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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.02.2024

Verstreute Erinnerungen

Lichtungen
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Sie stammen beide aus einem Dorf in der Maramuresch, einem waldreichen Landstrich im Norden Rumäniens, und treffen sich mit Mitte/Ende 30 in Zürich wieder: der Schulabbrecher und Holzarbeiter Lev, der ...

Sie stammen beide aus einem Dorf in der Maramuresch, einem waldreichen Landstrich im Norden Rumäniens, und treffen sich mit Mitte/Ende 30 in Zürich wieder: der Schulabbrecher und Holzarbeiter Lev, der eigentlich Leonhard heißt, und die Straßenkünstlerin Kato. Seit Kindheitstagen verbinden sie ihre Herkunft, gemeinsame Erinnerungen und ihre Freundschaft. Was ist in den vergangenen Jahren geschehen, das sie getrennt hat?

„Lichtungen“ ist ein Roman von Iris Wolff.

Meine Meinung:
Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht von Lev in neun Kapiteln, die absteigend nummeriert sind. Das liegt daran, dass der Roman in umgekehrter Chronologie aufgebaut ist. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass es zwischen den einzelnen Kapiteln unterschiedlich große Zeitsprünge gibt. Die Handlung spielt überwiegend im heutigen Rumänien und erstreckt sich über mehrere Jahrzehnte, wobei sich die genauen Jahre teils nur indirekt, teils gar nicht erschließen. Dieser Aufbau ist interessant und erfordert ein aufmerksames Lesen.

Eine Stärke des Romans ist seine Sprache. Beeindruckend bildstark, atmosphärisch und poetisch, so lässt sich der Stil der Autorin beschreiben, dem sie auch in ihrem neuesten Buch treu bleibt. Eingestreute Wörter und Sätze aus dem Rumänischen werden erklärt und sorgen für Authentizität.

Das Personal der Geschichte ist überraschend umfassend. Im Mittelpunkt steht Lev, ein durchaus sympathischer, aber recht reizloser Protagonist. Als weitere Personen tauchen Kato, diverse Familienangehörige Levs, andere Zeitgenossen und Nebenfiguren auf. Die Charaktere wirken psychologisch ausgefeilt, glaubhaft und in sich stimmig. Die Menge an Figuren und die vielen Namen sind allerdings verwirrend und verwässern den Fokus.

Vordergründig geht es um Liebe, Freundschaft und Verbundenheit, im weiteren Sinne aber auch um Identität und Zugehörigkeit. Ein wichtiges Motiv sind Erinnerungen. Darüber hinaus spielen Träume, Ängste und Traumata eine Rolle. Eine Mischung aus anregenden, relevanten Themen, die die Story jedoch ein wenig überfrachtet und sie zu einem Zwischending von Liebesgeschichte und Familienroman macht.

Aufgrund der Zeitsprünge entstehen immer wieder Leerstellen, die nur ansatzweise mit Andeutungen ausgefüllt werden und daher viel Spielraum für eigene Gedanken und Interpretationen lassen. Auf den 250 Seiten hat mich die eher handlungsarme Geschichte nicht durchweg gefesselt. Am meisten packen und berühren konnte mich das letzte Viertel.

Das hübsche Cover greift zwar nur einen kleinen Teilaspekt des Inhalts heraus und erklärt sich daher nicht sofort, spricht mich optisch aber sehr an. Den prägnanten, metaphorischen Titel halte ich ebenfalls für eine gute Wahl.

Mein Fazit:
Mit „Lichtungen“ hat mich Iris Wolff in sprachlicher Hinsicht erneut überzeugt. Auf inhaltlicher Ebene hat der Roman meine hohen Erwartungen allerdings leider nicht ganz erfüllt.

Veröffentlicht am 28.01.2024

Ein Leck in die Welt geschlagen

Wir sitzen im Dickicht und weinen
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Für Valerie Steinberg ist es keine leichte Zeit: Bei ihrer Mutter Christina Kerner wird Krebs diagnostiziert. Obwohl ihre Beziehung zueinander nicht die beste ist, muss Valerie sich plötzlich um sie kümmern. ...

