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Veröffentlicht am 10.09.2018

Die Antwort auf das Warum

Mit der Faust in die Welt schlagen
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Mit der Faust in die Welt schlagen ist ein Roman, der thematisch nicht treffender in das aktuelle Zeitgeschehen passen könnte. Die Nachrichten, die Gespräche – sie werden beherrscht durch Themen wie Rassismus, ...

Mit der Faust in die Welt schlagen ist ein Roman, der thematisch nicht treffender in das aktuelle Zeitgeschehen passen könnte. Die Nachrichten, die Gespräche – sie werden beherrscht durch Themen wie Rassismus, Demonstrationen, Ausschreitungen – zu Recht wird darüber geredet. Auch Bücher widmen sich dem Thema, so wie Lukas Rietzschels Debütroman.
Doch Mit der Faust in die Welt schlagen ist etwas anders. Literarisch ein wunderbar geschrieben Roman und zeitgleich politisch relevant. Er handelt von Tobias und Philipp, zwei Brüder, die in der ostsächsischen Provinz aufwachsen. Und Rietzschel macht aus ihnen eine Antwort, die gerade die Tage nach Chemnitz in vielen Köpfen rumschwirrt. Wie entsteht Rassismus? Wie wird man fremdenfeindlich? Warum entwickelt man solche Ansichten? Mit der Faust in die Welt schlagen versucht darauf eine mögliche Antwort zu geben, in dem Es um zwei Brüder geht, die in drei Abschnitten geteilt durch die Jahre 2000 bis 2015 begleitet werden. Vom 9/11 bis zum Dresdener Hochwasser zur Flüchtlingskrise – all dies erleben die Beiden mit, lässt sie zweifeln, formt sie zu dem was sie am Ende werden.
Hier gibt es natürlich keine Universalantwort. Aber die nüchterne und schonungslose Schilderung des Lebens in dem sächsischen Dorf gibt jedoch Aufschluss. Es wird nichts beschönigt, kein Verständnis erzeugt, sondern ohne viel Gefühl geschildert. Die beiden Jungs haben eine triste Kindheit, vorgezeichnete Wege durch Lehrer, die schon ihren Eltern nichts zu trauten. Über viele Enttäuschungen, viel Wandel im Dorf – die einzige Schule wird geschlossen, die Firmen machen dicht, die Zukunft ist beängstigend. Zeitgleich kommen immer mehr Flüchtlinge in die Gegend – Meinungen werden gebildet, Ahnung hat gefühlt keiner, doch sich zusammenzuscharren gibt Hoffnung. Gemeinsam gegen etwas sein.
Wie gesagt – eine Antwort ist es nicht, aber so wie Rietzschel es schildert – auf seine nüchterne, neutrale Art –, wirkt es logisch. Schonungslos logisch und traurig. Jede Entwicklung des Romans wirkt erschreckend folgerichtig, auch, dass die beiden Brüder bei den örtlichen Nazis landen, weil es dort eine Art „Zusammenhalt“ gibt und eben auch Bier. Und was noch als Dummheit beginnt, wird schnell ernster, gefährlicher und radikaler. Ehe sich einer versieht, ist zumindest einer der Brüder tiefer in der Szene als er es selber sieht. Denn es ist doch „nur Spaß“ und „man muss doch was tun“.
Die Figuren sind gut konstruiert und die Geschichte stimmig. Wenn das Buch mal beendet ist, lässt es einen noch lange über die einzelnen Handlungsstränge und Geschehnisse nachdenken und immer noch, während ich hier noch schreibe, fällt mir eine Kleinigkeit neu auf, die dramaturgisch wahnsinnig gut platziert wurde.
Gerade in Anbetracht des aktuellen Bezug kann ich das Buch nur händeringend empfehlen.

Veröffentlicht am 19.03.2018

Eine echte Perle der aktuellen Jugendromane

Nackt über Berlin
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Fetti und Fidschi – klingen wie zwei Antihelden aus einem Zeichentrickfilm, sind aber eigentlich Jannik und Tai. Jannik hat ein bisschen mehr auf den Rippen, hat eine ausgeprägte Affinität für klassische ...

