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Veröffentlicht am 26.04.2017

eine authentische geschichte

Morgens in unserem Königreich
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Johanna ist fünfundzwanzig und soll möglichst bald heiraten. Arne arbeitet in einer Imbißbude und steckt in nicht unerheblichen finanziellen Schwierigkeiten. Johanna geht jeden Sonntag zum Gottesdienst ...

Johanna ist fünfundzwanzig und soll möglichst bald heiraten. Arne arbeitet in einer Imbißbude und steckt in nicht unerheblichen finanziellen Schwierigkeiten. Johanna geht jeden Sonntag zum Gottesdienst in den Königreichssaal der Zeugen Jehovas. Arne würde es nicht im Traum einfallen, dort aufzukreuzen. Bis ihn eine Verkettung von unglücklichen Umständen genau dazu zwingt. Zwei Welten prallen aufeinander. Was dann passiert, ist grotesk, spannend, tragisch, beglückend, und immer wieder auch sehr komisch. Arne ist ein echter Sympathieträger. Schnell fasst daher Karsten, Johannas aus der Art geschlagener pubertierender Bruder, zu ihm Vertrauen. Nicht allen in der Gemeinde gefällt dies, wie überhaupt Arnes Auftauchen unter den Gemeindemitgliedern für Verunsicherung sorgt. Und auch Johannas Glaube wird dadurch hart auf die Probe gestellt.

Der Autor scheint die Bewegung der Zeugen Jehovas entweder sehr gut aus eigener Erfahrung zu kennen, oder er hat bemerkenswert gut recherchiert. Jedenfalls ist sein Blick durchaus verständnisvoll, manchmal respektlos, manchmal sehr respektvoll, manchmal schonungslos. Also jedenfalls alles andere als schwarz-weiß. Ein sehr gelungener, kluger, heftiger, ehrlicher Roman.

Veröffentlicht am 24.04.2017

plädoyer für mehr menschlichkeit

Die Aussteigerin. Autobiografie einer ehemaligen Rechtsextremistin
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Erst 14 Jahre jung, schloss sich Christine Hewicker einer regionalen Neonazi-Bewegung an, mit 23 Jahren wurde sie wegen Beteiligung an einem Banküberfall, der dazu dienen sollte, Geld für die große Sache ...

Erst 14 Jahre jung, schloss sich Christine Hewicker einer regionalen Neonazi-Bewegung an, mit 23 Jahren wurde sie wegen Beteiligung an einem Banküberfall, der dazu dienen sollte, Geld für die große Sache zu aquirieren, festgenommen und als Terroristin zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Während der Zeit im Gefängnis gelang ihr die Umkehr.

Man staunt, wenn man die politische Argumentation der Terroristin liest - es ist nicht immer das, was man von einem typischen Nazi erwartet. Vieles klingt eher ein bisschen links- denn rechtsextrem. Kein Wunder, dass sie im Gefängnis auch schnell Zutrauen zu RAF-Leuten fasste. So weit war man offensichtlich gar nicht voneinander entfernt. Ein Psychologe bescheinigte Christine Hewicker ein ausgeprägtes "Helfersyndrom". In ihrer ausführlichen Verteidigungsschrift, die sie damals dem Gericht vorlegte, und die ungekürzt im Buch wiedergegeben wird, lässt sie auch an der NPD kein gutes Haar. "...habe ich im Laufe unserer Beziehung festgestellt, dass hier auch nur nichts weiter als hohle Phrasen gedroschen wurden." Trotz ihrer Abkehr von den Neonazis wird sie aber weiter als hochgefährlich eingestuft; tatsächlich ist auch ihr anti-imperialistischer Moral-Rundumschlag nach wie vor extremistisch in seiner Argumentation und Pauschalisierung. Von ehemaligen Mittätern wird sie als Verräterin gesehen und erhält Drohbriefe.

Trotz ihrer immer noch extremen Positionen ist sie aber zu vernünftigen Entscheidungen durchaus in der Lage, zum Beispiel, die illegal erworbenen Medikamente, von denen sie sich während des Prozesses Stärkung versprochen hatte, nach einem Fehlversuch umgehend zu vernichten. "...nach dem heutigen Tag war mir klar, dass ich mich niemals solchen Dingen untertan machen würde. Ich wollte die Herrschaft über mich nie wieder verlieren..."

