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Veröffentlicht am 26.04.2020

Die Stunde

Das Erbe der Altendiecks
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Einmal im Leben greift der Uhrmachermeister Johann Christian Altendieck die Gelegenheit beim Schopf. Er ergattert im Jahr 1766 den Auftrag, im Saal des Bremer Rathauses eine große Uhr zu bauen. Ein großes ...

Einmal im Leben greift der Uhrmachermeister Johann Christian Altendieck die Gelegenheit beim Schopf. Er ergattert im Jahr 1766 den Auftrag, im Saal des Bremer Rathauses eine große Uhr zu bauen. Ein großes Werk, dass schwierig zu vollbringen ist. Altendieck ist zuversichtlich, dass er es schaffen wird. Sein Großvater bringt inzwischen seiner kleinen Enkelin Gesche viel von seinem Handwerk bei. Das Mädchen hat die nötige Geduld und auch den technischen Verstand. Allerdings wird sie als Frau niemals das Uhrmacherhandwerk ausüben können. Was ihr bleibt, ist ein Leben als Frau des Meisters. Ob Gesche sich an die Vorgaben ihrer Zeit halten wird?

Über mehrere Generationen kann das Schicksal der Familie Altendieck verfolgt werden. Die verschiedenen Familienmitglieder mit ihren Eigenheiten und Begabungen. Im Mittelpunkt steht dabei Gesche, die der Familie mit ihrem energischen und doch sympathischen Wesen ihren Stempel aufdrückt. Gesche hat einen Forscherdrang und ein Selbstbewusstsein, mit dem sie auch in die heutige Zeit gepasst hätte. Doch wie im wirklichen Leben geht es auch im Leben der Altendiecks nicht immer glatt. Dennoch bleiben sie ihrem Handwerk verhaftet, auch wenn sie manchmal lieber ihrer wahrend Berufung gefolgt wären.

Dieser historische Roman befasst sich mit einem interessanten Thema und ist in der freien Hansestadt Bremen angesiedelt. Wenn man die Stadt aus der heutigen Zeit kennt, freut man sich, wenn man einige Orte wieder erkennt, auch wenn man sich an die Uhr im Rathaussaal nicht unbedingt erinnert. Dennoch hat der Autor mit seiner Familiengeschichte auch einiges der Geschichte von Bremen verknüpft und macht seinen Roman somit zu einem interessanten Lehrstück und gleichzeitig zu einer packenden Erzählung einer Familie. Sogar, wenn man es nicht als ganz so glücklich empfindet, wenn Romane so viele Jahre umspannen, hat der Autor seine Historie doch so hervorragend abgerundet, dass man nach der Lektüre nichts missen möchte. Auf gelungene Weise bringt der Autor seine Begeisterung für Stadt und Handwerk zum Ausdruck und vermag es damit durchaus mitzureißen.

Veröffentlicht am 25.04.2020

Eine Geburtstagsfeier

Noch war es Nacht
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Die kleine Mara feiert ihren dritten Geburtstag. Ihre Eltern Clara und Vito sind geschieden. Es ist Maras größter Wunsch, dass ihr Papa genauso wie ihre älteren schon jugendlichen Geschwister an der Feier ...

Die kleine Mara feiert ihren dritten Geburtstag. Ihre Eltern Clara und Vito sind geschieden. Es ist Maras größter Wunsch, dass ihr Papa genauso wie ihre älteren schon jugendlichen Geschwister an der Feier teilnehmen soll. Obwohl Clara eigentlich keinen Kontakt zu Vito mehr möchte, erfüllt sie ihrer Tochter den Wunsch. Es wird ein angenehmes Abendessen, bei dem es nicht zu Problemen kommt. Allerdings ist Vito nach diesem Abend verschwunden. Seine Geliebte, seine Schwester sorgen sich und melden ihn als vermisst. Die Polizei reagiert zunächst verhalten, schließlich ist er ein erwachsener Mann, beginnt dann aber doch mit der Suche.

Ein Geburtstag eines kleinen römischen Mädchens, etwas harmloseres kann es kaum geben. Und offensichtlich läuft der Abend ja auch ohne Harm. Wie kann dann ein Vater einfach verschwinden. Doch nach und nach kommt heraus, dass die Ehe von Clara und Vito nicht so friedlich verlief und dass Clara durchaus einen guten Grund hatte, sich zu trennen. Es muss ihr schwergefallen sein, Vitos zu der Feier einzuladen. Und nun sorgen sich alle um den Verschwundenen, in der Erinnerung wird er fast zur Lichtgestalt. Was wird sein, wenn er gefunden wird. Das Ganze ist doch sehr rätselhaft.

