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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.08.2020

Kindheit prägt

Abgründe
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Im Inneren des Umschlags steht unter anderem: “Ein Buch für alle, die sich für die menschliche Psyche und ihre Abgründe interessieren.” Das klingt etwas reißerischer oder besser gesagt voyeuristischer ...

Im Inneren des Umschlags steht unter anderem: “Ein Buch für alle, die sich für die menschliche Psyche und ihre Abgründe interessieren.” Das klingt etwas reißerischer oder besser gesagt voyeuristischer als ich das Buch erlebt habe.

Man muss nicht Psychologie studiert haben um den Ausführungen, Gedanken und Erzählungen von Hans Hopf gut folgen zu können. Er beschönigt nichts, wenn er auch die realen Personen hinter den Geschichten natürlich so gut es geht schützt.

Ja, manche Szenen sind nicht so einfach vorstellbar, dennoch wirkt niemand in diesem Buch “entmenschlicht” oder bloßgestellt. Man sollte wirklich nicht mit dieser Einstellung herangehen, sich Erzählungen erwarten die wie boulevardeske Zeitungsartikel oder “True-Crime”-Stories daherkommen. Alles auf diesen 187 Seiten beruht auf wahren Begebenheiten. Aber so wie auch Hans Hopf in seinem Beruf kann der Leser sowohl mitfühlen als auch Distanz bewahren.

Vielleicht kann dieses Buch (und können auch bisherige Werke Hopfs, die ich nicht selbst kenne) ein wenig Verständnis für die vielschichtige Arbeit und die psychischen Probleme unserer Mitmenschen in den Lesern wecken.

Es ist zu hoffen, dass die Stigmatisierung und das Kleinreden dieser Erkrankungen auch einmal endet und dass damit sowohl Psychiater selbst als auch deren Anforderung allgemein akzeptierter werden. Die Aussage “das ist in seiner oder ihrer Kindheit begründet” wird gerne belächelt, nach dieser Lektüre wird man damit vorsichtiger sein.

Veröffentlicht am 15.08.2020

Frauen im Fokus

Der dunkle Bote
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Zum dritten Mal dürfen wir uns hörend und staunend an August Emmerichs Fersen heften und eine wunderbar spannende wie erhellende Zeitreise ins Wien des Jahres 1920 begehen.

Es ist November, kalt und nebelig ...

Zum dritten Mal dürfen wir uns hörend und staunend an August Emmerichs Fersen heften und eine wunderbar spannende wie erhellende Zeitreise ins Wien des Jahres 1920 begehen.

Es ist November, kalt und nebelig auf den Straßen und in den Herzen der von den Nachwehen des Krieges geplagten Menschen. Minderheiten und alle, die irgendwie “anders” sind, haben ein besonders schweres Los. Wie auch viele der Frauen.

Im Krieg durften sie das Land am Laufen halten, nun kehren die Männer zurück, übernehmen ihre Jobs und machen ihnen das Leben in vielerlei Hinsicht schwer. Doch langsam regt sich Widerstand. Eine mutige Journalistin hat sich zum Ziel gesetzt, diese Schicksale publik zu machen.

Kriminalinspektor August Emmerich hat auch ein Ziel: Seine Lebensgefährtin Luise vor deren eigenem Kriegsheimkehrer zu retten. Und nebenbei hat er noch ein paar Morde am Hals, quasi business as usual.

Wieder mit dabei: Assistent Ferdinand Winter, ein paar Kollegen von “Leib und Leben” sowie Schleichhändler Veit Kolja, der in Band 2 etwas Pause hatte. Wie immer sind alle wunderbar gesprochen von Cornelius Obonya, der Charaktere, Stimmung und Erzähler zu einer faszinierenden Einheit formt, beinahe wie ein ganzes Ensemble.

Veröffentlicht am 08.08.2020

Mit anderen Augen

Das längste Verhör
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Grobe Fakten über den D-Day und das Ende des Zweiten Weltkriegs sind in Europa und Amerika wohl vielen Menschen geläufig. Briten und Amerikaner gingen in Frankreich an Land, arbeiteten sich vor und befreiten ...

Grobe Fakten über den D-Day und das Ende des Zweiten Weltkriegs sind in Europa und Amerika wohl vielen Menschen geläufig. Briten und Amerikaner gingen in Frankreich an Land, arbeiteten sich vor und befreiten Städte und Dörfer von den Besatzern.

Wer da genau anlandete, was ihre Ziele waren, woher sie kamen und was sie erlebten, ist der Mehrheit (leider) unbekannt. “Das längste Verhör” ist ein fiktiver Roman über die Tage Anfang Juni 1944, fußt aber auf vielen realen Details und Erlebnissen.

Als ein Beispiel von vielen “namenlosen Helden” dient hier Adam Ruby, amerikanischer Soldat, dessen Hauptaufgabe es ist, feindliche Kämpfer zu verhören um mit den gewonnen Informationen den Krieg effizienter und schneller beenden zu können. Oder um zumindest einen entscheidenden Vorteil zu bekommen.

Der Leser begleitet ihn vom Abflug aus Großbritannien, über die Landung bis einige Tage danach auf einer intensiven Wanderung durch potenziell tödliche, immer schwierige Situationen, mit wenig Schlaf, ständiger Anspannung und nervenzehrendem Warten auf das nahende Kriegsende.

