsreich und genau im richtigen Maß ausgearbeitet. Der Alltag zwischen den Kindern wird greifbar, ebenso wie die Verteilung der Sympathien, die auch die Lehrer der Schule einbezieht. Auch der Sprachstil, den die Autorin wählt, passt ausgesprochen gut zum Text, denn ein übergeordneter Erzähler lässt die Geschichte lebendig werden und zwar aus allen Perspektiven, nicht nur aus Sicht eines Einzelnen.


Kleine Abstriche muss ich allerdings bei der tatsächlichen Ausarbeitung des Dramas machen. Gerade der Moment, in dem es zum finalen Treffen kommt, bei dem alle Wendungen sichtbar werden, bei dem Schuld und Gewissensfragen offenbart werden sollten, der verpufft auf den letzten Seiten fast gänzlich. Eine kurze, schicksalhafte Abfolge mehrerer Momentaufnahmen fast willkürlich aneinandergereiht und einfach so, fast schon stümperhaft in den Raum gestellt. So plötzlich wie der große Knall kommt, so abrupt endet auch die Geschichte, da haben mir noch viele Seiten zum Leseglück gefehlt, dennoch erschließt sich mir der Text weniger auf Grund seines Abschlusses als vielmehr durch die intensive Auseinandersetzung im Gesamtkontext des Buches.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesem klassischen Roman in Anlehnung an ein Werk der Weltliteratur. Eine individuelle, gut kontrastierte Darstellung verschiedener Rollenbilder in einem abgegrenzten Raum. Keiner kann so recht aus seiner Haut, alle müssen sich neu finden und der Neue mischt die Zusammensetzung diesmal auf. Eine tiefgreifende Debatte bezüglich des Außenseitertums und der Diskriminierung darf man nicht erwarten, weil es eine sehr erzählerische Umsetzung ist, die das romanhafte beibehält, doch als ein kleines Kammerspiel mit bekannten Größen und stimmigen Charakterzeichnungen darf sich dieses Büchlein dennoch schmücken. Mir hat es sehr gut gefallen, mit nur wenigen Abstrichen.

Veröffentlicht am 26.02.2019

Der dunkle Fleck im Herzen

Worauf wir hoffen
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„Und was geschieht, wenn du sündigst? Dann bekommst du einen Fleck im Herzen, einen dunklen kleinen Fleck. Ein Fleck, der nicht mehr weggeht. So fett und schwarz, dass das Herz nicht mehr imstande ist, ...

„Und was geschieht, wenn du sündigst? Dann bekommst du einen Fleck im Herzen, einen dunklen kleinen Fleck. Ein Fleck, der nicht mehr weggeht. So fett und schwarz, dass das Herz nicht mehr imstande ist, Gut und Böse zu unterscheiden.“


Inhalt


Die Ehe von Laila und Rafik ist zwar arrangiert, doch die Liebe lässt nach drei gemeinsamen Kindern nicht mehr auf sich warten. Eine Beziehung, die durch Respekt und Zuwendung geprägt ist und die viele gemeinsame Jahre im Guten wie im Schlechten überdauert hat. Beide stammen ursprünglich aus Indien und leben als streng gläubige Muslime schon viele Jahre in Amerika. Unter diesen Bedingungen wachsen nun auch ihre Kinder Haida, Huda und Amar auf – die Töchter werden nach alter Tradition beschützt und zu Gehorsam und Sittlichkeit erzogen, während der Sohn die Familie repräsentieren soll und sie mit Stolz und Ehrgefühl bereichern darf. Doch die Sehnsucht der Eltern nach diesem Idealbild will sich einfach nicht erfüllen, denn gerade ihr Jüngster entwickelt sich zu einem Rebell und bricht mit Regeln, Traditionen und Wunschvorstellungen jeder Art. Sein Zuhause bleibt ihm eine unerfüllte Sehnsucht, die er bewusst hinter sich lässt und doch nicht aus dem Herzen verbannen kann. Und auch die Töchter wachsen in einer anderen Zeit auf, sie sind viel selbstständiger als ihre Eltern, studieren, leben nur noch eine leichte Variation der elterlichen Religionsverbundenheit und integrieren alle Möglichkeiten, die sich ihnen offenbaren voller Überzeugung in ihr Leben. Und so müssen die Eltern schmerzlich erleben, wie schwer es ist, die Nachkommen gehen zu lassen, deren Wege zu akzeptieren und mit differenzierten Ansichten konfrontiert zu werden.


