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Veröffentlicht am 09.07.2022

Ein humorvoller Coming of Age-Roman und eine Liebeserklärung an das Ruhrgebiet

Der Markisenmann
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Inhalt: Sommer, 2005. Für die Mikullas ist das Maß in Bezug auf die fünfzehnjährige Kim voll. Sie konzentriert sich nicht auf die Schule, ist schon mehrmals sitzen geblieben, klaut und ist für kein Wort ...

Inhalt: Sommer, 2005. Für die Mikullas ist das Maß in Bezug auf die fünfzehnjährige Kim voll. Sie konzentriert sich nicht auf die Schule, ist schon mehrmals sitzen geblieben, klaut und ist für kein Wort offen. Und dann muss auch noch ihr Halbbruder wegen ihr ins Krankenhaus. Kurzerhand schiebt Kims Mutter sie über die Sommerferien ab – zu einem Mann, dem Kim noch nie begegnet ist: ihrem Vater. Der fristet sein Leben als Vertreter alter DDR-Markisen –irgendwo in Duisburg-Meiderich auf einem abseitigen, leicht verwahrlosten Gewerbehof. Für Kim beginnen Sommerferien, die ihr leben verändern werden.

Persönliche Meinung: „Der Markisenmann“ ist ein Coming of Age-Roman von Jan Weiler. Erzählt wird die Handlung retrospektiv aus der Ich-Perspektive von Kim, die sich aus der Gegenwart an die Sommerferien 2005 zurückerinnert. Die beiden Protagonisten, Kim und ihr Vater Ronald Papen, könnten nicht unterschiedlicher sein: Gerade zu Beginn der Handlung ist Kim laut, anspruchsvoll, uneinsichtig und macht einen verwöhnten Eindruck. Roland hingegen ist verhuscht, eigenbrötlerisch und prinzipientreu; gleichzeitig aber auch voller (versteckter) Wärme. Schön gemacht ist die Entwicklung beider Figuren: Je näher sie sich kennenlernen, desto mehr tauen sie auf. Sie lernen voneinander, werden immer sympathischer und zeigen, dass sie das Herz am rechten Fleck tragen. Der Plot ist vergleichsweise simpel: Kim tingelt mit ihrem Vater quer durch das Ruhrgebiet, immer auf der Suche nach einem markisenlosen Balkon. Das DDR-Markisen-Geschäft läuft allerdings so, wie man es sich vorstellt – genau: schlecht –, sodass Kim es sich zur Mission macht, das Geschäft neu anzukurbeln. Auf ihren Fahrten durch den Pott führen Kim und Roland immer wieder humorvolle, schräge und auch tiefschürfende Gespräche. Daneben spielt die Handlung auch auf dem Gewerbehof in Meiderich: Hier freundet Kim sich mit einem Jungen an, der auf dem Schrottplatz nebenan arbeitet, und lernt die Freunde ihres Vaters kennen – allesamt Pott-Originale –, die sich tagtäglich in Rosis Pilstreff wiederfinden. Spannungselemente treten dadurch in die Handlung, dass Roland sich über die Beziehung zu Kims Mutter, den Trennungsgrund und seine Vergangenheit ausschweigt (hierzu gibt es zum Ende des Romans einige überraschende Antworten). So werden in „Der Markisenmann“ viele Themen behandelt: Freundschaft, die erste Liebe, die Vergangenheit der Eltern, die (nicht immer reibungslose) Eltern-Kind-Beziehung, das Eingestehen/Vergeben von Fehlern und das Erwachsenwerden. Weiterhin zeichnet sich der Roman durch eine große Portion Humor aus: Die Handlung wird leicht ironisch von Kim erzählt, es finden sich viele schräge Momente (u.a. das vermutlich epischste Skatturnier, das man in der deutschen Literatur finden kann), skurrile Lebensweisheiten von Roland und aus der Zeit gefallene Figuren. Das Ende des Romans ist schön gefühlvoll. Insgesamt ist „Der Markisenmann“ ein humorvoll erzählter Coming of Age-Roman und eine Liebeserklärung an das Ruhrgebiet.

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Veröffentlicht am 27.06.2022

Ein spannender Krimi mit einem tiefenscharf ausgearbeiteten Protagonisten

Der Mord in der Rose Street
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Inhalt: London, 1881. Als Leo Stanhope in der Apotheke seines Vermieters eine Frau mit zwei Kindern bedient, ahnt er noch nichts Böses. Doch kurze Zeit später wird er von der Polizei abgeholt und zu einem ...