Sehr reif empfinde ich ihre Schilderung der Isolationshaft. Ohne dass sie verbittert wirken würde, bringt sie ihr damaliges Gefühlschaos und die furchtbaren Auswirkungen der Isolierung auf den Punkt. Im Gefängnis ist es ihr stets darum zu tun, die Starke, Unnahbare zu geben. In Wirklichkeit kämpft sie aber mit sich selbst darum, sich nicht zum "eiskalten Monster" zu entwickeln. Zu diesem Zweck beginnt sie, Gedichte und Aufsätze zu schreiben. "Ich schrieb über Hass und Freude, und ich schrieb darüber, wie ich mich in bestimmten Situationen fühlte. Kaum aufgeschrieben, zerriss ich die Blätter wieder und verbrannte sie in der Toilette, damit sie nicht in falsche Hände kamen. Aber ich setzte mich dann auf mein Bett und dachte lange über das Geschriebene nach. Bald merkte ich, dass dies für mich eine gute Methode war, das Menschsein nicht zu verlieren und mir meine restlichen menschlichen Gefühle zu bewahren."

Meistens ist ihr Urteil über ihre damalige Lage eindeutig. Sie beschreibt sich selbst als verbohrt und uneinsichtig, urteilt vom "heute" her auf das "damals". Nur hin und wieder kommen nochmal Dinge durch wie "Eigentlich war ich während der letzten Jahre vom Staat völlig bewegungsunfähig gemacht worden." Wenn man das liest, denkt man, dass sie vielleicht noch nicht alles ganz hinter sich gelassen hat.

Liest man aber von ihrer allmählichen schwierigen Annäherung an den korrekten Staatsanwalt Hecking, den sie zunächst gehasst hatte und den zu respektieren sie allmählich in kleinen Schritte lernt, so ist dies wiederum sehr glaubwürdig. Angesichts eines im Gefängnishof blühenden Fliederbusches schreibt sie später: "Es ist erschreckend, was man verpasst, wenn man vor lauter Frust und Selbstmitleid die Augen verschließt, nur um ja nichts Schönes zu sehen." Geradezu anrührend, obwohl auch hier knapp und unaufgeregt geschildert, ist es, wenn sie während des Hungerstreiks ein ihr vom Gefängnispersonal angebotenes sehr verlockendes Gericht gegen die Gefängnistür donnert und sich danach kommentarlos, zusammen mit zwei Beamten, an die Beseitigung der Sauerei macht.

Gegen gelegentliche Schikanen einzelner Wachleute setzt sie sich zur Wehr. Solche Situationen werden auch genauestens beschrieben. Anders die Konflikte mit den Mithäftlingen. Diese werden stets nur angedeutet. Zu tief sitzt offensichtlich noch die Abneigung, zum Nestbeschmutzer zu werden. Aber genau diese Ungenauigkeit macht die Lektüre etwas zäh. Und zu dieser Konsequenz, was das respektvolle Verschweigen betrifft, passt es dann leider wieder überhaupt nicht, dass einzelne Vollzugsbeamtinnen für ihre unfreundlichen Kleinlichkeiten namentlich auf's Vorzeigetablett gesetzt werden. Mit Respekt spricht sie hingegen von ihren Richtern und Staatsanwälten und schildert ihre eigene damalige Verbohrtheit ihnen gegenüber ohne jegliche Bitterkeit. "Ich war ein Sturkopf", schreibt sie öfter. So legte sie sich während ihrer Haftzeit ständig wieder mit der gesamten Staats- und Bundesanwaltschaft an, weil die ihren Gesinnungswandel nicht ernst zu nehmen scheinen. Ihr Kampf um frühzeitige Entlassung auf Bewährung hat schließlich Erfolg. Die detaillierten Schilderungen sind allerdings auf Dauer etwas ermüdend. Hier hätte eine Straffung geholfen. Leider muss ich auch sagen, dass ich manche Schilderung als etwas arrogant empfinde. Aber auch das ist insofern nur authentisch, da sie selber diese Arroganz als eine der noch nicht ganz ausgestandenen Spätfolgen ihres Lebensweges nennt. Was wieder sehr sympathisch und ehrlich ist. Ehrlich ist es auch, wie sie über ihre heutigen Gefühle gegenüber ihren Ex-Nazi-Kameraden spricht. Sie macht kein Hehl daraus, dass es da auch noch vereinzelte positive Gefühle gibt, auch wenn sie mit der Ideologie abgeschlossen hat.

