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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 19.10.2021

Mein Gott, Walter!

Barbara stirbt nicht
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Walter Schmidt hat sich in seinem Alltag gemütlich eingerichtet. Der Rentner lebt mit seiner russischstämmigen Frau Barbara ein einfaches, aber komfortables Leben im eigenen Häuschen. Die Ehe hält schon ...

Walter Schmidt hat sich in seinem Alltag gemütlich eingerichtet. Der Rentner lebt mit seiner russischstämmigen Frau Barbara ein einfaches, aber komfortables Leben im eigenen Häuschen. Die Ehe hält schon mehr als 50 Jahre, die Kinder sind längst erwachsen. Eines Morgens kippt seine Gattin im Bad um und will nicht mehr das Bett verlassen. Für Herrn Schmidt, der noch nicht einmal selbst eine Tasse Kaffee kochen kann, beginnt plötzlich eine schwierige Zeit…

„Barbara stirbt nicht“ ist ein Roman von Alina Bronsky.

Meine Meinung:
Der Aufbau ist schlicht: Der Roman ist in unzählige Abschnitte unterteilt. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge aus der Perspektive von Walter, allerdings mit mehreren Zeitsprüngen.

Der Schreibstil ist auf den ersten Blick unspektakulär. Jedoch ist es der Autorin wunderbar gelungen, viel Atmosphäre zu transportieren und zwischen den Zeilen zu erzählen. Der Roman ist gekennzeichnet durch zahlreiche Dialoge.

Mit Herrn Schmidt steht ein älterer Protagonist im Vordergrund. Seine beleidigende, nörglerische, oft unverschämte Art qualifiziert ihn nicht zum Sympathieträger. Dennoch kommt man ihm recht nahe, sodass ich Mitgefühl mit ihm empfinden konnte. Walter ist extrem alltagsuntauglich, vor allem was den Haushalt angeht. Mit solchem „Frauenkram“ wollte er sich nie auskennen. Auch seine ablehnende Haltung in Bezug auf Andersartigkeit verschafft ihm keine Pluspunkte bei mir. Seine Schwächen werden Stück für Stück entlarvt. Tatsächlich gibt es aber solche Exemplare Mann im wahren Leben, weshalb ich die Charakterzeichnung nicht übertrieben finde. Die übrigen Figuren inklusive Barbara bleiben dagegen eher blass.

Inhaltlich bringt der Roman ernste Themen wie Krankheit und Tod mit Humor in Verbindung. Nicht nur einmal blieb mir beim Lesen jedoch das Lachen im Hals stecken. Die Geschichte hat es geschafft, auf rund 250 Seiten unterschiedliche Emotionen bei mir zu wecken - obwohl und manchmal auch gerade weil sich der Protagonist seinen Gefühlen nur sehr schwer stellen kann.

Die Handlung an sich ist im Grunde ziemlich übersichtlich. Dennoch hat mich der Roman keineswegs gelangweilt. Die Frage nach dem Zustand Barbaras baut eine gewisse Spannung auf. Zum Ende hin gibt es zudem eine überraschende Enthüllung. Nur in ein oder zwei Aspekten ist mir die Geschichte zu sehr drüber, was dem positiven Gesamteindruck aber keinen Abbruch tut.

Das knallige Cover passt zum Inhalt des Romans. Beim Titel bin ich ein wenig zwiegespalten, was ich an dieser Stelle aber lieber nicht ausführen möchte.

Mein Fazit:
„Barbara stirbt nicht“ von Alina Bronsky ist ein unterhaltsamer und anrührender Roman, der Tragik und Komik vereint. Eine empfehlenswerte Lektüre mit Charme.

Veröffentlicht am 18.10.2021

Ein Dorf stellt sich dem Kampf

Wie schön wir waren
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Das Dorf Kosawa in der westafrikanischen Sub-Sahara: Ein amerikanischer Ölkonzern bedroht das Leben der Bewohner. Luft, Wasser und Nahrungsmittel in der Gegend sind schon vergiftet. Einige sind gestorben, ...

Das Dorf Kosawa in der westafrikanischen Sub-Sahara: Ein amerikanischer Ölkonzern bedroht das Leben der Bewohner. Luft, Wasser und Nahrungsmittel in der Gegend sind schon vergiftet. Einige sind gestorben, andere wurden krank. Das Unternehmen wird von korrupten Politikern geschützt. Doch die Dorfeinwohner beschließen, sich zu wehren…

„Wie schön wir waren“ ist ein Roman von Imbolo Mbue.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus elf Kapiteln, die wiederum in etliche Abschnitte unterteilt sind. Die Handlung beginnt 1980 und umfasst mehrere Jahrzehnte. Die Erzählperspektive wechselt mehrfach, was die Lektüre nicht ganz einfach macht, obwohl die jeweilige Perspektive benannt wird. Schwierig finde ich es vor allem dann, wenn aus der Sicht der Kinder erzählt wird.

