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Veröffentlicht am 10.02.2022

Maxim Leo - Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße

Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße
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Michael Hartungs ruhiges Leben in seiner Videothek wir nachhaltig gestört, als der Journalist Landmann im Herbst 2019 in seinem Laden auftaucht. Akribisch hat dieser die Stasi-Akten durchforstet und ist ...

Michael Hartungs ruhiges Leben in seiner Videothek wir nachhaltig gestört, als der Journalist Landmann im Herbst 2019 in seinem Laden auftaucht. Akribisch hat dieser die Stasi-Akten durchforstet und ist dort auf ein spektakuläres Ereignis gestoßen, das bis dato von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde: am 12. Juni 1983 gelangen 127 DDR-Bürger mit einer S-Bahn in den Westen, weil eine Weiche am Bahnhof Friedrichstraße falsch gestellt war. Genau diese Weiche hatte Hartung damals verantwortet. Für seine Hilfe zur Flucht wurde er in einem berüchtigten Foltergefängnis zwei Monate lang malträtiert, um die Hintermänner offenzulegen, doch er schwieg beharrlich und nahm alles auf sich. Ganz so war es zwar nicht, aber bevor Hartung den Reporter stoppen kann, ist die Geschichte in der Welt und er pünktlich zum 30-jährigen Jubiläum der Wiedervereinigung der ostdeutsche Held, auf den alle gewartet haben.

Maxim Leo porträtiert die Geschichte eines einfachen Mannes, der wider Willen zum nationalen Helden wird und machtlos zusehen muss, wie eine kleine Lüge, mehr eine Unstimmigkeit, sich ihren Weg bahnt und nicht mehr aufgehalten werden kann. Er gerät in die Maschinerie der Presse und Öffentlichkeit, genießt den Ruhm auch ein wenig, doch das schlechte Gewissen plagt ihn. Und das ist es auch, was ihn letztlich zum Helden macht. Eine humorvolle Tour de Farce mit einem gänzlich untypischen Protagonisten, der die Geschichte jedoch großartig trägt.

Hartung lebt völlig ambitionslos, wenn auch bescheiden, in seinem Kiez. Die Videothek läuft nicht mehr gut seit es Streamingdienste gibt, weshalb er auch mit der Miete im Verzug ist. Da kommt ihm das Geld, das im Landmann für seine Geschichte bietet, gerade recht. Dieser hört die Geschichte, die er hören will, die ihm selbst Renommee einbringen wird und so ist das ungleiche Gespann schnell in einer Erzählung gefangen, die sie nach all der öffentlichen Aufmerksamkeit weiterspinnen müssen. Landmann vermarktet seinen ostdeutschen Helden perfekt, doch dieser hadert zunehmend, vor allem, da er mit Paula unerwartet die Frau seines Lebens getroffen hat und ihr, wie auch seiner Tochter, ebenfalls die etwas modifizierte Wahrheit aufgetischt hat. Im Herzen bleibt er derselbe, der er immer war, er hat nie nach viel Geld oder Ruhm gestrebt und will doch nur sein altes Leben zurück.

Die Figuren sind herrlich gelungen, der einfältige Held wider Willen, der Journalist, der seine große Chance wittert, ebenso wie die plötzlich durch den neuen Star am Himmel der ehemaligen DDR-Bürger bedrohten altbewährten Zeitzeugen, denen nicht mehr die Gunst der Politik zufliegt. Medien und Politbetrieb bekommen auch ihr Fett ab, denn sie sind es letztlich, denen der Mensch hinter der Geschichte egal ist, die nur ihre eigenen Interessen verfolgen, wer oder was dabei auf der Strecke bleibt, ist relativ egal.

Ein wundervoller fiktionaler Beitrag zur deutsch-deutschen Geschichte, der humorvoll nicht nur die Unzulänglichkeiten des Antihelden, sondern auch von uns allen offenlegt.

