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Veröffentlicht am 19.11.2018

Geschichte über Freundschaft, Selbstfindung, die erste Liebe, aber auch über Enttäuschungen und Trauer an einem atemberaubenden Ort in der französischsprachigen Schweiz

Winter meines Herzens
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Die 19-jährige Hadley beschließt, für ein Jahr in die Schweiz zu gehen, um dort Amerikanische Literatur zu studieren. Im Wohnheim lernt sie die Dänin Kristina kennen und freundet sich mit ihr an. Sie verbringen ...

Die 19-jährige Hadley beschließt, für ein Jahr in die Schweiz zu gehen, um dort Amerikanische Literatur zu studieren. Im Wohnheim lernt sie die Dänin Kristina kennen und freundet sich mit ihr an. Sie verbringen ihre Freizeit vor Beginn des Semesters miteinander, schwimmen im See, ziehen gemeinsam um die Häuser. Hadley verliebt sich geradezu in die Stadt, in der alles möglich erscheint.
An Hadleys Geburtstag sind sie mit Freunden verabredet, doch Kristina sagt kurzfristig ab. Hadley ist bitter enttäuscht, so dass es am Telefon zum Streit kommt. Es ist das letzte Gespräch, dass die beiden führen werden. Im Schneetreiben in Genf hat Kristina einen Unfall, den sie nicht überlebt. In tiefer Trauer, ihre erste und einzige beste Freundin verloren zu haben, beginnt Hadley zu recherchieren, was sich an dem Abend ereignet hat.

Der Roman beginnt als eine Geschichte über das Erwachsenwerden. Die etwas unbedarfte Hadley, die bisher ein unspektakuläres Leben bei ihren Eltern führte, wagt sich für ein Auslandsstudium nach Lausanne, wo sie durch die lebhafte Kristina aktiver am Leben teilnimmt, Stadt und weitere Studenten kennenlernt. Nach dem Unfalltod ihrer besten Freundin ist Hadley zunächst schockiert, möchte dann aber Kristinas Geliebten ausfindig machen und erfährt dadurch auch mehr über die Nacht, in der Kristina starb. Emotional aufgewühlt, ergeben sich verwirrende Einzelheiten zum Unfall. Gleichzeitig verliebt sie sich in ihren Dozenten, den Literaturprofessor Joel Wilson, der ihr in ihrer Trauer zu Seite steht, selbst aber undurchschaubar und melancholisch wirkt. Dabei stellt sich dem Leser die Frage, ob seine Stimmungsschwankungen dem Druck geschuldet sind, dem er sich durch die verbotene Beziehung - une aventure - mit einer Studentin aussetzt, oder ob noch etwas anderes dahinter steckt.

Die Autorin beschreibt die bezaubernde Umgebung von Lausanne sehr anschaulich zu den verschiedenen Jahreszeiten und fängt auch die Gefühlswelt einer jungen Frau, die sich zum ersten Mal alleine ins Ausland begibt - von der Freude über die Unabhängigkeit, über das Entdecken von Neuem, bis zu der erdrückenden Niedergeschlagenheit - wunderbar ein. Lausanne wird für Hadley der Ort, an dem sie nie glücklicher, aber auch nie trauriger in ihrem Leben war.

Es ist eine ruhige Geschichte über Freundschaft, Selbstfindung, die erste Liebe, aber auch über Enttäuschungen und Trauer an einem atemberaubenden Ort in der französischsprachigen Schweiz.

Veröffentlicht am 16.11.2018

Autobiographischer Roman, Roadtrip und eine Familientragödie aus der Sicht eines 13-Jährigen

So, und jetzt kommst du
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Arno ist 13 Jahre alt, als sein Vater Jürgen mit der Familie als über Kopf von Rheinland-Pfalz nach Frankreich flüchtet. Jürgen Frank ist ein Hochstapler und stolz darauf. Er verspricht seiner Frau und ...

