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Veröffentlicht am 24.08.2022

Originell, mit einer winzigen Prise Pathos

Die Köchinnen von Fenley
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„Ein Buch wie eine Umarmung“ steht auf der Rückseite dieses Buches. Da ist was dran, ein wenig jedenfalls. Ich hätte vielleicht gesagt: „Ein Buch wie eine warme Decke“, eine Patchworkdecke, englisch, geblümt, ...

„Ein Buch wie eine Umarmung“ steht auf der Rückseite dieses Buches. Da ist was dran, ein wenig jedenfalls. Ich hätte vielleicht gesagt: „Ein Buch wie eine warme Decke“, eine Patchworkdecke, englisch, geblümt, kuschelig, nicht ganz neu, aber angenehm.

Hier geht es wieder um die tapferen Frauen, die im Zweiten Weltkrieg jenseits der Front ums Überleben kämpfen. 1942 sind Lebensmittel in England stark rationiert. Da muss man erfinderisch sein, wenn man trotz allem leckere Gerichte servieren möchte, deshalb ruft die BBC einen Wettbewerb ins Leben: Die Köchin, die aus ihrer Ration das beste Menü zaubern kann, darf Comoderatorin einer bekannten Kochsendung werden. Ein sicherer Job in schwierigen Zeiten lockt die unterschiedlichsten Küchenfeen an den Herd.

Audrey, Zelda, Nell und Gwendoline haben alle ganz eigene Sorgen und einen guten Grund, diesen Wettbewerb gewinnen zu wollen. Man lernt sie gut kennen, sie sind alles taffe Frauen, aber nicht jede weckt auf Anhieb Sympathien. Trotzdem raufen sie sich zusammen. Das ist schön und macht ein Buch über Krieg und Entbehrungen doch irgendwie kuschelig.

Als Zugabe bekommen wir noch zu jeder Situation das passende Kochrezept nebst Entstehungsgeschichte. Das ist hoch interessant und auch witzig. Manche davon sind gewöhnungsbedürftig, manche aber auch sehr spannend. Nells scharf angebratener Hase mit Holunderweinsauce oder Audreys Pilzsuppe muss ich unbedingt mal ausprobieren, oder auch Mrs. Quince‘ Kuchen für besondere Anlässe, den liebt einfach jeder.

Dieses Buch ist ein wunderbarer Schmöker, der mal eine etwas andere Kriegsgeschichte erzählt, unterhaltsam, anrührend, originell und in schöner Sprache dargeboten. Die kleine Prise Pathos verzeihe ich ihm gerne.

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Veröffentlicht am 13.07.2022

Mehr als eine Familiengeschichte

An den Ufern von Stellata
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Diese umfangreiche Familiengeschichte beginnt im Jahr 1800 mit Giacomo Casadio, der die schöne Viollca heiratet, die mit dem fahrenden Volk nach Stellata kam. Eigentlich dachte man, die passende Frau für ...

Diese umfangreiche Familiengeschichte beginnt im Jahr 1800 mit Giacomo Casadio, der die schöne Viollca heiratet, die mit dem fahrenden Volk nach Stellata kam. Eigentlich dachte man, die passende Frau für ihn gäbe es gar nicht, aber Viollca war da anderer Meinung.

Seitdem haben die Mitglieder der Familie entweder überraschend blaue Augen oder tiefschwarzes Haar und immer wieder hat jemand besondere Fähigkeiten, ist hellsichtig wie Viollca oder kann mit Toten sprechen. Noch Generationen später stellen sie alle ein Schälchen Milch für die Schlange des Hauses vor die Tür. So erklärt bekommen abergläubische Traditionen einen Sinn.

Sie sind alle originelle Menschen in dieser Familie, jede Generation bietet eine spannende Geschichte und erzählt gleichzeitig die Geschichte Italiens bis in die 1990er Jahre hinein. Das macht großen Spaß. Allerdings sind sie auch wirklich viele. Man rast hier durch die Zeit und lernt immer wieder neue Menschen kennen, neue Schicksale und es spricht sehr für dieses Buch, dass man sich trotzdem nicht langweilt. Es ist schön erzählt, einfühlsam, man gewinnt sie alle lieb, bangt mit, leidet mit, staunt, weint und lacht mit. Trotzdem denkt man so etwa in den 1960er Jahren, jetzt ist es genug. Irgendwann sind es dann doch zu viele Figuren. Man verliert den Überblick, da hilft auch der Stammbaum im Anhang nicht viel.

Trotzdem habe ich dieses Buch gerne gelesen. Es ist ein unterhaltsamer Schnellkurs in italienischer Geschichte und Mentalität und zeigt, die vielfältigen Gesichter dieses Landes, das wir nur allzu leicht auf blaues Meer und leckeres Essen reduzieren.

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Veröffentlicht am 29.06.2022

feinste Satire

Ein Sommer in Niendorf
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Solche Leute gibt es wohl. Roth ist 50, Jurist und Zyniker aus Überzeugung. Zufrieden ist er nicht, aber wie kann man auch zufrieden sein, wenn einfach niemand weit und breit seinen Ansprüchen genügt. ...

Solche Leute gibt es wohl. Roth ist 50, Jurist und Zyniker aus Überzeugung. Zufrieden ist er nicht, aber wie kann man auch zufrieden sein, wenn einfach niemand weit und breit seinen Ansprüchen genügt. Die Menschen sind zu dumm, zu feist, zu hässlich, zu laut.

Er nimmt eine Auszeit in Niendorf an der Ostsee, wo er niemanden treffen wird und in Ruhe das Buch schreiben kann, was er schon lange schreiben wollte. Er wäre schon längst ein Bestsellerautor, wenn er nur irgendwann mal seine Ruhe gehabt hätte.

