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Veröffentlicht am 08.02.2019

Tragikomisches Porträt über ein Dorf in der Provinz

Was man von hier aus sehen kann
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Der Roman handelt in einem beschaulichen kleinen Dorf im Westerwald und ist aus der Perspektive der zehnjährigen Luise geschrieben. Ihre Mutter ist Inhaberin des Blumengeschäftes und nimmt sich kaum Zeit ...

Der Roman handelt in einem beschaulichen kleinen Dorf im Westerwald und ist aus der Perspektive der zehnjährigen Luise geschrieben. Ihre Mutter ist Inhaberin des Blumengeschäftes und nimmt sich kaum Zeit für ihre Tochter. Der Vater ist Arzt, geht aber selbst begeistert zur Psychoanalyse und träumt davon, "die Welt hereinzulassen". Luise verbringt ihre Freizeit deshalb am liebsten zusammen mit ihrem besten Freund Martin und bei ihrer Großmutter Selma. Diese hat angeblich die Fähigkeit, den Tod vorherzusehen, wenn sie von einem Okapi träumt.
Als es wieder einmal soweit ist, wird jeder Dorfbewohner nervös und hofft, dass der Traum nicht ihm galt. 29 Stunden nach Selmas Traum kommt es zu einem tragischen Todesfall, der das Leben der Bewohner erschüttert.

12 Jahre später hat Luise, die nicht viel weiter als in die nächste Kreisstadt gezogen ist, die Möglichkeit, "die Welt hereinzulassen", indem sie sich in einen buddhistischen Mönch verleibt, der in einem Kloster in Japan lebt.

"Was man von hier aus sehen kann" ist ein unheimlich charmanter Roman über eine etwas eigenwillige Dorfgemeinschaft in der Provinz, der wunderbar originell, phantasievoll, aber nicht realitätsfern, amüsant und tragisch zugleich geschrieben ist.

Jeder Charakter des Buches ist etwas ganz Besonderes und macht diese skurrile, aber warmherzige Dorfgemeinschaft zu einer Familie für Luise. Hier wird ein Dorf und seine Bewohner mit ihrem Aberglauben und unausgesprochenen Zweifeln liebevoll aufs Korn genommen, ohne ins Lächerliche abzudriften. Es ist ein Roman über Freundschaft, Zusammenhalt und Familie, über Liebe und Träume von der weiten Welt, aber auch über Tod und Trauer.

Ich konnte die tragikomische Geschichte kaum aus der Hand legen, wollte aber gleichzeitig nicht, dass das Büchlein so schnell zu Ende geht. Besonders der unvergleichlich metaphorische Erzählstil, die herrliche abwegigen Gedankengänge der Charaktere und der trockene Humor der Autorin haben es mir angetan. Es ist ein Buch zum Lachen und Mitfühlen, das nachdenklich über das Leben macht und trotz der gefürchteten Todesträume ein überaus positives Gefühl hinterlässt.

"Was man von hier aus sehen kann" ist sowohl in Bezug auf die Geschichte, die einem Dorfporträt gleicht, aber vor allem hinsichtlich des lebendigen und kreativen Schreibstils der Autorin ein erfrischend anderer Roman mit Lieblingsbuchstatus.

Veröffentlicht am 02.02.2019

Trotz aller Dramatik und der tragischen Liebesgeschichte ein Mutmacher und Roman der Hoffnung schenkt

Die Antwort auf Vielleicht
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Adam ist Taxifahrer für ein Taxiunternehmen, das überwiegend Fahrten für kranke Menschen von und zum Klinikum oder zu Arztpraxen unternimmt. Adam fährt vorwiegend Krebspatienten, die er zur Strahlentherapie ...

Adam ist Taxifahrer für ein Taxiunternehmen, das überwiegend Fahrten für kranke Menschen von und zum Klinikum oder zu Arztpraxen unternimmt. Adam fährt vorwiegend Krebspatienten, die er zur Strahlentherapie in die Bremer Uniklinik bringt. Als er die junge Mutter Jessi kennenlernt, die an einer besonders hartnäckigen Form des Krebses erkrankt ist, bringt sie ihn zum Nachdenken über sein eigenes Leben. Er ist Mitte 20, wohnt bei seiner knapp 90-jährigen Oma, die ihn aufgezogen hat und träumt davon, den höchsten Gipfel der Welt, den Chimborazo in Ecuador zu besteigen, ist aber bisher kaum aus Bremen herausgekommen.
In den Gesprächen mit Jessi, die sich schon bald nicht mehr nur auf die Taxifahrten beschränken, verliebt er sich in sie und zeigt ihr, wie schön das Leben sein kann.
"Die Antwort auf vielleicht" beruht auf den eigenen Erfahrungen des Autors als Taxifahrer und ist deshalb sehr authentisch zu lesen. Das Buch handelt von Krankheit, Tod und der Endlichkeit des Lebens und ist damit keine leichte Kost. Es ist sehr berührend und traurig geschrieben, gleichzeitig durch die abenteuerlichen Erlebnisse aber nicht beklemmend zu lesen. Ganz behutsam wird sich an das leidvolle Thema Tod herangetastet, was durch die sanfte Art Adams unterstrichen wird. Gerade durch die wichtigen Nebencharaktere wie Adams leicht verwirrte Großmutter und Jessis freche Freundin Vero wird die Stimmung aufgelockert und die grundsätzlich traurige Geschichte mit humorvollen Abschnitten untermalt.