Ein großes Anliegen von Christine Hewicker ist es, dem inzwischen verstorbenen Richter Gleitsmann ein Denkmal zu setzen, der sie zwar zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt hat, "...der mich aber den Wert des Lebens lehrte und der immer für mich dagewesen war, wenn ich ihn gebraucht hatte." Wenn sie schildert, wie sie mehrere Stunden weinend an seinem Grab verbrachte, ist das schon sehr berührend. Als Außenstehender ist man sich kaum bewusst, welch intensiven Briefkontakt ein Gefangener mit Richtern und Staatsanwälten haben kann, und die stolze, aufmüpfige Strafgefangene (wie sie sich später selber charakterisiert) nutzte diese Möglichkeit exzessiv. Dabei ging sie nicht immer diplomatisch vor. "Ich musste immer mit dem Kopf durch die Wand, aber dieser Richter wusste, wie man mich vor dem Aufprall abbremst."

Was dieses Buch so wertvoll macht, ist seine große Aussagekraft über die Menschlichkeit, über die Kraft der Veränderung, über die Möglichkeit, einen scheinbar unmöglichen Weg der Umkehr zu gehen. Hin und wieder zieht sich die Lektüre für den ereignis- und sensationsverwöhnten Leser ein wenig, wirkt ein wenig unstrukturiert und langatmig. Wirklich interessant ist wiederum die Kurzanalyse der verschiedenen Personen aus ihrer ehemaligen Szene, die sie am Ende gibt. Man erfährt hier, dass es dumpfbackige, frauenverachtende Machtmenschen gab, aber eben auch solche, die der Autorin echte Wertschätzung entgegenbrachten und ihr menschlich einfach wertvoll geblieben sind. Auch das muss man sich erst mal auszusprechen trauen.

Schön ist, dass das letzte Kapitel mit der Versöhnung mit dem Staatsanwalt Hecking endet, dem Menschen, den sie einst als ihren ärgsten Feind angesehen hatte, und dass sie an dieser Tatsache das "Ich habe es geschafft!" misst.

Das Buch ist auch ein eindrückliches Plädoyer dafür, ehemaligen Strafgefangenen alle erdenklichen Hilfen beim Wiedereinstieg in ein Leben in Freiheit zu geben; man hat als Außenstehender keine Vorstellung davon, wie schwer dieser Schritt sein kann.

Veröffentlicht am 24.04.2017

authentisch geschrieben

Freier Fall in den Himmel -
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Elisabeth Bergner hat einmal gesagt: "Kein Mensch stirbt ohne seine Einwilligung." Dieses Buch scheint das in erstaunlicher Weise zu illustrieren.

Der begeisterte junge Fallschirmspringer Mickey Robinson ...

Elisabeth Bergner hat einmal gesagt: "Kein Mensch stirbt ohne seine Einwilligung." Dieses Buch scheint das in erstaunlicher Weise zu illustrieren.

Der begeisterte junge Fallschirmspringer Mickey Robinson ist mehr tot als lebendig, als man ihn mit schlimmsten Verbrennungen aus dem Wrack eines abgestürzten Flugzeugs birgt. Die Ärzte tun alles, um sein Leben zu retten, aber irgendwann können sie nichts mehr tun. Nach einem außergewöhnlichen Nahtoderlebnis allerdings erwacht der Patient wieder zum Leben und kommt auf wunderbare und unerklärliche Weise Stück für Stück wieder zu Kräften. Das Buch, das in Zusammenarbeit mit mehreren befreundeten Co-Autoren entstanden ist, erzählt seine Geschichte.

