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Veröffentlicht am 02.11.2017

Nicht nur für Eishockey-Fans lesenswert

Kleine Stadt der großen Träume
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Schon mit dem ersten Satz ist der Grundstein für eine spannende Geschichte gelegt. Sie beginnt damit, dass ein Teenager mit einer Schrotflinte in den Wald geht, sie gegen einen anderen Menschen richtet ...

Schon mit dem ersten Satz ist der Grundstein für eine spannende Geschichte gelegt. Sie beginnt damit, dass ein Teenager mit einer Schrotflinte in den Wald geht, sie gegen einen anderen Menschen richtet und abdrückt. Wie ist es dazu gekommen? Zunächst allerdings geht es über die ersten zwei Fünftel um die fast schon fanatische Eishockeyleidenschaft, die die Bewohner der kleinen, hinter dunklen Wäldern gelegenen schwedischen Stadt Björnstadt, die keine wirtschaftliche Zukunft hat und wo jeder jeden kennt, regiert. Alles rund um den Sport wird so lebendig beschrieben, dass sich der Leser gleichsam selber als Teil eines Spiels sieht. Alle Hoffnungen werden auf die Junioreneishockeymannschaft mit ihrem Starspieler gesetzt, deren Sieg in einem wichtigen Spiel die Stadt wieder aufwärtsbringen soll. Dann aber ändert eine Nacht alles. Ein Vorfall bewegt die Menschen, die immer zusammengehalten haben, dazu, Farbe zu bekennen und Position zu beziehen. Plötzlich sind die Björnstädter nicht mehr sicher - sollen Eishockey und die Spieler zuerst kommen? Von da an stehen dann auch die Menschen aus dem Ort im Vordergrund. Es werden kontinuierlich neue Figuren eingeführt. Jeder ist in irgendeiner Wise mit den anderen verwoben - die jungen und ehemals aktiven Hockeyspieler, die jetzigen und früheren Trainer, ihre Eltern, die Sponsoren und Kommunalpolitiker. Jeder von ihnen trägt eine Last mit sich und kämpft gegen Dämone. Backman ist es gelungen, eine komplexe, zum Nachdenken anregende Geschichte über Verantwortung, Freundschaft und die Last der Elternschaft zu schreiben. Das Buch liest sich nicht unbedingt leicht.

Veröffentlicht am 25.10.2017

Menschen und Bäume entwurzelt man nicht

Betrunkene Bäume
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Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel neues Sachwissen sich aus einem Unterhaltungsroman ziehen lässt. So auch bei dem vorliegenden Buch, dessen ungewöhnlicher Titel Bezug nimmt auf ein mir bis dato ...

Ich bin immer wieder erstaunt, wie viel neues Sachwissen sich aus einem Unterhaltungsroman ziehen lässt. So auch bei dem vorliegenden Buch, dessen ungewöhnlicher Titel Bezug nimmt auf ein mir bis dato unbekanntes Naturphänomen, dessen Erforschung sich der inzwischen über achtzigjährige Protagonist Erich zeitlebens verschrieben hat. Als junger Wissenschaftler reist er aus der DDR für Forschungszwecke in die sibirische Taiga, wo er in seinem russischen Assistenten Wolodja einen Freund und in Dascha die Liebe seines Lebens findet. Dascha folgt Erich später in dessen Heimat und wird seine Frau. Im Alter steht er dennoch alleine da, obwohl Dascha nicht vorverstorben ist, und kämpft zusehends gegen seine Altersgebrechen. Geblieben ist ihm seine Liebe zu Bäumen, die er in seiner Plattenbauwohnung züchtet. Als er die Ausreißerin Katharina kennenlernt, deren Vater die Familie verlassen hat, um in Sibirien zu arbeiten, sieht er eine Chance, frühere Fehler wieder gutzumachen.
Das Buch zu lesen lohnt sich wirklich. Anders als man aufgrund des vorderen Klappentextes meinen könnte, ist es nicht vorrangig ein Buch über eine Freundschaft zwischen Alt und Jung (Erich und Katharina). Sie verbindet eher eine Zweckgemeinschaft. Vielmehr dominiert das Thema Liebe, und zwar zur Natur in Gestalt von Erichs Bäumen und zu anderen Menschen (Dascha). Viel Raum nimmt auch die Darstellung des Prozesses der Alterung ein, ohne allerdings traurig zu stimmen, stemmt sich Erich doch auf durchaus humorvolle Weise dagegen, z.B. indem er sich listig seiner Pflegekräfte entledigt. Auflockernd wirkt der Erzählfluss, indem im Wechsel Geschehnisse in Sibirien Jahrzehnte zuvor und in der Gegenwart geschildert werden. Wolodjas Vergangenheit, seine Verbindung zu Erich, der Gang ihrer Beziehung zur selben Frau – alles kommt zunächst bruchstückhaft zu Tage und fügt sich erst später zu einem Ganzen. Die Sprache ist recht poetisch und bildhaft. Das unwirtliche Sibirien hat man gut vor Augen und erhält einen lehrreichen Eindruck über die dortige Natur und ihre Menschen, die in Jurten oder gar wie zeitweise Wolodja in den berüchtigten Arbeitslagern hausen.