Die Sprache ist eine der Stärken des Romans. Gelungene Beschreibungen und ein unaufgeregter, aber eindringlicher Ton machen den Schreibstil aus. Die Autorin versteht es vortrefflich, mit Worten umzugehen.

Thula steht im Vordergrund der Geschichte. Sie ist eine sympathische und interessante Protagonistin. Aber auch einige andere Personen aus ihrem Umfeld spielen eine wichtige Rolle. Alle Figuren wirken realitätsnah und sind psychologisch gut ausgestaltet.

Besonders gereizt an der Lektüre hat mich, mehr über das Leben in Westafrika zu erfahren. Diesem Anspruch wird der Roman gerecht. Traditionen, weltanschauliche und kulturelle Aspekte kommen sehr gut rüber. Mit Themen wie Umweltverschmutzung, Ressourcenausbeutung, Neokolonalismus, Korruption und Chauvinismus bietet der Roman darüber hinaus reichlich Stoff zum Nachdenken und Diskutieren.

Auf fast 440 Seiten konnte mich die Geschichte der Dorfbewohner durchaus berühren. Allerdings hat der Roman seine Längen und die Spannung fällt immer wieder ab.

Erfreulicherweise wurde der englischsprachige Originaltitel („How Beautiful We Were“) wörtlich übersetzt. Er gefällt mir sehr. Das deutsche Cover empfinde ich leider als nichtssagend und unauffällig.

Mein Fazit:
Mit „Wie schön wir waren“ hat mich Imbolo Mbue nicht enttäuscht. Trotz kleinerer Schwächen ist ihr Roman eine lohnenswerte Lektüre.

Veröffentlicht am 14.10.2021

Wieder alles auf Anfang

Für Glück ist es nie zu spät
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Nach dem Krebstod ihres Mannes René ist Johanna Landgraf schon mit 52 Jahren Witwe. Ihre Ehe war schon seit Jahren unglücklich gewesen, als das Paar die schlimme Diagnose ereilte. Verantwortungsvoll hat ...

Nach dem Krebstod ihres Mannes René ist Johanna Landgraf schon mit 52 Jahren Witwe. Ihre Ehe war schon seit Jahren unglücklich gewesen, als das Paar die schlimme Diagnose ereilte. Verantwortungsvoll hat sie ihren Mann fortan gepflegt. Nun ist sie frei für Neues. Doch direkt nach dem Begräbnis herrscht bei ihr zunächst Orientierungslosigkeit. Da findet sie zwischen den Trauerkarten eine Nachricht ihrer ehemaligen Freundin Ines - zusammen mit einem leeren Notizbuch, das sie als Tagebuch nutzen soll. Das Schreiben wäre immerhin schon mal ein Anfang, oder?

„Für Glück ist es nie zu spät“ ist ein Roman von Heike Abidi.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus drei Teilen. Sie umfassen insgesamt 25 Kapitel mit einer angenehmen Länge. Erzählt wird aus der Sicht von Johanna in chronologischer Reihenfolge, aber mit Rückblenden. Der Aufbau ist unspektakulär, funktioniert jedoch prima.

Der Schreibstil ist wunderbar anschaulich, einfühlsam und - dank vieler Dialoge - lebhaft. Immer wieder sind die Tagebucheinträge Johannas sowie mehrere Nachrichten eingefügt.

Gut gefällt mir, dass mit Johanna eine bereits etwas reifere Protagonistin im Vordergrund steht. Sie kommt sympathisch und lebensnah rüber. Ihre Gedanken und Gefühle lassen sich gut nachvollziehen und wirken schlüssig. Auch die weiteren Charaktere lassen psychologische Tiefe und Warmherzigkeit nicht vermissen.

Auf fast 350 Seiten bleibt der Roman kurzweilig und abwechslungsreich. Die Geschichte konnte mich an vielen Stellen abholen und emotional berühren.

