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Veröffentlicht am 08.12.2017

Briefe mit Niveau

Wie ich einmal ohne Dich leben soll, mag ich mir nicht vorstellen
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Nicht wenige Briefbände bestehen nur aus den Briefen und vielleicht noch ein kurzes Vorwort, der Leser wird aber mehr oder weniger mit dem Buch allein gelassen. Hier ist das nicht so. Ausführlich wird ...

Nicht wenige Briefbände bestehen nur aus den Briefen und vielleicht noch ein kurzes Vorwort, der Leser wird aber mehr oder weniger mit dem Buch allein gelassen. Hier ist das nicht so. Ausführlich wird auf die Briefpartnerinnen (alles Freundinnen Hannah Arendts) eingegangen, die Beziehung zueinander und die Umstände des Briefwechsels werden beleuchtet, bis dann endlich die Briefe kommen.
Diese Vorgehensweise ist aber auch nötig und sinnvoll, denn im Gegensatz zu bekannten männlichen Briefpartnern wie Karl Jaspers und Heidegger sind diese Frauen weniger bekannt.
Es handelt sich um Anne Weil, Hilde Fränkel, Charlotte Beradt, Rose Feitelson und Helen Wolff.

Als dann endlich die Briefe einsetzen kommt es zunächst zu einer Enttäuschung. Es herrscht im ersten Abschnitt mit den Briefen von Anne Weil ein starkes Ungleichgewicht. Die Briefe an Hannah Arendt sind in weit größeren Umfang vorhanden als die Antworten. Von Hannah Arendt liest man also verhältnismäßig wenig und als Leser wäre man da weit stärker interessiert gewesen als an den Briefen der nahezu Unbekannten.

Doch im zweiten Abschnitt ändert sich das zum Glück. Hannah Ahrend und Hilde Fränkel. Ihre Freundschaft ist anders geprägt, herzlicher, frischer.
Interessanterweise geht es bei Ihnen auch ab und zu mal über Heidegger und Karl Jaspers.
Leider starb Hilde Fränkel früh.

Im dritten Abschnitt, dem Briefwechsel mit Charlotte Beradt fehlen leider wiederum die Arendt-Briefe. Immerhin gibt es ein paar mit Beradt zusammenhängende Briefe Arendts an Heinrich Blücher oder an Schriftstellerkollegin Mary McCarthy.
Es folgen noch die Briefe von Rose Feitelson und Helen Wolff. In letzteren fall ist Hannah Arendts Anteil erfreulicherweise wieder größer.

Insgesamt bekommt man durch die Dauer der Briefe von den Vierzigern bis Mitte der Siebziger Jahre hinein einen Einblick in die Zeit und erfährt einiges über das Leben Hannah Arendts.
Auch sind die Briefe stilistisch deutlich hochwertiger als E-Mails unserer Zeit.

Veröffentlicht am 04.11.2017

intensiv

Untiefen (Ein Nora-Watts-Thriller 1)
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Untiefen, wobei mir der Originaltitel "The lost ones" besser gefällt, ist wie ein spannender Film.
Man ist wie gefangen und vergisst beim Lesen die Zeit.
Angesiedelt ist der Roman in Vancouver und British ...

Untiefen, wobei mir der Originaltitel "The lost ones" besser gefällt, ist wie ein spannender Film.
Man ist wie gefangen und vergisst beim Lesen die Zeit.
Angesiedelt ist der Roman in Vancouver und British Columbia, wobei auch Vancouvers dunkle Seite gezeigt wird. Es regnet viel und der Roman trägt viele Spuren eines typischen Noir. Die Protagonistin Nora Watts hat eine schwere Vergangenheit und muss auch in diesem Roman so einiges hartes durchmachen. Sie lebt bescheiden mit ihrer Hündin Whisper als einzige Vertraute. Bei aller Isoliertheit, Einsamkeit und ihren Problemen mit Alkohol ist sie aber ein Überlebenstyp und eine Kämpferin.Eine der bemrkenswertesten Antiheldin der modernen Thrillerliteratur der letzten Jahre. Obwohl Nora als Sekretärin und gelegentliche Ermittlerin für Privatdetektive arbeitet und nach einem verschwunden Teenager sucht, ist das Buch für mich kein konventioneller Thriller. Dafür geht es doch ausschließlich nur um Dinge, mit denen Nora persöblich verstrickt ist und die mit ihrer Vergangenheit zu tun haben.
Sheenal Kamals schreibt mit einer Intensität wie Gillian Flyn (Gone Girl) in ihren besten Büchern.
Das forsche Auftreten ihrer Protagonistin hat mich am Anfang an V.I.Warshawski von Sara Paretzky erinnern lassen, wenn sich noch jemand an die Reihe erinnert. Aber Nora ist natürlich labiler, das ist ein Thema des Buches. Untiefen ist ein düsteres Werk, doch es gibt auch Hoffnung. Es gibt meinem Eindruck nach auch einige Plotlöcher und an den Haaren herbeigezogenes. Aber trotzdem, wenn der nächste Teil der Nora Watts-Serie erscheint, bin ich wieder dabei.

Veröffentlicht am 01.11.2017

Literarischer Leckerbissen

Aus Neugier und Leidenschaft
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Für Fans der kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood sind ihre gesammelten Essays ein Leckerbissen. Sie bestehen aus Artikeln, Rezensionen und Vor- bzw. Nachwörter etc. und sind chronologisch geordnet. ...