Fetti und Fidschi – klingen wie zwei Antihelden aus einem Zeichentrickfilm, sind aber eigentlich Jannik und Tai. Jannik hat ein bisschen mehr auf den Rippen, hat eine ausgeprägte Affinität für klassische Musik… und für seinen besten Freund Tai. Den findet man nicht ohne seine Kamera mit der er alles um sich herum aufnimmt.
So auch ihren Rektor, der ihnen eines Nachts betrunken auf der Straße begegnet und den sie kurzum in seiner eigenen Wohnung einsperren. Doch schon nach kurzer Zeit wird aus dem Spaß Ernst, denn der Rektor scheint etwas mehr über einen Todesanfall an der Schule zu wissen, als er je zugeben hat. Plötzlich wird aus dem jugendlichen Scherz eine ernste Sache, doch für beide verschwimmen schnell die Grenzen, was machbar ist oder nicht.
„Nackt über Berlin“ ist ein skurriler, zunächst lustiger Jugendroman, jedoch setzt sich Alex Ranischs Geschichte bei Weitem von anderen Coming-of-Age-Spartengenossen ab. Es gibt viel Wortwitz, viel schmunzeln, denn Tai und Jannik sind ein paar Unikate, die einem schnell ans Herz wachsen. Doch neben den Streichen, der aufkeimenden Liebe von Jannik zu Tai und den Geständnissen ihres Rektors, gibt es auch viele Momente zum Innehalten. Denn wir haben hier nicht einfach nur eine lustige Geschichte, sondern auch Charaktere, die einfach passen. Jannik ist so unsicher, zeitgleich so herzlich und so unbedarft, dass man nicht nur für ihn mit Tai mitfiebert, sondern gänzlich all seine Unsicherheiten versteht: zu dick, zu alternativ, zu anders – wir alle haben uns schon einmal so gefühlt. Zeitgleich sitzt in einer abgeschlossenen Wohnung der gefallene Rektor: Vom angesehenen Vorbild zum jämmerlichen Alkoholiker, der sich um Kopf und Kragen redet. Doch auch hier – es ist nicht nur zum Lachen, schneller als man denkt hat man Mitleid mit Herrn Lamprecht, versteht seine Zwickmühle und beneidet ihn keineswegs um seine zwischenmenschlichen Baustellen.
Daher ist Nackt über Berlin eine kleine besondere Perle. Ein verdammt gut geschriebenes Buch, mit genügend Tiefe um in Erinnerung zu bleiben, mit genug Witz zum Lachen und Figuren, die einem ans Herz wachsen.

Veröffentlicht am 18.08.2017

Zack - der neue Harry Hole

Die Fährte des Wolfes
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Ein außerordentlich blutiger Mordfall, ein belasteter Ermittler und schon haben wir das perfekte Rezept für einen skandinavischen Krimi, das den Erfolg quasi gepachtet hat. Harry Hole, Jo Nesbos Polizist, ...

Ein außerordentlich blutiger Mordfall, ein belasteter Ermittler und schon haben wir das perfekte Rezept für einen skandinavischen Krimi, das den Erfolg quasi gepachtet hat. Harry Hole, Jo Nesbos Polizist, ist schwerer Alkoholiker, Hjorth und Rosenfeldts Sebastian Bergmann ist durch den Verlust seiner Familie ein Fall für jeden Therapeuten und auch Henning Mankells Wallander reiht sich perfekt in diese Riege ein. Gerade die Polizisten, Berater oder Agenten, die ihr eigenes Päckchen mit sich herumschleppen, die Alkoholiker, schwer traumatisiert oder beziehungsunfähig sind, sind ein Garant für skandinavische Kriminalliteratur. Der Aufmarsch der Antihelden ist kaum zu bremsen und wir alle lieben sie.

Kallentoft & Luttemann haben für ihren ersten Roman Die Fährte des Wolfes genau aus diesem Ideenpool geschöpft und Zack Herry ins Rennen geschickt. Trotz seiner Position in einer Sonderkommission der Stockholmer Polizei, zieht es Zack nächtlich in die Clubs der Stadt. Dort gibt er sich in einer wilden Mischung aus Musik und Kokain hin, die schon die internen Ermittler auf den Plan gerufen hat. Doch zunächst muss er sich um den aktuellen Fall kümmern, in dem mehrere thailändische Frauen kaltblütig ermordet wurden. Trotz Schlafmangel, einiger Drogenexzesse und seiner kontraproduktiven Beziehung findet Zack mit seiner Partnerin Deniz Spuren, die auf viel größere Ausmaße hindeuten. Plötzlich stehen sie vor rivalisierenden Banden, Frauenhandel und mächtigen Geschäftsleuten…

