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meggie3

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.03.2021

Sehr unterschiedliche Frauenfiguren

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
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Hannah findet einen Brief einer Anwaltskanzlei bei ihrer Großmutter, indem von verschollenen Kunstwerken die Rede ist. Ihre Großmutter Evelyn möchte mit dem Brief nichts zu tun haben, hindert ihre Enkelin ...

Hannah findet einen Brief einer Anwaltskanzlei bei ihrer Großmutter, indem von verschollenen Kunstwerken die Rede ist. Ihre Großmutter Evelyn möchte mit dem Brief nichts zu tun haben, hindert ihre Enkelin aber nicht daran, sich der Sache anzunehmen. Hannah selbst kämpft etwas halbherzig mit ihrer Germanistikpromotion und der Frage, inwieweit sie ihre Schwärmerei um ihren Doktorvater noch vor sich selbst rechtfertigen kann und wer sie überhaupt ist und sein will.

Der Roman erzählt in einigen Kapiteln die Geschichte von Senta, Evelyns Mutter, beginnend in den Zwanzigerjahren und die von Evelyns Kindheit und Erwachsenwerden bis in die Kriegsjahre. Die anderen Kapitel spielen in der heutigen Zeit und befassen sich mit Hannahs Leben und ihren Nachforschungen. So werden doch recht viele Themen und Handlungsstränge angerissen, ohne dass ich jedoch das Gefühlt hatte, dass es zu oberflächlich oder aber zu viel wäre.

Der Autorin gelingt es herausragend, die Geschichte von sehr verschiedenen Frauen zu erzählen, die zu unterschiedlichen Zeiten gelebt haben und doch durch den Stammbaum verbunden sind. Der Roman befasst sich mit Schuld und Vergebung, mit Erinnern und Nichterinnern wollen. Dies tut er auf ungezwungene Weise mit einer sprachlichen Leichtigkeit, die einerseits zum Nachdenken anregt und andererseits das Lesen zu einem Vergnügen macht.
Zwischenzeitlich skeptisch war ich im Hinblick auf Hannahs Entwicklung, die schon fast besessen von ihrem Doktorvater ist, sich aber durchaus über die Situation bewusst ist. Ich bin sehr froh, dass der Roman nicht zu kitschig geworden ist, sondern Hannah schlussendlich eine doch realistische und für mich als Leserin nachvollziehbare Entwicklung nimmt.

Die Rolle von Hannahs Mutter wird eher am Rand thematisiert und schien mir auch der eindimensionalste Charakter des Romans zu sein. Alle anderen Charaktere habe ich als sehr detailliert und authentisch beschrieben wahrgenommen.

Insgesamt hat mir dieser Roman sprachlich und von der Geschichte her sehr gut gefallen. Der Titel ist zwar absolut ungewöhnlich, macht aber nach Lesen des Buches Sinn und ist meinem Empfinden nach gut gewählt.

Veröffentlicht am 31.01.2021

Sam ist Sam

Sprich mit mir
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Die Studentin Aimee sieht in einer Fernsehshow den Schimpansen Sam, der mittels Gebärdensprache mit dem an ihrer Universität arbeitenden Professor Guy Schemerhorn kommunizieren kann. Kurz darauf stößt ...

Die Studentin Aimee sieht in einer Fernsehshow den Schimpansen Sam, der mittels Gebärdensprache mit dem an ihrer Universität arbeitenden Professor Guy Schemerhorn kommunizieren kann. Kurz darauf stößt sie auf eine Stellenanzeige von Guy Schemerhorn, der eine Betreuungsperson für Sam sucht. Die sehr zurückhaltende Aimee bekommt den Job und entwickelt eine innige Beziehung zu dem Schimpansen. Als das Projekt gestoppt und Sam auf eine Schimpansenfarm verfrachtet wird, beschließt Aimee zu handeln.

Ich habe Aimee als sehr spannenden Charakter empfunden, die sich im Laufe des Buches in meinen Augen stark entwickelt. Obwohl die Veränderung doch deutlich und radikal war, habe ich sie als nachvollziehbar und authentisch empfunden. Die Geschichte wird aus drei Perspektiven erzählt, der von Aimee, von Guy und von Sam. Der Wechsel der Perspektiven und auch die Überschneidungen, die die unterschiedlichen Sichtweisen verdeutlichen, sind ein wirksames Stilmittel. Auch die kurzen Kapitel aus Sams Sicht sind gut gemacht, da sich die Sprache stark abhebt und Sams Individualität deutlich wird.

Der Roman befasst sich mit den großen Fragen, was Bewusstsein, Persönlichkeit, Sprache und Individualität ist und inwieweit bzw. ob nicht menschliche Primaten über entsprechende Fähigkeiten und Eigenschaften verfügen können. Neben diesen philosophisch und psychologisch geprägten Fragen geht es in dem Roman aber auch darum, wie der wissenschaftliche und universitäre Betrieb läuft und welche Prozesse bestimmte Handlungsweisen fördern.

