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Veröffentlicht am 15.10.2022

Geniale Neuübersetzung von Andreas Steinhöfel

Matilda
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„Jäh und völlig unerwartet begann er, Seiten aus dem Buch zu reißen und in den Papierkorb zu werfen.
Matilda erstarrte vor Entsetzen. Der Vater machte immer weiter. Es schien kaum Zweifel daran zu geben, ...

„Jäh und völlig unerwartet begann er, Seiten aus dem Buch zu reißen und in den Papierkorb zu werfen.
Matilda erstarrte vor Entsetzen. Der Vater machte immer weiter. Es schien kaum Zweifel daran zu geben, dass der Mann von so etwas wie Eifersucht erfüllt war. Wie konnte sie es wagen, schien er mit jeder zerrissenen Seite zu sagen, wie konnte sie es wagen, sich an Büchern zu erfreuen, wenn er es nicht konnte? Wie konnte sie es wagen?“ (S. 38)

Wir alle kennen sie, die Geschichte von Matilda, dem kleinen, überaus intelligenten Mädchen, das Bücher liebt, und in einem Umfeld groß wird, das sie völlig verkennt und vernachlässigt.

Nun ist die deutsche Ausgabe dieses Kinderbuchklassikers neu übersetzt und aufgelegt worden. Es wurden die bekannten Illustrationen von Quentin Blake beibehalten (alles andere wäre auch unvorstellbar), in dieser Ausgabe sind sie aber durchgehend farbig illustriert.

Die geniale Neuübersetzung ist von dem bekannten Autoren Andreas Steinhöfel. Durch die absolut fantastische Neuübersetzung ist die Geschichte nicht nur moderner anmutend, sondern auch frecher und spannender. Ich wage zu behaupten, dass Steinhöfels Übersetzung der Tonalität Roald Dahls Sprache deutlich näher kommt als die vorherige deutsche Übersetzung.
Auch eignet sich die Sprache fürs Vorlesen der Geschichte ganz wunderbar. Besonders die spannenden Kapitel, in denen Matilda Rache übt oder die Knüppelkuh auftritt, verschlagen dem kleinen Zuhörer regelrecht den Atem. Und das ist eine große Leistung des Übersetzers.

Ich bin begeistert! Eine meiner Lieblingsgeschichten meisterhaft neu umgesetzt!

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Veröffentlicht am 15.10.2022

Spannende Geschichte über Gerechtigkeit

Das riesengroße Krokodil
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„Weißt du, was ich heute gern zu Mittag essen würde?“, fragte das riesengroße Krokodil?
„Nein“, sagte das nichtsogroße. „Was denn?“
Das riesengroße Krokodil grinste und zeigte dabei einhundert spitze weiße ...

„Weißt du, was ich heute gern zu Mittag essen würde?“, fragte das riesengroße Krokodil?
„Nein“, sagte das nichtsogroße. „Was denn?“
Das riesengroße Krokodil grinste und zeigte dabei einhundert spitze weiße Zähne. „Zu Mittag“, sagte es, „hätte ich heute gerne ein schönes, saftiges kleines Kind.“

Und so überlegt sich das riesengroße Krokodil „geheime Pläne und ein paar schlaue Tricks“, um an diesen Leckerbissen zum Mittag zu kommen. Es begegnet auf seinem Weg in die Stadt dem ein oder anderen Tier, dem es dann doch stolz von seinem Plan erzählt. Jedes der anderen Tiere versucht das Krokodil davon zu überzeugen, dass seine Idee nicht so toll ist. Doch das riesengroße Krokodil wird nur umso hungriger, je mehr die anderen ihm sein Vorhaben auszureden versuchen.
Als es sich dann tatsächlich auf die Lauer legt, um ein Kind zu schnappen, kommen ihm die anderen Tiere in die Quere und können das Schlimmste gerade noch verhindern….