Dabei geht es inhaltlich um viel mehr als nur die Liebe in unterschiedlichen Facetten. Auch Freundschaft, Familie, Krankheit und Verlust, Träume und Lebensziele spielen unter anderem eine Rolle und verleihen dem Roman Tiefgang. Die Idee mit dem Tagebuch ist gelungen umgesetzt. Allerdings hat mir hier das Besondere gefehlt, das ich in früheren Romanen der Autorin gefunden habe, um mich komplett zu begeistern.

Das genretypische Cover ist erwartungsgemäß austauschbar, aber ansprechend gestaltet. Der Titel ist ebenfalls passend.

Mein Fazit:
Wieder einmal hat es die Autorin geschafft, mir schöne Lesestunden zu bereiten. Mit „Für Glück ist es nie zu spät“ ist erneut ein unterhaltsamer und bewegender Roman von Heike Abidi erschienen. Eine empfehlenswerte Lektüre für jüngere und ältere Leserinnen und Leser gleichermaßen.

Veröffentlicht am 01.10.2021

Ein Sommer, der alles verändert hat

Die Überlebenden
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20 Jahre ist es her, dass ein Ereignis am Sommerhaus am See die Familie von Benjamin, Nils und Pierre erschüttert hat. Mehrere Wochen haben die drei Brüder in einer einsamen Gegend Schwedens mit ihren ...

20 Jahre ist es her, dass ein Ereignis am Sommerhaus am See die Familie von Benjamin, Nils und Pierre erschüttert hat. Mehrere Wochen haben die drei Brüder in einer einsamen Gegend Schwedens mit ihren Eltern verbracht. Schon damals war ihre Kindheit nur auf den ersten Blick idyllisch. Nun, zwei Jahrzehnte später, haben sich die Brüder entfremdet. Doch ein Brief mit dem letzten Willen ihrer Mutter bringt sie dazu, zum Ort ihrer Kindheit zurückzukehren. Was ist damals passiert?

„Die Überlebenden“ ist der Debütroman von Alex Schulman.

Meine Meinung:
Der Roman hat zwei Teile, die 24 Kapitel beinhalten. Es gibt zwei sich abwechselnde Erzählstränge. Die eine Ebene handelt von den jüngeren Ereignissen rund um den Tod der namenlosen Mutter. Dabei wird rückwärts im Präsens erzählt. Der andere Strang besteht aus Rückblicken in die entferntere Vergangenheit, vorwiegend den Erlebnissen während des Sommers vor 20 Jahren am Ferienhaus. Dieser ungewöhnliche Aufbau funktioniert sehr gut.

Sprachlich ist der Roman sehr beeindruckend. Starke Bilder, gelungene Naturbeschreibungen und eine dichte Atmosphäre machen den unaufgeregten, aber zugleich intensiven Schreibstil aus.

Die drei Brüder stehen im Fokus der Geschichte, wobei ein besonderes Augenmerk auf Benjamin liegt. Auch die Eltern spielen eine große Rolle. Die Protagonisten sind mir allesamt unsympathisch. Mehr noch: Vor allem das Verhalten der Eltern, aber in etwas abgeschwächter Form auch das der Brüder hat mich in vielen Szenen abgestoßen und befremdet.

Inhaltlich bietet der Roman auf knapp 300 Seiten ein ganzes Spektrum an Problemen. Es geht um Alkoholismus, Vernachlässigung, Aggressionen, Krankheiten, Trauer, Einsamkeit, Schuld und derartiges mehr. Dargestellt wird eine durch und durch dysfunktionale Familie, in der die Kinder mit fragwürdigen Methoden um die Gunst der Eltern konkurrieren müssen. Auffällig ist die Abwesenheit von Liebe - einerseits zwischen Mutter und Vater, andererseits zwischen den Eltern und ihren Söhnen. Zudem geht es um einen dramatischen Vorfall, der die Familienmitglieder zusätzlich entzweit hat.

In zweifacher Hinsicht schwächelt der Roman in meinen Augen. Zum einen bleiben auch nach dem überraschenden Ende, das ein neues Licht auf das zuvor Geschilderte wirft, zu viele Fragen offen. An einigen Stellen bleibt der Roman so vage, dass es mir schwergefallen ist, die Lücken mit eigenen Interpretationen zu füllen. Zum anderen schafft es die Geschichte trotz der heftigen Thematik erst im letzten Drittel, mich emotional wirklich zu bewegen. Über weite Strecken ist die Distanz zu den Charakteren leider zu groß. Das ist umso bedauerlicher, als der Autor in dem Buch seine eigenen Erfahrungen mit seinen Brüdern und seiner alkoholkranken Mutter verarbeitet hat.

