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Veröffentlicht am 21.09.2019

Wie lebt man richtig?

Die Altruisten
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In Andrew Ridkers Debütroman “Die Altruisten“ geht es um eine Mittelschichtfamilie im Mittleren Westen. Arthur Alter, 65, ist seit knapp zwei Jahren Witwer. Seine Frau Francine, eine Paartherapeutin, starb ...

In Andrew Ridkers Debütroman “Die Altruisten“ geht es um eine Mittelschichtfamilie im Mittleren Westen. Arthur Alter, 65, ist seit knapp zwei Jahren Witwer. Seine Frau Francine, eine Paartherapeutin, starb an Krebs. Arthur ist in seinem Beruf als Ingenieur und Universitätslehrer gescheitert. Sein Wunsch nach einer Festanstellung an der Universität hat sich nie erfüllt, und inzwischen hat er so wenige Kurse, dass es nicht zum Überleben reicht, erst recht nicht, um nach dem Wegfall von Francines Einkommen die Hypothek für das Haus zu bezahlen. Als letzten Ausweg aus der Krise bleibt ihm nur noch, sich an seine in New York lebenden Kinder Ethan und Maggie zu wenden, denen die Mutter ihr Vermögen vererbt hat. Er lädt sie nach St. Louis in sein Haus ein. Arthur und seine Kinder sind einander entfremdet und haben seit dem Tod der Mutter keinen Kontakt mehr. Maggie nimmt dem Vater übel, dass er die Mutter bis zu ihrem Tod betrogen hat, und Ethan hatte wegen seiner Homosexualität schon immer einen schweren Stand. Tatsächlich geht es aber auch den Kindern nicht gut, weder finanziell noch in ihren Beziehungen. Maggie hat zwar ihr Erbe nicht angerührt, schlägt sich stattdessen mit mehreren schlecht bezahlten Nebenjobs durch und hat dennoch Schuldgefühle wegen ihrer privilegierten Situation.
Ridker erzählt mit wechselnder Erzählperspektive die Vorgeschichte der Überlebenden, aber auch Kindheit und Jugend der Verstorbenen sowie die ersten Jahre mit Arthur. Dabei holt er sehr weit aus, und das ist nicht immer spannend zu lesen. Es gibt einen satirischen Blick auf das Amerika von 2015 vor Trump sowie komische und teilweise sehr poetisch formulierte Szenen. Komisch und traurig zugleich sind zum Beispiel die Passagen, in denen Maggie einen von ihr betreuten Jungen Kampfsporttechniken an sich ausprobieren lässt, wodurch sie sichtlich gezeichnet von diesen Arbeitseinsätzen zurückkehrt. Die überlebenden Mitglieder der Familie Alter sind mit ihren Plänen und guten Vorsätzen grandios gescheitert, vor allem Arthur, der bei seinem von einer dubiosen Organisation finanzierten Projekt in Simbabwe schwere Schuld auf sich geladen hat. Ridker liefert das Porträt einer schlecht funktionierenden Gesellschaft und einer dysfunktionalen Familie, von denen es in der zeitgenössischen amerikanischen Literatur eine ganze Reihe gibt. Er bietet keine Lösungsvorschläge an, lässt aber Vater und Kinder am Ende aufeinander zugehen, wodurch die Geschichte etwas weniger trostlos ist. Der Roman ist nicht schlecht, für mich aber kein Sensationsdebüt eines Ausnahmeautors.

Veröffentlicht am 05.08.2019

Wie kommt so viel Böses in die Welt?

Die Kinder des Borgo Vecchio
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In Giosuè Calaciuras Roman “Die Kinder des Borgo Vecchio“ geht es um drei Kinder, die im Armenviertel von Palermo aufwachsen. Alle drei leben in - wir würden sagen - prekären Verhältnissen. Mimmos Vater, ...

In Giosuè Calaciuras Roman “Die Kinder des Borgo Vecchio“ geht es um drei Kinder, die im Armenviertel von Palermo aufwachsen. Alle drei leben in - wir würden sagen - prekären Verhältnissen. Mimmos Vater, der Fleischer, betrügt seine Kunden mit einer präparierten Waage, Cristofaros Vater schlägt seinen Sohn allabendlich grün und blau, und Celestes Mutter arbeitet als Prostituierte. Während sie ihre Kunden bedient, muss ihre Tochter auf dem Balkon ausharren. Die Kinder überleben in einer brutalen Welt und haben entgegen aller Wahrscheinlichkeit noch Träume. Ihr Idol ist ausgerechnet der Kriminelle Totò, für sie ein Held mit einer beeindruckenden Waffe. Tatsächlich sind diese Menschen aber genauso ausgegrenzt und chancenlos wie z.B. die Bewohner der Pariser Banlieues. Für den Leser ist deutlich, dass alle Versuche, in ein besseres Leben zu entkommen, von vornherein zum Scheitern verurteilt sind.
Der kurze Roman zeigt eine brutale Welt voller Grausamkeiten gegenüber Mensch und Tier. In starkem Gegensatz dazu steht die oft sehr poetische Sprache. Fantasie und Traum haben ihren Platz, aber die Realität ist stärker. Damit enthält der preisgekrönte Roman auch eine gute Portion Sozialkritik. Das Buch ist gut, aber begeistert hat es mich nicht. Dafür ist es inhaltlich zu harte Kost.