Inhalt: London, 1881. Als Leo Stanhope in der Apotheke seines Vermieters eine Frau mit zwei Kindern bedient, ahnt er noch nichts Böses. Doch kurze Zeit später wird er von der Polizei abgeholt und zu einem Anarchistenclub gebracht. Dort wurde eine notdürftig verscharrte Leiche gefunden – bei der es sich um jene Frau handelt, die kurz zuvor in der Apotheke war. Da sie einen Zettel mit Leos Adresse bei sich trug, rutscht er unfreiwillig in den Kreis der Verdächtigen. Damit allerdings nicht genug: Am Tatort begegnet Leo einer Person, die er noch aus Kindheitstagen kennt: John Thackery, ein junger Adliger, der sich nunmehr für die Interessen der Arbeiterschaft einsetzt – und der für die Mordnacht ein Alibi benötigt. Sollte Leo ihm dies nicht geben, droht er, Leos Geheimnis zu verraten…

Persönliche Meinung: „Der Mord in der Rose Street“ ist ein historischer Kriminalroman von Alex Reeve. Nach „Das Haus in der Half Moon Street“ handelt es sich um den zweiten Band der Leo-Stanhope-Reihe. Den ersten Band habe ich noch nicht gelesen, allerdings hatte ich keine Schwierigkeiten, der Handlung von „Der Mord in der Rose Street“ zu folgen. Der Krimi spielt vor dem Hintergrund der Industrialisierung Englands. Eine wichtige Rolle dabei nehmen die aufkeimende soziale Frage und die Formierung der Arbeiterbewegung ein. Erzählt wird „Der Mord in der Rose Street“ aus der Ich-Perspektive von Leo Stanhope, der eine tiefenscharf ausgearbeitete Figur ist. Leo ist ein Transmann, dessen Gefühlswelt glaubwürdig, lebendig und facettenreich ausgestaltet ist. Neben den Vorurteilen der viktorianischen Gesellschaft/seiner Familie belastet ihn auch die ständige Furcht davor, dass sein biologisches Geschlecht entdeckt wird – was einschneidende Konsequenzen für ihn hätte. Auch hat er permanent das Gefühl, seine Freunde zu belügen: Eigentlich möchte er ihnen von seiner Transidentität erzählen. Gleichzeitig sorgt er sich aber vor deren Ablehnung, weshalb er lieber schweigt. Alex Reeve gelingt es, diese Gefühle schön und stimmig in den Plot des Krimis einzuweben. Die Handlung von „Der Mord in der Rose Street“ ist insgesamt spannend, mehrfach wird man auf falsche Fährten geführt; das Ende trumpft mit einem überraschenden Twist auf. Zwischendurch gibt es einzelne, kleinere Längen, aber diese fallen für mich nicht so sehr ins Gewicht. Auch der Handlungsort des Krimis hat mir sehr gut gefallen: Das viktorianische London mit seinen Gassen, Kutschen und kantigen Figuren wird atmosphärisch dicht beschrieben. Der Schreibstil von Alex Reeve lässt sich flüssig und angenehm lesen. Die Wortwahl und der Satzbau wirken in Bezug auf die Handlungszeit authentisch. Insgesamt ist „Der Mord in der Rose Street“ ein atmosphärischer historischer Krimi mit einer wendungsreichen Handlung und einem Protagonisten, der eine große Tiefenschärfe besitzt.

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Veröffentlicht am 16.12.2021

Eine humorvolle Krimikomödie

Jagdtrieb
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Inhalt: Paul Colossa, ein junger Münchner Rechtsanwalt, erbt nach dem Tod seines Onkels Oscar dessen Anwaltskanzlei in der bayerischen Provinz. Damit verbunden: ein Haus mit einigen Geheimnissen, eine ...

Inhalt: Paul Colossa, ein junger Münchner Rechtsanwalt, erbt nach dem Tod seines Onkels Oscar dessen Anwaltskanzlei in der bayerischen Provinz. Damit verbunden: ein Haus mit einigen Geheimnissen, eine Menge Erwartungen, die an Paul herangetragen werden, und viele Fälle mit unkonventionellen MandantInnen. Wie z.B. Maja, die Tochter eines dubiosen russischen Oligarchen. Maja beauftragt Paul damit, gegen ihren übergriffigen Exfreund ein Kontaktverbot zu erwirken. Doch je mehr Paul sich mit dem Fall beschäftigt, desto stärker wird er auch privat in diesen verwickelt, bis er selbst ins Fadenkreuz gerät…

