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Veröffentlicht am 11.07.2023

Hier entsteht Liebe und Freundschaft aus Wissen, Romantik und Gefahr.

Die Frau, die es nicht mehr gibt
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Die Frau, die es nicht mehr gibt erzählt die Geschichte zweier junger Frauen, die sich im Lubéron der 1980er Jahre erstmalig begegnen.


Alexandra Richter, Alex genannt, ist mit der Schule fertig. Ihr ...

Die Frau, die es nicht mehr gibt erzählt die Geschichte zweier junger Frauen, die sich im Lubéron der 1980er Jahre erstmalig begegnen.


Alexandra Richter, Alex genannt, ist mit der Schule fertig. Ihr Herz schlägt für die Fotografie und so ist sie trampend in Europa unterwegs, um eindrucksvolle, landschaftliche Fotomotive festzuhalten. Auf ihrer Reise entdeckt sie jedoch ihre Leidenschaft für den Ausdruck in den Gesichtern der Menschen. Alex hat einen Blick für bildhafte Momente von Persönlichkeiten, die Geschichten erzählen.



Im Moment der ersten Begegnung und des Verstehens ihrer Begabung, trifft Alex in Apt auf ein Trio aus Straßenkünstlern. Das Trio besteht aus einem Fackeljongleur mit Wolfsmaske, der sich als hübsche junge Frau namens Mado entpuppt, aus einem weiteren Fackeljongleur namens Fantomas, der immer ein wenig erstaunt aussieht und dem Seiltänzer Loic, der bei seinem Hochseilakt der ersten Begegnung auf dem Seil ganz schön ins Schwanken gerät.



Die Vier werden schnell zu einer eingeschworenen Gemeinschaft. Es stellt sich heraus, dass alle Vier ihrem Elternhaus den Rücken gekehrt haben. Fernab der Familie wollen sie ihren Platz im Leben finden, ergründen wer sie sind und was sie im Leben wollen. Es geht darum die eigenen Träume zu ergründen und zu verwirklichen. Und es geht darum, Erfahrungen nicht einfach zu verbuchen, sondern mit dem erworbenen Wissen tätig zu werden.

Maiken Nielsen hat mit dieser liebenswerten Bande vier Charaktere ins Leben gerufen, die unterschiedlicher Herkunft sind und vor ähnlichen Herausforderungen - nämlich der gefühlten Inakzeptanz mindestens eines Familienmitglieds - stehen. Wie soll der Mensch damit umgehen, wenn er noch nicht die notwendigen Erfahrungen gesammelt hat, außer er sammelt sie außerhalb und fernab der Familie?

Und so lande ich als Leserin in Apt gemeinsam mit allen, die im Verborgenen bleiben wollen, mit allen Künstlern, mit den Hippies, mit den Einheimischen und der wunderbaren Natur und mit Drogen und der unmittelbaren Gefahr durch die in der Nähe stationierten Atomraketen, Militär und sich verbündenden Terroristen.

Diese Mischung aus "ich bin hier geboren", ich gehöre nirgends anders hin" und der Gefahr sorgt für einen Zusammenhalt unter all den Fremden, die in Apt zusammenkommen, so dass ich mich ob des Zusammenhalts wie in einer Großfamilie bei ihnen zu Hause fühle.



"Je suis heureux que tu sois là", stand da. Ich bin glücklich, dass du da bist. - Seite 44



Maiken Nielsen hat eine ganz wunderbare Art die Geschichte zu erzählen. Klug und bildhaft, bildungssprachlich aber nie belehrend. Es ist mir ein wahres Fest die vier jungen Erwachsenen zu begleiten und ihre Entwicklung zu verfolgen. Die Arbeit an der Erfüllung der Träume; das Zurückstecken der eigenen Wünsche zugunsten der Freundschaft und der politischen Entwicklung; das sich treiben lassen, weil es Teil des Vorhabens ist und weil es Teil der eigenen Schwäche ist.



Mado sah sie unbewegt an. "Jetzt hör mir mal zu: Das Geheimnis der Freiheit liegt in der Bildung, während das Geheimnis der Tyrannei darin besteht, die Menschen dumm zu halten. Hat schon Robespierre gesagt!" "Wurde ihm für diese Aussage nicht der Kopf abgeschlagen?" "Netter Versuch, Alex." - Seite 63



Die Geschichte ist so malerisch erzählt, wie die Umgebung des Lubéron auf mich Eindruck macht. Gegen die aufkommende Romantik machen sich die Umstände der Gegenwart der 1980er Jahre und die Umstände der Wiederbegegnung der beiden Frauen rund dreißig Jahre nach ihrem ersten Treffen auf.