Veröffentlicht am 02.02.2022

Antoine Laurain - Eine verdächtig wahre Geschichte

Eine verdächtig wahre Geschichte
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Es könnte einer der größten Erfolge der Verlagsgeschichte werden, „Die Zuckerblumen“ gelangen von einer in die nächste Runde des berühmten Literaturpreises Goncourt. Und just zu diesem Zeitpunkt ist weder ...

Es könnte einer der größten Erfolge der Verlagsgeschichte werden, „Die Zuckerblumen“ gelangen von einer in die nächste Runde des berühmten Literaturpreises Goncourt. Und just zu diesem Zeitpunkt ist weder der Autor auffindbar noch dessen Lektorin verfügbar. Diese liegt nämlich nach einem Unfall im Koma. Doch auch als Violaine Lapage wieder erwacht und ins Leben zurückkehrt, kann sie nichts zu der Identität des Verfassers beitragen, ihre Erinnerungslücken geben nichts her. Es kommt jedoch noch schlimmer: der Roman schildert einen Rachefeldzug und Mord an mehreren Männern. Dies wird plötzlich zur Realität und bald schon ist auch eine Kommissarin auf der Spur des mysteriösen Verfassers des vielleicht besten Buchs des Jahres.

Antoine Laurain ist für mich ein Meister charmant erzählter Geschichten, die immer ein wenig über die Realität hinausgehen und einem doch so real und möglich erscheinen, dass man die Magie seiner Geschichten einfach wirken lässt. Wie auch in „Liebe mit zwei Unbekannten“ bringt er in seinem neuen Roman „Eine verdächtig wahre Geschichte“ Figuren zusammen, die sich eigentlich nicht begegnen sollten, die jedoch das Schicksal zusammenführt, weil es so vorgesehen ist. Oder weil dann doch eine etwas dazu beiträgt. Besonders reizvoll dieses Mal jedoch die Spannungsmomente um den unbekannten Autor und die Mordfälle wie auch der Blick hinter die Türen der Verlagswelt.

Die Protagonistin Violaine Lapage ist eine liebevoll gezeichnete Exzentrikerin. Dass sie mit ihrer ausgeprägten Flugangst zum Opfer in einem spektakulären Absturz wird, verwundert sie nicht so sehr, weshalb sie auch einer Tarot-Kartenlegerin Gehör schenkt, die ihr Leben vor ihr auf dem Tisch ausbreitet. Sie geht völlig auf in ihrem Beruf als Lektorin, zu dem sie durch puren Zufall gelangt ist. Aber womöglich war alles gar nicht so zufällig, sondern musste genau so geschehen.

Daneben spielt der Roman „Die Zuckerblumen“ eine entscheidende Rolle. Nicht nur, weil er offenbar die Leser sofort berauscht, sondern auch, weil er ein Eigenleben in der Realität zu spielen scheint. Es vermischen sich die Welten von fiktiver Wirklichkeit und Fiktion und doch müsste eigentlich nur ein genauer Blick gewagt werden, um die Zusammenhänge zu erkennen.

Einmal mehr ein grandios erzählter Roman, der einem unmittelbar packt und in die Geschichte zieht. Die kleinen Nebenkreise, die Laurain um die weiteren Figuren zieht, sind ebenso allerliebst gestaltet wie seine Protagonistin. Die Liebe des Autors zum Detail ist es, die jede Zeile des Buchs so bezaubernd werden lässt und die unterstreicht, dass bei all den Zufällen doch gar nichts zufällig, sondern minutiös geplant ist.

Veröffentlicht am 29.01.2022

Bernardine Evaristo - Manifesto. Warum ich niemals aufgebe.

Manifesto. Warum ich niemals aufgebe. Ein inspirierendes Buch über den Lebensweg der ersten Schwarzen Booker-Prize-Gewinnerin und Bestseller-Autorin von »Mädchen, Frau etc.«
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Mit dem Booker Prize für ihren Roman „Girl, Woman, Other“ hat sie sich auf die ganz große Bühne der Autorinnen und Autoren geschrieben. Dies war keineswegs abzusehen, denn es sind gleich zwei Dinge, die ...