Nachdem zunächst die dramatischen Umstände des Flugzeugabsturzes geschildert werden, reißt der Handlungsfaden ab, und man wird in Mickeys Kindheit versetzt. In anschaulicher, flüssiger Sprache werden traumatische, aber auch glückliche Kindheitserlebnisse geschildert. Der Vater war ein hoffnungsloser Alkoholiker; die streng gläubige Mutter sorgte mit konsequenten Kirchenbesuchen dafür, dass Gott ihre Kinder zwar faszinierte, ihnen aber fern blieb, weil seine Erhabenheit so gar nichts mit der Gefühlswelt eines Kindes gemein zu haben schien. Plastisch beschreibt der Autor die religiöse Sackgasse seiner Kindheit mit den einfachen Augen eines Kindes.

Es folgt ein temporeicher Gang durch die Teenagerjahre des Autors. Ich hatte ehrlichgesagt nich erwartet, eine ganze Biographie von der Kindheit bis zum Tag X erzählt zu bekommen. Erst allmählich begreift man, warum dieser große Zusammenhang so unbedingt dazugehört. Mickey Robinson beschreibt diesen durchaus unterhaltsam, und die Berichte über die Suche eines jungen Mannes nach sich selbst mit ihren Höhenflügen und Abstürzen sind eindrücklich.

Später, bei den Beschreibungen der Behandlung des Schwerstverletzten im Krankenhaus dreht sich einem schon mal der Magen um, und man gerät in große Ehrfurcht vor dem Krankenhauspersonal, das so etwas aushält. Auf dem Krankenbett erfährt Mickey, "dass Berührungen, Mitgefühl und bestärkende Worte eine unermessliche Kraft über die Naturgesetze haben."

Und dann erfolgt das, was die Ärzte nicht verstehen. Der Patient scheint zu sterben und kehrt anschließend in seinen Körper zurück. Über sein Erlebnis schreibt er:
"Rationale Schlussfolgerungen, Logik und Verstand sowie Naturgesetze waren wie ausgelöscht durch mein neues Bewusstsein."
"Im Himmel gibt es nichts als absolute Reinheit."
"Es war, als würde mir ein neuer Pass ausgestellt, der mich nun als Bürger des Himmels ausweist."

Für manchen mögen die Nahtoderlebnisse Mickey Robinsons ein Schock sein. Für mich waren sie äußerst schön zu lesen und bestätigten mir in wunderbarer Weise das, womit ich mich seit vielen Jahren beschäftige ("LEBEN ist und war immer von der Materie unabhängig und wird es immer sein; denn LEBEN ist GOTT und der Mensch ist die Idee GOTTES, er ist nicht materiell, sondern geistig gestaltet und unterliegt nicht dem Verfall und dem Staub." - M. Baker Eddy)

"Obwohl mein Körper immer noch unverändert all die tödlichen Symptome und Komplikationen aufwies, verspürte ich einen übernatürlichen, unbegreiflichen Frieden. Die Bibel nennt das den 'Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft'".

Es bleibt nicht bei diesem einen Wunder. Infektionen heilen, Gewebe erneuert sich auf unerklärliche Weise, und den Ärzten gelingt in einer Unzahl von erfolgreichen Operationen, was sie selber kaum für möglich gehalten hatten. Wenige Monate nach dem entsetzlichen Unfall absolviert Mickey wieder seinen ersten Fallschirmsprung. Kehrt zurück ins Leben, trifft sich mich Freunden, besucht Rockkonzerte... und dann muss er doch schon wieder mit psychedelischem Zeug experimentieren. Der Hype im Jahr 1969 muss absolut hypnotisch gewesen sein. Verständnislos starrt die Rezensentin das Buch an und sieht die Sterne ihrer Begeisterung schwinden. Glücklicherweise kommt der Autor nach seiner ersten Hasch-Erfahrung zur Vernunft, erkennt den Unterschied zwischen dem Rausch und dem wirklichen Himmelreich und beschließt, den Drogen den Rücken zuzukehren. "Wieder zu Hause dachte ich bei klarem Verstand darüber nach, was passiert war. Wie konnte dieser Wahnsinn dabei helfen, eine Friedensbewegung in Gang zu setzen? 'Der Dieb kommt, um zu stehlen, zu schlachten und zu vernichten. Ich aber bringe Leben - und das im Überfluss.' Diese Person, diesen Retter, sollte man nicht allzu selbstverständlich nehmen." Klare Worte. Die Rezensentin atmet auf, den fünften Rezi-Stern fest mit beiden Händen umklammernd...