Ein Prozess, der schmerzhafte Erfahrungen und gelebtes Leben zusammenführt und von Liebe und Freundschaft zeugt.



"Vielleicht ist es der unbändige Wunsch zu leben. An unsere Grenzen zu stoßen und dann darüber hinauszugehen." - Seite 429



Am liebsten würde ich den Roman gleich noch einmal lesen.



Fazit
Die Frau, die es nicht mehr gibt ist für alle, die sich in den Genuss einer fiktiven Geschichte mit wahren geschichtlichen Hintergründen mit den jungen Erwachsenen in die Provence und nach Apt der 1980er Jahre begeben wollen.

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Veröffentlicht am 16.06.2023

Wenn Spannung sich anfühlt wie ein inneres Tauziehen, dann ist es "Verschwunden".

Verschwunden
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Verschwunden ist der neue Thriller um den Ermittler Commissario Neri. Neri ist dort wohnhaft und tätig, wo andere Menschen Urlaub machen: in der Toskana. Doch mancher Urlaub ist dazu verdammt nicht dem ...

Verschwunden ist der neue Thriller um den Ermittler Commissario Neri. Neri ist dort wohnhaft und tätig, wo andere Menschen Urlaub machen: in der Toskana. Doch mancher Urlaub ist dazu verdammt nicht dem Erholungszweck zu dienen.







Dieses müssen Gitta und ihr Mann Elmar erfahren, als in dem Trubel des toskanischen Marktgewimmels ihr Sohn mit einem Mal verschwunden ist. Wohin kann Jonas verschwunden sein?

Während Neri schon von seinem Altersruhesitz träumt, sind die Eltern von Jonas in heller Aufregung.



"Ich hab gehört, dass sie irgendwann mal gesagt haben, dass sie auch noch ein Herz brauchen. Für ein Kind. Blutgruppe 0." - Seite 143


Die Geschichte erlebe ich wie ein inneres Tauziehen. Auf der einen Seite möchte ich die Natur und die imposanten Gebäude mit tollem Blick auf die Toskana genießen, die ich an der Seite der Maklerin Elena Ludwig kennenlerne, auf der anderen Seite bin ich gefangen zwischen den Wünschen und Träumen von Neri und seiner Gabriella und der Verzweiflung der Eltern.

Sabine Thiesler beherrscht das Spiel mit der Angst und nutzt ihr Wissen, um mich als Leserin an die Geschichte zu fesseln und die Angst der Opfer und der potentiellen Opfer erlebbar zu machen. Ich habe dieses Buch im Rahmen einer Leserunde gelesen und das Geschehen daher wohldosiert in kleineren Leseabschnitten erlebt. Der intensive Austausch hat das Erlebte noch einmal verstärkt verbildlicht und ließ dabei zu, die Geschichte auch noch einmal aus einem anderen Blickwinkel zu erleben.



"Er sah lange in die angstvoll geweiteten Augen des Vogels. Und plötzlich verstand dieser kleine Junge die Welt. Da waren die Starken und die Schwachen. Um zu überleben, musstest du zu den Starken gehören, sonst warst du verloren. Und wenn du schwach warst, musstest du dich stark machen." - Seite 173



An verschiedenen Perspektiven mangelt es in der Geschichte aber nicht. Sabine Thiesler lässt mich das Geschehen aus dem Blick der unterschiedlichen Charaktere erfahren und lässt mich Seite an Seite mit den Figuren an den Erlebnissen teilhaben. Und manchmal möchte ich gar nicht so nah am Geschehen sein.



Fazit
Wenn Spannung sich anfühlt, wie ein inneres Tauziehen, dann ist es "Verschwunden".

Dieser Thriller ist für alle, die starke Nerven beweisen, wenn es um Kindesentführung und Machtmissbrauch geht.

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Veröffentlicht am 09.06.2023

Von Freundschaft und von Liebe, die mehr als hundert Leben hält

Der Ruf des Eisvogels
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Der Ruf des Eisvogels ist die Geschichte um Olga. Olga Blume, von ihrem Pa - also ihrem Großpapa - auch liebevoll Gänseblümchen genannt. Olga erblickte am 1. April 1925 das Licht der Welt. Genau in dem ...

