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Veröffentlicht am 30.08.2019

Blackheath

Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle
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Mit einem Gefühl der Desorientierung erwacht er. Irgendwie ist er Sebastian Bell, oder nicht? Auf jeden Fall wird etwas Schreckliches geschehen. Ein Schuss ertönt und eine Frau ruft um Hilfe. Ist es Anna? ...

Mit einem Gefühl der Desorientierung erwacht er. Irgendwie ist er Sebastian Bell, oder nicht? Auf jeden Fall wird etwas Schreckliches geschehen. Ein Schuss ertönt und eine Frau ruft um Hilfe. Ist es Anna? Bell weiß nicht wohin er sich wenden soll. Nach Osten ruft ihm jemand zu und drückt ihm einen Kompass in die Hand. Bald erreicht er Blackheath, ein düsteres und weitläufiges Herrenhaus, das sicher schon bessere Tage gesehen hat. Unbedingt will Sebastian weiteres Unheil verhindern. Aber Eigensicherung geht vor. Das schützt Bell allerdings nicht davor, einiges in Erfahrung zu bringen, was nur schwer zu ertragen ist.

Das gab es schon, einen Tag immer wieder von vorn beginnen zu lassen. Wieso also nochmal? Eine Frage, die der Autor mit Leichtigkeit beantwortet. Er gewinnt der Idee etliche überraschende Facetten ab. Sein Protagonist, Aiden Bishop, darf oder muss den Tag wieder und wieder erleben, indem sein Geist in verschiedene Körper schlüpft. Aus den Sichtweisen und auch mit den Erfahrungen und Gedanken verschiedener Wirte erfährt er, um welches Ereignis es hier geht und auch was seine Aufgabe ist. Er ist freiwillig nach Blackheath gekommen, doch nun schafft er es nicht mehr, den Ort zu verlassen, es sei denn er löst das Rätsel.

Es bietet sich gewiss an, dieses Buch mehrfach zu lesen. Einmal recht zügig, weil man einfach umkommt vor Spannung, was der Autor für seinen Protagonisten in petto hat. So ungewiss ist der Ausgang der Sache, so groß der Zweifel. Ist das Rätsel erstmal gelöst, könnte es heißen, noch einmal zum Genießen. Erst dann kann man wahrscheinlich die Feinheiten wahrnehmen, die der Autor in seiner Geschichte versteckt hat, alle Verschachtelungen entschlüsseln, jeden kleinen Hinweis entdecken. Schon beim ersten Lesen fragt man sich, wie es der Autor geschafft hat, die zahlreichen Fäden in der Hand zu behalten. Einzig die Rahmenhandlung wird eher kurz gestreift, die sieben Tode der Evelyn Hardcastle werden von allen Seiten beleuchtet, auf eine Art und Weise, dass man bald nicht mehr von dem Buch lassen kann.

Veröffentlicht am 29.08.2019

Alles Möglich

Keiths Probleme im Jenseits
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Das große Sterben hat begonnen, es könnte auch ihn treffen. Fred Hundt hat viel über Wahrscheinlichkeiten theoretisiert und nebenbei Musik gemacht. Doch mit knapp sechzig Jahren hat sein Leben einen gewissen ...

Das große Sterben hat begonnen, es könnte auch ihn treffen. Fred Hundt hat viel über Wahrscheinlichkeiten theoretisiert und nebenbei Musik gemacht. Doch mit knapp sechzig Jahren hat sein Leben einen gewissen Status der Langeweile erreicht. Gescheiterte Dates und eher öde Gigs machen sein Leben aus. Als sein Freund Ben ihn bittet, nach New York zu kommen, macht Fred sich auf den Weg. Seine Stimmung hat fast den Nullpunkt erreicht, schließlich überschlagen sich die Nachrichten über Keith Richards’ Tod. Keith, der eigentlich alles überlebt hat. Wenn sogar er sterben muss, dann stirbt wirklich jeder. Kaum zu glauben ist dann Bens Geschichte.

Allerdings, was nicht Unmöglich ist, ist möglich. Wenn sich also alle Atome im Arm des David in eine Richtung bewegen, dann wird er winken. Und wenn Keith nicht tot ist, lebt er. Und Fred soll Keith die Wahrscheinlichkeit dieses Ereignisses erklären. Hanebüchen, eigentlich. Doch Fred fliegt mit Ben in die Karibik, wo sich Keith versteckt halten soll während alle Welt glaubt, er sei verstorben. Wenn man tot ist, bekommt man mehr Probleme als man denkt. Das fängt schon damit an, dass man sich nirgends mehr blicken lassen kann. Besonders nicht, wenn man Keith Richards ist und jeder einen erkennen würde.