"Die Antwort auf vielleicht" ist nicht nur ein Roman über eine lebensgefährliche Krankheit, sondern auch eine Geschichte über die persönliche Weiterentwicklung eines jungen Mannes, der bisher auf der Stelle getreten ist und aus Bequemlichkeit nicht viel aus seinem Leben gemacht hat. Durch Jessi, die unerbittlich um ihr Leben und gegen den Krebs kämpft, wird auch Adam mutiger, Entscheidungen zu treffen. Sie helfen sich letztlich gegenseitig dabei, die Chance zu ergreifen, sich ihren Traum zu erfüllen.
Trotz aller Dramatik und der tragischen Liebesgeschichte schenkt der Roman Hoffnung und ist ein Mutmacher, im Hier und Jetzt zu leben und jeden einzelnen schönen Moment zu genießen.

Veröffentlicht am 30.01.2019

Melancholischer, atmosphärischer Roman über eine Frau, die sich nach einem Schicksalsschlag in einen kleinen Fischerort zurückgezogen hat

Nächte, in denen Sturm aufzieht
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Die Engländerin Liza ist 32 Jahre alt und wohnt seit sechs Jahren zusammen mit ihrer elfjährigen Tochter Hannah bei ihrer Tante Kathleen in dem Küstenort Silver Bay, wo diese ein kleines Hotel führt. In ...

Die Engländerin Liza ist 32 Jahre alt und wohnt seit sechs Jahren zusammen mit ihrer elfjährigen Tochter Hannah bei ihrer Tante Kathleen in dem Küstenort Silver Bay, wo diese ein kleines Hotel führt. In den kleinen Ort, drei Stunden von Sydney entfernt, verschlägt es nur wenige Touristen, insbesondere die, die die Einsamkeit suchen oder mit den Walfängern aufs Meer fahren möchten, um Wale und Delfine zu beobachten. Auch Liza arbeitet dort als Skipper und hat eine besondere Intuition dafür, wann Wale in die Nähe der Küste kommen.

Der Engländer Mike Dormer reist nach Silver Bay, aber nicht als Tourist, sondern aus geschäftlichen Gründen. Er soll sich den Ort ansehen, um das Projekt für einen Hotelbau voranzutreiben. Als er die einfachen Menschen in dem beschaulichen Fischerort und insbesondere die Frauen der Frühstückspension näher kennenlernt sowie selbst die Begeisterung spürt, wenn sich die Wale zeigen, deren Lebensraum zunehmend bedroht wird, bekommt er Skrupel.

"Nächte, in denen Sturm aufzieht" ist ein Roman, den die Bestseller-Autorin Jojo Moyes bereits 2007 veröffentlicht hat und der erst jetzt in Deutschland erschienen ist.
Es ist ein eher ruhiger Roman mit einer melancholischen Grundstimmung, die von Anbeginn spürbar ist, die aber perfekt zu dem verschlafenen Fischerort Silver Bay passt, an dem die Zeit ein bisschen still zu stehen scheint. Durch die Beschreibung des einfachen, aber zufriedenen Lebens der Einwohner, die sich ganz dem Meer und seinen Bewohnern verschrieben haben, fühlt man sich bildlich an diesen Rand der Welt zurückversetzt.

Die Verknüpfung der Themen Ökologie, Tier- und Umweltschutz mit den Schicksalen der Frauen, vor allem des Lebens von Liza, deren Vergangenheit gemächlich aufgedeckt wird, ist sehr gut gelungen.

Alle Charaktere - vom kauzigen Walbeobachter, über die gute Seele Kathleen bis zum zunächst etwas steifen Finanzexperten Mike - sind individuell, aber dabei sehr authentisch gezeichnet.
Es ist interessant zu lesen, wie sich jeder einzelne im Verlauf des Romans weiterentwickelt und wie sich die ganz unterschiedlichen Figuren einander annähern.