Der Ruf des Eisvogels ist die Geschichte um Olga. Olga Blume, von ihrem Pa - also ihrem Großpapa - auch liebevoll Gänseblümchen genannt. Olga erblickte am 1. April 1925 das Licht der Welt. Genau in dem Moment, in dem ihre Mutter Elli Blume starb. Elli Blume war zu der Zeit mit ihrem Mann Otto und ihrem kleinen Sohn Karl allein zu Haus. Pa - also Olgas Großpapa - war zu der Geburt Ellis Freundin Ira geeilt, die genau an dem Tag zur selben Stunde ihre Tochter erwartete.





Während die Seele von Elli Blume durchs offene Fenster entschwindet, macht Olga ihren ersten Atemzug und ein Eisvogel schaut zum Fenster herein. 21 Gramm wiegt der kleine Racker - so viel, wie eine geliebte Seele wiegt.

Olga wächst zwar bei ihrem Vater Otto und ihrem Bruder Karl auf, wird aber von Pa gehegt, umsorgt und mit allerlei spannendem Wissen über Medizin und die Wunder der Natur versorgt. Mit ihrer pragmatischen und dabei sehr liebevollen Art wächst mir Olga nach und nach ans Herz.



"Seit sie klein ist, geht sie mit ihm Gesundheit pflücken. Schließlich dienen ihm alle Wiesen und Matten, alle Berge und Hügel als Apotheken, so hat zumindest der große Paracelsus es behauptet." - Seite 49



Anne Prettin macht es mir als Leserin sehr leicht Olga ins Herz zu schließen. Auf der anderen Seite hält sie die ganzen 464 Seiten lang die Spannung, wie sich die Geschichte um Olga schlussendlich entwickelt und sich die Auflösung der Geschichte bis zum Tag des Wiedersehens gestaltet. In verschiedenen Rückblenden in die Kindheit, die Jugend, die frühen Erwachsenenjahre und die Zeit des zweiten Weltkrieges bekomme ich einen lebendigen Einblick in das Leben, das Olga führt. Ich spüre die Last der Verantwortung, die sie trägt. Ich wünsche mir für Olga ein anderes, leichteres Leben und doch kann ich nachvollziehen, dass sie die Bürde trägt - auch wenn ich Meilen von der Wahrheit entfernt bin.

Anne Prettin hat einen für mich sehr bildhaften Erzählstil. Ich könnte jederzeit an jedem Ort tatsächlich dabei gewesen sein, so eindrücklich ist das Geschehen erzählt, so präsent sind die Charaktere, mit solch einer Wucht sind die geschichtlichen Ereignisse beschrieben.



"Aber waren die Schatten nicht schon immer ein Teil von dir? Schon als kleines Mädchen hast du geglaubt, du müsstest dir deinen Platz in der Welt verdienen, als stünde dir nichts zu." - Seite 442



Ich erwische mich beim Lesen dabei, dass ich hoffe, dass niemand an die Tür klopft und um Einlass bittet. Als hätte ich jemanden versteckt. Als hätte ich etwas zu verbergen. Und doch sehe ich mich Olga so verbunden, dass ich ihr Geheimnis mit bewahre, sie schütze, auch wenn ich ihr Geheimnis noch nicht in Gänze kenne. Ich vertraue ihr.



"Mehr kann man doch für einen anderen Menschen nicht tun, als ihn zu heilen und dafür zu sorgen, dass er weiterleben und -lieben kann." - Seite 278



Wann immer ich von Pa´s Gänseblümchen lese, habe ich die Gewissheit, wie rein diese Liebe von Großvater zur Enkelin ist. Das Vertrauen, das Zutrauen und der Werdegang. Diese Gewissheit macht mich froh und weckt Zuversicht in die Zukunft. Solange es Menschen wie Pa und Olga gibt, ist unsere Welt zu retten. Und all die Menschen darin.



"Wie Mamme immer sagte: "Man begegnet in seinem Leben vielen Leuten, aber nur wenigen Menschen." - Seite 271



Und ich erfahre von Pa, dass es zwar Zeit braucht, aber jeder Lebensabschnitt einen eigenen Herbst hat.