Roth zuzuhören ist wirklich unterhaltsam. Humor hat der Mann, das muss man ihm lassen, nur geht der ganz und gar auf Kosten anderer. Roth ist ein böses Lästermaul, ein fieses sogar, und obwohl man oft über seine despektierlichen Betrachtungen lacht, wünscht man ihm doch eine ordentliche Bauchlandung.

Das Hörbuch liest der Autor selbst und auch wenn man sich ein bisschen daran gewöhnen muss, hat man doch bald das Gefühl, niemand sonst könnte das je besser. Er hat einen ganzen Strauß skurriler Typen kreiert und macht sie lebendig, schnodderig, tumb, lässig, maliziös oder auch dummdreist, beherrscht er perfekt und singt sogar, wenn´s benötigt wird.

Dieses Buch ist feinste Satire, bissig, böse, aber sehr unterhaltsam. Der Plot ist die Spur erwartbar, aber ein großer Spaß ist es trotzdem.

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Veröffentlicht am 27.06.2022

Spannend und anrührend

Der Mann, der vom Himmel fiel
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Walter Trevis ist ein Autor mit ungewöhnlichen Ideen, und offensichtlich ein Spezialist dafür, die Situation von Ausnahmemenschen einfühlsam in Szene zu setzen. Nicht nur das, er kann sich auch in Aliens ...

Walter Trevis ist ein Autor mit ungewöhnlichen Ideen, und offensichtlich ein Spezialist dafür, die Situation von Ausnahmemenschen einfühlsam in Szene zu setzen. Nicht nur das, er kann sich auch in Aliens einfühlen, wie man hier lesen kann.

Ein Mann vom Planeten Anthena kommt auf die Erde und hat eine Mission. Er ist den Menschen intellektuell weit überlegen, versucht sich anzupassen und lässt sich dann aber vom allzu Menschlichen vereinnahmen, ein einsamer Alien mit Heimweh in der Zwickmühle. Das ist eine hoch spannende Geschichte, sogar eine Tragödie, die einen mitnimmt und viele Denkansätze liefert.

Der Planet Anthena ist am Ende, ausgetrocknet, sind wir auf dem gleichen Weg und wollen es nicht hören? Und wie sollte man damit umgehen, wenn man auf tatsächlich Aliens treffen würde?

Dieses Buch wurde in den 60er Jahren geschrieben und kommt einem trotzdem sehr aktuell vor. Es liest sich leicht und hat Sogwirkung, obwohl gar nicht so viel passiert. Mir hat es sehr gefallen.

Eine ungewöhnliche Geschichte, die anrührt, einfühlsam und spannend geschrieben, mit ein paar winzigen Längen.

Ich muss jetzt unbedingt noch die Verfilmung sehen.

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Veröffentlicht am 30.03.2022

Ökothriller mit Extras

Wo die Wölfe sind
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Dass es hilfreich zur Rettung des Klimas sein könnte Wölfe zu renaturieren, ist ein origineller Ansatz, der einleuchtet, wenn man darüber nachdenkt. Und wenn man auf der Seite des NABU nach diesem Thema ...

Dass es hilfreich zur Rettung des Klimas sein könnte Wölfe zu renaturieren, ist ein origineller Ansatz, der einleuchtet, wenn man darüber nachdenkt. Und wenn man auf der Seite des NABU nach diesem Thema schaut, erfährt man, dass sich Wölfe wieder in Deutschland ansiedeln und ist versucht zu glauben, dass das einem glücklichen Zufall geschuldet ist. Von Renaturierung wird da betont nicht gesprochen. Wie heikel, aber auch wichtig, dieses Thema ist, kann man in diesem Buch lesen.

Inti ist Wolfsbiologin und ist mit ihrem Team nach Schottland gefahren, um dort in den Wäldern Wölfe wiederanzusiedeln. Dabei ist nicht nur zu beachten, wie sich unterschiedliche Wolfsrudel untereinander arrangieren und mit der neuen Umgebung zurechtkommen. Auch die Bevölkerung, besonders die Landwirte, muss davon überzeugt werden, dass Intis Aufgabe wichtig ist und dass man vor Wölfen keine Angst haben muss. Das wird schwierig, als plötzlich ein Mensch getötet wird.

So weit ist die Geschichte spannend und interessant, es liest sich leicht und ist sehr einfühlsam geschrieben. Die Autorin würzt das Ganze aber wieder mit einer guten Portion Extradrama. Inti besitzt eine besondere Gabe, ihre Zwillingsschwester ist schwer verstört und spricht nicht, ihre Eltern sind Exoten, ihre Kindheit war ungewöhnlich, massenhaft Geheimnisse, die geklärt werden wollen. Das ist unterhaltsam, natürlich, aber braucht es wirklich so viel Deko, um eine Geschichte ernst zu nehmen, die uns ein ökologisches Thema nahebringen möchte? Können nicht auch ganz normale Menschen die Welt retten, oder, im Gegenteil, wäre das nicht interessanter?

Wie auch immer man das findet, Charlotte McConaghy hat Erfolg mit dieser Art von Büchern. Ich habe es gerne gelesen. Es hat mir die Augen geöffnet für ein Thema, über das ich noch nie nachgedacht habe, ich sehe jetzt Wölfe mit anderen Augen.

Ich ziehe einen Stern ab für ein bisschen viel Pathos und ein bisschen viel effektheischende Dramatik. (Das Ende… hat es in sich, zieht euch warm an!)

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