Auch wenn die Romane, die Jojo Moyes vor "Ein ganzes halbes Jahr" geschrieben hat, oft kritisiert werden, hat mir diese ruhige Geschichte um Liza, die sich wegen eines Schicksalsschlags nach Australien, an einen Ort, an dem sie gleichzeitig befreit, aber dennoch gefangen ist, zurückgezogen hat, wieder gut gefallen. Ich mochte die melancholische Atmosphäre von Silver Bay und den ambitionierten Kampf für das Wohlergehen der Tiere.
Die Rolle von Mike ist zwar sehr vorhersehbar, aber dennoch bleibt es durch zahlreiche Wendungen spannend, wie sich die Situation vor Ort in Australien letztlich entwickelt, so dass mich "Nächte, in denen Sturm aufzieht" bis zum Schluss fesseln konnte.

Veröffentlicht am 26.01.2019

Roman über Familie und Freundschaft, über Jugendträume und die Suche nach dem Glück - authentisch, witzig und nachdenklich machend

Versprich mir, dass es großartig wird
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Franzi und Lena haben sich in New York mit Anfang 20 kennengelernt, wo sie gemeinsam am Lee Strasberg Theatre and Film Institute Schauspiel studiert haben. Während Lenas Karriere als Schauspielerin anlief, ...

Franzi und Lena haben sich in New York mit Anfang 20 kennengelernt, wo sie gemeinsam am Lee Strasberg Theatre and Film Institute Schauspiel studiert haben. Während Lenas Karriere als Schauspielerin anlief, hatte Franzi nach Castings nur Absagen erhalten. Sie heiratete, wurde Muter zweier Kinder und unterstützt ihren Mann als "rechte Hand" in seiner eigenen kleinen Firma. Der Kontakt zu Lena schlief nach der Taufe von Franzis erstem Kind Mia, bei der Lena sogar als Taufpatin fungierte, ein.

Als sich Lena nun dreizehn Jahre später bei Franzi meldet und diese zu einem Interview bittet, holen Franzi ihre Erinnerungen an die gemeinsame Zeit in New York ein. Sie erinnert sich an ihre innige Freundschaft und an die Träume, die sie beide hatten und vergleicht, was jetzt aus ihnen geworden ist.
Der Roman ist aus der Perspektive Franzis geschrieben, deren Leben durch die Kontaktaufnahme ihrer ehemals besten Freundin durcheinander gewirbelt wird. Neidisch blickt sie auf Lenas freies Leben und deren Fernsehrollen, hat aber gleichzeitig ein schlechtes Gewissen ihren Kindern und ihren Mann gegenüber, wenn sie den Gedanken hegt, was ohne sie hätte sein können. Vor allem ist sie unglücklich mit ihrer Teilzeittätigkeit in der Firma ihres Mannes, wo sie Dichtungsringe bestellt und Mädchen für alles ist.

In Rückblenden, die nahtlos mit der Gegenwart verknüpft sind, erfährt man, wie sich Franzi und Lena kennengelernt haben und was sie gemeinsam in New York erlebt haben. Freiheit, Leichtigkeit und Begeisterung möchte Franzi wieder in ihrem Leben haben, traut sich aber von allein nicht, ihrem Leben eine neue Perspektive zu geben, ohne ihren Mann zu verletzen oder ihre Kinder zu vernachlässigen. Mit Hilfe von Lena, aber auch ihrer Freundin Jo lernt Franzi, dass sie trotz Familie ein Recht auf ein eigenes Leben hat und ihre Herzenswünsche nicht aufgeben darf, um selbst glücklich zu werden.

Ich mag den ungekünstelten und warmherzigen Schreibstil von Judith Pinnow sehr, von der ich bereits ihre zuletzt erschienen Romane "Die Phantasie der Schildkröte" und "Die Prophezeiung der Giraffe" gelesen habe.
"Versprich mir, dass es großartig wird" ist ein Roman über Familie und Freundschaft, aber auch über Jugendträume, Erwartungen, Lebensziele und die Suche nach dem Glück, der lebendig, herzerfrischend komisch, aber gleichzeitig auch tiefgründig geschrieben ist und nachdenklich stimmt.

Die Charaktere, vor allem Franzi, in deren Leben und Gedankenwelt man buchstäblich eintaucht, sind authentisch geschildert. Auch in anderer Lebenssituation kann man sich sehr gut mit Franzi identifizieren, da die Geschichte so ehrlich und aus dem Leben gegriffen wirkt.