"Olga steckt sich den Herbst in die Manteltasche, drei Kastanien sowie eine Handvoll gelbgrüner, ockerfarbener und weinroter Ahornblätter, die sie im Botanischen Garten auf dem Weg zur Universität aufgelesen hat. Das wird ihr Glück bringen. Pa sagte immer, Herbst sei ein uraltes Wort für Ernte, und die müsste man einfahren, wenn die Zeit reif dafür sei." - 315



Dank Olga weiß ich nun, dass ich nicht bis zum Herbst des Lebens warten muss, um die Ernte einzufahren. Sondern genau dann, wenn es Zeit ist zu ernten. Denn dann ist Herbst.

Der Ruf des Eisvogels ist eine fiktive Geschichte und erzählt doch aus der Geschichte von Jochen Prettin, dem Vater der Autorin. In der Danksagung erzählt Anne Prettin, wieviele Parallelen zur Geschichte es gibt. Und auch das war für mich als Leserin noch einmal spannend zu erfahren.

Ich habe noch ganz viele Stellen im Buch markiert und freue mich schon heute, das Buch immer mal wieder zur Hand zu nehmen und die klugen Sätze von Anne Prettin zu lesen und ihr innerlich Recht zu geben, zu schmunzeln und den Menschen dieser Welt genug Raum zu geben, dass sie gegen all die Leute bestehen können.

Liebe Anne Prettin, ich freue mich sehr hoffentlich bald wieder von Ihnen zu lesen.



Fazit
Der Ruf des Eisvogels ist für alle, die eine ruhig und bildhaft erzählte Geschichte genießen wollen. Für die Lektüre der Geschichte habe ich mehrere Tage benötigt. Die Zeit des intensiven Lesens und Verinnerlichens ist es allemal wert. Viel Freude an all die Menschen, die Der Ruf des Eisvogels für sich entdecken.

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Veröffentlicht am 27.05.2023

Humorvoller Blick auf die ungeschönte Realität

Mindset
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Mindset ist die Geschichte um zwei junge Männer in unterschiedlichen Entwicklungsstufen. Der eine schwimmt sprichwörtlich bereits oben auf der Welle während der andere noch darum bemüht ist, nicht im tiefen ...

Mindset ist die Geschichte um zwei junge Männer in unterschiedlichen Entwicklungsstufen. Der eine schwimmt sprichwörtlich bereits oben auf der Welle während der andere noch darum bemüht ist, nicht im tiefen Fahrwasser des Lebens unterzugehen.







So lerne ich Maximilian Krach, einen Lifestyle-Coach kennen, der in den sozialen Medien die Aufmerksamkeit durch hohe Followerzahlen genießt. Maximilian gibt alles, um seinem Ruf und dem durch seine Arbeit erwirtschafteten Ansehen gerecht zu werden.

Und ich lerne Mirko kennen. Mirko, der zwar schon 10 Jahre im selben Unternehmen mit denselben Kolleginnen und Kollegen arbeitet, aber trotzdem irgendwie noch nicht dazugehört und beinahe unsichtbar ist. - Bis Mirko beim Scrollen durch die Vorschläge auf seinem Social Media Account auf die Werbeanzeige von Krach Consulting stößt.

Als hätte Mirko nur auf diesen einen ersten Schulungstag gewartet, strukturiert er nun sein Leben anders, achtet auf seine Garderobe und sein äußeres Erscheinungsbild - und versucht auch gleich die Kolleginnen und Kollegen zum Umdenken zu bewegen.

Sebastian Hotz erzählt die Geschichte der beiden jungen Männer sehr lebhaft, sehr bildhaft und mit einigen einfließenden eigenen Erfahrungen. Der Schreibstil ist flüssig. Die Sätze sind teilweise sehr lang, das tut dem Verständnis hinter all den Worten aber keinen Abbruch.



"Dieser Typ riskiert täglich auf einem Fahrrad sein Leben, fährt in halsbrecherischer Geschwindigkeit über Kreuzungen, fegt bei Eisglätte und Regen durch enge Gassen, um sich beim nächsten Kunden großzügige 1,70 € Trinkgeld abzuholen." - Seite 77



Die Charaktere wirken sehr lebendig. Sie haben ihre Eigenarten und durchlaufen in ihrem Bewegungsspielraum die Entwicklung ihrer Rolle entsprechend.

Ich hatte viel Freude bei der Begleitung der beiden Hauptcharaktere und habe das Buch in kürzester Zeit gelesen und gehört.