Es braucht noch eine ganze Weile, bis er die Drogen wirklich hinter sich lässt. Einmal hat er unter Drogen-Einfluss eine Jesus-Vision. Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll. Jesus wurde im Jahr 1969 übrigens auch zum Hype. Der Autor gerät an Hasch-Rauchende Jesus-Freaks, kann dem allerdings nicht viel abgewinnen. Aber irgendwann kommt er in seinem eigenen Leben an den Punkt, wo er nichts mehr anfängt, ohne Jesus zu fragen. Und auch das hat Konsequenzen. Gute Konsequenzen. Heute ist er zu der Überzeugung gekommen, dass das ewige Leben nicht mit dem Augenblick des Todes beginnt, sondern schon jetzt und hier.

Die Erzählweise ist schön, fesselnd, auf den Punkt gebracht, mit einem Blick für das Wesentliche. Letztendlich war die ausführliche Biographie notwendig, um dem Glaubwürdigkeit zu verleihen, was an ihrem Scheitelpunkt geschah.

Es ist ein heftiges Buch. Viele der Berichte gehen, glaube ich, für unvorbereitete Leser etwas weit, wobei ich den Wahrheitsgehalt nicht anzweifle. Ich weiß aus Berichten anderer Menschen mit Nahtoderfahrungen, dass sie durch das Erlebte fähig sind, Dinge anders wahrzunehmen. Ich bin mir nur nicht sicher, ob es klug ist, all diese übernatürlichen Erfahrungen im Buch minutiös zu beschreiben. Am Ende stellt sich der Autor diese Frage selbst: "Muss ich nicht vorsichtiger mit meinen Äußerungen sein, damit ich niemandem Angst einjage?"

Veröffentlicht am 24.04.2017

einfach nur perfekt

Eine treue Frau
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Die Vorhänge aus Licht und Feuerwerk, Lärm und Luxus, Glanz und Schmutz von Hongkong lagen hinter ihnen. Die Sonne ging weniger hektisch auf und unter, weniger spektakulär, aber es sangen mehr Vögel. ... ...

Die Vorhänge aus Licht und Feuerwerk, Lärm und Luxus, Glanz und Schmutz von Hongkong lagen hinter ihnen. Die Sonne ging weniger hektisch auf und unter, weniger spektakulär, aber es sangen mehr Vögel. ... Die Vögel - wahrscheinlich immer noch dieselben, sagte Filth - diskutierten immer noch und widersprachen einander und verhandelten und verurteilten und richteten und sammelten weitere und bessere Beweise. Filth sagte, solange sie da seien, werde er seine Arbeit nicht vermissen.

Betty McIntosh gibt dem jungen und attraktiven Anwalt Edward Feathers in einer Epoche das Ja-Wort, in der es noch nicht unbedingt üblich war, dem ganz großen Gefühl zu folgen. Und das ganz große Gefühl, das ist es nicht. Obwohl - es gibt immer wieder anrührende, liebevolle Momente zwischen den beiden. Aber als sie Edwards Rivalen Terry Veneering kennenlernt, fühlt sich das völlig anders an. Man weiß also von vornherein, dass die Liebesbeziehung zwischen Betty und Edward nur halbwegs romantisch werden wird (und auch Betty weiß das). Und doch schafft es Jane Gardam auf märchenhafte Weise, dass man beide Charaktere liebgewinnt und darauf hofft, dass ihre Ehe sich doch noch irgendwie harmonisch entwickeln wird. Beiden Eheleuten hat die Autorin die Fähigkeit verliehen, aus einer trüben Ausgangsposition etwas Charmantes zu machen. Dabei hilft Betty immer wieder ihre Fähigkeit, nach vorne zu schauen und sich nicht unterkriegen zu lassen... Filth scheint tatsächlich insofern ein guter Partner für Betty zu sein, als er ihre Eigenständigkeit toleriert. Das ist nicht selbstverständlich für Männer seiner Generation. Trotz einer gewissen Ich-Bezogenheit ist er ein wirklicher Gentleman, eben "Ein untadeliger Mann". Aber so leicht, wie sie nach außen hin wirkt, ist diese Art Ehe nicht. Und immer wieder kippt das Gefühl des Betrachters: War es nun am Ende alles richtig so? Oder war alles falsch?