Als schwer zu ertragen habe ich die Passagen empfunden, in denen die Bedingungen auf der Schimpansenfarm und der Umgang mit den Menschenaffen dort geschildert wurden. Auch der Verweis darauf, auf welche Art und Weise Lebewesen für Experimente und Medikamentenversuche benutzt werden, hat mich betroffen gemacht.

Insgesamt habe ich „Sprich mit mir“ sehr gerne gelesen. Der Roman regt zum Nachdenken an und behandelt ein spannendes, aber auch komplexes Thema. T.C. Boyle ist es gelungen, sich diesem Thema mit einer interessanten Protagonistin zu nähern und hat so einen schönen Roman geschaffen. Auch der Schluss ist realistisch und authentisch geblieben und nicht in ein, zu dem Roman eigentlich nicht passenden, Happy End gedriftet.

Veröffentlicht am 28.12.2020

Interessante Einblicke

Unter Ultras. Eine Reise zu den extremsten Fans der Welt.
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In „Unter Ultras“ nimmt James Montague den Leser oder die Leserin mit in die Welt der Ultras. Dafür hat er einige Kontinente bereist und seine persönlichen Erfahrungen und Einblicke mit historischen und ...

In „Unter Ultras“ nimmt James Montague den Leser oder die Leserin mit in die Welt der Ultras. Dafür hat er einige Kontinente bereist und seine persönlichen Erfahrungen und Einblicke mit historischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen kombiniert. Herausgekommen ist ein gut geschriebenes, sehr informatives Buch, das sich zu lesen lohnt. Allerdings ist es eher „nichts für zwischendurch“, zu komplex sind häufig die gesellschaftlichen, historischen und politischen Spannungsfelder.

Das Buch beginnt thematisch bei den Wurzeln der Ultraszene in Südamerika, beschäftigt sich mit den Entwicklungen in europäischen Staaten wie zum Beispiel in Griechenland, Serbien, Albanien, Deutschland und Schweden, aber auch mit der indonesischen Ultrakultur und den relativ neu entstandenen Ultragruppen in den USA.

James Montague beschreibt tatsächlich das gesamte Spektrum an Aktivitäten und politischer Ausrichtung von Ultragruppen. Rechtsextreme Überzeugungen und offenen Faschismus, brutale Gewalt, mafiaähnliche Strukturen, aber auch Projekte gegen Homophobie, soziales Engagement und die Rolle der Ultras beispielsweise bei den Maidan-Protesten in der Ukraine und den Protesten um den Gezi-Park in der Türkei. So erschreckend und abstoßend einige Schilderungen auch sind, es hat sich bei mir das Gefühl verstärkt, dass eine Differenzierung nötig ist. Dies versucht James Montague auf den 400 Seiten.

Als für mich sehr positiven Punkt ist die Auswahl der Länderbeispiele hervorzuheben. So habe ich beispielsweise das Kapitel über Indonesien als ausgesprochen informativ und spannend empfunden. Gut gelingt es dem Buch die Unterschiede zwischen den Ultragruppen hervorzuheben, aber auch Gemeinsamkeiten zu finden. Insgesamt habe ich einen guten Überblick über die sehr komplexen Beziehungen zwischen Ultras und befreundeten und verfeindeten Ultragruppen, den Vereinen und der Politik gewinnen können.

Ich muss zugeben, dass einige Kapitel für mich anstrengender zu lesen waren als andere. Das mag viel damit zu tun haben, wie groß das Vorwissen um Konflikte und Geschichte der betreffenden Region ist. Immerhin hat bei mir das Bewusstwerden einiger Wissenslücken zu einer Recherche im Nachhinein geführt. Alles in allem habe ich also sehr viel gelernt und das Buch hat Anstoß gegeben, mich noch weiter mit einigen Themen zu befassen.

Ich glaube, dass es beim Lesen des Buches von Vorteil ist, sich sowohl ein bisschen für Fußball als auch für Politik und Geschichte zu interessieren. Sicherlich lässt sich das Sachbuch auch ohne Detailkenntnisse über sämtliche Spieler der Klubhistorie eines Vereins lesen, dennoch hat es mir geholfen, wenn mir zumindest die Vereinsnamen geläufig waren. Es gibt auch so schon genügend neue Namen und Begriffe, die sich während eines Kapitels zu merken sind. Ansonsten ist das Buch allen zu empfehlen, die Lust haben, sich jeweils über etwa dreißig Seiten recht intensiv mit der Ultraszene in einem bestimmten Land bzw. eines ausgewählten Vereins zu beschäftigen. So ist es auch möglich nur einzelne Kapitel oder unchronologisch zu lesen.

Veröffentlicht am 14.12.2020

Großartige Charakterzeichnungen

Bären füttern verboten
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Schon mal vorweg: dieser Roman besticht durch seine starken Charakterbeschreibungen.

Dreißig Jahre nach einem schweren Unglück in einem Familienurlaub kehrt Sidney zurück nach St. Ives. Jahrelang hatte ...

Schon mal vorweg: dieser Roman besticht durch seine starken Charakterbeschreibungen.