Das Erleben in der Geschichte ist vielschichtig und nachvollziehbar. Es macht Spaß das Geschehen zu verfolgen. Auch wenn die Themen eher nüchtern sind, bleibt der Humor nicht auf der Strecke. Stellenweise musste ich laut auflachen, so herrlich bildhaft hat Sebastian Hotz das Geschehen in Worte gefasst.

Die Hörbuchfassung hat der Autor selbst eingelesen. Da Sebastian Hotz gern und viel spricht, hat seine Stimme die notwendige Kraft. Das Sprachbild ist konstant und Hörer:innen, die sonst die Geschwindigkeit nach oben korrigieren, dürfen sich auf ein etwas zügigeres Hörvergnügen freuen. Für mich war die Sprachgeschwindigkeit noch angenehm. Ich hätte aber auch nichts dagegen, wenn ich beim Zuhören etwas mehr Zeit hätte, das Geschehen gemäßigter mitzuerleben.



Fazit
Mindset ist ein starkes Buch über Selbstfindung, Selbstverwirklichung und ein ungeschönter Blick auf die Realität.

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Veröffentlicht am 19.05.2023

Ein Leseerlebnis, wie ein tiefer See an einem windstillen Tag, der mich nachdenklich zurücklässt.

Männer sterben bei uns nicht
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Männer sterben bei uns nicht ist die Geschichte von Frauen, deren Männer irgendwie abhanden gekommen sind. Es klingt nach einem gemütlichen Zusammenleben auf einem großzügigen Anwesen direkt am See. Fünf ...

Männer sterben bei uns nicht ist die Geschichte von Frauen, deren Männer irgendwie abhanden gekommen sind. Es klingt nach einem gemütlichen Zusammenleben auf einem großzügigen Anwesen direkt am See. Fünf Häuser gibt es auf diesem Anwesen. Alle diese Häuser gehören Luises Großmutter. In einem davon lebt Luise mit ihrer Mutter und ihrer älteren Schwester Leni. Die Hoffnung, das Anwesen einmal weiter zu führen, liegt auf der jungen Luise. Luise, die immer bemüht ist, zu sein, wie es am besten in Großmutters Bild passt. - Alles andere wird einfach ausgeblendet. Gilt als nicht existent.





Und genau so verschwindet eines Tages Luises ältere Schwester Leni. Leni, die ihrer kleinen Schwester Halt gibt. Leni, die alle Sorgen und Nöte versteht und immer für Luise da ist. Leni, die plötzlich nicht mehr da ist. Weil es Luise gibt. Luise, die scheinbar genau die Richtige ist.



"Ich war das Lieblingskind, aber eben nur in einer ganz bestimmten Version, nur wenn ich genau den Platz einnahm, den Großmutter für mich vorgesehen hatte." - Seite 196



Männer sterben bei uns nicht zeigt mir bereits auf den ersten Seiten, dass die Wohnlage noch so idyllisch sein kann, wenn das Zwischenmenschliche fehlt. Wenn eine familiäre Verbundenheit keine Verbundenheit garantiert. Wenn Mitgefühl aufgrund eigener Interessen gar durch Animositäten ersetzt wird. Was bleibt, ist ein verkrustetes Herz bis über den Tod hinaus.

Annika Reich erzählt die Geschichte in einem nüchternen Tonfall. Gleichzeitig lässt sie keinen Zweifel daran, dass ihre Charaktere unter der Familiengeschichte leiden. Durch diese Erzählweise fehlt mir die emotionale Nähe zu den Charakteren. Damit ist es mir möglich, die Frauen aus der Ferne zu betrachten. Diese Frauen, deren Männer irgendwie abhanden gekommen sind und die sich selbst so wenig emotionale Nähe geben können.



"Eure Großmutter wollte es nie wahrhaben, aber auch wir gehören dazu, wir zerrupften Rosen." "Ich gehörte nie dazu, zerrupft oder unzerrupft", sagte Olga. "Ich durfte nicht einmal ihre Stifte benutzen. Weißt du das noch, Luise? Sie räumte sie weg, wenn ich kam, sie machte die Schränke zu." - Seite 183



Männer sterben bei uns nicht ist für mich ein ruhiges, zum Nachdenken anregendes Leseerlebnis.



Fazit
Männer sterben bei uns nicht ist für alle, die sich nicht scheuen, verbildlicht an Luises Seite das durch die Großmutter gelebte Patriachat zu erleben.

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