Mit dem Booker Prize für ihren Roman „Girl, Woman, Other“ hat sie sich auf die ganz große Bühne der Autorinnen und Autoren geschrieben. Dies war keineswegs abzusehen, denn es sind gleich zwei Dinge, die eigentlich dagegen sprachen, dass sie im Literaturbetrieb Erfolg haben würde: Bernardine Evaristo ist eine Frau – noch dazu bekennend homosexuell – und zudem Schwarze. Ihr Weg war steinig und lang und in „Manifesto“ zeichnet sie nach, wie sie immer wieder vor neuen Hürden stand, sei es Rasse, sei es Klasse, sei es Geschlecht, sei es sexuelle Orientierung oder irgendwann auch das Alter.

Im Gegensatz zu etwa Michaela Coels „Misfits“, einer lauten Abrechnung mit den Ungerechtigkeiten der britischen Gesellschaft, ist Evaristos „Manifesto“ eine durchaus auch emotionale, im Wesentlichen jedoch sachliche Analyse dessen, was sie in ihrem Leben erlebt hat. Man merkt, dass man es mit einer Professorin und reflektierten Person zu tun hat, die – trotz des Unmuts – einordnet und nachvollziehbar macht, was ihr widerfahren ist. Sicherlich ein singulärer und extrem erfolgreicher Lebensweg, der jedoch an unzähligen Stellen auch eine andere Richtung hätte nehmen können.

In sieben Kapiteln zeichnet die Autorin nach, wie aus dem Mädchen aus einer kinderreichen Familie einer weißen Mittelschichten-Mutter und eines nigerianischen Einwanderers eine der wichtigsten Stimmen Englands wurde. Aufgrund ihrer Herkunft passt sie in kein Schema, ihre gute Schulbildung widerspricht dem, was die Menschen von einer jungen Frau mit dunkler Haut erwarten, weshalb es von ihr deutlich mehr Anstrengung und Durchhaltevermögen erfordert, als von anderen, um ihre Ziele zu erreichen. Von Familie über Wohnen und Partnerschaften öffnet sie den Blick für die vielen verschiedenen Formen von Diskriminierung und feinen Abstufungen in der britischen Gesellschaft.

Beruflich fand sie – interessanterweise ähnlich wie die bereits erwähnte und von ihr ebenfalls angeführte Michaela Coel – ihren Ausgangspunkt im Jugendtheater, wo sie erkennen musste, dass es für sie schlichtweg gar keine Rollen gab. Es war die Lyrik, in der sie schriftstellerisch zunächst ihre Ausdrucksform sah, erst später hat sie sich auch an Prosa getraut. Die letzten beiden Kapitel thematisieren die Schwierigkeit, dass natürlich ihre Erfahrungen einen Einfluss auf das haben, was sie schreibt, sie jedoch nicht auf ein Thema reduziert werden kann und vor allem auch nicht als Sprecherin für diverse Gruppen festgeschrieben sein möchte.

Für mich war „Girl, Woman, Other“ noch vor dem ganz großen Erfolg eines der literarischen Highlights 2019, weil es auf erzählerische Weise in vielerlei Hinsicht erhellend war und die intersektionale Diskriminierung literarisch herausarbeitet wie kaum ein anderer Roman zuvor. Ähnlich bereichernd jetzt auch ihr „Manifesto“, das ich uneingeschränkt jedem empfehlen kann, der sich für die Thematik interessiert.

Veröffentlicht am 28.01.2022

Irmgard Keun - Nach Mitternacht

Nach Mitternacht
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Nachdem sie aus ihren Eifeldorf zur Tante nach Köln gezogen war und von selbiger mehr als schlecht behandelt wurde, lebt Sanna im Winter 1937 schließlich bei ihrem älteren Bruder Algin in Frankfurt. Am ...