Zack Herry ist sicherlich kein einfacher Protagonist, aber so haben ihn Kallentoft & Luttemann für ihr Debüt auch nicht konzipiert. Trotzdem funktioniert der junge Polizist wunderbar in seiner Rolle. Man merkt wahrlich, dass beide Autoren zwar mit diesem Werk gemeinsam debütieren, aber schon den einen oder anderen Krimi eigenständig verfasst haben. Die Welt und Menschen um Zack sind stimmig und passen perfekt zu seiner Geschichte. Da ist Deniz, seine Partnerin, die versucht ihn auf den richtigen Weg zu führen und ihn in der „realen“ Welt zu verankern. Da ist aber auch Abdula, der Freund aus Kindheitstagen mit dem er auf dem Klo eines Clubs Koks durch McDonalds-Strohhalme zieht. Trotzdem ist die Geschichte von Kallentoft & Luttemann nicht so einfach in schwarz & weiß zu halten. Auch mit Deniz übertritt er die ein oder andere Grenze, in dem sie Zeugen unter Druck setzen, ihre Arbeit bis ans Limit ausführen, während Abdula zeitgleich nicht nur der Drogenfreund ist, sondern Zack in allen Lebenslagen zur Hilfe eilt. Auch weitere Charaktere, wie das Nachbarskind Ester, die Schutz in Form von Zack sucht und zeitgleich für sein eigenes kindliches Ich steht, haben wahnsinnig viel Tiefe und Bedeutung erhalten, so dass jedes Kapitel ein reiner Genuss war.

Das Buch hat Tiefgang und ist gespickt mit vielen kleinen Nebengeschichten, die sich parallel zur Geschichte bis ans Ende entwickeln. Sei es die Geschichte über Zacks Mutter, in der sicherlich die Wurzel all der nächtlichen Ausflüge liegt oder auch die des mysteriösen Chefs, den man immer wieder von gut auf böse verschiebt. Das macht das Buch erinnerungswürdig, voller Inhalt und lebendig. Leider kann man auf 450 Seiten nicht allen losen Fäden gerecht werden, so dass nach der letzten Seite noch offene Fragen zurück blieben. Manche relevant, manche nicht. Das hat keinesfalls das Lesevergnügen geschmälert, doch trotz allem entstand ein rastloses Gefühl, da das Ende sehr temporeich ablief.

Doch trotz kleiner Schwächen war die Fährte des Wolfes mit Sicherheit die größte Überraschung auf dem Krimimarkt. Für ein Debütroman ein wahrlich gelungenes Werk, mit aktuellen Themen, spannenden Irrungen und Wirrungen und einem Protagonisten, der den Originaltitel des Buches definitiv verdient hatte. In der schwedischen Ausgabe ziert nämlich nur sein Name „Zack“, das Cover des Buches. Denn auch, wenn es einen Fall gibt, der spannender nicht sein könnte, so ist Zack der wahre Held oder auch Antiheld des Buches.

Veröffentlicht am 09.06.2017

Von Eiscreme bis Moby Dick

Yummy Books!
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Von skaramel
Kann man sich in ein Buch verlieben? Sogar in ein Kochbuch?
Wenn ja, dann ist es gerade passiert und ich habe mich unsterblich in „Yummy Books“ von Cara Nicoletti verliebt. Diese vereint ...

Von skaramel
Kann man sich in ein Buch verlieben? Sogar in ein Kochbuch?
Wenn ja, dann ist es gerade passiert und ich habe mich unsterblich in „Yummy Books“ von Cara Nicoletti verliebt. Diese vereint die, meines Erachtens, zwei wichtigsten Dinge im Leben: Literatur und Kochen. Das klingt doch für mein kleines Germanistenherz wie die beste Erfindung aller Zeiten.

Gewitzt hat sie ihr Kochbuch aufgeteilt zwischen Kindheit, Jugend und dem Erwachsenenalter und führt uns durch die Literatur dieser Zeit. Hier finden wir alles: Moby Dick, Der Fänger im Roggen, aber auch das moderne Gone Girl. Um ihrer literarischen Liebe noch mehr Ausdruck zu verleihen, genügt es Nicoletti nicht, die Gerichte passend zu ihren Romane weiterzugeben, sondern verbindet diese mit ihren wahrlich gut geschriebenen Essays, die uns quer durch ihr Leben führen und uns verstehen lassen, wieso welches Buch an der ausgewählten Stelle steht.