Veröffentlicht am 22.06.2019

Wer steckt hinter den Morden von Orphea?

Das Verschwinden der Stephanie Mailer
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Fans von Joel Dicker haben den neuen Roman “Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ sicherlich schon mit Spannung erwartet. Die Handlung spielt sich im beschaulichen Ort Orphea in den Hamptons an der Ostküste ...

Fans von Joel Dicker haben den neuen Roman “Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ sicherlich schon mit Spannung erwartet. Die Handlung spielt sich im beschaulichen Ort Orphea in den Hamptons an der Ostküste ab. Am Tag der Eröffnung des ersten Theaterfestivals im Jahr 1994 werden Bürgermeister Gordon, seine Frau und sein Sohn sowie eine Joggerin ermordet. Der Fall wird von den beiden jungen Ermittlern Jesse Rosenberg und Derek Scott bearbeitet. Alle Indizien deuten auf einen Täter, der allerdings bei der Flucht vor der Polizei ums Leben kommt. Zwanzig Jahre später konfrontiert die Journalistin Stephanie Mailer Rosenberg bei seiner Verabschiedung mit ihrer Überzeugung, dass er sich mit dem Täter geirrt habe. Wenig später ist sie unauffindbar und wird nach ein paar Tagen ermordet aufgefunden. Die Akte wird wieder geöffnet und Rosenberg und Scott ermitteln erneut zusammen mit der jungen Polizistin Anna Kanner.
Auf fast 670 Seiten werden immer neue, meist falsche Spuren verfolgt, und es zeigt sich, dass unter der scheinbar intakten Oberfläche alles anders ist als vermutet. Es kommen weitere Menschen ums Leben, von denen einige indirekt mit dem Fall zu tun haben. Vielleicht wussten sie etwas, und der Täter fühlte sich bedroht. Nicht nur die Zeitebene wechselt in den kurzen Kapiteln ständig, sondern auch die Erzählperspektive. Mal erfährt der Leser die Sicht verschiedener Ich-Erzähler, mal berichtet ein auktorialer Erzähler. Das macht die Lektüre etwas mühsam und mindert die Spannung. Ich finde die Geschichte einigermaßen verwirrend, um nicht zu sagen stellenweise wirr. Auf die Frage, ob er vor Beginn des Schreibens einen Plot erarbeitet, antwortete der Autor in einem Interview “Mein Plot ist nicht zu plotten.“ Das glaube ich ihm aufs Wort.
Joel Dickers “Die Geschichte der Baltimores“ hat mir noch gut gefallen. Von dem neuen Roman bin ich eher enttäuscht.

Veröffentlicht am 16.06.2019

Frauen, wehrt euch

Golden Cage. Trau ihm nicht. Trau niemandem. (Golden Cage 1)
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Faye und Jack Adelheim scheinen ein rundherum glückliches Paar zu sein, verkehren unter den Reichen und Schönen und haben eine kleine Tochter namens Julienne. Der Roman beginnt fast mit dem Endpunkt ...