Der von Andreas Steinhöfel fantastisch neuübersetzte Kinderbuchklassiker von Roald Dahl hat meinen Sohn sofort in den Bann gezogen. Es ist durchgehend farbig Illustriert mit den altbekannten Bildern von Quentin Blake, sodass auch der Nichtleser gleich neugierig wird und unbedingt die Geschichte vom riesengroßen Krokodil hören möchte.

Geschichten von Roald Dahl setzen sich schon dadurch von anderen Kinderbüchern ab, dass sie nicht diese Political Correctness mitbringen und Themen ansprechen, die aus unserer Erwachsenensicht die Kinder vielleicht schockieren könnten. Ich glaube, darin liegt sogar der Zauber seiner Geschichten. Denn die jungen Leser finden gerade das spannend. Hier ist ein wirklich böses Krokodil unterwegs. Angeberisch und nicht von seinem gemeinen Plan abzubringen. Die anderen Tiere treten ihm mutig mit ihrer Meinung entgegen und helfen den unschuldigen Kindern als es brenzlig wird. Auch das Ende ist für das Krokodil nicht gerade ein diplomatisches. Und dennoch - oder gerade deshalb - fühlt es sich an, als käme hier jemand Unbelehrbares zu seiner gerechten Strafe.

Wir haben das Buch gleich mehrfach hintereinander gelesen und mein Sohn hat allen begeistert von dieser Geschichte erzählt. Die Neuübersetzung ist so großartig, dass man die Geschichte wunderbar vorlesen kann. Sie ist so spannend erzählt, dass der kleine Zuhörer ganz gebannt und aufgeregt lauscht.

Ein absolut empfehlenswertes Bilderbuch.

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Veröffentlicht am 12.09.2022

Mean Time to Repair

MTTR
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„Ich halte mich an der Brüstung fest. Die Ampel an der Kreuzung steht genau drei Sekunden auf Gelb. Es geht jetzt nicht mehr um dich, Teresa.“ (70)

Als Teresa - eine typische Großstadt-Millenial - schwanger ...

„Ich halte mich an der Brüstung fest. Die Ampel an der Kreuzung steht genau drei Sekunden auf Gelb. Es geht jetzt nicht mehr um dich, Teresa.“ (70)

Als Teresa - eine typische Großstadt-Millenial - schwanger wird, gerät sie in ein Rollenbild, das zwar überholt ist, aber immer noch in unserer aller Köpfe steckt. Sie selbst pflegt kein gutes Verhältnis zu ihren Eltern, lebt ihr eigenes Leben mit ihrem Partner Erk zusammen. Auf keinen Fall will sie in den Strudel der gesellschaftlichen Zwänge geraten, in dem sie selbst und ihre Eltern groß geworden sind. Sollte sie also überhaupt Kinder kriegen? Und das alles wiederholen, womit sie selbst nichts mehr zu tun haben möchte?

Ihre Schwangerschaft ruft dann tatsächlich umgehend all diese Geister. Ihre und Erks Eltern hatten und haben noch den Erziehungsgeist einer Johanna Haarer in Köpfen, die in Nazideutschland Ratgeber für junge Mütter schrieb und deren Bücher bis in die Achtziger neuaufgelegt wurden. Dieses Gedankengut hat also auch unsere Millenial-Generation noch durch Erziehung mitgegeben bekommen.

Selbst wenn man alles anders machen möchte als die eigenen Eltern, so ganz wird man seinen familiären Background meist nicht los. Auch wird man als werdendes oder frischgebackenes Elternteil häufig genau durch diese Brille beurteilt. Denn plötzlich steht die Großelterngeneration wieder auf der Matte, mit vielen gutgemeinten Ratschlägen.