Etwas skurril wirkt dieses Gedankenexperiment schon, aber sehr gelungen. Die Zeit der Starallüren ist vorbei für Keith, schließlich ist er tot. Und Fred startet mit fast sechzig nochmal durch. Als sein Freund aus alten Tagen Ben ihn ruft, macht er sich auf den Weg. Natürlich verlässt er dabei auch die alten Freunde und die Sicherheit zu hause. Doch warum nicht? Mal etwas wagen. So erlebt Fred wohl das schrägste Abenteuer seines Lebens. Und auch als Leser kann man sich das Gehirn durchpusten lassen und mal etwas Neues erlesen. Was wäre wenn? Wäre man lieber tot, wenn man tot geglaubt ist oder doch lieber lebendig? Was macht es mit einem, wenn der Tod unmöglich ist? Herrlich mit den Ideenspielereien, die der Autor sich aus dem Gehirn geschüttelt hat, selbst zu spielen, sie für sich zu durchdenken und zu erfühlen.

Veröffentlicht am 25.08.2019

Unfinished Sympathy

Blackbird
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Mit fünfzehn macht man viele Sachen zum ersten Mal. Aufbruchstimmung ist angesagt, jedenfalls ungefähr Mitte der 1970er. Motte und Bogi sind dicke Freunde, das Meiste machen sie gemeinsam. Bis zu dem Tag, ...

Mit fünfzehn macht man viele Sachen zum ersten Mal. Aufbruchstimmung ist angesagt, jedenfalls ungefähr Mitte der 1970er. Motte und Bogi sind dicke Freunde, das Meiste machen sie gemeinsam. Bis zu dem Tag, an dem Bogi ins Krankenhaus muss. Es ist als ob die Hälfte fehlt, ein Besuch auf der Kinderstation kann das Vorher nicht ersetzen. Außerdem, wenn man immer an die coole Blonde auf dem Rad denken muss, ist die Lust auf einen Krankenbesuch nicht so groß. Wenn dann auch noch andauernd Streit zwischen den Eltern herrscht, bleibt in der eben noch heilen Welt, kaum noch etwas wie es war.

Auf jeden Jugendlichen stürzt wahrscheinlich viel ein, wenn er sich in der Mitte der Pubertät befindet. Viele erste Male stehen neben ersten letzten Malen. Motte will etwas erleben, aber Veränderungen, die er nicht steuern kann, lassen ihn nach Halt suchen. Doch was kann man schon anderes tun als die Dinge zu nehmen, wie sie kommen. Im Krankenhaus ist Bogi anders, seine Welt des Drinnen unterscheidet sich von dem Draußen. Was nie im Bereich des Möglichen lag, wird auf einmal wahr. Motte gehen die Themen aus, wie soll er seinen kranken Freund unterstützen, wenn er doch ehrlich gesagt, lieber nach der nicht mehr ganz so fremden Radlerin Ausschau halten möchte.

Es ist schon eine Tour de Force, die Motte über ein knappes Jahr durchlebt. Da liegen Humor und Tragik nahe beieinander. Beginn und Ende beschreiben den Gang der Welt. Etwas hart wird Motte aus seinem behaglichen Kindheitskokon heraus katapultiert. Unterstützung findet er von einer überraschenden Seite. Auch wenn sich ein Schulabschnitt dem Ende zuneigt, ein Umzug alles durcheinander wirbelt, da ist doch ein Anker, der bleibt. Mit dem Soundtrack seiner Jugend und der Bogis in Gedanken zieht Motte durch die Stadt, von seinem alten Leben in ein neues Leben, dass ebenso von Verlust, aber auch von Hoffnung und Liebe gekennzeichnet ist.

Ausgesprochen gut getroffen hat der Autor den Ton der Jugend. Ja, denkt man als Leser, so war es damals. Selbst wenn man selbst einen anderen Soundtrack im Herzen hat, so erkennt man doch so vieles wieder. Die Wünsche und Sehnsüchte, die ersten Male, die positiv sind, aber auch die ersten Male, an denen man erkennt, dass es mit der Unsterblichkeit vielleicht nicht allzu weit her ist. Der erste Schmerz einer Ablehnung, das erste Aufblühen einer jungen Liebe. Man kann sich so gut in Motte hineinversetzen. Wahrscheinlich ist dieser Roman ein Schatz für jeden Leser, besonders wird er es vermutlich für die sein, die in einer ähnlichen Zeit oder Situation groß geworden sind.

Veröffentlicht am 22.08.2019

Die siebte Hölle

Todesmal
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Maarten S. Sneijder will nicht mehr, wenn das BKA ihn nicht zu seinen Bedingungen nimmt, geht er. Eigentlich ist er schon zur Tür hinaus als ihm eine Nonne auf dem Flur begegnet, die unbedingt mit ihm ...

Maarten S. Sneijder will nicht mehr, wenn das BKA ihn nicht zu seinen Bedingungen nimmt, geht er. Eigentlich ist er schon zur Tür hinaus als ihm eine Nonne auf dem Flur begegnet, die unbedingt mit ihm sprechen will. Sneijder stürmt davon und Sabine Nemez muss die Sache übernehmen. Die schon etwas ältere Frau verlangt weiterhin nach Sneijder, gibt aber doch preis, dass sie etliche Menschen umbringen will und dass die Polizei kaum eine Chance haben wird, auch nur einen zu retten. Sabine Nemez nicht umsonst eine Schülerin Sneijders, schafft es den ersten Tatort zu finden. Doch leider zu spät, um das erste Opfer zu retten.