Dreißig Jahre nach einem schweren Unglück in einem Familienurlaub kehrt Sidney zurück nach St. Ives. Jahrelang hatte sie einen großen Bogen um die Stadt gemacht, in der sie in ihrer Kindheit einige Sommerwochen mit ihren Eltern und ihrem Bruder verbracht hatte.

Sidney ist Freerunnerin und erregt durch ihre Anwesenheit auf den Dächern von St. Ives einige Aufmerksamkeit. So entsteht eine lose Verbindung zu den BewohnerInnen des Ortes. Entsprechend gibt es Kapitel, die aus sehr unterschiedlichen Blickwickeln erzählen: da sind die junge Buchhändlerin und ihre Mutter, die die Frau auf den Dächern aus der Ferne sehen, Sidney selbst und ihr Vater, aber auch noch weitere Charaktere.

Obwohl es in „Bären füttern verboten“ zu einem nicht geringen Anteil um Trauer und Verarbeitung geht, habe ich das Lesen nicht als „schwer“ empfunden. Viel mehr habe ich die unterschiedlichen wertfreien Weisen des Umgangs wahrgenommen, die ich als sehr spannend empfunden habe. Eigentlich sind sämtliche ProtagonistInnen verloren in ihren Erinnerungen an ein anderes Leben oftmals mit einem Menschen, der nicht mehr da ist. Und trotzdem schafft es der Roman, ein Gefühl von Hoffnung und Aufbruch zu vermitteln – auf einfühlsame und gleichermaßen skurrile Art.

Der Titel ist spannend und auch die Kapitelüberschriften sind – wie das ganze Buch – im positivsten Sinn ungewöhnlich. Vielleicht braucht es etwas Zeit, um in den Roman hineinzufinden. Spannung hat sich aber durchaus entwickelt, indem Stück für Stück aufgelöst wird, wie es zu dem tödlichen Unfall im Familienurlaub kam und wie Sidney, ihr Bruder und ihr Vater damit umgegangen sind. Die Charaktere sind sehr liebevoll und detailreich beschrieben, sodass ich das Gefühl hatte, einige der ProtagonistInnen schon ewig zu kennen. Der Ort St. Ives ist ebenfalls so bildhaft beschrieben, dass ich mich selbst am rauen Strand in St. Ives gewähnt habe.

In „Bären füttern verboten“ hat für mich alles zusammengepasst. Schreibstil, Charaktere und Handlung sind eine Einheit, die mir einige schöne Lesestunden beschert haben.

Veröffentlicht am 13.12.2020

Sehr lesenswert!

Das Mädchen, das ein Stück Welt rettete
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Stefania, die auch Fusia genannt wird, beschließt als junges Mädchen nicht mehr auf dem Bauernhof ihrer Familie auf dem Land leben zu wollen, sondern in die Stadt Przemysl zu gehen und dort zu arbeiten. ...

Stefania, die auch Fusia genannt wird, beschließt als junges Mädchen nicht mehr auf dem Bauernhof ihrer Familie auf dem Land leben zu wollen, sondern in die Stadt Przemysl zu gehen und dort zu arbeiten. Sie bekommt einen Ausbildungsplatz in einem Lebensmittelladen und ist schon bald fast wie ein Familienmitglied für die jüdische Ladenbesitzerin Frau Diamant und deren Familie. 1939 verschärft sich die Situation für die jüdische Bevölkerung, die gezwungen wird, ins Ghetto zu ziehen. So auch Fusias Freund Izio Diamant, seine Brüder und Eltern. Fusia versucht, so gut sie ohne Einkommen kann, zu helfen, zum Beispiel indem sie Lebensmittel beschafft und diese ins Ghetto bringt. Als die Deportationen beginnen, versteckt sie zunächst einen der Söhne der Familie. Schon bald versteckt sie noch weitere Menschen, um sie vor den Nazis und Deportationen zu schützen.

Ich bin sehr froh, dieses Buch gelesen zu haben. Dieser Roman hat mich tief beeindruckt und berührt. Die wahre Geschichte von Stefania werde ich wohl nicht vergessen. Besonders eindrücklich habe ich auch Fusias Abwägungen empfunden, die sich der Gefahr, der sie sich, und vor allem auch ihre kleine Schwester aussetzt, bewusst ist. Manchmal habe ich beim Lesen vergessen, dass Fusia selbst noch sehr jung ist. Erinnert hat mich daran dann die Naivität, mit der Fusia sich in bestimmte Situationen begeben hat und, trotz ihrer Erfahrungen die Tendenz hat, zu vertrauen.

Der Schreibstil lässt sich gut lesen. Einige Passagen sind thematisch wirklich schwer zu ertragen, sodass ich beim Lesen Pausen einlegen musste. Sie bleiben mir sicher lange im Gedächtnis.

Bücher wie „Das Mädchen, das ein Stück Welt rettete“ sind unfassbar wichtig und lesenswert. Ich denke, dass der Roman für jugendliche LeserInnen genauso geeignet sein kann wie für Erwachsene.