Eine starke Frau
SehnsuchtslandIch war eine der beiden Glücklichen, die diesen Roman vom Francke Verlag in einer kleinen, aber feinen Lovelybooks Leserunde lesen durfte. Das Buch stand schon auf meiner (ellenlangen) Wunschliste und ...
Ich war eine der beiden Glücklichen, die diesen Roman vom Francke Verlag in einer kleinen, aber feinen Lovelybooks Leserunde lesen durfte. Das Buch stand schon auf meiner (ellenlangen) Wunschliste und deshalb freute ich mich umso mehr.
Zu Beginn der Geschichte ist unsere Protagonistin Hildegard ein kleines Mädchen von ein paar Jahren. Als in St.Petersburg der Zar gestürzt wird, müssen Hildegards Eltern vor den Bolschewisten fliehen. Auf dem Landgut in Königsberg wächst Hildegard zuerst unbeschwert auf, auch wenn ihre geliebte englische Nanny und der aus Deutsch-Südwestafrika stammende Student Gustav, ihre einzigen Vertrauten sind. Besonders Gustav ist ihr ein wahrer Freund, der sie nicht wie ein Kind behandelt, sondern mit ihr viele ernstere Gespräche führt und Hildegard von seiner weit entfernten Heimat erzählt. Der Vater ist ein eher kühler und distanzierter Mann und ihre Mutter lebt überhaupt in einer anderen Welt. Als ihre Nanny plötzlich ohne Abschied abreist und auch Gustav bald darauf das Land verlässt, ist Hildegard ein sehr einsames Kind. So wächst sie in einem sehr emotionslosen Umfeld auf. Doch dann bricht der erste Weltkrieg aus und erneut ändert sich alles. Hildegard bietet freiwillig ihre Hilfe im Lazarett an. Als gut behütetes Töchterlein geht sie eher etwas unbedarft an die Sache heran und erlebt hier die schrecklichen Folgen des Krieges. Als ihre Eltern alles verlieren, willigt sie in eine arrangierte Hochzeit ein, um ihre Familie vor dem Ruin zu wahren. Von Königsberg zieht sie nach Berlin, nichts ahnend, dass bald der nächste Krieg über sie hereinbrechen wird....
Die Autorin erzählt eine sehr detaillierte und emotionale Geschichte, die aufzeigt, wie viel ein Mensch erleiden kann. Die sehr reale und lebendige Darstellung der beiden Weltkriege lassen den Leser gebannt an den Seiten kleben. Die vielen Bombardments und vorallem der Mangel an Lebensmittel am Ende des Zweiten Weltkrieges werden sehr lebendig geschildert. Ich habe schon viele Geschichten, die während des Weltkrieges spielen gelesen, aber noch in keinem wurde der nagende Hunger und die Furcht so realitätsnah und detailliert erzählt. Vielleicht liegt es auch daran, dass die Autorin in der Gegenwart erzählt, was die Gefühle und Vorkommnisse noch realer macht. Man steckt selbst mittendrin und erlebt die Ohnmacht und die Verzweiflung hautnah mit.
Hildegard hat in ihrer Kindheit keine Liebe und Geborgen erfahren und auch in ihrem weiteren Leben wird ihr immer wieder vorgeschrieben, was sie zu tun hat. Trotzdem ist sie eine sehr warmherzige junge Frau, die nie die Hoffnung aufgibt. Sie entwickelt sich zu einer sehr mutigen Protagonistin, die viel Leid erfahren muss und immer wieder vor neuen Abschieden steht....sei es von Menschen oder Orten.
Besonders mitgefühlt habe ich, als sie ihre Kinder nicht selbst aufziehen durfte, sondern diese dem Kindermädchen überlassen musste, wie es zu dieser Zeit in höheren Kreisen üblich war. Nachdem sie selbst keine Liebe von ihren Eltern erfahren hat, wollte sie zu ihren eigenen Kindern eine festere Beziehung aufbauen.... Als Mutter tat mir beim Lesen das Herz weh.
Im letzten Drittel kommt es zu großen Veränderungen in Hildegards Leben und sie muss abermals fliehen. Ob sie schlussendlich Liebe und Geborgenheit findet, müsst ihr selbst herausfinden....
Gestört hat mich, dass genaue Zeitangaben fehlen. Man weiß oft nicht, wie alt Hildegard oder ihre Kinder sind. Das hat manchmal den Lesefluss gestört, besonders, wenn innerhalb eines Kapitels Zeitsprünge vorkamen und diese eben nicht gekenntzeichnet waren. Auch das letzte Drittel konnte mich nicht mehr so fesseln, wie der Rest des Buches. Deshalb sind es statt 5 Sterne diesmal gute 4 1/2 Sterne geworden.
Schreibstil:
Irma Joubert hat einen sehr bildhaften und detaillierten Schreibstil. Mein Kopfkino war die ganze Zeit über in Hochform bei den lebendigen Beschreibungen von Menschen und Landschaften, dem Luftschutzkeller oder der klirrenden Hitze in Deutsch-Südwest Afrika. Der Spannungsbogen wurde stets angehoben und man liest sich sehr schnell durch die fast 500 Seiten.
Die Erzählform in der Gegenwart lässt die Ereignisse noch viel realer erscheinen.
Fazit
Ein beeindruckendes Bild einer Frau, die nie die Hoffnung und den Glauben aufgibt. Krieg, Flucht und jede Menge Verluste begleiten ihren Weg - sehr bildhaft, lebendig und detailliert beschrieben. Spannend und mit jeder Menge historischen Hintergrundwissen ein eher nachdenklicher Roman, der begeistert.