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Veröffentlicht am 30.06.2019

Mit Herz und Verstand

Die Unausstehlichen & ich (Band 1) - Das Leben ist ein Rechenfehler
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„Ich kann nicht die Wahrheit sagen und dabei nicht fluchen.“ Enni Alser, elf Jahre jung, hat keine Familie. Wer kann ihr verdenken, dass sie ihre Hochs und Tiefs mit (unkontrollierten) Wutanfällen und ...

„Ich kann nicht die Wahrheit sagen und dabei nicht fluchen.“ Enni Alser, elf Jahre jung, hat keine Familie. Wer kann ihr verdenken, dass sie ihre Hochs und Tiefs mit (unkontrollierten) Wutanfällen und Fluchen kommentiert, bei dem, was sie schon alles erlebt hat? Doch als ihre aktuellen Pflegeeltern mit ihrem leiblichen Sohn Noah von Berlin in die Schweiz umziehen und Enni nicht mitnehmen können oder wollen, trifft es nicht nur sie selbst, auch ihr Pflegebruder Noah will das nicht akzeptieren. Noahs Vorhaben, mit Enni auszureißen, geht allerdings schief, und Enni landet in einem Halbinternat, weit ab von jeder Ortschaft. Natürlich feilt die pfiffige Enni an einem neuen Plan, wieder zu Noah zu gelangen. Doch das funktioniert nicht ohne Hilfe…
Mit Enni Alser hat Vanessa Walder eine Figur geschaffen, die keinen Leser kalt lässt. Auf sich allein gestellt, immer wieder einmal von Pflegeeltern abgewiesen, muss das Kind mit seinen Gefühlen allein zurechtkommen. Doch Enni ist stark und kämpft, ihre Intelligenz und Einfallsreichtum helfen ihr weiter. Nur nicht aufgeben - das können Leser ab 10 Jahren von ihr lernen. Aber auch von anderen Mitspielern des Romans können sie sich positives Verhalten abgucken, etwa, wie sich Kinder mit Behinderungen durchsetzen. Freundschaft und Zusammenhalt spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle in Walders Roman. Wie wir es von der Autorin gewohnt sind, schreibt sie lebendig, jugendlich-flott und sehr anschaulich. Die (häufig vorkommenden) Schimpf- und Fluchwörter sind dabei unleserlich gemacht.
Der zeitgerechte Schreibstil wird unterstützt von zahlreichen Illustrationen aus Barbara Korthues´ Feder. Knapp, beinahe minimalistisch anmutend, geben ihre Zeichnungen den Romanfiguren ihr Gesicht und treffen dargestellte Situationen in ihrem Kern.
Kurz: „Die Unausstehlichen & ich“ bietet nicht nur gute, spannende Unterhaltung, sondern transportiert gleichzeitig wichtige Botschaften an die jungen Leser, ohne zu moralisieren. Wir freuen uns schon auf das nächste Abenteuer von Enni, dem Mädchen mit Herz und Verstand!

Veröffentlicht am 26.05.2019

Wem die Götter gewogen sind

Storm und die Fußballgötter
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„Ich will Seefahrer werden. Wie die Wikinger.“ Zwar fristet der junge Ex-Klosterschüler Storm noch sein Leben als Sklave im wikingischen Reydarfjordurthoft, doch er hat die Chance erhalten, an der großen ...

„Ich will Seefahrer werden. Wie die Wikinger.“ Zwar fristet der junge Ex-Klosterschüler Storm noch sein Leben als Sklave im wikingischen Reydarfjordurthoft, doch er hat die Chance erhalten, an der großen Wikingerprüfung teilzunehmen und als vollwertiges Mitglied in die Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden. Denn als pfiffiger Erfinder des Fußballspiels hat er zur Befriedung des ehemals zweigeteilten Ortes beigetragen und sich auf diese Weise Verdienste erworben (genauer nachzulesen im ersten Band „Storm oder die Erfindung des Fußballs“). Allerdings sind die Prüfungsaufgaben nicht so einfach zu bewältigen, und Storm hofft auf etwas Hilfe von Seiten der fußballbegeisterten Götter unter Thors Leitung. Doch dann wird Vigdis, die Tochter des Häuptlings Holgar des Haarigen, von Ulverborgs Kriegern entführt und Storm bekommt wieder einmal Gelegenheit, Mut und Erfindungsreichtum zu beweisen…
Bild und Text dieses fantasievollen Buches sind optimal aufeinander abgestimmt. Teils in den Text integriert, teils über eine ganze Seite angelegt, geben die witzigen farbigen Illustrationen wunderbar die Stimmung der Geschichte wieder. Überaus lebendig erzählt Jan Birck, wie erfolgreich Storm, dem es vielleicht an Körperkraft mangelt, seine Ziele mit Kreativität, Mut und Entschlossenheit verfolgt. Dabei geht es wikingermäßig wild und ungestüm zu, spannend, aber immer mit reichlich Humor versetzt. Der Leser kann sich ein Lachen nicht verkneifen, wenn hier von dem schlitzäugigen Schamanen so ganz nebenbei neue Fußballregeln erfunden werden. Oder handelt es sich etwa um göttliche Eingebungen?
Nicht nur fußballbegeisterte Leser werden dieses fröhlich-turbulente Wiedersehen mit dem liebenswerten Storm genießen!

