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Veröffentlicht am 09.07.2021

Autobiografische Familiengeschichte

HERKUNFT
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Sasa Stanisic ist ein Autor, der Hochachtung verdient. Erst im Alter von 14 Jahren aus dem ehemaligen Jugoslawien ohne jede Deutschkenntnisse nach Deutschland gekommen, beeindruckt er auch in diesem Roman ...

Sasa Stanisic ist ein Autor, der Hochachtung verdient. Erst im Alter von 14 Jahren aus dem ehemaligen Jugoslawien ohne jede Deutschkenntnisse nach Deutschland gekommen, beeindruckt er auch in diesem Roman durch seine Sprache. Es handelt sich um autobiografische Erinnerungen an seine Kindheit mit einem serbischen Vater, einer bosnisch-muslimischen Mutter in Visegrad nahe der serbischen Grenze, von wo die Familie flüchten musste. Vor allem aber ist es eine Hommage an seine Großmutter, die an Demenz erkrankt und zusehends vergisst. Berichtet werden viele schöne und traurige Momente, alles in einer besonderen Sprache. Der ungewöhnliche lange Epilog mit immerhin 70 Seiten wartet mit einem kreativen Ende auf, das ich so zuvor noch in keinem Roman gefunden habe.
Sehr lesenswert.

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Veröffentlicht am 04.07.2021

Die Zerrissenheit von Migrationskindern

Eine Formalie in Kiew
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Der Autor erzählt in diesem Roman ein Stück seiner sehr interessanten Biografie. Im Alter von 8 Jahren als sog. Kontingentflüchtling aus der Ukraine nach Deutschland gekommen, will er nach einem Vierteljahrhundert ...

Der Autor erzählt in diesem Roman ein Stück seiner sehr interessanten Biografie. Im Alter von 8 Jahren als sog. Kontingentflüchtling aus der Ukraine nach Deutschland gekommen, will er nach einem Vierteljahrhundert endlich die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Hierfür benötigt er jedoch eine in seiner Geburtsstadt Kiew beglaubigte Geburtsurkunde, so dass er dorthin reist. Die Reise konfrontiert ihn mit Erinnerungen an seine Kindheit sowie der Gegenwart des von einem Komiker regierten Landes, in dem Korruption an der Tagesordnung steht. Zum Teil muss er seine Vorstellungen aber auch revidieren. Da er in Deutschland zuletzt mit seinen Eltern zerstritten war, weil sich diese seit ihrer Auswanderung verändert haben und zu einer Integration nie wirklich bereit waren, jetzt plötzlich auch noch sein kranker Vater zwecks Krankenhausbehandlung in Kiew auftaucht, wird die Reise auch zu einer Versöhnung mit den Eltern, die er nun besser versteht.
Kapitelman spart nicht an ironischen Bemerkungen zu den Verhältnissen sowohl in Deutschland als auch der Ukraine und treibt vermutlich einiges auf die Spitze, wie etwa die Notwendigkeit des ständigen „Entdankens“ (= Bestechung), das wie so manche andere Vokabel eine schöne Wortschöpfung des Autors ist. Man erhält einen schönen Einblick in das Leben in Kiew. Einzig negativ möchte ich anmerken, dass mein Lesefluss etwas darunter litt, dass sehr viele ukrainische Worte einfließen, deren Bedeutung sich nicht immer ohne weiteres erschließt. Hier wäre ein Glossar hilfreich gewesen.
Empfehlenswertes Buch.

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Veröffentlicht am 30.06.2021

Mischung zwischen tragischer Familiengeschichte und Thriller

Von hier bis zum Anfang
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Der Roman ist sehr spannend geschrieben und wartet am Ende mit völlig überraschenden Wendungen auf.
Zunächst, worum geht es? Das Leben von vier befreundeten Jugendlichen nimmt eine tragische Wendung, als ...

Der Roman ist sehr spannend geschrieben und wartet am Ende mit völlig überraschenden Wendungen auf.
Zunächst, worum geht es? Das Leben von vier befreundeten Jugendlichen nimmt eine tragische Wendung, als einer von ihnen – Vincent – den Tod der kleinen Schwester seiner Freundin Star verursacht. Er selbst wird dafür Jahrzehnte inhaftiert. Sein Freund Walk fühlt sich für die Gefängnisstrafe mit schuldig. Seine Freundin Martha wendet sich von ihm ab aus Gründen, die indirekt mit dem Geschehen zusammenhängen. Noch 30 Jahre später hat Walk, inzwischen Polizist, ein Auge auf die allein erziehende Star und ihre beiden Kinder Duchess und Robin. Selbst bekommt sie ihr Leben nicht in den Griff. Auf der dreizehnjährigen Duchess lastet die ganze Verantwortung, umso mehr noch, als ihre Mutter durch ein Verbrechen getötet wird, woran sie sich durch ihr rechtswidriges Verhalten einem Immobilienhai und Barbesitzer gegenüber mit schuldig fühlt. Als vermeintlicher Täter wird erneut der kurz vorher entlassene Vincent angeklagt. Walk und Martha, inzwischen Rechtsanwältin, wollen seine Unschuld beweisen.
Man sieht schon, die Verflechtungen der Romanfiguren untereinander sind vielfältig. Außer den vorgenannten spielen auch noch eine Reihe anderer eine Rolle. Die Übersichtlichkeit über das Personengefüge geht jedoch nie verloren. Jede Figur hat ihre individuelle, meist durch das erlittene Schicksal tragische Ausgestaltung. Nicht jede macht einen sympathischen Eindruck. Gerade mit der frühreifen Protagonistin Duchess, die voller Wut und Widerstand gegen alles und jeden ist und von sich gefühlte hundert Mal als „outlaw“ spricht, fällt es schwer, warm zu werden. Ansprechend ist, dass der Roman eine Mischung zwischen Familiengeschichte und Thriller ist, allerdings so typisch amerikanisch ausgestaltet ist. Es kommt zu einigen blutigen Schießereien, an Leichen fehlt es nicht und auch nicht an der Wiedergabe eines so charakteristischen amerikanischen Strafprozesses. Der Aufzählung der vielen Autotypen, die jeder einzelne so benutzt, ist für mich aber schlichtweg verzichtbar.
Insgesamt zu empfehlen.