Arno ist 13 Jahre alt, als sein Vater Jürgen mit der Familie als über Kopf von Rheinland-Pfalz nach Frankreich flüchtet. Jürgen Frank ist ein Hochstapler und stolz darauf. Er verspricht seiner Frau und seinen drei Kindern ein sonniges Leben an der Côte d'Azur in Reichtum.
Als sich die Familie gerade eingewöhnt hat, die Kinder Französisch gelernt haben, auf eine internationale Schulen gehen und sich nur fragen, was ihr Vater eigentlich arbeitet und wann das Geld aus ist, das großzügig ausgegeben wird, steht erneut die Polizei vor der Tür. Wieder packen sie nur die nötigsten Sachen und ziehen weiter nach Portugal, wo der Vater sie auf wundersame Weise in einem Hotel einquartieren kann.
Es ist ein Leben auf der Flucht vor amtlichen Briefen, staatlichen Behörden, vor Interpol und der Realität, wobei Vater und Mutter stets den Anschein erwecken, dass dieses Leben völlig normal ist. Arno macht sich dennoch Gedanken, beginnt mit zunehmendem Alter die Aussagen seines Vaters zu hinterfragen, während die jüngeren Geschwister verstört mit Essensresten und Hundefutter experimentieren oder sich weigern, die aufgeblasenen Schwimmflügel abzulegen.

"So, und jetzt kommst du!" ist die Floskel, mit der der Vater Arno gegenüber seine Erzählungen beendet und der Titel dieses autobiographischen Romans, mit dem der Journalist Arno Frank seine Kindheit auf der Flucht erzählt.
Der Roman ist aus der naiven Sicht eines Kindes geschrieben, das den kriminellen Machenschaften seines Vaters und der Verantwortungslosigkeit beider Elternteile hilflos ausgesetzt ist. In kurzen Kapiteln werden die einzelnen Stationen der zweijährigen Odyssee durch Südwesteuropa episodenartig erzählt. Die Eltern leben in einer Traumwelt und gaukeln den Kindern Normalität vor. Die schlagfertigen Sprüche und raffinierten Ideen, mit der sich der Vater immer wieder durchmogeln kann, sind amüsant zu lesen, letztlich überwiegt aber die Tragikomik. Als Leser verfolgt man den aberwitzigen Roadtrip den Kindern gegenüber mitleidig und fragt sich, wie lange das Weglaufen noch gut gehen kann, bis die Falle letztlich zuschnappen wird.

Da es sich um einen autobiographischen Roman handelt, ist diese Familientragödie, diese Kindheit auf der Flucht, bei der sich die Situation je länger die Familie unterwegs ist, weiter verschärfte, besonders beklemmend zu lesen. Man hofft, dass der Vater noch zur Vernunft kommt und sich den Behörden stellt, bevor die Polizei ihn ausfindig machen kann, um die Familie brutal zu trennen und ihm die verwahrlosten Kindern zu entziehen. Erstaunlich ist dabei, wie passiv sich Mutter Jutta verhält und wie abhängig sie von ihrem Mann ist, dem Irrsinn kein Ende setzt, sondern sehenden Auges der Katastrophe entgegen geht.

Veröffentlicht am 12.11.2018

Schöne und leicht zu lesende Geschichte über Aberglaube, Träume und die Suche nach Glück

Heute schon für morgen träumen
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Emilia ist New Yorkerin mit italienischen Wurzeln, die ein eher zurückgezogenes Leben führt und sich dabei ihrer Familie, insbesondere ihrer dominanten Großmutter Rosa und ihrer älteren Schwester Daria ...

Emilia ist New Yorkerin mit italienischen Wurzeln, die ein eher zurückgezogenes Leben führt und sich dabei ihrer Familie, insbesondere ihrer dominanten Großmutter Rosa und ihrer älteren Schwester Daria unterordnet. Auf der Familie Fontana laste seit Generationen ein Fluch, der verhindert, dass die zweitgeborenen Töchter heiraten und eine Familie gründen. Emilia glaubt angeblich nicht daran, ist aber seit 11 Jahren Single, nachdem sie ihren damaligen Freund bei einem Autounfall schwer verletzt hatte und sich zu seinem Schutz von ihm trennte.

Als sich Emilias Großtante Poppy, das schwarze Schaf der Familie, überraschend bei ihr meldet und sie zu einer Reise nach Italien anlässlich ihres 80. Geburtstags einlädt, lehnt sie zunächst aus Rücksicht auf ihre Großmutter ab. Letztlich setzt sie sich aber über den Rest ihrer Familie hinweg und begibt sich zusammen mit ihrer Cousine Lucy, ebenfalls eine Zweitgeborene, und Poppy nach Venedig, Florenz bis nach Ravello an der Amalfiküste. Poppy möchte nach fast 60 Jahren ihre erste Liebe Rico treffen und verspricht ihren Nichten, damit den Fluch aufzuheben.