Veröffentlicht am 05.10.2017

Eine wunderbare Geschichte über eine skurrile Familie

Der Vater, der vom Himmel fiel
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Vielleicht hat sich der eine oder andere Leser das schon einmal vorgestellt – nach seinem Tod noch einmal zu den Seinen zurückzukehren und ihnen das zu sagen, was man zu Lebzeiten nie gewagt hat, sowie ...

Vielleicht hat sich der eine oder andere Leser das schon einmal vorgestellt – nach seinem Tod noch einmal zu den Seinen zurückzukehren und ihnen das zu sagen, was man zu Lebzeiten nie gewagt hat, sowie noch gewisse familiäre Angelegenheiten zu ordnen, wozu man nicht mehr gekommen ist. Der alte Engländer Lyle jedenfalls verstirbt und erhält eine Gnadenfrist von 20 Tagen, während derer ihn nur sein Sohn Greg sehen und sprechen kann. Greg, einst Rebell und schwarzes Schaf der Familie, soll für seinen Vater herausfinden, was dessen Bruder Frank und seinen eigenen Bruder Billy umtreibt. Bei dieser Gelegenheit deckt er ein auch ihn betreffendes Familiengeheimnis auf.
Trotz des ja eigentlich traurigen Anfangs der Geschichte, der sich um das Versterben von Lyle und seine Beerdigung dreht, und auch der späteren Thematik vom Tod liest sie sich recht amüsant. Das ist dem Umstand geschuldet, dass die Personen auf recht unkonventionelle Weise ums Leben kommen (Lyle verwechselt eine Terpentin- mit einer Medikamentenlösung und wird – vermeintlich betrunken – vom Bus überfahren; Onkel Frank amüsiert sich über eine Radiosendung und erstickt an einem Fisherman’s Friend). Außerdem sind die Romanfiguren allesamt recht skurril und durchgeknallt mit speziellen Marotten. Vorbildhaft ist, wie familiäre Zwistigkeiten aus der Welt geschafft werden und alle wieder zu einer Familie werden, in der auch einmal über Gefühle für die anderen gesprochen wird.
Wenn es also im vorderen Klappentext heißt, das Buch gehöre zu denen, die man mit einem Lächeln im Gesicht liest, kann ich dem nur beipflichten.

Veröffentlicht am 01.10.2017

Die unerschütterliche Kraft des eigenen Ichs

Sieben Tage voller Wunder
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Was die Menschen, die ein Flugzeug besteigen, sich nicht in ihren kühnsten Träumen vorzustellen wagen, wird für Hannah zur bitteren Realität: Das Flugzeug, das sie von Kanada zurück in ihre englische Heimat ...