Veröffentlicht am 29.03.2019

Aufwühlende Familiengeschichte

Judas
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Willem Holleeder - diesen Namen kennt man in den Niederlanden gut. Der Schwerkriminelle, zeitweilig gar „König der Unterwelt“ Amsterdams, ist seit seiner Inhaftierung wegen der Entführung des Industriellen ...

Willem Holleeder - diesen Namen kennt man in den Niederlanden gut. Der Schwerkriminelle, zeitweilig gar „König der Unterwelt“ Amsterdams, ist seit seiner Inhaftierung wegen der Entführung des Industriellen Alfred Heineken hier eine Berühmtheit. Nun sagt seine jüngere Schwester Astrid als Belastungszeugin gegen ihn aus; sie beschuldigt ihn mehrerer Morde und Mordaufträge, unter anderem an seinem Schwager und Entführungs-Komplizen Cor van Hout. In ihrem Buch „Judas“ erzählt sie, wie sie und ihre Schwester Sonja dafür über einen langen Zeitraum Beweise in Form von Tonbandaufnahmen gesammelt haben, die sie mit gut verstecktem Mikrofon machten. Möglich war ihnen dies nur, weil Holleeder Astrid vertraute und mit ihr zahlreiche Probleme besprach. Sehr anschaulich beschreibt die Autorin, unter welchen Umständen sie und ihre älteren Geschwister Willem und Sonja in dem Amsterdamer Arbeiterviertel Jordaan aufwuchsen, wie die Verbindung zwischen ihnen funktionierte und welchen Lebensweg jeder einschlug. Sie macht deutlich, wie es dazu kam, dass Willem seine Familie für seine Taten instrumentalisieren konnte.
Doch obwohl ihr Bruder sich im Hochsicherheitsgefängnis befindet, weiß Astrid, dass sie seine Rache für ihren Verrat fürchten muss. Aus dem Zuchthaus heraus gelingt es ihm, Mordaufträge gegen seine Schwestern Sonja und Astrid zu erteilen. Um den Bedrohungen möglichst zu entgehen, musste sie ihr normales (Berufs-)Leben aufgeben und wohnt nun an wechselnden Orten, versteckt und stets in Abwehrbereitschaft. Sie kennt ihren Bruder genau und wendet sich in ihrem Nachwort an ihn: „Der einzige Grund, dass du noch lebst, ist, dass du uns das Leben nehmen willst.“

Veröffentlicht am 29.03.2019

Erschreckende Erkenntnisse

Erbsünde
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Wenn gläubige Christen der Meinung sind, im „Schoß der katholischen Kirche“ an einem Ort der Sicherheit und des Friedens zu verweilen, befinden sie sich in einem großen Irrtum. Ausgerechnet im Vatikan, ...