Warum auf dem Cover nur zwei statt drei Jungen abgebildet sind, erschließt sich mir auch nach der Lektüre nicht. Der deutsche Titel, der sich stark am schwedischen Original („Överlevarna“) orientiert, passt jedoch ausgesprochen gut.

Mein Fazit:
„Die Überlebenden“ von Alex Schulman ist ein aufrüttelnder Roman, der mich immer wieder fassungslos gemacht hat. Seine raffinierte Erzählkunst hat mich begeistert. Inhaltlich hat mich das Buch hingegen nicht gänzlich überzeugt.

Veröffentlicht am 28.09.2021

Eine kaputte Schwesternbeziehung

SCHWEIG!
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Sie ist zweifache Mutter und berufstätig. Das Weihnachtsfest steht kurz bevor und Esther hätte eigentlich viel vorzubereiten: den Baum abholen, einkaufen, zu Hause dekorieren. Doch ihre kinder- und arbeitslose ...

Sie ist zweifache Mutter und berufstätig. Das Weihnachtsfest steht kurz bevor und Esther hätte eigentlich viel vorzubereiten: den Baum abholen, einkaufen, zu Hause dekorieren. Doch ihre kinder- und arbeitslose Schwester Sue, die seit ihrer Scheidung allein in einem Haus im Wald lebt, geht ihr nicht aus dem Kopf. Deshalb fährt sie mit einem Geschenk zu ihr. Sie will vor allem kontrollieren, ob bei der Schwester alles in Ordnung ist. Aber Sue, von Esther „Schnecke“ genannt, will die ungebetene Besucherin nur schnell loswerden. Hat die Enddreißigerin etwas zu verbergen?

„Schweig!“ ist ein psychologischer Spannungsroman von Judith Merchant.

Meine Meinung:
Das Buch ist in viele kurze Kapitel eingeteilt. Es gibt eine Art kurzer Prolog. Die Geschichte endet mit einem Epilog. Er spielt ein Jahr nach dem eigentlichen Geschehen, das sich an einem 23. Dezember ereignet. Zwischendurch sind außerdem Rückblicke eingefügt, die in die Kindheit der Protagonistinnen führen. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Sue und Esther, und zwar im Wechsel. Später kommt eine weitere Perspektive hinzu. Die Handlung konzentriert sich auf Esthers Haus, der Schauplatz ändert sich nur selten. Der Aufbau funktioniert sehr gut.

Das Erzähltempo nimmt nur langsam zu. In sprachlicher Hinsicht ist das Buch unspektakulär. Es weist eine einfache Syntax auf und ist sehr dialoglastig. Der Schreibstil passt aber hervorragend zur Geschichte. Positiv anzumerken ist auch, dass die Erzählstimme gekonnt variiert.

Die Zahl der Figuren ist sehr überschaubar und trotzdem absolut ausreichend. Im Mittelpunkt stehen die beiden Schwestern, die eine schwierige Beziehung zueinander haben und recht unterschiedlich sind. Keine der zwei Frauen ist zu trauen. Sie haben abweichende Wahrnehmungen und eigene Geheimnisse. Beide schrecken nicht vor dem Lügen zurück, was sie nicht sympathisch, aber zu reizvollen Charakteren macht, die bis zum Schluss nicht gänzlich zu durchschauen sind.

Inhaltlich ist der Roman erfreulich facettenreich und komplex. Es geht um Familien- und Ehekonflikte, psychische Krankheiten, unverarbeitete Kindheitstraumata und einiges mehr, das ich nicht vorwegnehmen möchte.

Zwar konnte ich ein paar Hintergründe erahnen. Auf fast 350 Seiten kann die atmosphärisch dichte Geschichte aber auch unerwartete Wendungen bieten. Sie ist durchweg schlüssig. Im Mittelteil dreht sich die Handlung im Kreis und wird dadurch ein wenig langatmig. Größtenteils ist die Geschichte allerdings unterhaltsam und packend. Mit der Bezeichnung „Thriller“ tut der Verlag dem Buch dennoch keinen Gefallen. „Psychologischer Spannungsroman“, wie es an anderer Stelle heißt, trifft es besser.

Die Farbgebung des Covers ist leider wenig originell. Das Tannenbaum-Motiv passt aber sehr gut.

Mein Fazit:
„Schweig!“ von Judith Merchant ist ein unterhaltsamer Roman, der vor allem für Fans psychologischer Spannung empfehlenswert ist. Eine stimmige und packende Lektüre - nicht nur für die Vorweihnachtszeit.