Was die Menschen, die ein Flugzeug besteigen, sich nicht in ihren kühnsten Träumen vorzustellen wagen, wird für Hannah zur bitteren Realität: Das Flugzeug, das sie von Kanada zurück in ihre englische Heimat bringen soll, stürzt in der winterlichen kanadischen Wildnis ab. Gemeinsam mit dem weiteren Passagier Logan, der ihr schon vor Antritt des Fluges als sympathisch aufgefallen ist, nimmt sie sieben lange Tage und Nächte den Kampf ums Überleben auf.
Trotz des traurigen Hintergrunds eines verheerenden Flugzeugabsturzes mit vielen Toten und nur wenig Überlebenden versetzt einen dieser Roman nicht in eine traurige Grundstimmung. Die Protagonistin Hannah wächst mit ihrem unbedingten Willen zum Überleben über sich hinaus und hat viele hilfreiche Tipps parat, die ihr dabei von Nutzen sind und die der Leser für evtl. eigene Katastrophenfälle parat haben sollte. Niemals den Mut verlieren, ist das vermittelte Motto. Jeder der Wochentage gestaltet sich anders und birgt andere Gefahren, aber auch neue Hilfen, so dass es überhaupt nicht langweilig wird, Hannahs aus ihrer Rückschau gemachten Schilderungen zu lesen. Zugleich ist eine kleine Liebesgeschichte der ganz besonderen Art eingebaut. Der faszinierende Clou ist, dass die Geschichte einen völlig anderen Verlauf nimmt, als der Leser bis ziemlich zum Schluss vermuten kann, sofern ihm nicht schon während der Lektüre ganz versteckte, merkwürdige Details auffallen. Diese Wendung ist es, die den Roman wirklich lesenswert macht.

Veröffentlicht am 22.09.2017

Lottogewinn = Glück?

Herrn Haiduks Laden der Wünsche
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Die lebensscheue, schweigsame Französin Alma hat sich in den Kopf gesetzt, den rechtmäßigen Besitzer einer verlorenen und von ihr gefundenen Lottoquittung zu finden, die zur Empfangnahme von 13 Millionen ...

Die lebensscheue, schweigsame Französin Alma hat sich in den Kopf gesetzt, den rechtmäßigen Besitzer einer verlorenen und von ihr gefundenen Lottoquittung zu finden, die zur Empfangnahme von 13 Millionen Euro berechtigt. Denn sie will prüfen, ob der Gewinner einen solch hohen Gewinn überhaupt verträgt und nicht etwa in sein Unglück rennt. Unterstützung erfährt sie durch den vor Jahrzehnten aus Algerien nach Berlin immigrierten Kioskbesitzer Herr Haiduk, der seinerseits Alma vor ausufernden Übergriffen vermeintlicher Gewinner schützen will. Es entwickelt sich ein interessantes Detektivspiel mit Zettelaushängen, In-die-Welt-setzen von Gerüchten und deren Revidierung, Interviews, in dessen Verlauf sich Kontakte zu Nachbarn, Bewohnern aus dem Viertel und dem weiteren Umkreis anbahnen, die alle ein Anrecht auf den Gewinn erheben. Jeden von ihnen umgibt eine spezielle Geschichte, warum er sein persönliches Glück in dem Supergewinn zu finden meint. Ob am Ende der wahre Gewinner sein Geld einkassieren kann?

Dieser Roman ist von ganz besonderer Art und wird allen gefallen, die anspruchsvolle Literatur mögen. Schon der Aufbau ist speziell. Die Geschichte vom Auffinden der Lottoquittung bis hin zur Beendigung der Suche des Gewinners hat nämlich bereits stattgefunden und wird von Herrn Haiduk in der Rückschau stückchenweise dem gescheiterten Schriftsteller Paul im idyllischen Hinterhof des Kiosks erzählt, der sie als Buch niederschreiben soll. Außerdem treibt Haiduk noch ein weiteres Motiv, das nicht verraten werden soll. Die Trennung zwischen der erzählten Geschichte und der Überblendung in die Gegenwart geschieht oft sehr abrupt, ohne optisch kenntlich gemacht zu sein, so dass es ein wenig Obacht beim Lesen bedarf. Die Romanfiguren sind alle sehr liebevoll beschrieben und knapp, aber aussagekräftig mit Schlagwörtern benannt, so dass man sich ein gutes Bild von ihnen machen kann. Da es ihrer ja doch eine Reihe gibt, helfen zur Unterscheidung gut die Namen, die Herr Haiduk ihnen gibt: der Junge Kettenraucher, die Ängstliche, die Falsche Witwe. Mit viel Liebe zum Detail und sehr bildhaft beschreibt der Autor die örtlichen Gegebenheiten – Herrn Haiduks winzigen Kiosk, die Geschäfte und den Friedhof in der Nachbarschaft. Sehr interessant ist es zu lesen, was die unterschiedlichen Menschen sich mit Hilfe des Gewinns vom Leben erhoffen.

Ein wirklich lesenswertes Buch.