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Veröffentlicht am 04.12.2020

Gänsehaut-Feeling

Das Seidenraupenzimmer
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Schon als Kinder geben sich Natsuki und ihr Cousin Yu ein Eheversprechen und schwören, zu "überleben, egal, was passiert." Beide Kinder haben es in ihren Familien schwer; sie wollen ihre Verwandten zufrieden ...

Schon als Kinder geben sich Natsuki und ihr Cousin Yu ein Eheversprechen und schwören, zu "überleben, egal, was passiert." Beide Kinder haben es in ihren Familien schwer; sie wollen ihre Verwandten zufrieden stellen, scheinen aber nie deren Ansprüchen zu genügen. Glücklich sind sie nur, wenn sie in den Ferien Zeit miteinander verbringen können. Hier im Haus der Großeltern befindet sich das geheimnisvolle Seidenraupenzimmer, in dem einst Seidenraupen gezüchtet wurden. Und wie sich diese Raupen in seidigen Kokons verpuppen, so ziehen sich auch Natsuki und Yu in eine Fantasiewelt zurück, fühlen sich als ausgesetzte Außerirdische.
Aus Natsukis Sicht schildert die Autorin Sayaka Murata bildhaft und äußerst drastisch die Vorgänge. Es ist schmerzhaft für den Leser zu sehen, wie wenig sich die Erwachsenen bemühen, ihre Kinder zu verstehen, und wie sehr sie sich dafür engagieren, sie in die „Fabrik“, wie Natsuki die Stadt und ihre Gesellschaft nennt, zu integrieren. Sogar, als beide selbst schon erwachsen sind, nehmen sie Einfluss. Jeder der beiden jungen Leute versucht sich auf eine andere Weise den Anforderungen der Umwelt zu entziehen. Natsuki tut das, indem sie den Schein einer bürgerlichen Ehe mit Tomobi zu wahren sucht, der - ebenso wie sie - nicht einfach funktionieren will, wie es von ihm erwartet wird. Zu dritt flüchten sie in das Großelternhaus und leben dort allein, nach eigenen Regeln, die sich immer abstruser und kompromissloser gestalten. Aber so einfach lässt sich die Familie nicht abschütteln...
Murata zeigt ohne zu beschönigen, wie stark in Japan Werte wie Tradition, Leistung, Anpassung hochgehalten und die Interessen des Individuums den gesellschaftlichen Erwartungen untergeordnet werden. Ein Roman, der regelrecht Gänsehaut verursacht!

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Veröffentlicht am 22.11.2020

Gegen das Vergessen

Die Schweigende
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Wer ist Peter? Imke hat keine Ahnung und ist unsicher, wie sie den Wunsch ihres sterbenden Vater erfüllen soll, jenen rätselhaften Peter zu suchen. Als sie ihre Mutter Karin um Rat fragt, weicht diese ...

Wer ist Peter? Imke hat keine Ahnung und ist unsicher, wie sie den Wunsch ihres sterbenden Vater erfüllen soll, jenen rätselhaften Peter zu suchen. Als sie ihre Mutter Karin um Rat fragt, weicht diese aus und flüchtet sich in Schweigen - so, wie sie es ihr Leben lang getan hat. Doch Imke forscht weiter und kommt einem schrecklichen Geheimnis auf die Spur.
In ihrem neuen Roman führt Ellen Sandberg mit ihrer ruhigen, leichten Schreibart ihre Leser/innen an ein Thema heran, das lange im Verborgenen blieb, doch nicht vergessen wurde und in letzter Zeit wieder in den Fokus des öffentlichen Interesses rückt: es dreht sich um zahlreiche Missbrauchsvorwürfe gegen kirchliche und staatliche Heimerzieher. Sandberg geht es vor allem die Moralvorstellungen und Erziehungsmethoden, wie sie bis in die 70er Jahre üblich waren, und deren oft sadistischer Ausnutzung. Vor allem in den Kinderheimen konnten sich solche „Pädagogen“ unter dem Deckmantel einer „strengen Erziehung“ austoben. Welche Konsequenzen die psychische und physische Gewalt für ihre Zöglinge (und auch deren Nachkommen) hatte, erzählt die Autorin in ihrer Familiengeschichte von Karin und ihren drei Töchtern. Lebendig und eindrücklich beschreibt sie Imkes beharrliche Suche und die Probleme, mit denen sie sich auseinandersetzen muss. Natürlich wird ein Roman allein nicht diesem heiklen Thema gerecht, doch er lenkt einmal mehr die Aufmerksamkeit darauf und wirkt damit dem Vergessenwerden entgegen.

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Veröffentlicht am 10.11.2020

Historie trifft Moderne

Ein weißer Schwan in Tabernacle Street
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Seit etlichen Jahren verbucht Ben Aaronovitch viel Erfolg mit seiner Serie um mysteriöse (Mord-)Fälle in London und den magisch begabten Polizisten Peter Grant.
In seinem neuen Roman greift der Autor ...