Robert Lankes Fachwissen und die vielen Quellen die er erschließen konnte, machen die Geschichte des Adam Ruby realistisch, beklemmend und lebendig. Außerdem führt sie uns vor Augen, wie viel Leid und Entbehrungen Kriege mit sich bringen, wie viele Gefahren und Missverständnisse in diesen wirren Zeiten an jeder Ecke lauern können.

Vielleicht lassen uns Bücher und Filme über diese Zeiten mehr wertschätzen dass in den meisten Staaten der Erde grundsätzlich Frieden herrscht. Vielleicht lehren sie uns auch, Situationen in aktuellen Kriegs- und Katastrophengebieten mit anderen Augen zu sehen.

Veröffentlicht am 18.07.2020

Zwischen grandios und kurios

Broken - Sechs Geschichten
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Don Winslow, Meister des amerikanischen Thrill, hat sich hier an ein etwas anderes Buch gewagt. 6 Kurzgeschichten, allesamt spannend und speziell, finden sich hier. Interessant ist, dass einige davon in ...

Don Winslow, Meister des amerikanischen Thrill, hat sich hier an ein etwas anderes Buch gewagt. 6 Kurzgeschichten, allesamt spannend und speziell, finden sich hier. Interessant ist, dass einige davon in der selben Stadt spielen und es dadurch auch einen Polizisten gibt, der mehrfach auftritt, wenn auch nicht immer in der Hauptrolle.

Die Geschichten drehen sich allesamt um ein paar sehr witzige und auch verrückte Ideen, die wohl für einen 500-Seiten-Thriller nicht ausreichen würden, aber so als Häppchen für rund 80-100 Seiten genau richtig sind. Von Drogenhandel über Straßenkriminalität bis zu Schmuckraub und einem Affen mit Revolver ist alles dabei.

Auch das Lebensgefühl der West Coast kommt nicht zu kurz. Sonne, Strand, Surfer und Reichtum wechseln sich mit den dunklen Ecken, hochrangigen Kriminellen und zwielichtigen Gestalten ab.

Trotz seiner mehr als 512 Seiten kommt man durch dieses stolze Hardcover recht flott durch - denn die 6 Geschichten selbst hab keine klaren Kapitel oder Abschnitte, lediglich größere Absätze oder Sternchen. Wer nicht unterbrechen muss, kann somit die in sich geschlossenen Handlungen jeweils am Stück genießen.

Veröffentlicht am 08.07.2020

Mit den Ohren durch die Straßen Wiens

Die rote Frau
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“Die rote Frau” von Alex Beer ist Band 2 der Reihe um Rayonsinspektor August Emmerich. Im Jahr 1920 ist in Wien nach dem Krieg wieder Ruhe eingekehrt. Ruhe? Nicht ganz. Während es sich alle Reichen wieder ...

“Die rote Frau” von Alex Beer ist Band 2 der Reihe um Rayonsinspektor August Emmerich. Im Jahr 1920 ist in Wien nach dem Krieg wieder Ruhe eingekehrt. Ruhe? Nicht ganz. Während es sich alle Reichen wieder langsam gemütlich machen und Pläne für die Stadt und ihre eigenen Habseligkeiten schmieden, hungern und siechen Tausende dahin.

Die Spuren des Krieges sind unter ihnen besonders sichtbar und auch Emmerich laboriert immer noch an seiner Kriegsverletzung. Doch so sehr ihn sein Bein quält, weiß er es mittlerweile auch einzusetzen und seine Vorteile daraus zu ziehen.

Dank Emmerichs ungewöhnlicher und kompromissloser Art ist es eine Freude, ihn in einem Team mit seinem Assistenten Ferdinand Winter zu wissen, der oftmals eine etwas anderes Sicht der Dinge hat, ihn aber nicht überstimmen kann. Diese durchaus komischen Momente tun dem Krimi gut, der ansonsten viel Ernsthaftigkeit mitbringt. Ernste Probleme, Mord, Machenschaften und Armut prägen das Stadtbild und die Atmosphäre des feinfühlig recherchierten Krimis.

August Emmerich, selbst nicht aus angesehenen Verhältnissen stammend, hat sein Herz am rechten Fleck und riskiert für die, denen es noch schlechter geht als ihm (er hat zumindest Arbeit), schon mal Kopf und Kragen. Seine Sturheit ist amüsant und beeindruckend, reitet ihn aber zwischendurch auch in scheinbar ausweglose Situationen und von Zeit und Zeit kann auch er irren.

Aber Emmerich wäre nicht Emmerich wenn sich seine Sturheit nicht irgendwann auszahlen würde. Er wartet mit genialen Einfällen auf, ohne am Ende als “Supermann” dazustehen. Die Geschichte bleibt in sich glaubwürdig, ebenso wie alle ihre Charaktere. Ebenfalls stimmig ist Sprecher Cornelius Obonya. Wie schon in “Der zweite Reiter” spricht er die Protagonisten und die Nebenrollen jede mit ihrer eigenen wiedererkennbaren Stimme. Alleine schon deshalb ist der Krimi ein echtes Hörerlebnis, dazu unterstreicht seine Stimmlage auf fesselnde Weise den Schreibstil der Autorin.