Persönliche Meinung: „Jagdtrieb“ ist ein Kriminalroman von Hendrik Esch und der erste Band der Reihe um den jungen Rechtsanwalt Paul Colossa. Erzählt wird die Handlung aus der personalen Perspektive von Paul Colossa. Inhaltlich dreht sich der Krimi nicht nur um Majas Fall, sondern er behandelt auch ausführlich das Privat- und Berufsleben von Paul. Eine Besonderheit des Krimis sind die vielen humorvollen Elemente, die sich auf verschiedenen Ebenen durch die Handlung ziehen. So ist zum Beispiel der Protagonist Paul – vielleicht gerade wegen seiner Herzensgüte – stellenweise naiv, unbedarft und verpeilt, weshalb er kein Fettnäpfchen auslässt und sich in die verfänglichsten Situationen verstrickt, wodurch es zu einigen Slapstick-Szenen kommt. Witzig sind auch seine Gedankengänge, in denen er assoziativ, manchmal vom Hölzchen aufs Stöckchen kommend, über Gott und die Welt philosophiert, die Fallstricke des Justizapparats beleuchtet und sie u.a. vor dem Hintergrund des gesunden Menschenverstandes spiegelt. Ebenfalls humorvoll-skurril sind die Figuren, die neben Paul auftreten. Jede Figur besitzt – mindestens – ein bestimmtes Merkmal, durch das sie aus dem Rahmen fällt und für witzige Situationen sorgt. Neben allem Humor kommt aber auch die Spannung innerhalb der Handlung nicht zu kurz. Latent zieht sie sich durch den ganzen Roman, da Oscar einige Geheimnisse mit ins Grab genommen hat, denen Paul schrittweise auf die Spur kommt. Eher konkret ist die Spannung in Bezug auf Majas Fall: Kann Paul das Kontaktverbot erwirken? Ist Maja glaubwürdig? Was hat es tatsächlich mit den übergriffigen Taten auf sich? Die Kapitel von „Jagdtrieb“ sind vergleichsweise kurz. Jedem Kapitel ist überschriftartig eine Begrifflichkeit aus der Jägersprache vorangestellt, die den Inhalt des jeweiligen Kapitels – mal vertrackter, mal offensichtlicher – vorausdeutet, sodass während der Lektüre einige Aha-Momente entstehen. Insgesamt ist „Jagdtrieb“ eine sehr flüssig zu lesende Krimikomödie mit einem liebenswürdig-verpeilten Protagonisten, schrägen Figuren und vielen Slapstick-Momenten.

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Veröffentlicht am 26.09.2021

Eine spannende Horrornovelle

Halloween in Nebelwald
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Inhalt: Halloween steht vor der Tür. Seit einigen Jahren wird dies von den Schüler*innen des örtlichen Berufsbildungszentrums groß gefeiert. Dieses Jahr ist die Location ein verlassenes Fabrikgelände in ...

Inhalt: Halloween steht vor der Tür. Seit einigen Jahren wird dies von den Schüler*innen des örtlichen Berufsbildungszentrums groß gefeiert. Dieses Jahr ist die Location ein verlassenes Fabrikgelände in der Nähe von Nebelwald, einem Nachbarort von Unterwald. Doch die Feier gerät aus dem Ruder und endet ganz anders als geplant. Denn: Die Jugendlichen sind nicht allein auf dem Fabrikgelände…

Persönliche Meinung: „Halloween in Nebelwald“ ist eine Horrornovelle von Maria Winter. Sie spielt in der Welt von „Halloween in Unterwald“ (zeitlich ein Jahr nach den Ereignissen der ersten Horrornovelle). Beide Novellen besitzen eine in sich abgeschlossene Handlung und können daher unabhängig voneinander gelesen werden. In „Halloween in Nebelwald“ gibt es allerdings einen Verweis auf die Vorgängernovelle: Die eigentliche Handlung von „Halloween in Nebelwald“ wird von einer Rahmenhandlung umklammert, in der Figuren aus „Halloween in Unterwald“ auftauchen, was insgesamt eine schöne Reminiszenz für LeserInnen ist, die die erste Novelle kennen. Erzählt wird „Halloween in Nebelwald“ aus drei Perspektiven (Michelle, Stephan und Frank), die jeweils eigene Handlungsstränge besitzen. Michelle ist eine eher introvertierte Schülerin, die mit ihren Freunden an der großen Halloweenparty teilnehmen möchte. Stephan, ein Familienvater, hat finanzielle Probleme und beteiligt sich daher zwangsweise an einer Jagd, die nicht ganz rechtens ist. Frank ist Unternehmer und plant einen Vergnügungspark im Thüringer Wald. Dabei begeht er allerdings einen entscheidenden Fehler. Die Handlungsstränge verlaufen getrennt voneinander, überschneiden sich aber punktuell (durch Orte, Figuren und Gegenstände). Geeint werden die Handlungsstränge zusätzlich durch einen bestimmten Umstand, der für die Handlung wichtig ist, den ich aber zwecks Spoilervermeidung nicht verraten möchte. Die Handlung ist insgesamt rund und besitzt einige Wendungen, die man nicht zwangsläufig erwartet. Innerhalb der Handlung gibt es einige schöne Gruselmomenten und die Handlungsorte (besonders der Freizeitpark) besitzen eine tolle Horroratmosphäre. Der Schreibstil lässt sich sehr flüssig lesen, wenngleich manchmal etwas zu rasch erzählt wird, worunter die Gruselatmosphäre ein bisschen leidet. Aber das fällt für mich insgesamt nicht allzu stark ins Gewicht. Insgesamt ist „Halloween in Nebelwald“ eine gruselige Halloweennovelle, die sich am besten in der kalten Jahreszeit liest, wenn es schon früher dunkel wird und man – sicher vor einem bestimmten, grünen Nebel – im heimischen Sessel sitzt.