Auch die Aufmachung erhält von mir nichts als Anerkennung. Endlich mal ein anderes Format, damit sich das Kochbuch nicht nur inhaltlich von den ganzen Genrenachbarn abhebt. Es wirkt eher wie ein kostspieligerer, trendiger Roman weniger wie ein Buch in dem wir die neusten veganen Rezepte finden. Wo wir aber schon bei fanatischen Veganismus sind –sich in Zeiten von Quinoa und Räuchertofu mit einem riesigen Stück Fleisch auf der Schulter ablichten zu lassen, das zeugt von Mut und Selbstvertrauen. Sehr sympathisch – zumal sie ja das Kind einer Metzgerfamilie ist und mit dem Buch genau zeigt, wer sie ist.

Einen kleinen Kritikpunkt, den gibt es doch: die Bilder. Durch ihr Talent zu schreiben hat Cara ihr Hauptaugenmerk gefühlt auf ihre Texte gelegt. Die Gestaltung des Buches ist simpel, was aber zu ihrer ganzen Art wirklich passt. Trotzdem fehlen mir ab und an ein paar Bilder zu den Rezepten. Natürlich können wir uns bei den Cookies und bei der Eiscreme vorstellen wie diese Gerichte auszusehen haben, aber bei manchen hätte ein visueller Anreiz gut getan. Trotzdem tut es dem Lese- und Kochvergnügen kein Abbruch, hätte aber den allgemeinen Eindruck vielleicht noch etwas hochwertiger gemacht. Jedoch glaube ich, dass Nicoletti bewusst eine bestimmte Zielgruppe ausgewählt hat und hiermit nicht den Massenmarkt bedienen möchte.

Wer also Lust auf Blinis, Eiscreme aus Malzmilch und ein schönes Steak hat oder einfach eine kleine Reise durch die Literatur machen möchte, der wird bei Cara Nicoletti gut aufgehoben sein.

Veröffentlicht am 16.09.2021

Endlich wieder ein guter Schreiber

Der Mauersegler
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Da liegt er nun, der dritte Roman von Jasmin Schreiber. Mit Mariannengraben hat sie sich in mein Herz geschrieben, mit Abschied von Hermine grenzenlos enttäuscht.
Nun liegt „Der Mauersegler“ vor mir, ...

Da liegt er nun, der dritte Roman von Jasmin Schreiber. Mit Mariannengraben hat sie sich in mein Herz geschrieben, mit Abschied von Hermine grenzenlos enttäuscht.
Nun liegt „Der Mauersegler“ vor mir, der an nur einem Vormittag gelesen wurde und das Vertrauen in Schreibers Schreibkünste wiederhergestellt hat. So hat sie hier wieder vertrautes Terrain betreten. Ähnlich wie bei „Mariannengraben“ geht es um den Tod, um Schuld und um Trauerarbeit, jedoch auf eine andere Art und Weise. Während ihr erster Roman wie ein traurig-schöner Roadtrip-Roman war, ist der Mauersegler viel ernsthafter und auch düsterer.
Es geht um Prometheus, der als Arzt seinen krebskranken besten Freund behandelt. Er verliert sich irgendwo zwischen der Behandlung, Rationalität, Emotionalität und folgenschweren Entscheidungen. Der einzige Ausweg: die Flucht, die ihn weinend nach Dänemark verschlägt, wo er durch Zufall auf ein altes, lesbisches Pärchen trifft, die einen Pferdehof betreiben. Obwohl Prometheus panische Angst vor Pferden hat und die alten Frauen eher grimmig sind, scheint all dies ihm bei seiner Trauerbewältigung und dem Schuldbekenntnis zu helfen.
Während die Protagonisten in Mariannengraben sympathisch, warmherzig und liebenswert waren, ist Prometheus vor allem eins: ein Arschloch. Man mag ihn nicht. Er wirkt unsympathisch, narzisstisch und vor allem egoistisch. Auch wenn seine Trauer, seine Gedanken und seine Schuldgefühle nachvollziehbar und vor allem auch begründet sind, ist Prometheus vielleicht nicht der beste Protagonist, tut aber seinen Dienst. Er bringt den Leser in ein tiefes, düsteres Tal aus Gedanken und Gefühlen, die besser gar nicht beschrieben hätten werden können.
Der Mauersegler ist ganz anders als erwartet und vielleicht nicht das Highlight wie Mariannengraben. Trotzdem ein wunderbares, vor allem gut geschriebenes, Buch. Schreiber kann eben schreiben, den Leser abholen und nebenbei immer wieder mit kleinen Fakten, die man nie vergisst, punkten. Lesenswert. Absolut.

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