Nachdem sie aus ihren Eifeldorf zur Tante nach Köln gezogen war und von selbiger mehr als schlecht behandelt wurde, lebt Sanna im Winter 1937 schließlich bei ihrem älteren Bruder Algin in Frankfurt. Am Nachmittag hat sie nach Monaten der Stille einen Brief von Franz erhalten, dem Cousin, den sie in Köln zurückließ und heiraten will. Am Abend werde er kommen, er müsse mit ihr reden. Bis dahin durchstreift Sanna mit ihrer Freundin Gerti Kneipen, wohnt dem Besuch des Führers bei und erlebt eine ausufernde Party bei ihrer Schwägerin. Ihre Gedanken springen zwischen Erinnerung und Gegenwart und dokumentieren das Leben in der Großstadt in der dunkelsten Zeit Deutschlands.

Anlässlich des Lesefests „Frankfurt liest ein Buch“ wurde Irmgard Keuns Exilroman „Nach Mitternacht“ neu aufgelegt. Der Erscheinungstermin fiel sicher nicht zufällig mit dem Holocaust-Gedenktag zusammen, gilt der Roman als eines der wichtigsten Dokumente des Alltags in der Naziherrschaft und gibt wie nur wenige andere literarische Werke Einblick in das bürgerliche Leben der Zeit. Keun verfasste weite Teile der Geschichte noch in Deutschland, veröffentlichen musste sie den Roman jedoch zunächst in den Niederlanden und Frankreich.

Die Handlung um Sanna, die auf die Ankunft von Franz wartet, ist dicht und tritt hinter die viel beeindruckenderen dokumentarischen Aspekte des Romans zurück. Getragen werden diese von den Figuren, die die ganze Bandbreite des Lebens repräsentieren. Sannas Freundin Gerti ist naiv und jung und nutzt das Begehren der Männer ohne etwas zu hinterfragen. Ihr loses Mundwerk ist gefährlich, doch immer wieder kommt sie damit durch. Sannas Bruder Algin spürt die Repressalien deutlich, als Autor kann er nicht mehr schreiben, was er möchte, die Zensur ist streng und von dem einst pompösen Leben nach seinen Erfolgen ist wenig geblieben. Tante Adelheid wiederum hat sich bestens mit den neuen Zeiten arrangiert und wacht in ihrem Haus wie eine Bulldogge über die Einhaltung der Nazi Ideologie.

Durch Augen des 18-jährigen Mädchens erlebt man den offenen Judenhass - man mag ja gar nicht glauben, dass die sogar ganz adrett aussehen und nett sein können - SA und SS Männer erscheinen mehr als trinkfreudige Dummköpfe, die man jedoch nicht unterschätzen sollte, wie sich im Laufe des Romans herausstellt.

Absurd geradezu die Inszenierung des Besuchs Hitlers - und dann offenbart sich, dass es eben nicht nur eine Angelegenheit von einigen wenigen Verblendeten war, die aktiv unterstützten, sondern dass sich die Ideologie mit ihrer Doktrin dessen, was gesagt und gedacht werden durfte, bis in die letzte Ecke des Privatlebens hineingeschlichen hatte. In ihren eigenen Wohnungen können sie nicht vor der Politik flüchten und auch wenn sie sich scheinbar teilen in die, die offen unterstützen, und diejenigen, die sich wegducken und wegschauen und nur ihr Leben in Frieden leben wollen, gemeinsam bleibt ihnen jedoch, dass sie sehen und genau wissen, was geschieht.

Ein beeindruckendes Zeitzeugnis, in dem unsagbare Dinge gesagt werden, die man heute plötzlich auch wieder hören kann. Hinter der Aktion „Frankfurt liest ein Buch“ steht die Idee, Literatur zum Gesprächsthema zu machen. Wenn dem Roman dieses Ansinnen auch nur ansatzweise gelingt, ist im Jahr 2022 schon sehr viel erreicht. Dass er zur Pflichtlektüre werden sollte, steht dabei völlig außer Frage.

Veröffentlicht am 22.01.2022

Percival Everett - Erschütterung

Erschütterung
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Zach Wells arbeitet als Paläontologe an einem kalifornischen College und kann völlig in der Welt der Gesteine versinken. Ähnlich faszinierend ist für ihn nur seine 12-jährige Tochter Sarah, die ihn regelmäßig ...