Die Geschichte handelt in der Gegenwart in New York und Italien und ist aus der Perspektive Emilias geschrieben. Durch Erzählungen Poppys erfolgt ein chronologischer Rückblick in die Jahre 1959 bis 1961, als die Familie ihre Auswanderung von Italien in die USA vorbereitete und Poppy ihre große Liebe Erich, einem DDR-Flüchtling begegnet.

Emilia ist eine verschüchterte junge Frau, die zum ersten Mal in ihrem Leben eine freie Entscheidung trifft und sich trotz schlechten Gewissens auf die etwas abenteuerliche Reise mit ihrer unkonventionellen Großtante begibt. Dort verändert sie nicht nur ihren Kleidungsstil, sondern ist auch fremden Menschen gegenüber aufgeschlossen und wagt es sogar, die Nähe von Männern zuzulassen, die sie bisher auf Abstand gehalten hat. Auch Cousine Lucy verändert sich. Sie hatte krampfhaft versucht, den Fluch zu durchbrechen und deshalb jeden Mann in ihr Bett gelassen. In Italien begreift sie, was sie wirklich möchte: Liebe und eine Familie.

Poppy ist die altersweise Ratgeberin, die selbst Zeit ihres Lebens unter dem Fluch gelitten hat und auf ihrer letzten Reise ihre große Liebe wiedersehen möchte. Sie wünscht ihren Nichten ein anderes, glücklicheres Leben und möchte ihnen mit dieser Reise demonstrieren, dass alles möglich ist, wenn man es nur möchte. Frei nach dem Motto "Jeder ist seines Glückes Schmied" sollen Emilia und Lucy sich von dem ominösen Fluch lösen und die selbsterfüllende Prophezeiung, die die Familie über Generationen hinweg belastete, durchbrechen.

"Heute schon für morgen träumen" ist eine schöne, leicht zu lesende Geschichte über Aberglaube, Träume und die Suche nach dem Glück, bei dem sich die Protagonisten lange selbst im Weg stehen. Es ist ein empathischer Roman, der Mut macht, auf sein Herz zu hören und selbstbewusst seine eigenen Entscheidungen zu treffen.

Auch wenn die Handlung und die Moral von der Geschichte leicht zu durchschauen sind, gibt es Ereignisse in Italien, die überraschen und ein Familiengeheimnis, das für Spannung und Entsetzen sorgt. So verfolgt man interessiert die charakterliche Weiterentwicklung Emilias und Lucys und ob es Poppy gelingen wird, das jahrzehntealte Versprechen einzulösen, ihre große Liebe wiederzutreffen und damit die Weichen für ein glücklicheres Leben nachfolgender Generationen zu stellen.

Veröffentlicht am 02.11.2018

Emotionale Liebesgeschichte, die demonstriert wie wichtig Vertrauen und Kommunikation in einer Beziehung sind

All die schönen Tage
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Stella ist Unfallchirurgin und lebt seit ihrer Scheidung wieder in ihrer Heimatstadt Hamburg. Dort begegnet sie nach 15 Jahren ihrer ersten Liebe Max wieder. Die Beziehung ist in ihrer Jugend zerbrochen ...

Stella ist Unfallchirurgin und lebt seit ihrer Scheidung wieder in ihrer Heimatstadt Hamburg. Dort begegnet sie nach 15 Jahren ihrer ersten Liebe Max wieder. Die Beziehung ist in ihrer Jugend zerbrochen und Stella scheint den Schmerz der Trennung noch immer nicht überwunden zu haben, wollte sie Max doch nie wieder sehen. Umso erstaunlicher ist, dass sie sich ohne Vorbehalte erneut in eine Beziehung mit Max stürzt. Unterstützt wird sie dabei von ihrer "Schöne-Tage-Box", in der sie Erinnerungen schöner Erlebnisse gesammelt hat, die zeitlich in ihre unbeschwerte Kindheit und die Anfangszeit mit Max fallen.

Der Roman spielt in der Gegenwart im Jahr 2005 und ist überwiegend aus der Sicht der ungefähr 30-jährigen Stella geschrieben. Durch das unerwartete Aufeinandertreffen mit Max nimmt sieht ihre "Schöne-Tage-Box" wieder zur Hand und wird durch die damit verbundenen Erinnerungen in die Vergangenheit Ende der 80er-Jahre versetzt, als sich die beiden Schüler in einander verliebten.