Für Fans der kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood sind ihre gesammelten Essays ein Leckerbissen. Sie bestehen aus Artikeln, Rezensionen und Vor- bzw. Nachwörter etc. und sind chronologisch geordnet. Aufgeteilt sind die Essays in folgender stimmiger Weise:
Teil 1: 1970 - 1985
Teil 2: 1990 - 1999
Teil 3: 2000 - 2005
Aber selbst die alten Texte haben neben einem gewissen Zeitbezug immer noch eine Frische, die kennzeichnend für die diesjährige Friedenspreisträgerin des deutschen Buchhandels. Viele Texte sind autobiografisch angehaucht, viele Themen feministisch geprägt. Das bleibt unverkrampft, aber oft nicht ohne Schärfe. Starke Frauen durchziehen ihr Werk.
Herausheben möchte ich zum Schluß 3 Texte, die mich besonders beeindruckt haben.
Das Nachwort zu Anne of Green Gables
Kopftuch oder Tod (eine Rezension von Orhan Pamuks Schnee)
Die 10 Annäherungen an die Insel von Dr.Moreau (H.G.Wells)

Veröffentlicht am 12.10.2017

dialogbetont

Katharina und der Zaungast
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Dieser intelligente Roman von1957 ist ein Frühwerk von Christine Brückner und setzt ganz auf die Gespräche zweier Menschen.
Die junge Franziska und der 20 Jahre ältere Doktor sind über einen langen Zeitraum ...

Dieser intelligente Roman von1957 ist ein Frühwerk von Christine Brückner und setzt ganz auf die Gespräche zweier Menschen.
Die junge Franziska und der 20 Jahre ältere Doktor sind über einen langen Zeitraum miteinander befreundet, aber doch sehr verschieden. Franziska ist stark und impulsiv, nach einer schweren Kindheit gierig auf das Leben, aber leider ist es eine fehlgeleitet Zeit. Der geschilderte Fackelzug 1938 lässt einen eine Beklemmung beim Lesen erfahren.
Bastian, der Doktor, ist anders als Franziska, abwartend und beobachtend, klug bewahrt er kühlen Kopf.
Vielleicht ist ihre Verschiedenheit der Grund, warum sie sich in den Dialogen aneinander abarbeiten, die Vergangenheit reflektieren.
Beide mussten schweres durchmachen. Bastian erblindete im Krieg, Katharina verliebt sich in den falschen Mann, wird desillusioniert. Die Nachkriegszeit führt sie ins Ausland, wie getrieben sucht sie nach einem eigenen Platz. Brieflich bleiben sie in Kontakt.

Die Form des Romans ist gleichzeitig funktionierend als auch einschränkend, da manche Themen praktisch wie abgehakt wirken. Das gilt insbesondere für Katharinas Jahre im Exil. Daher kann ich dem Buch nicht die Höchstnote geben, aber ein guter Roman ist es und die Getragenheit und Melancholie strahlen etwas außergewöhnliches aus, dass in der zeitgenössischen Literatur relativ selten ist.

Veröffentlicht am 08.10.2017

Was für ein Buch!

Anstand
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Ein sehr amerikanischer und sehr lebhafter Roman! Eine starker Hauptfigur, aus denen Perspektive konsequent erzählt wird. Der Erzähler ist ein Original. Vietnamveteran und vorgeblich konservativ, doch ...

Ein sehr amerikanischer und sehr lebhafter Roman! Eine starker Hauptfigur, aus denen Perspektive konsequent erzählt wird. Der Erzähler ist ein Original. Vietnamveteran und vorgeblich konservativ, doch blitzt immer wieder seine große Toleranz durch, die er den Menschen entgegen bringt. Besonders liegt ihm sein Sohn Hank am Herzen und erst Recht seine Enkelin Ella.

Der Mann hat Witz, aber es gab auch harte und tragische Schicksalsschläge, die sein Leben prägten.

Matthew Quick zeigt anhand seines Protagonisten, wie man mit seinen eigenen Vorurteilen umgehen kann. Dazu gehört die Suche nach den Ursachen dafür,
Ich bezweifle, dass der Protagonist mit seiner Fähigkeit zur Selbsterkenntnis ein typischer Vertreter des Trump-Wählers ist. Das Buch zeigt nicht, wie diese Spezis tickt, vielmehr wird ein Einzelfall im Detail gezeigt und man erfährt, was diesen 68jährigen US-Amerikaner zu dem machte, was er ist. Er musste als junger Mann in den Krieg ziehen und die schrecklichen Erlebnisse in Vietnam lassen ihn noch Jahre später Alpträume haben. Damit muss man erst einmal fertig werden und ganz wird das Kapitel nie abgeschlossen sein.
Hinzu kam die Liebe zu einer labilen Frau, die an schweren Depressionen litt und eine Entfremdung zum erwachsenen Sohn, der mit Mitte 40 von seiner Frau verlassen wurde.
Nach einer schweren Erkrankung kommt Granger seinem Sohn und seiner geliebten Enkelin wieder nahe.
So ganz glaubwürdig und realistisch finde ich die Hauptfigur nicht, aber das macht nichts. Dafür ist der Roman umso unterhaltsamer.Ganz unbekannt ist die Masche mit dem grantelnden, aber gutherzigen Antihelden nicht. Man denkt z.B. an Clint Eastwood in Gran Torino. Und es funktioniert auch hier.