Zach Wells arbeitet als Paläontologe an einem kalifornischen College und kann völlig in der Welt der Gesteine versinken. Ähnlich faszinierend ist für ihn nur seine 12-jährige Tochter Sarah, die ihn regelmäßig im Schach spielen schlägt. Als Sarah Sehschwierigkeiten äußert, denken sich die Eltern nicht viel, eine Brille und das Problem ist aus der Welt. Doch dann müssen sie erfahren, dass das Mädchen an einem neurodegenerativen Syndrom leidet. Zach und seine Frau Meg können nicht gut mit der raschen Verschlimmerung umgehen, statt bei seiner Frau zu sein, flüchtet sich Zack nach New Mexico. Wenn er seiner Tochter nicht helfen kann, dann vielleicht wem anders.

Der amerikanische Autor und Professor für Englische Literatur Percival Everett veröffentlicht seit fast 40 Jahren Romane und Kurzgeschichten, für die er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. „Erschütterung“ stand 2021 auf der Finalliste des Pulitzer Prize in der Kategorie Fiction. Bei meiner Recherche zu dem mir bis dato unbekannten Autor bin ich auf ein Kuriosum zu diesem Buch gestoßen: es wurde in den USA mit drei verschiedenen Enden der Geschichte veröffentlicht, auch die drei Cover sind dezent unterschiedlich. Man kann seine Haltung exzentrisch nennen, wenn er sagt, dass er denkt, der Leser solle die Autorität darüber haben, was ein Buch zum ihm sagt, nicht der Autor, denn jeder Leser liest etwas Anderes in einer Geschichte. Warum also nicht gleich drei verschiedene Versionen anbieten?

Im Zentrum der Handlung steht Zach und die Erschütterung, die er und seine Frau durch die Diagnose erhalten. Sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen, sind sich nicht einige, ob sie Sarah überhaupt davon berichten sollen, immerhin scheint das Mädchen die Anfälle gar nicht selbst zu bemerken. Dem eigenen Kind beim zunehmenden Verlust von Geist und Körper zuzusehen, geht an ihre Substanz und so entfernen sich Zach und Meg immer weiter voneinander und jeder sucht seinen eigenen Umgang mit etwas, mit dem es keinen guten Umgang geben kann.

Währenddessen geht das Leben außerhalb des Nukleus der Familie jedoch weiter und Zach sieht sich mit unterschiedlichen Herausforderungen der Campus-Politik konfrontiert, mit denen er sich auch sonst schon nicht beschäftigen will. Auch die mysteriöse Nachricht, die er in einer gekauften Jacke findet, beschäftigt ihn, obwohl er den Zettel mit dem vermeintlichen Hilferuf auch einfach hätte entsorgen und vergessen können.

Ein Aspekt des Romans fand ich ungewöhnlich und doch sehr clever integriert. Nebenbei wird an einer Stelle erwähnt, dass Zach Schwarzer sei, was mich zunächst irritierte, da dies für die Handlung zu diesem Zeitpunkt gänzlich irrelevant war und ich daran keinen Gedanken verschwendet hatte. Im weiteren Verlauf zeigt sich, dass diese Information in den Erlebnissen und Erfahrungen Zachs durchaus eine Rolle spielt, der Autor macht es aber nicht zu einem Problem, das gelöst werden muss, oder lässt Zach aufgrund dieser Tatsache in Selbstmitleid versinken oder sich gar radikalisieren. Völlig geräuschlos steht dieses Faktum im Raum, bis sich die Blicke zum ihm hinwenden und dann auch wieder wegrichten. Ein sehr interessanter Umgang mit einem Thema, dass literarisch in den letzten Jahren durchaus relevant und vielfach bespielt wurde, aber nicht auf diese Weise.

Ein vielschichtiger Roman, der in der Tat sehr unterschiedlichen Lesern sehr viel bietet, worauf man fokussieren kann. Sein amerikanischer Verleger sagte in einem Interview über Percival Everett, dass er ein Autor sei, der immer wieder entdeckt und jedes Mal aufs Neue die Frage gestellt werde, weshalb er nicht bekannter sei. Das frage ich mich allerdings auch.