Veröffentlicht am 16.01.2019

Spannender Familienepos, der empathisch geschrieben ist und sich über mehrere Generationen erstreckt

Bella Germania
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Julia ist Modedesignerin mit einem eigenen Label in München. Bei einer Modenschau in Mailand, die zukunftsweisend für ihr kleines Unternehmen sein soll, das kurz vor der Insolvenz steht, spricht sie ein ...

Julia ist Modedesignerin mit einem eigenen Label in München. Bei einer Modenschau in Mailand, die zukunftsweisend für ihr kleines Unternehmen sein soll, das kurz vor der Insolvenz steht, spricht sie ein älterer Mann aus Deutschland an, der behauptet, ihr Großvater väterlicherseits zu sein. Julia hat ihren Vater nie kennengelernt und ist bisher davon ausgegangen, dass dieser Italiener und bereits verstorben ist. Sie ist deshalb zunächst misstrauisch und weist Vincent zurück. Zurück in München nimmt sie Kontakt zu dem älteren Herren auf und erfährt seine Lebensgeschichte. Schließlich muss auch ihre Mutter einräumen, dass sie Julia belogen hatte und die Erzählungen von Vincent vermutlich wahr sind. Vincent selbst hat keinen Kontakt zu seinem Sohn und die Hoffnung, dass er sich mit Hilfe von Julia mit ihm versöhnen kann, bevor es zu spät ist.

"Bella Germania" ist ein Roman, der auf zwei Zeitebenen handelt, wobei der Großteil der Geschichte in der Vergangenheit spielt, was ich besonders interessant fand. Sehr detailreich, aber keinesfalls überfrachtet oder gar ermüdend geschrieben, wird das Zeitgeschehen der 50er-/ 60er-Jahre lebendig eingefangen - egal ob schwärmerisch von Autos, Mode oder von Gerichten wie Toast Hawaii, der für den "Feingeschmack" mit Fondor gewürzt wird, die Rede ist. Aber auch die ernüchternde Wirklichkeit, wenn sich die italienischen Gastarbeiter in Deutschland alles andere als wie Gäste behandelt fühlen und von den strengen Regeln der Deutschen, ihrer Kinderfeindlichkeit und abschätzigen Art irritiert sind. Amüsant dagegen ist, wie die 1968er-Studenten sich mit der unterdrückten Klasse der Arbeiter solidarisch zeigen und die Einwanderern als Untermieter aufnehmen.

Erzählt wird die Geschichte einer großen deutsch-italienischen Liebe, die aber aufgrund nationaler Grenzen, Familientradition und Angst vor der eigenen Courage keine glückliche Zukunft hatte. Es geht um die italienische Familie Marconi, die von Sizilien nach Norditalien umgesiedelt ist, um dort vom wirtschaftlichen Aufschwung der Automobilbranche zu profitieren und letztlich noch weiter nach Norden, nach Deutschland ausgewandert ist, um dort als Gastarbeiter ihr Glück zu versuchen.

Es ist eine berührende Geschichte mit bewegenden Schicksalen, die sehr authentisch erzählt wird. Mir haben die unterschiedlichen, individuellen Protagonisten, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart gut gefallen. Unweigerlich fiebert man mit, wie sie die Herausforderungen in Italien, aber vor allem auch in Deutschland meistern und ob sie dort ihr privates und berufliches Glück finden werden.

Der Roman handelt von den deutsch-italienischen Beziehungen - sowohl in politischer als auch zwischenmenschlicher Sicht - die von Vorurteilen geprägt waren, aber auch um Fragen der Herkunft und der eigenen Wurzeln, um Hoffnungen und große Erwartungen, die mit der Wirklichkeit nicht mithalten konnten und letztlich um zerstörte Träume von Reichtum, der eine stolze Rückkehr nach Italien ermöglicht hätte. Stattdessen wurden Provisorien in Deutschland zur Normalität und die Heimatlosigkeit und Entwurzelung über die Generationen hinweg spürbar.

"Bella Germania" ist ein spannender Familienepos, der empathisch geschrieben ist und sich über mehrere Jahre erstreckt. Der Leser erhält dabei einen sehr interessanten Einblick in die deutsch-italienische Geschichte - von der Nachkriegszeit und dem aufkommenden Wirtschaftswunder und in die Situation der italienischen Gastarbeiter, vom Erfolg und Niedergang der (italienischen) Autoindustrie bis hin zum linksextremistischen Terror in Deutschland. Auf beiden Zeitebenen, in beiden Ländern und in Bezug auf alle Generationen konnte mich der Roman trotz seines Umfangs durchweg fesseln.