Es ist der erste Roman von Antonella Lattanzi und er ist sehr gelungen. Die Autorin versteht es bis zum Schluss die Spannung aufrecht zu halten. Lange ist es ungewiss, wer die Fäden in der Hand hat und was tatsächlich passiert ist. Man muss es sich erlesen und das hat was. Dabei wechseln die Sympathien und man ist überrascht, wo man hingeleitet wird. Wenn man denkt, man hat es, dann kommt eine Kleinigkeit in einem Nebensatz, die das Bild verändert. Am Ende kann man sich durchaus fragen, ob sich die Ausrichtung der Feier gelohnt hat. Zumindest hat das Fest einiges geändert, ob zum Besseren wird sich finden. Ein packendes Buch, das die Gehirnwindungen etwas durchrüttelt.

Veröffentlicht am 24.04.2020

Sanftes Ruhekissen

Marta schläft
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Eigentlich waren Nadja und Laura Freundinnen, doch in den letzten Jahren hatten sie nicht mehr so viel miteinander zu tun. Dennoch eilt Nadja zu ihrer Freundin als diese sie verzweifelt um Hilfe bittet. ...

Eigentlich waren Nadja und Laura Freundinnen, doch in den letzten Jahren hatten sie nicht mehr so viel miteinander zu tun. Dennoch eilt Nadja zu ihrer Freundin als diese sie verzweifelt um Hilfe bittet. Der Anblick, der sich Nadja bietet, jagt ihr einen Schauder über den Rücken. Es ist jemand zu Tode gekommen. Und mit dem Tod hatte Nadja schon eine Begegnung, die ihre ganze Jugend geprägt hat. Die Folgen hat sie bis heute nicht richtig überwunden. Ihrer Freundin aber will sie helfen und sie erklärt sich bereit, den Toten verschwinden zu lassen.

Wer wird bei diesem geschickt inszenierten Verwirrspiel die Oberhand behalten? Nadja ist sich ihrer selbst nicht sicher und manchmal weiß sie nicht, ob sie ihren Erinnerungen trauen kann. Trotzdem zögert sie keine Sekunde, um an Lauras Seite zu eilen. Doch die Lage, die sie vorfindet, ist unklar. Warum ist da überhaupt jemand tot. Wenn Nadja ehrlich ist, führt Laura das Leben, nach dem sie sich insgeheim sehnt, für dass sie sich aber nicht bereit fühlt. Das kann doch nicht zerstört werden. Kann es überhaupt gelingen, heil aus der Situation herauszukommen? Die beiden Frauen schmieden einen gewagten Plan.

Das ist mal ein Thriller, den man in einem Rutsch durchlesen kann. Dabei ist Nadjas Persönlichkeit durchaus faszinierend und facettenreich, während Laura eher blass wirkt. Nadjas Trauma wirkt sehr authentisch, man kann gut nachvollziehen, dass sie mit den Ereignissen ihrer Jugend nie abschließen konnte. Vielleicht geben ihr die aktuellen Ereignisse genau den Anstoß, den sie gebraucht hat. Allerdings muss sie dann aus der Zwickmühle herauskommen. Ob ihr das gelingt, ist ausgesprochen spannend zu verfolgen. Positiv ist zu vermerken, dass die Autorin ihrem Stil treu bleibt, aber es dennoch schafft, eine neue Geschichte zu schreiben. Nach dem hervorragend aufgenommenen Erstling „Liebes Kind“, kann auch dieses zweite Werk mit einer dicken Leseempfehlung versehen werden. Zweite Bücher müssen sich immer wieder an ersten messen lassen und hier braucht der zweite den Vergleich nicht zu scheuen.

Veröffentlicht am 23.04.2020

Der Besucher

Die Patientin
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Der 4jährige Silas kennt seine Mutter nur schlafend in einem Krankenhausbett liegend. Bei seiner Geburt ist sie ins Koma gefallen. Sein Patenonkel, der blinde Nathaniel, besucht sie gemeinsam mit ihm regelmäßig. ...

Der 4jährige Silas kennt seine Mutter nur schlafend in einem Krankenhausbett liegend. Bei seiner Geburt ist sie ins Koma gefallen. Sein Patenonkel, der blinde Nathaniel, besucht sie gemeinsam mit ihm regelmäßig. Vielleicht besteht doch ein Fünkchen Hoffnung. Eines Tages liegt eine Fremde in dem Bett. Nathaniel erhält die Auskunft, Carole sei verstorben, es sei allerdings nicht bekannt, wo sie begraben ist. Da kann doch irgendetwas nicht stimmen, sie leben schließlich in der Schweiz und da gehen Tote nicht einfach verloren. Nathaniel informiert seine Freundin die Journalistin Milla Nova, die ist allerdings noch an einer anderen Sache dran.