Meinung


In ihrem Debütroman widmet sich die junge Autorin Fatima Farheen Mirza einer Familiengeschichte, die gleichermaßen besonders und weitreichend ist. Sie erforscht die Tatsache, was Familien im Innersten zusammenhält und welche Probleme sie über die Jahrzehnte bewältigen muss. Viel Raum für Liebe, Glaube und Zuversicht wird gewährt ebenso wie bittere Erkenntnisse, nicht gutzumachende Fehler und die schier ungreifbare Gewalt des Schicksals, dem man nur begrenzt etwas entgegensetzen kann.


Diese Geschichte bereichert die Buchlandschaft um ein buntes, vielschichtiges Geschehen innerhalb einer kleinen Gruppe, deren Mitglieder sich einerseits verpflichtet und verbunden fühlen, die aber auch sehr genau registrieren, dass sich ihr Zusammenhalt zu eng, zu unausgewogen und bremsend auf ihre Persönlichkeitsentwicklung auswirkt. Die Erzählung folgt keiner Chronologie, was anfangs etwas verwirrend wirkt, doch man gewöhnt sich schnell an die vielen kleinen Episoden erzählt aus dem Leben der jeweiligen Person, so dass die Zeitsprünge eher eine generalistische Aussage hervorrufen und die kleinen Nuancen und Verletzungen gut spürbar werden. Darüber hinaus schafft es die Autorin, für einen fremden Kulturkreis Feingefühl und Verständnis zu vermitteln, denn wer kann schon aus seiner Haut, wenn der ganze Glaube so stark auf ein bestimmtes Idealbild konzentriert ist?


Das Aufwachsen der Kinder in einem strengen, an Konventionen gebundenen Elternhaus ist nicht einfach, zumal die Schwestern und Brüder ständig um Anerkennung bei beiden Elternteilen buhlen und damit auch ihre harmonische Geschwisterkonstellation ins Wanken gerät. Und genau dieser Ansatzpunkt hat mir bei der Lektüre am Besten gefallen: Das Betrachten einer ganz normalen, greifbaren Familie, die mit allen Mitteln um die Liebe kämpft und doch nur hoffen kann, dass die Zeit alle Wogen glättet.


Dennoch hat die Erzählung ihr Längen, werden doch einige Sachverhalte immer wieder zur Sprache gebracht und derart ausführlich beleuchtet, dass ich an dieser Stelle eine Straffung des Textes als wohltuend empfunden hätte. Auch der kulturelle Knackpunkt ist nicht so dramatisch wie erwartet, denn obwohl Glaubensfragen durchaus zur Debatte stehen, ergibt sich zu wenig Reibungsfläche, so dass die Erzählung für mich eher universellen Charakter hat und sich zielgerichtet mit Beziehungsmustern auseinandersetzt, doch das hätte ebenso gut in einer Familie ohne muslimischen Hintergrund funktioniert.


Fazit


Ich vergebe gute 4 Lesesterne für einen intensiven, auf zwischenmenschliche Belange konzentrierten Familienroman, der viele Parallelen zum echten Leben aufweist. Gut gezeichnete Charaktere, bunte Erzählperspektiven und eine fundierte Innenansicht von Menschen, Gedanken und Gefühlen werden hier erschaffen. Doch der „Wow“- Effekt hat mir etwas gefehlt, dafür verliert sich einiges auf dem Weg zwischen Kindheit und Erwachsenwerden der Protagonisten. Sehr gelungen finde ich die Auseinandersetzung mit Geschwisterbeziehungen, Elternproblemen und der weisen Einsicht, dass man Kinder in die Welt setzt, um sie eines Tages ziehen zu lassen und der Weg dorthin ein steiniger ist, gepflastert mit Enttäuschungen, Bewunderung aber auch Überraschungen, die man erst im Lauf eines Lebens gänzlich begreifen kann. Ich vergebe eine Leseempfehlung, mir hat der Roman gerade als dreifache Mutter manches gezeigt, was im Alltag untergeht …