Stella wurde von Max verletzt und man erfährt lange nicht, was zwischen den beiden tatsächlich vorgefallen ist. Auch ist unklar, warum nie eine Annäherung zwischen den beiden stattgefunden hat, aber nur zwei kleine Begegnungen in der Gegenwart ausreichen, dass sie ihre Beziehung scheinbar nahtlos fortsetzen. Mir kam dieses kopflose Wiederaufwärmen einer Jugendliebe deshalb wie ein Traum vor, in den sich Stella flüchtet. die Beziehung, in der das Problem der Vergangenheit (bewusst?) außen vor gelassen wird, wirkte unwirklich und auf einem wackligen Fundament gebaut. Stella verdrängt die Verletzung der Vergangenheit und bemüht sich nicht um eine Aussprache. Auf diese Weise hat sie keine Möglichkeit, ihre Enttäuschung aufzuarbeiten und Max zu verzeihen. Er selbst erklärt sich aber ach nicht oder bittet um Vergebung. Das Unausgesprochene steht zwischen ihnen, weshalb die Beziehung erneut zum Scheitern verurteilt scheint, auch wenn bislang ausschließlich Harmonie herrscht und nicht einmal Max familiäre Verpflichtungen zu einem Problem werden.
Doch als Max Stella wieder vor den Kopf stößt und sie beide den Fehler von damals wiederholen und nicht miteinander sprechen und Stella sich auch noch Sorgen um ihre Eltern machen muss, kommt es erneut zum Bruch.

Der lebendige Schreibstil der Autorin gefiel mir gut und auch der Wechsel von Vergangenheit und Gegenwart verwirrte nicht. Auf beiden Zeitebenen ist interessant, wie sich die Beziehung zwischen Stella und Max als unerfahrene Jugendliche bzw. als Erwachsene, die beide Erfahrungen mit anderen Partnern gemacht haben, entwickelt.
Anders als in anderen Romanen geht es in der Gegenwart nicht daran, dass um eine vergangene Liebe gekämpft wird und mit Spannung erwartet wird, wie zwei für einander bestimmte Menschen wieder zueinander finden. Hier finden sie einander und erst dann beginnt sich Stella mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Ich empfand dies zunächst als unlogisch, weshalb mir das Verhalten sowohl von Stella als auch von Max nicht schlüssig erschien. Ich konnte mir ihr Stillschweigen nur damit erklären, dass sie die Enttäuschung nicht aufarbeiteten, um sich vor erneutem Schmerz zu schützen. Gerade aufgrund dieses inneren Brodelns konnte mich der Roman aber dennoch fesseln, da ich mit jedem Kapitel darauf gewartet habe, dass es zwischen beiden wieder zu einer Katastrophe kommt und fraglich ist, ob sie diese als Erwachsene bewältigen können, was ihnen als unreife Jugendliche nicht gelungen war. Und auch wenn ich nicht mit jeder ihrer Entscheidungen einverstanden war, war zu spüren, dass die beiden zueinander gehören und Stella mit Max ein Gefühl der Geborgenheit und ein Nach-Hause-kommen verbindet.

"All die schönen Tage" ist ein Roman, der das Auf und Ab von Stellas Gefühlswelt eindringlich beschreibt und der durch Stellas und Max gemeinsame Geschichte aufzeigt, wie wichtig Kommunikation, Offenheit und Vertrauen in einer Beziehung sind.

Veröffentlicht am 19.10.2018

Dramatische Familiengeschichte, bei der ein Geheimnis der Vergangenheit bis in die Gegenwart Rätsel aufgibt - Spannung auf zwei Zeitebenen

Die Schwestern von Applecote Manor
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Als die alleinerziehende, exzentrische Mutter Bunny Wilde nach dem Tod ihres Mannes ein Angebot annimmt, als Sekretärin in Marrakesch zu arbeiten, gibt sie ihre vier minderjährigen Töchter in die Obhut ...

Als die alleinerziehende, exzentrische Mutter Bunny Wilde nach dem Tod ihres Mannes ein Angebot annimmt, als Sekretärin in Marrakesch zu arbeiten, gibt sie ihre vier minderjährigen Töchter in die Obhut ihres Schwagers und dessen Frau. Die Mädchen waren früher jeden Sommer bei Tante Sybil und Onkel Perry in Applecote Manor, bis ihre Cousine Audrey vor fünf Jahren spurlos verschwunden ist. Vor allem die inzwischen 15-jährige Margot war eng mit der zwei Jahre älteren Audrey befreundet und vermisst ihre Gegenwart auf dem Anwesen. Tante und Onkel haben sich verändert, es herrscht eine unangenehme Atmosphäre. Während Margot heimlich das Zimmer von Audrey betritt und in ihren Sachen stöbert, beginnen sich ihre beiden älteren Schwestern Flora und Pam für die jungen Männer aus der Nachbarschaft zu interessieren.