Für Valerie Steinberg ist es keine leichte Zeit: Bei ihrer Mutter Christina Kerner wird Krebs diagnostiziert. Obwohl ihre Beziehung zueinander nicht die beste ist, muss Valerie sich plötzlich um sie kümmern. Und ihr 16-jähriger Sohn Tobias will unbedingt ein Auslandsjahr in England verbringen und wird für ihren Geschmack zu früh flügge.

„Wir sitzen im Dickicht und weinen“ ist der Debütroman von Felicitas Prokopetz.

Meine Meinung:
Aus 48 kurzen Kapiteln setzt sich der Roman zusammen. Erzählt wird im Präsens auf zwei Zeitebenen: einmal in der Gegenwart in personaler Perspektive, einmal in der Vergangenheit in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Valerie.

Den Schreibstil empfinde ich als gelungen. Die Kombination aus einer reduzierten, aber pointierten Syntax und starken Bildern ist beeindruckend. Dialektale Sätze werden in Fußnoten übersetzt. So wirkt die Sprache gleichermaßen authentisch und bleibt verständlich. Die eingefügten Trauerreden haben sich mir allerdings nicht erschlossen.

Vier Frauen stehen im Mittelpunkt der Geschichte: Valerie, ihre Mutter Christina und ihre Großmütter Martha und Charlotte. Die Figuren muten realitätsnah an und sind psychologisch gut ausgefeilt.

Dysfunktionale Verbindungen innerhalb einer Familie sind das vorherrschende Thema des Romans. Anschaulich zeigt die Geschichte auf, wie sich problematische Erziehungsmethoden und Verhaltensweisen über Generationen fortsetzen, wie sich Muster vererben, wie uns die Familie prägt und wie frühe Erfahrungen das weitere Leben stark beeinflussen. Durch den Fokus auf weibliche Figuren werden die Zusammenhänge noch deutlicher.

Schon nach wenigen Kapiteln hat mich die rund 200 Seiten umfassende Geschichte für sich eingenommen.

Das farbenfrohe Cover ist optisch ansprechend, inhaltlich aber nur schwer zu entschlüsseln. Der Titel ist reizvoll formuliert und weckt Aufmerksamkeit.

Mein Fazit:
Mit ihrem ersten Roman konnte mich Felicitas Prokopetz überzeugen. „Wir sitzen im Dickicht und weinen“ ist eine empfehlenswerte Lektüre mit viel psychologischem Tiefgang.

Veröffentlicht am 26.01.2024

Aufregung in der Zwischenwelt

Die sieben Monde des Maali Almeida
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Colombo (Sri Lanka) im Jahr 1990: Malinda Albert Kabalana, genannt Maali Almeida, erwacht tot in einer himmlischen Einwanderungsbehörde. Der ehemalige Kriegsfotograf, Glücksspieler und promiskuitive Homosexuelle ...

Colombo (Sri Lanka) im Jahr 1990: Malinda Albert Kabalana, genannt Maali Almeida, erwacht tot in einer himmlischen Einwanderungsbehörde. Der ehemalige Kriegsfotograf, Glücksspieler und promiskuitive Homosexuelle wurde nur 35 Jahre alt. Er wurde ermordet. Doch von wem? Das muss Maali in der Zwischenwelt herausfinden. Die Liste der Verdächtigen ist lang. Und die Zeit arbeitet gegen ihn. Es bleiben ihm im Jenseits nur sieben Tage, um seinen Mörder zu ermitteln…

„Die sieben Monde des Maali Almeida“ von Shehan Karunatilaka, der mit dem Booker Prize 2022 ausgezeichnet worden ist.

Meine Meinung:
Die Struktur des Romans ist durchdacht und schlüssig. Die acht Teile sind in mehrere Kapitel gegliedert. Erzählt wird vorwiegend in der ungewöhnlichen Du-Perspektive.

Der Schreibstil des Romans ist dialoglastig. Die Sprache ist atmosphärisch und sehr bildhaft. Trotz der ernsten Themen ist der Erzählton zynisch-salopp und ein wenig frech. Das Glossar erklärt einige Namen und Begriffe, lässt für meinen Geschmack allerdings zu viele Lücken.