Die Geschichte nimmt im zweiten Teil ordentlich an Fahrt auf; es wird heftig. Und verworren. Und in all dem Chaos scheint Albert Ross, der Zwerg, zu stehen und die Fäden in der Hand zu halten. Er ist die undurchsichtigste Figur in diesem Drama. Obwohl man sogar für ihn Verständnis aufbringen kann. Und das ist wieder eine Qualität der Autorin, die ich schon im ersten Band bewundert habe: trotz der manchmal kargen Zeichnung versteht sie es, dem Leser jeden Charakter verständnisvoll ans Herz zu legen.

Am Schluss gibt es dann doch mehr Überraschungen, als man dieser ruhig eingefädelten Geschichte zugetraut hatte.

Es ist ein Buch über eine distanzvolle, respektvolle und doch auch liebevolle Beziehung. Manchmal kalt, manchmal warm. Dazu passt die unaufdringlich schöne Sprache. Alles ist wieder perfekt platziert. Kein Wort zu viel. Aber auch keins zu wenig.

Veröffentlicht am 24.04.2017

toller krimi

Kühn hat zu tun
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Ein toller Krimi. Wenn es so etwas wie einen tollen Krimi überhaupt gibt. Ich mag nämlich keine Krimis. Und wenn ich gewusst hätte, dass es einer ist, hätte ich ihn schön in der Buchhandlung im Regal stehen ...

Ein toller Krimi. Wenn es so etwas wie einen tollen Krimi überhaupt gibt. Ich mag nämlich keine Krimis. Und wenn ich gewusst hätte, dass es einer ist, hätte ich ihn schön in der Buchhandlung im Regal stehen gelassen. Das schöne bunte Cover und der kantige, griffige Titel haben mich verführt, oder sollte ich sagen: betrogen? Aber dann war das Buch so spannend, dass ich in zwei Tagen damit durch war. Was mich noch lange nicht zum begeisterten Krimileser macht. Keine Sorge!

Martin Kühn ist Kommissar, und zwar einer, dessen Menschenkenntnis und ermittlerischer Scharfblick mir grenzenlose Bewunderung abtrotzt. Trotzdem kommt bei ihm irgendwann der Punkt, an dem der Kopf immer voller wird und die Gedanken Achterbahn fahren, ohne dass er wüsste, warum. Dazu kommt, dass das Polizistengehalt gerade so zum Nötigsten für die Familie reicht. Und dann ist da noch der Schatten dieses zwielichtigen Nazis, der dort, wo Kühn wohnt, früher eine Munitionsfabrik betrieben hat - der Leser ist seinem Protagonisten nicht nur hier an Wissen um eine Nasenlänge voraus, was aber der Spannung keinen Abbruch tut.

Die Geschichte ist schön geschrieben, mühelos zu lesen und so spannend, dass man das Buch ab einem gewissen Punkt eigentlich nicht mehr weglegen kann. Ich finde gut, dass der Roman den Leser für das Dilemma sensibilisiert, in dem sich Polizisten in Deutschland tagtäglich befinden. Weder am Stil noch an der Dichte der Erzählung habe ich irgend etwas auszusetzen, zudem ist mir der Hauptakteur sehr sympathisch und am Ende wirklich ans Herz gewachsen. Trotzdem vergebe ich von den eigentlich verdienten fünf Sternen nur vier, weil ich Romane, die das Morden so blutig zelebrieren, prinzipiell ablehne. Ich bin mir bewusst, dass dieses Urteil sehr subjektiv ist und dass hartgesottene Leser kriminalistischer Literatur verächtlich die Nase rümpfen werden, aber ich habe schon subjektivere Rezensionen gelesen, und mein schlechtes Gewissen hält sich in Grenzen.