Durchwachsener Auftakt mit Luft nach oben
Das Land, von dem wir träumenNach dem Krieg ist alles anders - die Lebensumstände haben sich geändert, viele Verluste sind zu beklagen und Südtirol gehört nun zu Italien. Demzufolge ist die Amtssprache nicht mehr deutsch, sondern ...
Nach dem Krieg ist alles anders - die Lebensumstände haben sich geändert, viele Verluste sind zu beklagen und Südtirol gehört nun zu Italien. Demzufolge ist die Amtssprache nicht mehr deutsch, sondern italienisch und im Zuge dessen werden die Nachnamen auch angepasst. Franziska, die eigentlich als Lehrerin arbeiten möchte, bekommt ein Berufsverbot erteilt, da sie nicht italienisch spricht und kann sich mit der herrschenden Ungerechtigkeit nicht abfinden. Sie gründet eine geheime Schule, in der sie neben Deutsch auch Heimatkunde und Geschichte unterrichtet. Knecht Wilhelm steht ihr zu Seite, hegt er doch Gefühle für Franziska. Aber das ist längst noch nicht alles, denn in den Zeiten des Umbruchs scheinen Geheimnisse an der Tagesordnung zu sein...
Anna Thaler wählt einen wundervollen Landstrich zum Handlungsort für ihre neue Familiensaga und beschreibt die Gegend mit sehr bildhaften Worten. Die eindrucksvolle Bergkulisse steigt aus den Seiten auf und macht es den Leser:innen leicht, sich direkt vor Ort einzufinden.
Mit der Wahl ihrer Protagonist:innen bin ich allerdings nicht ganz so glücklich, denn gerade Franziska, die hier als Hauptfigur agiert, kann mich nicht wirklich von sich überzeugen. Sie wirkt sehr von sich eingenommen und drückt mit einer Vehemenz den Lesenden ihren Standpunkt auf, was sie verbissen und hartnäckig erscheinen lässt. Sicher hat sie auch ihre weichen, warmherzigen Seiten, aber diese rücken immer wieder in den Hintergrund, sodass ich es vorziehe, von Franziska Abstand zu nehmen.
Gerade was die Beziehung zu Wilhelm betrifft, wirkt vieles unglaubwürdig und gestellt. Die Bedenken von Franziska, sich mit dem Knecht ihres Vaters einzulassen lösen sich plötzlich in Luft auf und beide werden ein Paar . Welche Hintergründe und Ursachen haben Franziska zum Umdenken beweg ? Ist es tatsächlich Liebe ?
Auch bleibt vieles als loser Faden in der Luft hängen, ohne dass die Autorin ein wenig Ordnung und Struktur in die Erzählung hineinbringt. Das Wirken des Widerstandes und das Verteilen der Flugblätter taucht immer wieder mal am Rande auf, aber so richtig vertieft wird diese Thematik nicht. Dem politischen Hintergrund mit den schwelend heißen Themen, dem Aufkommen des Antisemitismus und den bereits spürbaren Folgen wird für mein Empfinden zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet.
Vielmehr erzählt die Schreibende eine Familiengeschichte, wie sie gerade aktuell "in" ist - junge Frau begehrt auf, stellt sich der Frage, ob ihr Lebensweg in alter Form weiter beschritten werden kann und stellt sich der historisch belegten politischen Situation.
Der zeitgeschichtliche Hintergrund bietet extrem viel Potenzial, um eine mitreißende, mehrteilige Familiensage daraus zu stricken. Mir brennen die Fragen unter den Nägeln, wie es sich anfühlt, wenn man der Traditionen beraubt wird, mit Verboten leben muss, die den Alltag harsch beschneiden und was das mit der eigenen Gefühls- & Gedankenwelt anstellt. Antworten finde ich leider nicht in diesem Buch, sodass der Auftakt eher durchwachsen ist und ich enttäuscht zurück bleibe.