Ein halbes Jahrhundert später drängt Jessie auf den Kauf von Applecote Manor. Sie ist mit dem Witwer Will verheiratet, mit dem sie die gemeinsame Tochter Romy hat. Bella ist seine pubertierende Tochter aus der Ehe mit Mandy, die Jessie nicht ernst nimmt und mit dem Umzug nicht einverstanden ist. Jessie wollte London hinter sich lassen, in der Hoffnung, dass Will auch Abstand zu Mandy findet.

"Die Schwestern von Applecote Manor" ist ein Roman, der in der Vergangenheit im Jahr 1959 handelt und aus der Ich-Perspektive von Margot geschrieben ist. In der Gegenwart wird die Geschichte aus Jessies Sicht erzählt.

Während 1959 das Verschwinden der 12-jährigen Audrey noch gegenwärtig ist und es mysteriös bleibt, was mit ihr passiert ist, wusste Jessie vor dem Kauf des Anwesens nichts über das vermisste Kind. Die Familie erfährt erst durch Bellas Mitschülerinnen von dem Drama, wobei Jessie nicht einordnen kann, was davon Schauermärchen sind, was der Wahrheit entspricht und inwiefern die aufsässige Bella ihr bewusst Angst einjagen möchte.

Auf beiden Zeitebenen spürt man die beklemmende Atmosphäre des älteren Anwesens, auf dem sich ein Verbrechen ereignet haben könnte. Die Wilde-Schwestern waren von einem eintönigen Sommer auf Applecote Manor ausgegangen, aber über dem Haus schwebt der Geist von Audrey und die nagende Ungewissheit, was mit ihr passiert sein mag. Tante Sybil scheint traumatisiert und hofft noch immer auf eine Rückkehr ihrer einzigen Tochter, während Onkel Perry von den Schwestern verdächtigt wird, in das Verschwinden Audreys involviert zu sein.
Die Schwestern waren bisher unzertrennlich, eine Einheit gegen die egozentrische Mutter, die durch die Anwesenheit der jungen Männer und der ersten Liebe auseinanderzubrechen droht. Margot, die an einer Hauterkrankung leidet, empfand sich schon immer als unzulänglich und fühlt sich mehr denn je im Vergleich zu ihren älteren Schwestern zurückgesetzt. Unerwartet rückt sie in den Mittelpunkt, als Sybil in ihr Audrey wiederzuerkennen glaubt.

Jessie spürt tagtäglich, dass sie mit der verstorbenen Ehefrau ihres Mannes nicht konkurrieren kann, leidet einerseits unter dem schwierigen Verhältnis zu ihrer Stieftochter, andererseits aber auch zunehmend unter der Einsamkeit in einem viel zu großen Haus, nachdem Will, anders als geplant, immer öfter beruflich nach London muss. Statt der erhofften Romantik einer Idylle auf dem Land entfremdet sich das Paar zusehends voneinander.

Sowohl in der Gegenwart als auch in der Vergangenheit erlebt man eine Familiengeschichte mit interessanten Charakteren, die spannend zu lesen ist, da der Leser auf beiden Zeitebenen hofft, das Rätsel um Audreys Verschwinden zu lösen. Während 1959 nicht mehr aktiv versucht wird, den Vermisstenfall zu lösen, lässt Bella die Vergangenheit nicht ruhen und findet Gegenstände der Vorbesitzer des Hauses, die sie sammelt und die Jessie irritieren bzw. ängstigen. Auch Bellas nächtliches Schlafwandeln wirkt bedrohlich und trägt zur Beunruhigung Jessies bei.

Der Schreibstil der Autorin ist bildhaft, zumal fast poetisch, was allerdings gut zu der beklemmenden Atmosphäre in den alten Gemäuern von Applecote Manor passt. Trotz des Wechsels aus Vergangenheit und Gegenwart, dem Gegensatz der Hitze des Sommers 1959 und der Februarkälte 2009, lässt sich der Roman flüssig lesen.

"Die Schwestern von Applecote Manor" erzählt eine dramatische Familiengeschichte, bei der ein Geheimnis aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart Rätsel aufgibt und bei der man mit den Sorgen und Nöten ganz unterschiedlicher Frauen aus verschiedenen Epochen konfrontiert wird.