Und das sind sie wieder Sabine Nemez und Maarten S. Sneijder, das Dream Team, zu dem eigentlich keine Team-Player gehören. Zunächst einmal ist es alles andere als einfach, herauszufinden, was die Nonne will und was der Antrieb zu ihren Taten ist. Die Chancen stehen gut, um es mit Sneijder mal ironisch auszudrücken, zu versagen. Also keine leichte Aufgabe für die beiden Ermittler, die nach und nach doch ein kleines Team um sich sammeln. Doch es hilft nicht, sie fallen erstmal von einer Ohnmacht in die nächste, zu vage sind die vorhandenen Hinweise.

Er ist doch ein eckiger Charakter, dieser Maarten S. Sneijder, an den man sich erst gewöhnen muss. Ist das nach den ersten Bänden dieser Reihe, die auch als Hörbuch zu empfehlen sind, geschafft, freut man sich am Ende des letzten Bandes schon auf den nächsten. Dem Autor gelingt es einfach, rasant spannende Kriminalromane zu schaffen, denen es an geschliffenem Humor nicht mangelt. So kann man sich an Maarten reiben, mit Sabine mitfiebern und auf den Chef fast so schimpfen wie auf den eigenen. Obwohl mit fast 600 Seiten nicht ganz dünn, hat man bei diesem furiosen Ritt durch einen fiesen Fall das Gefühl, dass er viel zu schnell vorbeigeht. Solche Bücher braucht man ab und zu, die einen mitreißen und aus dem Alltag entführen, klasse.

Veröffentlicht am 26.07.2019

Marschmädchen

Der Gesang der Flusskrebse
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Eines Morgens im Jahr 1950 zieht sie die Schuhe aus Krokodillederimitat an und verlässt das Haus. Die damals sechsjährige Kya sieht ihre Mutter nie wieder und nach und nach verschwinden auch ihre Geschwister. ...

Eines Morgens im Jahr 1950 zieht sie die Schuhe aus Krokodillederimitat an und verlässt das Haus. Die damals sechsjährige Kya sieht ihre Mutter nie wieder und nach und nach verschwinden auch ihre Geschwister. Das kleine Mädchen bleibt mit dem mitunter gewalttätigen Vater allein. Es gibt auch gute Tage, doch bald ist auch der Vater fort. Fortan lebt Kya allein in der Marsch, sie will nicht in ein Heim und sie schafft es, den Behörden immer wieder zu entwischen. Hilfe hat sie hin und wieder von dem wenig älteren Tate, der ihr schließlich auch das Lesen und Schreiben beibringt. Und das Wenige, was sie zu verkaufen hat, bringt sie in den Laden von Jumpin’, einem liebenswerten Schwarzen.

Als im Jahr 1969 der Platzhirsch des Ortes Chase Andrews tot aufgefunden wird, weiß man nicht, ob es der Beginn, das Ende oder die Mitte der Geschichte ist. Um seinen Tot ranken sich viele Rätsel. Wichtiger ist jedoch wie das Marschmädchen Kya aufwächst. Immer wieder allein gelassen und verlassen schlägt sie sich durchs Leben. Um weitere Enttäuschungen zu vermeiden, verbringt sie die meiste Zeit allein in der Marsch. Sie hat das Zeichentalent ihrer Mutter geerbt und verwendet es, um das Leben in der Marsch in Bildern wiederzugeben. Außerdem legt sie Sammlungen von Flora und Fauna an, eine Katalogisierung, die ihres Gleichen sucht und doch im Verborgenen bleibt. Ohne Freunde, ohne Komfort, aber dennoch eine gewisse Zufriedenheit strahlt Kya aus. Aus der Not heraus hat sie gelernt, aus dem Wenigen, was sie hat, Freude zu schöpfen.

Was für ein Buch. Nachdem man es beendet hat, muss man erstmal durchatmen und es ein wenig sacken lassen. Wenn man diese Art von Büchern mag, die sich Menschen, die aus der Gesellschaft gefallen zu sein scheinen, liebevoll widmen, wird man hier ein echtes Kleinod finden. Ein Debütroman, der seines Gleichen sucht. Beim Lesen fühlt man sich in die Marsch hineinversetzt, egal ob man dabei ein Bild aus Amerika vor Augen hat oder auch eines der heimatlichen Marschlandschaften, man spürt die Einsamkeit der Landschaft und die des Mädchens. Man fragt sich, woher die Kleine die Kraft und das Durchsetzungsvermögen nimmt, um zu überleben. Der Wunsch, jemand möge sich ihrer annehmen, sie aufnehmen, ihr ein zu hause geben, bleibt ziemlich unerfüllt, Die Enttäuschungen wiegen doch zu schwer, das zaghaft aufgeflackerte Vertrauen, wird herbe niedergedrückt. Und doch bewundert man Kyas starke Persönlichkeit, sie gibt nicht auf, in ihrem Rahmen schafft sie sich ein Reich der Wärme und Ruhe. Zeit ihres Lebens bleibt sie das Marschmädchen und findet ihre Erfüllung.