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Veröffentlicht am 21.06.2021

Eine jahrzehntewährende Freundschaft

Heldinnen werden wir dennoch sein
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Das Buch handelt von der schon mehrere Jahrzehnte andauernden Freundschaft zwischen fünf bzw. noch vier inzwischen Mitte 50Jährigen Frauen, zu deren Clique in ihrer Jugend auch einige Männer gehörten. ...

Das Buch handelt von der schon mehrere Jahrzehnte andauernden Freundschaft zwischen fünf bzw. noch vier inzwischen Mitte 50Jährigen Frauen, zu deren Clique in ihrer Jugend auch einige Männer gehörten. Daher spricht es nicht nur Frauen an, sondern kann gleichermaßen von Männern gelesen werden, gerade weil im Fokus ein Mann steht, dessen Tod dazu führt, dass die Frauen die gemeinsame Vergangenheit nunmehr intensiv reflektieren. Im ständigen Perspektivwechsel und Zeitenwechsel schauen die Romanfiguren auf ihr gegenwärtiges Leben und vor allem auf die Vergangenheit in den 1970er und 1980er Jahren zurück. Für Leser, die wie ich ihre Jugend in diesem Zeitraum erlebten, ist die Geschichte recht wertvoll, weil sie Erinnerungen weckt (z.B. an Schokokussbrötchen, Karottenjeans, Popperfrisur). Immer wieder wird auf das Thema Freundschaft eingegangen, was sie ausmacht und was unter Freunden gar nicht geht. Sehr viel Spannung kommt dadurch ins Spiel, dass schon frühzeitig der Suizid des Freundes Frankie bekannt ist, nicht jedoch der exakte Grund und was die Frauen möglicherweise mit ihm zu tun haben. Dass es hier einen Zusammenhang gibt, wird geradezu spürbar. Wie die Frauen in der Gegenwart gezeichnet werden, geschieht mir etwas zu klischeehaft, z.B. was die dem Ehebruch ihres Mannes auf die Schliche kommende Freundin und ihre Versöhnung mit ihm anbelangt. Nicht schrecken sollte die Vielzahl der eingeführten Romanfiguren, denn den roten Faden zu behalten helfen im Klappentext befindliche kurze Charakterisierungen. Von besonderem Interesse dürfte das Buch für Leser sein, die in/bei der Stadt Kaarst leben, denn dort ist sie angesiedelt.
Eine unterhaltsame Lektüre.

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Veröffentlicht am 04.06.2021

Schöner Einblick in die marokkanisch-französische Gesellschaft vor 70 Jahren

Das Land der Anderen
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Mit seinem mir bislang nur wenig geläufigen geschichtlichen Hintergrund hat mich dieser Roman in den Bann gezogen.
Es geht um die Mischlingsehe, die die lebenshungrige Elsässerin Mathilde 1945 aus Liebe ...

Mit seinem mir bislang nur wenig geläufigen geschichtlichen Hintergrund hat mich dieser Roman in den Bann gezogen.
Es geht um die Mischlingsehe, die die lebenshungrige Elsässerin Mathilde 1945 aus Liebe mit dem für die Befreiung Frankreichs kämpfenden marokkanischen, einen Kopf kleineren Offizier Amine eingeht. Beide ziehen in das karge marokkanische Hinterland, um eine eigene Landwirtschaft zu betreiben. Mathilde findet nicht das erhoffte Glück. Sie bleibt fremd in der patriarchalischen Gesellschaft mit den so gänzlich anderen, strengen Moralvorstellungen, in der auch ihre französischen Landsleute sie und ihre Tochter wegen ihrer Mischehe nicht anerkennen. Amine wiederum wird von seinen Landsleuten als Verräter an seinem Volk beäugt und kann mit den von Mathilde begangenen europäischen christlichenTraditionen nichts anfangen. Ihr gegenüber wandelt er sich zum Tyrannen und fordert ihren Gehorsam.
Wie schon gesagt, ist der Zeitraum, in dem die Geschichte spielt – die Zeit der Unabhängigkeitsbestrebungen Marokkos von der Kolonialmacht Frankreich - sehr interessant und facettenreich dargestellt. Die Protagonisten stehen hier quasi zwischen den Fronten. Die Rolle der Frau in der traditionellen Ordnung wird gelungen beschrieben und löst bei europäischen Lesern geradezu Entsetzen aus, wenn ausgeführt wird, welcher brutalen Gewalt und Unterwerfung die Frauen ausgesetzt waren. Etwas mehr Handlung hätte ich mir gewünscht.
Sehr lesenswert.

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