Schöne Bescherung...
SCHWEIG!Weihnachten ist für Esther das Fest der Liebe und der Familie. Selbstverständlich fährt sie, wie in jedem Jahr, zu ihrer Schwester und überreicht ihr ein Geschenk. Auch wenn die Verbindung zwischen den ...
Weihnachten ist für Esther das Fest der Liebe und der Familie. Selbstverständlich fährt sie, wie in jedem Jahr, zu ihrer Schwester und überreicht ihr ein Geschenk. Auch wenn die Verbindung zwischen den beiden Schwestern nicht unbedingt die innigste ist, gehört es sich doch, dass man sich beschenkt. Die Stimmung ist irgendwie eisig und aufgewühlt, passend zum Schneegestöber draußen. Da fassen sich beide ein Herz und bringen Themen aufs Tablett, die schon lange unter der Oberfläche schwelen. Und dann passieren Dinge, die das Fest der Liebe für immer nachhaltig beeinflussen....
Wow, was ein Brett - dieser Thriller ist definitiv mein ganz persönliches Lesehighlight 2021 und ich bin immer noch total geflasht von diesem zermürbenden Schwesternkrieg, der mich in Abgründe blicken lässt, die ich besser nicht gesehen hätte,. Ein facettenreicher Psychotrip, der nach und nach die Fassaden bröckeln lässt und die absolut kranken Seiten der Figuren offen legt.
Esther ist unglaublich dominant und weiß, wie sie sich die Menschen so zurecht biegt, dass sie nach ihrer Pfeife tanzen. Ihre kleine heile Welt ist ein perfekt inszeniertes Schauspiel, ihre Kinder und der ihr Mann Martin gleichen Marionetten. Sie werden von ihr manipuliert und beeinflusst, sodass die bald wirklich den verfälschten Darstellungen glauben, die Esther sich so schön ausgedacht hat.
Martin, devot und zu keiner eigenen Meinung fähig, hat sich kampflos seinem Schicksal ergeben und flüchtet sich in immer häufiger werdende Umarmungen mit Freund Alkohol. Wie er es an der Seite seiner Frau überhaupt aushält, ist mir ein Rätsel. Aber auch er hat seine Schattenseiten, die nach und nach hervorbrechen.
Sue ist labil, wirkt auf den Leser stoisch und emotionslos. Sie will einfach nur ihre Ruhe haben und dieser Wunsch wird von ihrer Schwester übergangen, so als würde Sue nicht existieren. Mir ihrer kühlen Gelassenheit wirkt sie aber trotzdem unheimlich und bedrohlich, auch wenn sie ein zartes Persönchen ist. Stille Wasser sind eben tief..
Mit Einsetzen des Schneegestöbers beginnt Judith Merchant, die sorgsam errichteten Fassaden einzureißen und zerrt ihre Leser in eine unheilschwangere Szenerie, die dem Leser emotional einiges abverlangt. Die Schwestern beherrschen perfekt die verschiedenen Varianten ihrer perfiden Psychospielchen. Wie ein Ping-Pong wechseln die fiesen kleinen Stiche, Schuldzuweisungen und aufgestauten Emotionen hin und her und der unterdrückte Konflikt kann ungehindert die "heilige" Ordnung durcheinander wirbeln, bis diese im vollkommenen Kontrollverlust komplett zerstört ist und der Leser fassungslos dabei zusehen muss, wie hier längst vergangene Taten aufs Tablett kommen und sich die sicheren Strukturen auflösen.
Beide Schwestern sind vollkommen irrational unterwegs, krankhaft besessen von dem Gedanken, der jeweils anderen einen reinzuwürgen. Es sind erschreckend glaubhafte Einblicke in menschliche Abgründe, die sich hier auftun und so fesselt die Autorin ihre Leser an das Buch. Beide Figuren spucken Gift und Galle, übertrumpfen sich in Boshaftigkeit und Hinterhältigkeit, geizen nicht mit Sarkasmus und Scheinheiligkeit.Es entsteht eine Gänsehaut, die das drohende Unheil ankündigt. Obwohl man es nie greifen kann, ist eine Langzeitwirkung zu spüren - es ist wie bei einem Verkehrsunfall. Man weiß, dass man nicht hinsehen soll, tut es aber unweigerlich weil man von der Erregung und Sensationslust gepackt wird.
Die Schreibende legt durch die ständigen Perspektivenwechsel die Gefühls- & Gedankenwelt schonungslos offen und es ist wie ein Horrortrip auf der Achterbahn des Grauens. Immer am Rande eines Nervenzusammenbruchs, begleiten Traumata, Intrigen und perfide Ideen den Leser bis zum Showdown.
Spannend vom ersten bis zum letzten Buchstaben und mit einer absoluten Leseempfehlung versehen !!