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Veröffentlicht am 25.04.2021

Ein zeitloser Klassiker über die Mechanismen des Machtmissbrauchs

Farm der Tiere
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Inhalt: Old Major, ein preisgekrönter Eber, ruft die Tiere der Herrenfarm zu einem Treffen zusammen. Er spüre, dass er nicht mehr lange Leben werde, weshalb er den Tieren seine Weisheiten weitergeben möchte. ...

Inhalt: Old Major, ein preisgekrönter Eber, ruft die Tiere der Herrenfarm zu einem Treffen zusammen. Er spüre, dass er nicht mehr lange Leben werde, weshalb er den Tieren seine Weisheiten weitergeben möchte. In seinem langen, 12-jährigen Leben habe er einiges gelernt. So auch, dass die Tiere unfrei seien und in elender Sklaverei leben. Nur um für den Menschen zu produzieren, der nimmt, ohne selbst etwas zu erzeugen. Im Menschen liege der Grund für das Elend der Tiere, weshalb der Mensch gestürzt werden müsse. Kurz nach seiner Rede stirbt Old Major. Die Revolution beginnt nicht sofort, doch ihre Saat ist gelegt...

Persönliche Meinung: "Farm der Tiere" ist nach "1984" das bekannteste Werk des englischen Schriftstellers George Orwell. Die handelnden Figuren sind die Nutztiere der Herrenfarm, die später in die Farm der Tiere umbenannt wird. Die Tiere werden anthropomorphisiert, wobei einzelnen Tieren eine bestimmte menschliche Eigenschaft (Eitelkeit, Sturheit, Arbeitsamkeit o.Ä.) zugeschrieben wird. Nur in einzelnen - ironisch kommentierten - Szenen scheint ihre tatsächliche Tiergestalt durch. Die Handlung ist durch Verweisstrukturen innerhalb der Handlung schön komponiert. "Farm der Tiere" kann als Parabel auf die Frühgeschichte der Sowjetunion bzw. den Aufstieg des Kommunismus/Sozialismus gelesen werden. So spiegelt die Handlungsstruktur den Aufstieg Stalins wider und einzelne Tiere referieren auf historische (zum Zeitpunkt der Veröffentlichung: zeitgenössische) Persönlichkeiten und Bevölkerungsgruppen. Gleichzeitig kann man "Farm der Tiere" allerdings auch von einer höheren Warte aus betrachten: Jenseits aller Anspielungen auf die Sowjetunion ist "Farm der Tiere" eine politische Fabel, die diktatorische Strukturen von Machtmissbrauch, Manipulation und Propaganda aufdeckt. Ergänzt wird "Farm der Tiere" in der Ausgabe vom Manesse-Verlag durch zwei Paratexte von G. Orwell und einem Nachwort von Eva Menasse. In "Die Pressefreiheit" kritisiert Orwell den von ihm beobachteten Umstand, dass die britische Presse hinsichtlich bestimmter Themen zu einer Selbstzensur neige. Im "Vorwort zur ukrainischen Ausgabe von ,Farm der Tiere'" stellt Orwell sich selbst auf eine ironisch-humoreske Art vor. Hieran knüpft das Nachwort von Eva Menasse an, indem sie detaillierter auf das Leben Orwells eingeht. Außerdem analysiert sie kurz die Parabelstruktur von "Farm der Tiere". Insgesamt ist "Farm der Tiere" ein bündiger Klassiker, dessen Behandlung der politischen Thematik eine zeitlose Relevanz besitzt.

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