Wenn gläubige Christen der Meinung sind, im „Schoß der katholischen Kirche“ an einem Ort der Sicherheit und des Friedens zu verweilen, befinden sie sich in einem großen Irrtum. Ausgerechnet im Vatikan, dem Sitz des „Stellvertreters Gottes auf Erden“, konzentrieren sich düstere Geheimnisse: Machtstreben und Geldgier, Geldwäsche und Verbindungen zur Mafia, rätselhafte Tode und sogar Kindesmissbrauch.
Es handelt sich keineswegs um Verschwörungstheorien - der Journalist Gianluigi Nuzzi fordert bereits seit Jahren mehr Transparenz im Kirchenstaat und enthüllt in seinem Buch „Erbsünde“ neue Fakten, die er auch fundiert belegt. Dokumente, die ihm vertraulich zugespielt wurden, sind im Anhang einzusehen.
Unbequeme Fragen, die er stellt, gelten u. a. den Umständen zu dem rätselhaften Verschwinden des Mädchens Emanuela Orlandi im Vatikan in den achtziger Jahren. Ebenfalls ungeklärt ist bis heute die Frage, ob Papst Johannes Paul I tatsächlich ermordet wurde. Und warum ist Papst Benedikt XVI von seinem Amt zurückgetreten? Wieviele seiner Reformpläne konnte er durchsetzen, und welche Widerstände muss Franziskus bekämpfen, um sein „Erbe“ zu reformieren?
Nuzzi spart nicht mit Kritik am Vatikan und seinem Deckmantel der Verschwiegenheit. Er geht der Frage nach, aus welchen Gründen sich so wenig und so langsam im Vatikan ändert. Seine Vision ist düster: „Alle Reformmaßnahmen des Papstes werden unter einem dicht gewebten Netz aus Tod, Geld und Sex unweigerlich im Keim erstickt. Solange es nicht gelingt, sich von dem erpresserischen Sumpf der düsteren, ungeklärten Geschichten zu befreien, wird jeder Veränderungswille, unter welchem Papst auch immer, zum Scheitern verurteilt sein.“
Mein Fazit: „Erbsünde“ ist ein kritisches, akribisch recherchiertes Buch, das sich eingehend mit unbequemen Wahrheiten befasst.

Veröffentlicht am 03.03.2019

Protest in Tagebuchform

Biedermeiern
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„Biedermeiern“ : Ein hübsch aufgemachtes Büchlein mit gesellschaftspolitisch brisantem Inhalt erwartet den Leser: dekoriert mit einem typischen Tapetenmuster der Biedermeierzeit, ganz passend zum Titel, ...

„Biedermeiern“ : Ein hübsch aufgemachtes Büchlein mit gesellschaftspolitisch brisantem Inhalt erwartet den Leser: dekoriert mit einem typischen Tapetenmuster der Biedermeierzeit, ganz passend zum Titel, der sich (im historischen Kontext gesehen) auf den Rückzug des enttäuschten Bürgers aus dem politischen Geschehen ins Privatleben bezieht. Doch so vollständig abgeschottet ist er wiederum nicht; denn ein - wenn auch kleines - Guckloch bleibt als „Spion“ und Verbindung mit der Außenwelt bestehen…
Livia Klingl beschäftigt sich intensiv mit Themen der aktuellen österreichischen Politik seit der Wahl im Oktober 2017. In sozialen Medien wie „fezbuk“, Twitter & Co. reagiert sie auf die täglichen Ereignisse, bezieht Position, protestiert. Mit ihrem neuen Buch „Biedermeiern“ ist nun ein Teil dieser Kommentare in gebundener (Tagebuch-)Form erschienen, es umfasst etwa ein Jahr ihrer Beobachtungen. Wie man es von der „passionierten Realistin“, wie sie sich selbst bezeichnet, gewohnt ist, spart sie nicht an Sarkasmus, wenn sie Seitenhiebe in alle Richtungen austeilt. Recht ironisch lesen sich ihre Reaktionen auf Äußerungen des „Bubenkanzlers“ oder anderer Regierungsmitglieder. Ein zusätzliches Highlight bieten zahlreiche Karikaturen, die den Text begleiten und mit wenigen Ausnahmen von Klingl selbst angefertigt wurden.
Doch nicht nur Politiker nimmt sie kritisch unter die Lupe. Sie macht sich Gedanken über Kontroversen und Ereignisse, welche die Bürger spalten, beschreibt ihre alltäglichen Erfahrungen mit Menschen, denen sie begegnet und teilt ihre Erkenntnisse mit den „fezbuk“-Lesern - manchmal verständnisvoll, manchmal bitterböse, immer kritisch.
In täglichen Twitter-Kommentaren führt die Journalistin und Autorin, die im Jahr 2000 den Österreichischen Staatspreis für „publizistische Leistungen im Interesse der Geistigen Landesverteidigung“ erhalten hat, das „Biedermeiern“ unverdrossen weiter und ermuntert ihre Leser auf unterhaltsame und intelligente Art zum Mit- und Weiterdenken.