Faye und Jack Adelheim scheinen ein rundherum glückliches Paar zu sein, verkehren unter den Reichen und Schönen und haben eine kleine Tochter namens Julienne. Der Roman beginnt fast mit dem Endpunkt einer Entwicklung. Julienne ist spurlos verschwunden, und Jack wird verdächtigt. Hat er seine eigene Tochter umgebracht?
In vielen Rückblenden wird die Vergangenheit nachgeholt: wie Jack und Faye sich kennenlernen und die erste glückliche Zeit. Faye ordnet sich völlig unter, will in allem ihrem Mann gefallen, der sie immer schlechter behandelt und seine Verachtung offen zeigt. Dabei hat Faye, die ursprünglich Matilda hieß und ihren alten Namen zugunsten eines kompletten Neubeginns in Stockholm abgelegt hat, für Jack ihr Studium abgebrochen und jeden Gedanken an eine eigene Karriere aufgegeben. Ihren Beitrag zum erfolgreichen Unternehmen Compare leugnen sowohl Jack als auch sein Freund Henrik. Erst als sie gnadenlos ausgebootet und mittellos zurückgelassen wird, besinnt sich Faye auf ihre Stärke, die sie in ihrer schweren Kindheit in Fjällbacka gebraucht hat, um zu überleben. Darüber spricht sie nicht, das darf niemand wissen. Auch der Leser wird nach zahlreichen Hinweisen auf Geheimnisse und Fayes dunkle Seite erst spät darüber informiert, was damals geschah.
Der Roman liest sich nicht schlecht, ist aber in seinen negativen Porträts fast aller Männer sehr düster und teilweise recht einseitig. Jack ist ein so monströses Scheusal, dass er schon wieder unrealistisch wirkt. Allerdings ist auch Faye keine Unschuldige, die das Gute verkörpert. Ihre ausgeklügelte Rache zeigt, dass es auch für sie letztlich keine Grenzen gibt, keine ihr Handeln bestimmenden moralischen Prinzipien. Sie kämpft in einem Haifischbecken ums Überleben und will anderen Frauen helfen, es ihr gleichzutun. Was ist also die Botschaft dieses ersten Psychothrillers einer Autorin, die wir bisher nur aus ihrer Krimiserie kennen? Keine Frau sollte sich einem Mann bis zur Selbstaufgabe unterordnen und sich klein machen, um dem Partner zu gefallen. Materieller Wohlstand hat einen zu hohen Preis, und eine solche Beziehung ist dennoch zum Scheitern verurteilt, wie Läckberg überzeugend darlegt.

Veröffentlicht am 10.02.2019

Ein ganz spezielles Gewerbe

Die Plotter
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“Die Plotter“, der Romanerstling von Un-Su Kim, spielt in Seoul nach dem Ende der Militärdiktatur. Konkreter wird der Autor nicht, was Zeit und Raum betrifft. Es geht um eine hierarchisch aufgebaute Organisation, ...

“Die Plotter“, der Romanerstling von Un-Su Kim, spielt in Seoul nach dem Ende der Militärdiktatur. Konkreter wird der Autor nicht, was Zeit und Raum betrifft. Es geht um eine hierarchisch aufgebaute Organisation, die Auftragsmorde gegen Bezahlung ausführt. Da gibt es Plotter, die die Morde akribisch planen, Killer, die sie ausführen, Tracker, die Zielpersonen aufspüren und den Betreiber einer Art Krematorium, der die Toten einäschert. Im Mittelpunkt des Romans steht Raeseng, Anfang 30 mit etwa 15 Jahren Berufserfahrung. Er wurde als Kind von dem Plotter Old Raccoon aufgenommen und zum Profikiller ausgebildet. Bisher hat Raeseng sein Handwerk ohne Skrupel erledigt. In diesem Gewerbe tötet man nicht, weil man an etwas glaubt, sondern weil einem ein Vorgesetzter den Befehl dazu gibt. Dann wird Raeseng etwas nachdenklich angesichts von Todesfällen in seinem Umfeld, und er bringt sich durch eigenmächtige Veränderungen bei der Ausführung von Aufträgen in größte Gefahr. Der Markt ist in Bewegung, neue Leute drängen an die Macht. Die alten Plotter müssen abtreten, aber nicht etwa in einen beschaulichen Ruhestand. Sie werden ihrerseits eliminiert.
Der Autor zeichnet eine Gesellschaft im Umbruch, wo die Mächtigen nicht vor Verbrechen zurückschrecken, wenn es darum geht, Gegner oder Rivalen auszuschalten, wo die Menschen jede Hoffnung verloren haben und niemandem trauen. Für Raeseng ändert sich alles, als mit Mito eine ehemalige Mitarbeiterin eines hochgestellten Plotters in sein Leben tritt, die ihn ausgerechnet mit einer in seiner Wohnung platzierten Bombe auf sich aufmerksam macht. Sie sucht seine Mithilfe bei ihrer geplanten Vernichtung des gesamten Gewerbezweigs. Beide wissen, dass sie bei einem solchen Unterfangen ihren eigenen Tod von vornherein einkalkulieren.
Der Roman des Koreaners sorgt für Furore, aber ich glaube nicht, dass er einen neuen Trend einleitet, selbst wenn inzwischen eine gewisse Sättigung an skandinavischen Krimis eingetreten ist und viele Leser dieses Genre leid sind. Dafür ist das Thema zu speziell – blutiges Gemetzel und Entsorgung der Leichen gegen Bezahlung – und die Botschaft des Autors zu unklar. Wie real ist die dargestellte Gesellschaft, wo alle korrupt sind und Auftragsmorde nicht die Ausnahme, sondern die Normalität sind? Mir hat der Roman nicht gefallen.