Seit etlichen Jahren verbucht Ben Aaronovitch viel Erfolg mit seiner Serie um mysteriöse (Mord-)Fälle in London und den magisch begabten Polizisten Peter Grant.
In seinem neuen Roman greift der Autor die Idee einer „Analytical Engine“ auf, die Ada Lovelace bereits im 19. Jahrhundert entwickelte, und lässt im modernen Computerzeitalter zwielichtige Gestalten damit experimentieren. Grant, diesmal als Undercoveragent bei der Serious Cybernetics Corporation tätig, ermittelt auf seine gewohnt saloppe Art. Aber seine Gegner sind nicht zu unterschätzen…
Wie schon in den früheren Büchern kommen wir auch in seinem neuen Kriminalroman in den Genuss von Aaronovitchs trockenem, recht schwarzen Humor, mit dem er seine Geschichten würzt. Der locker geschriebene Mix aus Krimi, Magie und Zeitgeschichte ist nicht so ohne weiteres in eine Schublade einzuordnen; auf der einen Seite erzeugt der Autor viel Spannung, auf der anderen Seite lässt er ebenso viel Ironie und Spitzen einfließen. Und während wir Leser dem sympathischen Protagonisten bei seinen Ermittlungen folgen, bleiben uns am Ende doch noch ein paar offene Fragen zum Spekulieren, denn wir „...wären überrascht, wie oft die Polizei einen Fall nicht bis in die letzten Details lösen kann.“
Ein echtes Lesevergnügen!

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Veröffentlicht am 26.10.2020

Was bleibt?

Was dir bleibt
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Das Leben auf Rädern spielte einst eine wichtige Rolle in Gladys´ Leben, und so ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass sie gegen Ende ihres Daseins noch einmal eine Eisenbahnreise macht - allerdings, ...

Das Leben auf Rädern spielte einst eine wichtige Rolle in Gladys´ Leben, und so ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass sie gegen Ende ihres Daseins noch einmal eine Eisenbahnreise macht - allerdings, ohne sich von ihren Freunden und Bekannten zu verabschieden. Ein Rätsel für die Zurückgebliebenen: Will Gladys ihre einzigartige Kindheit noch einmal nachvollziehen? Oder ist sie auf der Suche nach etwas völlig anderem?
Bedächtig, ohne Eile gestaltet die kanadische Schriftstellerin Jocelyn Saucier ihren Roman um die 76 Jahre alte Gladys Comeau, die völlig unerwartet ihr bisheriges Leben ebenso wie ihre lebensuntüchtige Tochter hinter sich lässt.
Die Autorin wählt eine (zunächst) unbeteiligte Person, einen Lehrer, der die Vorgänge nüchtern recherchiert und seine Erkenntnisse in ruhigem, um Sachlichkeit bemühten Ton dem Leser vorträgt. Geschickt vermeidet sie so jegliche Sentimentalität, die sich ansonsten in ihre Erzählung einschleichen könnte. Einzig aus seinem Blickwinkel lesen wir den Bericht, der im Verlauf seiner Ermittlungen etwas an Distanz verliert. Sauciers schöner, bildreicher Schreibstil macht das Lesen zu einem Vergnügen und lässt die eigentliche Thematik des Romans, die Frage nach dem "Was dir bleibt", beinahe vergessen. Eine schlüssige Antwort hierauf gibt Saucier nicht, die muss jeder Leser für sich selbst finden; denn vermutlich lautet sie für jeden Menschen etwas anders.


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Veröffentlicht am 15.10.2020

Ein außerordentlich erfolgreiches Debüt ...

Meine Schwester, die Serienmörderin
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… ist Oyinkan Braithwaites "Meine Schwester, die Serienmörderin": ihr erster Roman hat bereits den britischen Preis „Crime & Thriller Book of the Year“ 2020 gewonnen.
Für ihren Erstling hat die Autorin ...

… ist Oyinkan Braithwaites "Meine Schwester, die Serienmörderin": ihr erster Roman hat bereits den britischen Preis „Crime & Thriller Book of the Year“ 2020 gewonnen.
Für ihren Erstling hat die Autorin ein Thema aus dem Kriminalgenre gewählt. Es geht um zwei sehr unterschiedliche Schwestern. Die ältere, Korede, ist Krankenschwester von Beruf, zwar nicht hübsch, aber äußerst verantwortungsbewusst; die jüngere Ayoola ist eine Schönheit, die jedoch keine Empathie zu haben scheint. Ihr ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein und der Beschützerinstinkt ihrer Schwester gegenüber zwingen Korede, Dinge zu tun, die ihr Gewissen belasten. Ihr kommt zwar der Gedanke, aus diesem Muster auszubrechen, doch letztendlich erweist sich, dass „Blut dicker als Wasser“ ist.
Braithwaites Roman dreht sich jedoch nicht nur um Bluttaten und deren Verschleierung. In sehr unterhaltsamer Weise webt sie soziale Aspekte ein, wie sie in der nigerianischen Gesellschaftsstruktur zu finden sind. In sachlicher, schnörkelloser Sprache deutet sie immer wieder an, aus welchem Grund die so verschiedenen Schwestern bei aller Rivalität solidarisch sind. Sarkastisch nimmt sie das Patriarchat aufs Korn. Auch zwischen den Zeilen findet der aufmerksame Leser Hinweise, die Charakter und Handlungsweise der Schwestern erklären können. Insgesamt bietet ihr Roman einen unterhaltsamen Mix aus Krimi und Familienroman, mit Anklängen an eine Liebesgeschichte und etlichen überraschenden Wendungen.

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