Ich bin auch aus Teresas Generation und Mutter. Beim Lesen von MTTR hatte ich das Gefühl, dass Julia Friese meine Geschichte erzählt. All diese (teils subtilen und unausgesprochenen) Vorwürfe und gesellschaftlichen Erwartungen an junge Eltern und vor allem Mütter. All die problematischen und gefühlskalten Beziehungen zu den eigenen Eltern. MTTR deckt sie auf, spricht sie an. Ich wünschte, dass dieses Buch einige Jahre eher erschienen wäre, denn ich selbst hatte vor ein paar Jahren das Gefühl, sehr alleine mit dieser Wahrnehmung dazustehen. Möge die Schwarze Pädagogik endlich aus unserer Welt verschwinden. Ein Buch wie MTTR ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Ein großartiges Buch mit einer schonungslosen Erzählstimme. Von Julia Friese werden wir bestimmt noch häufiger hören.

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Veröffentlicht am 07.09.2022

Verstehen und dann handeln

Wir können auch anders
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„Wir sind Gefangene eines Systems, von dem wir uns Freiheit versprochen haben und aus dem wir jetzt den Ausgang nicht mehr finden.“ (2%)

Inzwischen haben es wohl die meisten mitbekommen: Dass wir vor ...

„Wir sind Gefangene eines Systems, von dem wir uns Freiheit versprochen haben und aus dem wir jetzt den Ausgang nicht mehr finden.“ (2%)

Inzwischen haben es wohl die meisten mitbekommen: Dass wir vor der größten Krise der Menschheit stehen, der Klimakrise. Dass es so nicht weitergehen kann. Viele von uns möchten etwas ändern. Doch wie? Alles scheint viel zu langsam zu gehen und ist man selbst nicht nur eine winzig kleine Stimme, die gar nicht gehört wird?

Maja Göpel beschreibt in ihrem neuen Buch, wie das System unserer Gesellschaft funktioniert. Wie man aus systemwissenschaftlicher Sicht Veränderungen angehen kann. Denn es reicht nicht, hier und da ein Symptom zu bekämpfen und damit an anderer Stelle Schaden anzurichten. Man muss erst einmal das große Ganze verstehen. Außerdem macht sie Mut. Denn jeder Mensch kann ein „Wirk“ sein, jemand, die oder der etwas bewegt und eine Veränderung anstößt.

Man muss sich auf Maja Göpels Bücher schon sehr einlassen. Sie sind nicht leicht und schnell gelesen. Doch wenn man das tut, dann öffnen sie den Blick und geben viele neue Impulse. Aus dem Blickwinkel der Systemwissenschaften heraus unsere gesamte Weltordnung zu betrachten, ist eine spannende Idee. Plötzlich erkennt man nicht nur die Zusammenhänge, sondern sieht auch wieder seinen eigenen Platz im großen Gefüge. Am Beispiel des Romanesco Salates beschreibt sie, was Fraktale sind: „Ein Gebilde, bei dem einzelne Teile dem Ganzen selbstähnlich sind, weil sie sich in ihm immer wiederholen.“ So ist auch unsere Gesellschaft aufgebaut und jeder von uns ist ein Teil davon. Ändere ich nun in meinem Umfeld etwas an bestehenden Strukturen und Mustern, gebe ich sie weiter an die Menschen in meinem Umfeld, verändert sich nach und nach auch das Gesamtgefüge.

Ich finde das spannend und ich möchte daran glauben. Man kann es ja auch schon beobachten: Die Veränderungen gehen durch unsere Gesellschaft. Wir stehen an einem sozialen Kipppunkt und die Zeit für Veränderungen ist jetzt.

Maja Göpels Stimme ist eine sehr wichtige in dieser Zeit. Sie erklärt und macht Mut.

„Veränderte Strukturen spiegeln eine veränderte Kultur. Sie machen bisher abweichendes Verhalten zur neuen Normalität.“ (55%)

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Veröffentlicht am 22.08.2022

Geschichte nachvollziehbar und erlebbar

1939 – Exil der Frauen
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„Die Realität bricht endgültig ein in die Welt der Intellektuellen, deren Gedanken bislang darum kreisten, wie die eigene Existenz nach philosophischen Maximen am elegantesten zu ordnen sei und wie ein ...