Was das Personal angeht, wirkt der Roman überfrachtet. Trotz der angehängten Personenübersicht fällt es bisweilen schwer, den Überblick zu behalten und die richtigen Beziehungen zuzuordnen. Im Mittelpunkt des Romans steht Maali, ein vielschichtig angelegter Antiheld.

Auf inhaltlicher Ebene ist die Geschichte bizarr, skurril und schrill. Bürgerkrieg, Korruption und allerlei Gräueltaten dominieren. Die fremde Geisterwelt sowie die politischen und gesellschaftlichen Umstände vor mehr als 30 Jahren in Sri Lanka erfordern viel Aufmerksamkeit beim Lesen. Darüber hinaus scheinen die Grenzen zwischen Realität und Fantasie manchmal zu verschwimmen. Nicht alles ist daher leicht oder überhaupt verständlich für westliche Durchschnittsleserinnen und -leser. Wer sich trotzdem darauf einlässt, kann einiges aus der Lektüre ziehen.

Dank falscher Fährten und Wendungen wird der mehr als 500 Seiten umfassende Roman nicht langweilig. In der Mitte schwächelt die Geschichte zwar etwas. Besonders das erste und das letzte Drittel haben mich jedoch überzeugt. Sehr gespannt war ich auf die Auflösung und das weitere Schicksal des Protagonisten. Das Ende hat mich in beiden Punkten zufrieden gestellt.

Das farbenfrohe, außergewöhnliche Cover erregt Aufmerksamkeit und passt gut zum Inhalt. Das gilt auch für den deutschen Titel, der wortgetreu aus dem Original übersetzt ist („The Seven Moons of Maali Almeida“).

Mein Fazit:
Mit „Die sieben Monde des Maali Almeida“ ist Shehan Karunatilaka ein bunter, besonderer Roman gelungen. Eine herausfordernde, aber lohnenswerte Lektüre.

Veröffentlicht am 25.01.2024

Wenn Eltern zum Äußersten greifen

Stunde um Stunde
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Zwei Jahre nach dem mysteriösen Verschwinden ihrer Tochter Tilly gehen Ryan und Elsie Delaney einen drastischen Schritt: Sie dringen in das forensische LAPD-Labor ein, nehmen Geiseln und stellen ein Ultimatum: ...

Zwei Jahre nach dem mysteriösen Verschwinden ihrer Tochter Tilly gehen Ryan und Elsie Delaney einen drastischen Schritt: Sie dringen in das forensische LAPD-Labor ein, nehmen Geiseln und stellen ein Ultimatum: Wird Tilly nicht gefunden, zerstören sie Beweise anderer ungelöster Fälle. Detective Charlie Hoskins und Polizeibeamtin Lynette Lamb nehmen die Ermittlungen auf…

„Stunde um Stunde“ ist ein Thriller von Candice Fox.

Meine Meinung:
Der Aufbau ist klar und durchdacht. Das Buch ist in 36 Kapitel untergliedert, an die sich ein Epilog anschließt. Es beginnt mit zwei Abschnitten, die man als eine Art Prolog einordnen könnte. Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven. Die Handlung spielt in den USA.

Die Sprache wirkt durchaus authentisch und anschaulich, bisweilen jedoch etwas vulgär. Stilistisch ist der Thriller abwechslungsreich. Beispielsweise werden mehrfach reine Dialoge eingeschoben. Gut gefallen hat mir der spezielle Humor, der immer wieder durchblitzt.

Die Figuren sind auch bei diesem Thriller der Autorin gelungen. Die Charaktere erscheinen lebensecht, sind zugleich reizvoll und mit viel psychologischer Tiefe ausgestaltet. Wie schon bei früheren Büchern von Candice Fox sind einige Figuren ungewöhnlich und etwas speziell. Für mich liegt darin eine der Stärken des Thrillers.

Die Grundidee der Geschichte hat mich diesmal nicht auf Anhieb begeistert, aber trotzdem neugierig gemacht. Dass es um einen Cold Case und insbesondere um das Verschwinden eines Mädchens geht, ist zwar im Vergleich zu den anderen Thrillern der Autorin kein sehr kreatives Thema. Dennoch hat mich der Inhalt auch diesmal nicht enttäuscht.