Milla Nova und Nathaniel sind auch bei ihren zweiten Auftritt ein cooles Team, obwohl sie nicht mal ein richtiges Team sind. Durch seine Behinderung ist er schon etwas eingeschränkt, lässt sich aber nicht unterkriegen und gemeinsam mit seiner Blindenhündin Alisha schafft er beinahe alles, was er sich vornimmt. Milla schreibt gerade an einem Artikel über psychoaktive Pilze und lernt dabei ein paar interessante Menschen kennen. Doch auch Nathaniels Anliegen beschäftigt sie. Millas Freund der Polizist Sandro bekommt es mit einem Todesfall zu tun, der zunächst als Selbstmord durchgehen könnte. Doch die Rechtsmedizinerin ist misstrauisch.

Man wünscht sich mal einen Fall, in dem Milla und Nathaniel richtig eng zusammenarbeiten. Doch auch so und zusammen mit der polizeilichen Ermittlung ergibt sich ein spannendes Bild, Was geschah mit den Komapatienten? Und gibt es doch etwas wie das ewige Leben? Die vielen Ansätze scheinen alle zusammenzuhängen. Natürlich ist lange nicht klar, was der wahre Hintergrund ist. Millas leicht chaotische Art und wie sie manchmal auf Abwege gerät, bildet dabei eine humorvolle Variante. Die angerissenen Themen sind informativ aufbereitet und passen in ihrer Unterschiedlichkeit doch gut zusammen. Zwar fragt man sich manchmal, wie weit die Wissenschaft tatsächlich ist. Man bleibt während der Lektüre des ganzen Buches gefesselt, denn Milla und Nathaniel sind echt ein tolles Team.

Veröffentlicht am 20.04.2020

Der Aussteiger

Jenseits
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Seit Jahren ist Gent Sassenthin nicht mehr er selbst, den Selbstmord seiner Zwillingsschwester konnte er nicht ertragen. Die besorgten Eltern fanden keinen Zugang mehr zu ihm. Nach einem Besäufnis lernte ...

Seit Jahren ist Gent Sassenthin nicht mehr er selbst, den Selbstmord seiner Zwillingsschwester konnte er nicht ertragen. Die besorgten Eltern fanden keinen Zugang mehr zu ihm. Nach einem Besäufnis lernte Gent Abu Karim kennen, der ihm den Islam nahebringt. Schließlich konvertiert Gent und verschwindet zum IS. Dort ist er später als Arzt bekannt. Titus Brandt, ein Sozialarbeiter, der Aussteiger betreut, kümmert sich auch um Gents Eltern. Als Gents Mutter eine seltsame email erhält, ist er sehr aufgeregt. Sollte das ein Zeichen sein, dass Gent gewillt ist, auszusteigen. Es ist das erste Lebenszeichen des jungen Mannes seit langer Zeit.

Sozialarbeiter, Eltern, Geheimdienste, Journalisten und europäische IS-Kämpfer. Wie kann das alles zusammenpassen? Wie kann ein junger Mensch da rein geraten? Natürlich muss es besonders schlimm sein, wenn die Zwillingsschwester sich umbringt, wenn alles seinen Sinn verliert, das Studium keinen Nutzen hat. Aber wieso kann dann einer daherkommen und etwas als erstrebenswert hinstellen und wieso ist ein anderer dann so unreflektiert, dass er einfach überläuft. Möglicherweise ist es schwierig dafür echtes Verständnis aufzubringen. Eher schon dafür, dass jemand feststellt, dass Töten wohl doch nicht das Richtige ist. Doch kann man so einem glauben, dass er aussteigen will.

Die Gier der Journalisten nach der Story, das Schweigen des Sozialarbeiters und die Beamtenseelen der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, die Schläue der IS Oberen. Daraus formt sich eine Geschichte, die sehr spannend ist, die in Teilbereichen allerdings fremd bleibt und die in den Bereichen, die verständlich sind, durch das Versagen derer geprägt,von denen man eigentlich mehr Durchblick erhofft hätte. So eine Welt mag man sich kaum vorstellen, es ist sehr ernüchternd allerdings auch glaubwürdig. Es ist nicht schön, aber so könnte es laufen. Auch wenn nicht jeder Teil der Handlung wirklich durchschaubar erscheint und einige Passagen sogar Widerwillen auslösen, so ist man doch gefesselt von der Darstellung einer sehr fremden Welt.