„Die Realität bricht endgültig ein in die Welt der Intellektuellen, deren Gedanken bislang darum kreisten, wie die eigene Existenz nach philosophischen Maximen am elegantesten zu ordnen sei und wie ein unbürgerliches Liebesleben aussehe. Die Angst vor dem Krieg war bislang immer noch von der Hoffnung auf kluge politische Entscheidungen überlagert worden. Jetzt ist der Krieg da.“ (67%)

1939 - die Nazis übernehmen immer mehr die Macht in Deutschland, der Zweite Weltkrieg nimmt seinen schrecklichen Lauf. Viele Menschen sind schon geflohen, fühlen sich aber auch in den europäischen Exilländern nicht mehr unbedingt sicher und müssen vielleicht weiterziehen. Wieder andere müssen noch in Sicherheit gebracht werden. Da wären Brecht und seine bunt zusammengewürfelte Familie in Dänemark und Schweden. Erika und Klaus Mann in Amerika. Aber auch Simone de Beauvoir, die in Paris bleibt, und ihr sehr geliebter Partner Satre, der zum Kriegsdienst einberufen wird.
Die Zeiten sind unruhig, gefährlich, schrecklich. Wie konnte es nur so weit kommen.
Auch die Frauen, die gerade anfingen sich zu emanzipieren, geraten wieder ins Hintertreffen. Die Nazis drängen Frauen rigoros in ihre Rolle als Mutter und Hausfrau zurück. Aber auch für Frauen im Exil ist es schwierig, weiterhin ihrer Berufung oder Beschäftigung nachzugehen. Die Auftragslage der Fotografin Gisèle Freund zum Beispiel wird dünn, auf der Flucht müssen viele Werke zurückgelassen werden. Internationale Kunstausstellungen sind nur schwierig zu organisieren; vor allem geht es gerade darum, die Werke europäischer Künstler in Sicherheit zu bringen. Einige Frauen engagieren sich sehr mutig. Zum Beispiel Ingrid Warburg, die sich um geflüchtete Kinder in Amerika kümmert.

Wer alle drei Bände von Unda Hörner gelesen hat, kann die schnellen und heftigen Entwicklungen der Zeit sehr intensiv nacherleben. Das zögerliche Aufatmen nach dem Ersten Weltkrieg, die aufregenden und glamourösen Zeiten der Zwanziger Jahre, in denen so viel für die Emanzipation der Frauen erreicht wurde. Und aber auch das Aufkeimen des Nationalsozialismuses, denn die Zeiten waren unruhig, man versuchte eine Neudefinition.

Ich habe alle drei Bände sehr atemlos gelesen. Der aktuelle Band, „1939 - Exil der Frauen“, ist sehr beklemmend. Die Entwicklung, die sich abzeichnete, aber die man nicht glauben und ernst nehmen wollte, eskaliert.

Ich kann alle drei Bände jedem nur sehr ans Herz legen. Die Lektüre ist sehr aufschlussreich und Geschichte wird hier nachvollziehbar und erlebbar.
Unda Hörners Bücher sind nicht nur ein spannendes Leseabenteuer; sie sind auch mahnend. Einige Entwicklungen unserer krisengeschüttelten Zeit sind denen in jüngster Geschichte recht ähnlich. Gesellschaftlich scheinen wir gerade ähnlich verwundbar wie vor hundert Jahren.

Unbedingt lesen.

„Sartre antwortet: »Sie haben mich lebhaft interessiert mit dem, was Sie über unsere passive Verantwortung gegenüber der Generation nach uns sagten.« Philosophieren im stillen Kämmerlein, das stete Kreisen um sich selbst, wie eitel im Angesicht der Ereignisse!“ (81%)

Die Frauen:

Hannah Arendt
Simone de Beauvoir
Anna Freud
Gisèle Freund
Peggy Guggenheim
Lotte Jacobi
Milena Jesenská
Frida Kahlo
Else Lasker-Schüler
Erika Mann
Luise Mendelsohn
Annemarie Schwarzenbach
Dorothy Thompson
Helene Weigel
Virginia Woolf

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