Auf rund 470 Seiten bleibt die Geschichte temporeich, fast durchgängig spannend und unterhaltsam. Wendungen und überraschende Entwicklungen machen sie kurzweilig. Auch die Auflösung hat für mich gepasst.

Das Cover mit den genretypischen Farben ist durchaus originell, was das Motiv angeht. Leider spricht es mich trotzdem nicht an. Der deutsche Titel ist sehr frei aus dem englischsprachigen Original („Fire with Fire“) übersetzt, aber inhaltlich in Ordnung.

Mein Fazit:
Mit „Stunde um Stunde“ hat Candice Fox erneut einen überzeugenden Thriller abgeliefert. Obwohl es nicht mein Lieblingsbuch geworden ist, halte ich die neue Geschichte für definitiv empfehlenswert.

Veröffentlicht am 10.01.2024

Lilu, der Marienkäfer

Vom Glück, besonders zu sein
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Lilu, der kleine Marienkäfer, ist traurig. Alle anderen Artgenossen haben Punkte, nur sie nicht. Was soll sie nur tun? Doch dann trifft Lilu auf einen Mistkäfer…

„Vom Glück, besonders zu sein“ ist ein ...

Lilu, der kleine Marienkäfer, ist traurig. Alle anderen Artgenossen haben Punkte, nur sie nicht. Was soll sie nur tun? Doch dann trifft Lilu auf einen Mistkäfer…

„Vom Glück, besonders zu sein“ ist ein Bilderbuch von Bas Kleinhout, geeignet für Kinder ab zwei Jahren.

Meine Meinung:
Die Geschichte erstreckt sich über 14 Doppelseiten. Sie wird aus der Perspektive von Lilu erzählt. Das Buch mit den dicken Pappseiten ist robust und lässt sich bereits von den Jüngsten gut umblättern.

Die kurzen Texte, die mit einer Ausnahme auf beiden Seiten abgedruckt sind, sind einfach gehalten und altersgerecht. Auf komplizierte und spezielle Wörter wird verzichtet, sodass es auch für die Kleinsten leicht verständlich sein sollte.

Auch die reduzierten, aber aussagekräftigen Illustrationen von Bas Kleinhout passen zur Altersgruppe. Sie sind mal auf eine Seite, mal auf eine Doppelseite angelegt. Die Zeichnungen wirken modern und beinahe minimalistisch, enthalten gleichzeitig jedoch alle wichtigen Details.

Die Botschaft des Bilderbuchs, die Akzeptanz von Vielfalt, ist zwar nicht mehr einzigartig auf dem Buchmarkt. Allerdings finde ich sie pädagogisch wertvoll und begrüßenswert. Das Motto („Du bist gut, so wie du bist“) ist selbst für Kleinkinder relevant und in diesem Buch in eine kindgerechte Form verpackt. Das Thema ist so allgemein ausgestaltet, dass es viele Mädchen und Jungen erreichen kann.

Gut gefallen hat mir auch, dass die Handlung zunächst sehr langsam fortschreitet und sich die Geschichte somit gut nachvollziehen lässt. Im weiteren Verlauf hat sie mich dann jedoch nicht mehr komplett überzeugt. Die Begegnung mit dem Mistkäfer fällt zu knapp und oberflächlich aus, um die schnelle Einsicht des Marienkäfers zu erklären. Weitere Beispiele bleiben aus. Wieso es für Lilu ein Glück ist, keine Punkte zu haben, hätte deutlicher gemacht werden können. Zudem erschließt sich die letzte Doppelseite insbesondere Kleinkindern nicht.

Als gelungen wiederum finde ich das unaufgeregte und inhaltlich sehr passende Cover. Der Titel ist ebenfalls durchaus treffend, wobei mir das niederländische Original („Laila het lieveheersbeestje“) für Kleinkinder die bessere Wahl erscheint.

Mein Fazit:
Mit „Vom Glück, besonders zu sein“ hat Bas Kleinhout ein ansprechendes und leicht verständliches Bilderbuch mit nur kleineren Schwächen geschaffen, das schon den Kleinsten Selbstliebe und Diversität vermittelt.